Urteil des VG Münster vom 13.02.2007
VG Münster: angemessene entschädigung, umkehr der beweislast, behinderung, vorstellungsgespräch, diskriminierung, professur, forschung, gleichstellung, vorverfahren, physik
Verwaltungsgericht Münster, 4 K 2474/05
Datum:
13.02.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 2474/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der 1954 geborene Kläger ist nach eigenen Angaben seit über vierzehn Jahren als
habilitierter Hochschullehrer in Forschung und Lehre, u. a. im Bereich der
mathematischen Physik, tätig. Mit Urkunde vom 6. November 1997 wurde ihm vom
Freistaat Bayern die Bezeichnung „Außerplanmäßiger Professor" zuerkannt. Auf Grund
seines Antrages vom 8. Oktober 2003 wurde er durch Bescheid des Arbeitsamtes
München vom 19. Februar 2004 gem. § 2 Abs. 3 Sozialgesetzbuch IX - SGB IX - einem
schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
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Mit Schreiben vom 11. August 2004 hat sich der Kläger unter Hinweis auf seine
Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten nach dem Schwerbehindertengesetz auf
die von der Beklagten ausgeschriebene C 3-Professur für Reine Mathematik beworben.
In der vorgenannten Stellenausschreibung heißt es u. a.: Die zukünftige
Stelleninhaberin/der zukünftige Stelleninhaber hat das Fach „Reine Mathematik" in
voller Breite in Forschung und Lehre zu vertreten. Insbesondere soll sie/er einen
Bereich der Mathematischen Physik vertreten, der zu den Forschungsinteressen des
SFB „Geometrische Strukturen in der Mathematik" passt.
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Die Bewerbung des Klägers wurde in der Sitzung der Berufungskommission am 22.
Oktober 2004 neben 36 anderen Bewerbungen einstimmig mit der Begründung
ausgeschlossen, dass er auf dem Gebiet der Schrödingeroperatoren forsche, sich auch
mit Fragen aus der Kombinatorik beschäftige, ein Bezug zu den Themen des SFB
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jedoch nicht vorhanden sei. Die Schwerbehindertenvertretung stimmte unter dem 22.
November 2004 der Nichtberücksichtigung des Klägers zu. Der einstimmig von der
Berufskommission auf Listenplatz 1 gesetzte Bewerber nahm den Ruf auf die
ausgeschriebene Stelle nach Ruferteilung am 27. Juli 2005 am 9. August 2005 an.
Mit Schreiben vom 14. Oktober 2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Stelle
inzwischen besetzt worden sei. Unter dem 17. November 2005 wies der Kläger darauf
hin, dass er trotz Hinweises auf seine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten
keine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhalten habe. Da ihm offensichtlich
fehlende fachliche Eignung nicht nachgewiesen worden sei, liege ein Verstoß gegen §
82 SGB IX vor. Gem. § 81 Abs. 2 S. 2 SGB IX verlange er eine angemessene
Entschädigung in Geld. Diesen Anspruch lehnte die Beklagte durch Schreiben vom 25.
November 2005 mit der Begründung ab, bei der Auswertung der Bewerbungsunterlagen
sei die Berufungskommission zu der Feststellung gelangt, dass der im
Ausschreibungstext geforderte Bezug zu den Themen des SFB bei ihm nicht vorhanden
gewesen sei. Der Vertrauensmann der Schwerbehinderten, der zu jeder Zeit über das
Verfahren informiert und an allen Entscheidungen beteiligt gewesen sei, habe in seiner
Stellungnahme ausdrücklich bestätigt, dass seine Bewerbung nicht dem
Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Professur entsprochen habe und daher von
einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch abzusehen gewesen sei. Durch den
nicht vorhandenen Bezug zum Sonderforschungsbereich sei die fehlende fachliche
Eignung für die ausgeschriebene Professur nachgewiesen gewesen, so dass eine
Einladung zu einem Vorstellungsgespräch entbehrlich gewesen sei. Daher liege ein
Verstoß gegen § 82 SGB IX nicht vor.
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Der Kläger hat am 15. Dezember 2005 Klage erhoben und einen
Schadenersatzanspruch in Höhe von drei Monatsverdiensten der in Rede stehenden
Stelle gem. § 81 Abs. 2 S. 3 SGB IX mit der Begründung geltend gemacht, nach dem
rechtskräftigen Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Oktober 2003 löse die
Missachtung der Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, gem. § 82 SGB IX
schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, einen
Schadenersatzanspruch wegen Benachteiligung auf Grund der Behinderung nach § 81
Abs. 2 SGB IX aus. Eine Einladung sei nur entbehrlich, wenn die fachliche Eignung
offensichtlich fehle. Hiervon könne angesichts dessen, dass er seit vierzehn Jahren als
habilitierter Hochschullehrer in Forschung und Lehre tätig sei, keine Rede sein. Die
Offensichtlichkeit der Nichteignung könne auch nicht auf Grund mangelnden „Passens"
seines Arbeitsbereichs zu den Interessen des Sonderforschungsbereichs, der überdies
im Ausschreibungstext lediglich mit einem „Soll" angesprochen worden sei, festgestellt
werden. Eine nachträgliche Interpretation des Ausschreibungstextes durch die Beklagte,
insbesondere durch das im Ausschreibungstext nicht vorkommende Wort
„Quantenfeldtheorie", sei unzulässig und unterstreiche den Versuch der Beklagten, ihn
wegen der Behinderung zu diskriminieren. Über die Beteiligung der
Schwerbehindertenvertretung sei er vor Abschluss des Berufungsverfahrens nicht
unterrichtet worden. Auch hierin liege eine Missachtung von § 81 Abs. 1 l. 1 SGB IX. Der
Schwerbehindertenvertreter sei zudem fachlich zur Feststellung der Nichteignung nicht
in der Lage gewesen, habe sich vielmehr selbst beraten lassen müssen. Hierin liege
eine unzulässige Beeinflussung des Schwerbehindertenvertreters. Im Übrigen sei die
Beklagte der Begründungspflicht für die Ablehnung seiner Bewerbung nicht rechtzeitig
nachgekommen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verpflichten, Schadenersatz in Höhe von drei Monatsverdiensten auf der
Grundlage der C 3-Besoldung zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, eine den vom Kläger geltend
gemachten Schadenersatzanspruch auslösende Diskriminierung läge nur vor, wenn er
ausschließlich wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaften für die ausgeschriebene
Stelle nicht in Betracht gezogen worden wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall, weil die
Einladung des Klägers ausschließlich deshalb unterblieben sei, weil der im
Ausschreibungstext geforderte Bezug zu den Themen des Sonderforschungsbereichs
bei ihm offensichtlich nicht vorhanden gewesen sei. Da seine Behinderung keinerlei
Rolle bei der Auswahlentscheidung gespielt habe, sei er auch von der
Berufungskommission nicht aufgefordert worden, den Nachweis für seine Gleichstellung
als Schwerbehinderter zu erbringen. Die Schwerbehindertenvertretung sei
ordnungsgemäß beteiligt worden. Eine besondere Qualifikation des
Schwerbehindertenbeauftragten werde vom Gesetz nicht gefordert. Auch eine
besondere Form der schriftlichen Benachrichtigung im Falle einer Absage der
Bewerbung eines Schwerbehinderten lasse sich aus § 81 SGB IX nicht herleiten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten
Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat keinen Erfolg. Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei dem geltend
gemachten Anspruch um eine Klage aus dem Beamtenverhältnis gem. § 126 Abs. 1
Beamtenrechtsrahmengesetz - BRRG -handelt und deshalb gem. § 126 Abs. 3 BRRG
ein Vorverfahren hätte durchgeführt werden müssen.
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So. VG Düsseldorf, Urteil vom 6. Mai 2005 - 2 K 4552/03 -
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Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 1985 - 2 C 16/83 -, NVwZ 1986, 374 m. w. N.
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ist aus Gründen der Prozessökonomie ein Vorverfahren entbehrlich, wenn sich - wie
hier - der auch für die Widerspruchsentscheidung zuständige Beklagte auf die Klage
einlässt und deren Abweisung beantragt.
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Die danach zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Denn die Voraussetzungen des §
81 Abs. 2 SGB IX für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch liegen nicht vor.
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Gem. § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX dürfen schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer
Behinderung benachteiligt werden. Nach Abs. 2 S. 2 Z. 1 dieser Vorschrift bedeutet
dies, dass ein schwerbehinderter Beschäftigter bei einer Vereinbarung oder einer
Maßnahme, insbesondere bei der Begründung des Arbeits- oder sonstigen
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Beschäftigungsverhältnisses, beim beruflichen Aufstieg, bei einer Weisung oder
Kündigung, nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Nach § 81 Abs.
2 S. 2 Nr. 3 S. 1 i. V. m. Nr. 1 S. 1 SGB IX hat der Arbeitsgeber einem
schwerbehinderten Bewerber, den er bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses
benachteiligt hat, selbst dann eine angemessene Entschädigung in Höhe von
höchstens drei Monatsverdiensten zu leisten, wenn der Bewerber bei
benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Diesen
Entschädigungsanspruch macht der Kläger hier geltend, denn er beruft sich nicht darauf,
dass bei benachteiligungsfreier Auswahl die Beklagte nur die Möglichkeit gehabt hätte,
ihn als bestgeeigneten Bewerber auszuwählen.
Der geltend gemachte Entschädigungsanspruch besteht jedoch nicht. Eine unmittelbare
Diskriminierung liegt nicht vor. Diese ist nur dann zu bejahen, wenn eine Person wegen
ihrer Schwerbehinderteneigenschaft eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine
andere Person in der vergleichbaren Situation erfahren hat oder erfahren würde. Eine
Diskriminierung des Klägers läge danach nur dann vor, wenn er ausschließlich wegen
seiner Schwerbehinderteneigenschaft für die ausgeschriebene Stelle nicht in Betracht
gezogen worden wäre.
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Vgl. hierzu BAG, Urteil vom 15. Februar 2005 - 9 AZR 635/03 - NZA 2005, 817 m. w. N.
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Unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien und nach Auswertung der
vorgelegten Verwaltungsvorgänge lässt sich dies zur Überzeugung des Gerichts nicht
feststellen. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich der
Entschädigungsanspruch nicht schon daraus herleiten, dass er entgegen der Regelung
des § 82 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist. Auch die
behauptete - allerdings nicht feststellbare - nicht ordnungsgemäße Beteiligung der
Schwerbehindertenvertretung löst keinen Entschädigungsanspruch aus. Zwar ist bei
einer möglichen Diskriminierung auch zu berücksichtigen, ob eine mögliche
Beeinträchtigung der Chancen des Stellenbewerbers durch eine Verfahrensgestaltung
gegeben ist. Die Berücksichtigung derartiger Verfahrensfehler kann als Hilfstatsache zur
Umkehr der Beweislast führen, mithin dazu, dass der Arbeitgeber beweisen muss, dass
sachliche - nicht auf der Behinderung beruhende - Erwägungen zur Nichteinstellung des
Bewerbers geführt haben. Entscheidend bleibt aber auch dann, dass das Gericht es für
überwiegend wahrscheinlich hält, dass die Benachteiligung des Bewerbers auf Grund
seiner Schwerbehinderung erfolgt ist.
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So VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. September 2005 -9 S 1357/05 -; LAG
Bremen, Urteil vom 9. September 2003 - 1 Sa 77/03 -, bestätigt durch BAG, Urteil vom
15. Februar 2005 - 9 AZR 635/03 - aao, ArbG Würzburg, Urteil vom 13. Januar 2004 - 2
Ca 2344/03 -.
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Aus der vom Kläger angeführten Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin (Urteil vom 10.
Oktober 2003 - 91 Ca 17871/03 -) folgt nichts Gegenteiliges, weil auch in dem
vorgenanten Urteil entscheidend darauf abgestellt worden ist, ob sachliche Gründe für
die Nichtberücksichtigung der Bewerbung des dortigen Klägers, die hier gegeben sind,
vorgelegen haben. Selbst wenn deshalb nicht von einem offensichtlichen Fehlen der
fachlichen Eignung des Klägers für die begehrte Professur auszugehen ist und damit
ein Verstoß gegen § 82 SGB IX vorliegt, führt dies nicht zum geltend gemachten
Entschädigungsanspruch. Denn aus den vorgelegten Verwaltungsvorgängen lässt sich
für das Gericht unzweifelhaft entnehmen, dass der Kläger nicht wegen seiner
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Schwerbehinderung benachteiligt wurde, sondern vielmehr sachliche Gründe
ausschlaggebend für die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch und im Ergebnis
der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung waren. Dem Protokoll über die Sitzung der
Berufungskommission am 22. Oktober 2004 läßt sich entnehmen, dass die insgesamt
52 Bewerbungen abgeglichen wurden mit dem durch den Ausschreibungstext
umrissenen Forschungsprofil des SFB. Für die Berufungskommission war danach
entscheidend, ob der jeweilige Bewerber auf Grund seiner fachlichen Ausrichtung, des
direkten fachlichen Vergleichs mit den anderen Bewerbungen sowie der Kompatibilität
mit dem Profil des SFB geeignet war. Die Bewerbung des Klägers ist danach von der
Berufskommission wie auch die von weiteren 36 Bewerberinnen/Bewerber von der
weiteren Betrachtung ausgeschlossen worden, weil ein Bezug zu den Themen des SFB
nicht vorhanden war. Bezogen auf den Kläger heißt es dort wörtlich: „Herr I forscht auf
dem Gebiet der Schrödingeroperatoren, beschäftigt sich aber auch mit Fragen aus der
Kombinatorik. Eine Reihe seiner Veröffentlichungen sind populärwissenschaftlicher
Natur. Ein Bezug zu den Themen des SFB ist nicht vorhanden". Ein irgendwie gearteter
Hinweis darauf, dass seine Schwerbehinderung Grund für den Ausschluss aus dem
weiteren Bewerbungsverfahren war, lässt sich den vorgelegten Verwaltungsvorgängen
nicht entnehmen. Dies wird im Ergebnis auch vom Kläger nicht substantiiert dargelegt.
Insbesondere stellt er nicht in Abrede, dass er in dem ausdrücklich im
Ausschreibungstext angesprochenen Forschungsgebiet „Geometrische Strukturen in
der Mathematik" bislang nicht tätig war.
Da sich somit ein Verstoß gegen das in § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX geregelte
Benachteiligungsverbot nicht feststellen lässt, war die Klage mit der Kostenfolge aus §
154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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