Urteil des VG Münster vom 10.08.2009
VG Münster (wahl, reihenfolge, kläger, rechtsschutz, festsetzung, vertretung, stimmzettel, stadt, verwaltungsgericht, gültigkeit)
Verwaltungsgericht Münster, 1 K 1447/09
Datum:
10.08.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 1447/09
Schlagworte:
Kommunalwahlen Stimmzettel Reihenfolge Einzelbewerber
Rechtsschutz
Normen:
KWahlG §§ 46 b, 39 Abs. 2 Satz 1, 23 Abs. 1 Satz 3, KWahlO § 75 c
Satz 5
Leitsätze:
Aufgrund der Besonderheiten des Wahlrechts ist gegen die Festlegung
der Reihenfolge der Wahlvorschläge auf den Stimmzetteln ein
verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Vorfeld der Wahl
ausgeschlossen
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
von 110 v. H. des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Beteiligten streiten über die Festlegung der Reihenfolge der Wahlvorschläge auf
den Stimmzetteln zur Wahl des Bürgermeisters der Stadt X. am 30. August 2009.
Der Kläger ist parteilos und seit 2004 gewählter Bürgermeister der Stadt X. . Für die
Wahl des Bürgermeisters am 30. August 2009 gingen zwei Wahlvorschläge ein. Unter
dem 7. November 2008 schlug die CDU ihr Parteimitglied N. B. C. vor. Mit
Wahlvorschlag vom 1. Juli 2009 bewarb sich der Kläger als Einzelbewerber. Der
Wahlausschuss für die Kommunalwahl 2009 der Stadt X. machte nach seiner
Sitzung am 20. Juli 2009 - der Verwaltungsvorlage folgend - die Wahlvorschläge im
Amtsblatt des Beklagten vom 24. Juli 2009 wie folgt bekannt:
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lfd.
Nr.
Name Vorname Beruf
Geb.-
jahr
Geburtsort X.
Straße
Partei
Wählergruppe
3
1
C. N. B. L. 1972
Bielefeld L1.---------
straße 5
CDU
2
X1. K.
C1. 1946
Bremen
Q. 2
Einzelbewerber
Am 21. Juli 2009 erging der entsprechende Druckauftrag für die Stimmzettel, der
inzwischen ausgeführt worden ist.
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Der Kläger hat am 29. Juli 2009 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, die
Festsetzung dieser Reihenfolge auf den Stimmzetteln entspreche zwar den
gesetzlichen Vorgaben, sei aber verfassungswidrig. Durch Positionierung an erster
Stelle des Stimmzettels erführen Wahlbewerber gegenüber weiteren Wahlbewerbern
einen erheblichen psychologischen Vorteil. Am Ende eines Stimmzettels geführte
Wahlbewerber hätten schlechtere Chancen auf ein gutes Abschneiden. § 75c Satz 5
KWahlO und § 23 Abs. 1 Satz 3 KWahlG stellten sachwidrig auf das Abschneiden der
Parteien und Wählergruppen bei der letzten Wahl zum Stadtrat ab. Die Vorschriften
führten dazu, dass der nicht von einer Partei oder Wählervereinigung vorgeschlagene
Einzelbewerber an letzter Position des Stimmzettels genannt werde. Dies gelte selbst
dann, wenn dieser - wie hier - bei der letzten Bürgermeisterwahl mit großer Mehrheit
zum C1. gewählt worden sei. Das Abschneiden der Parteien und Wählergruppen
zur Wahl des Stadtrats könne jedoch schon wegen der strukturellen Unterschiede bei
der Wahl zum Stadtrat einerseits sowie zum C1. andererseits nicht als
geeignetes Kriterium für die Beurteilung der politischen Stärke der Bewerber um das
Bürgermeisteramt gemacht werden. Die gesetzlichen Bestimmungen stünden im
logischen Widerspruch zur Abkoppelung der Wahl des Bürgermeisters von der der
Vertretung sowie der mit der letzten Novellierung der Gemeindeordnung NRW
verfolgten Stärkung der Position des Bürgermeisters gegenüber der Vertretung. Darin
liege ein Verstoß gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG verankerten Grundsatz der
Chancengleichheit bei Wahlen. Es sei ihm auch bereits im Vorfeld der Wahl
Rechtsschutz zu gewähren, weil es sich - anders als in den bisher von der
Rechtsprechung entschiedenen Fällen - um eine evident rechtswidrige Entscheidung
aufgrund einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage handele.
5
Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, über die Festsetzung der Nummernfolge der
Wahlvorschläge für die Wahl des Bürgermeisters am 30. August 2009 unter
Außerachtlassung der §§ 75c Satz 5 KWahlO, 23 Abs. 1 Satz 3 KWahlG nach
rein objektiven und in das Ermessen des Gerichts gestellten Kriterien zu
entscheiden.
7
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
9
Zur Begründung führt er aus, die Festsetzung der Nummernfolge der Wahlvorschläge für
die Wahl des Bürgermeisters sei nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen
vorgenommen worden. Diese Vorschriften möchten nicht sachgerecht erscheinen, seien
aber dennoch geltendes Recht, an das sich der Beklagte gebunden sehe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
11
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
12
Mit Einverständnis der Beteiligten wird über die Klage ohne mündliche Verhandlung
entschieden (§ 101 Abs. 1 VwGO).
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Sie ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil aufgrund der Besonderheiten des Wahlrechts
gegen die mit der Klage angegriffene Festlegung der Reihenfolge der Wahlvorschläge
auf den Stimmzetteln ein verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Vorfeld der Wahl
ausgeschlossen ist.
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Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren
beziehen, können nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur
mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im
Wahlprüfungsverfahren angefochten werden. Eine Wahl erfordert eine Fülle von
Einzelentscheidungen zahlreicher Wahlorgane. Die Wahl lässt sich nur gleichzeitig und
termingerecht durchführen, wenn die Rechtskontrolle dieser Entscheidungen und
Maßnahmen während des Wahlverfahrens begrenzt wird und im Übrigen einem nach
der Wahl stattfindenden Wahlprüfungsverfahren vorbehalten bleibt.
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Ständige Rechtsprechung seit BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 1962 - 2 BvR
189/62 -, BVerfGE 14, 154; vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 31. Juli 2009 - 2
BvQ 45/09 -, juris.
17
Diese - mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbare - Einschränkung des Rechtsschutzes gilt auch
für Wahlrechtsangelegenheiten, die sich im Zusammenhang mit Kommunalwahlen
ergeben.
18
Vgl. etwa HessVGH, Urteil vom 3. November 1965 - OS II 45/65) -, DVBl. 1967,
629; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. August 1999 - 1 L 2634/99 -, NWVBl.
2000, 110; VG Köln, Beschluss vom 28. Februar 2009 - 4 L 250/08 - , juris.
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Auch hier erfordert der reibungslose Ablauf der Wahlen, die gerichtliche Überprüfung
von Einzelentscheidungen und -maßnahmen der Wahlorgane auf die Zeit nach
Abschluss der Wahl zu verschieben. So wird zugleich die Gefahr ausgeschlossen, dass
die Wahlorgane auf der Grundlage gerichtlicher Entscheidungen im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren, die bei vertiefter Prüfung in einem Hauptsacheverfahren keinen
Bestand haben, gesetzliche Verfahrensvorschriften nicht einhalten und es dadurch zu
einer Ungültigkeit der Wahl kommt.
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Vgl. zu einer solchen Konstellation HessVGH, Urteil vom 3. November 1965 -
OS II 45/65) -, DVBl. 1967, 629 (630)
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Der Grundsatz der Exklusivität des Wahlprüfungsverfahrens gilt auch für die
Festsetzung der Reihenfolge der Wahlvorschläge auf dem Stimmzettel, die der
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Wahlleiter nach § 75c Satz 5 der auf der Grundlage des § 51 Abs. 1 KWahlG
ergangenen Kommunalwahlordnung (vom 31. August 1993, GV. NRW. S. 592, 967,
zuletzt geändert durch Verordnung vom 11. November 2008, GV. NRW. S. 680 -
KWahlO) in Ausführung der Vorgaben der §§ 46b, 23 Abs. 1 Satz 3 KWahlG als
Maßnahme im Wahlverfahren vorzunehmen hat. Nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KWahlG, der
gem. § 46b KWahlG für die Wahl des Bürgermeisters entsprechend anzuwenden ist,
richtet sich die Reihenfolge auf dem Stimmzettel nach der Stimmenzahl, die die
Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerber bei der letzten Wahl zur Vertretung des
Wahlgebiets erreicht haben; sonstige Wahlvorschläge schließen sich in der Reihenfolge
des Eingangs der Reservelisten, sofern eine Reserveliste nicht eingereicht oder nicht
zugelassen worden ist, in der Reihenfolge des Eingangs der Wahlvorschläge für den
Wahlbezirk, bei gleichzeitigem Eingang in alphabetischer Reihenfolge der Parteien,
Wählergruppen und Einzelbewerber, an. § 75c Satz 5 KWahlO bestimmt für die Wahl
der C1. : Die Nummernfolge mehrerer Wahlvorschläge, die vom Wahlleiter
festgesetzt wird, richtet sich nach der Nummernfolge der Wahlvorschläge der letzten
Vertretungswahl (§ 23 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes).
Wahlrechtliche Rechtsbehelfe im Vorfeld der Wahlhandlung sind gegen die Festsetzung
der Reihenfolge der Wahlvorschläge auf den Stimmzetteln nicht gegeben. Es verbleibt
die Möglichkeit des Wahlprüfungsverfahrens. Insoweit gilt der allgemeine Grundsatz des
§ 39 Abs. 2 Satz 1 KWahlG, wonach gegen die von den Wahlbehörden bei der
Vorbereitung der Wahl oder bei der Wahlhandlung getroffenen Entscheidungen
Einspruch gem. Abs. 1 eingelegt werden kann, um eine Entscheidung über die
Gültigkeit der Wahl gem. § 40 Abs. 1 herbeizuführen. Gem. § 41 Abs. 1 Satz 1 KWahlG
kann gegen den Beschluss der - neuen - Vertretung über die Einsprüche sowie über die
Gültigkeit der Wahl nach § 40 Abs. 1 Klage erhoben werden.
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Die fehlende Möglichkeit, die Reihenfolge der Wahlvorschläge auf den Stimmzetteln vor
der Wahl gerichtlicher Überprüfung zu unterziehen, ist nach den obigen Grundsätzen
nicht zu beanstanden. Besonderheiten, die hier verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz
im unmittelbaren Vorfeld der Wahl rechtfertigten, vermag das Gericht nicht zu erkennen.
Würde man die vom Kläger geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der einer
Vorfeldentscheidung zugrundeliegenden Norm ausreichen lassen, bestünde nicht nur
die ständige Gefahr der Verschiebung von Wahlen, denen in einem demokratischen
Gemeinwesen eine herausragende Bedeutung zukommt, sondern auch das stete Risiko
der Ungültigkeit der Wahl, wenn nach einer stattgebenden erstinstanzlichen
(Eil)Entscheidung letztendlich doch die Verfassungsmäßigkeit der Norm festgestellt
würde.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung bezüglich der
vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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