Urteil des VG Münster vom 16.01.2007

VG Münster: kosovo, bundesamt für migration, drohende gefahr, gesellschaft, gerät, behandlung, wartung, auskunft, stromversorgung, abschiebung

Verwaltungsgericht Münster, 6 K 1597/04.A
Datum:
16.01.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 1597/04.A
Tenor:
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des
Bundesamtes vom 5. Mai 2004 verpflichtet festzustellen, dass für die
Klägerin zu 1. ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG
nach Serbien (Kosovo) besteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1. trägt die Beklagte. Von
den außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt der Kläger zu 2. die
Hälfte. Im Übrigen trägt jeder seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der
Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Die 1953 und 1952 im Bezirk Peje / Pec (Kosovo) geborenen Kläger sind nach ihren
letzten Angaben Angehörige der Volksgruppe Ashkali und Staatsangehörige der
Republik Serbien. Sie reisten 1989 von Peje / Pec kommend auf dem Landweg in die
Bundesrepublik Deutschland ein. Mehrere Asylanträge blieben ohne Erfolg. Mit
Bescheid des vormaligen Oberkreisdirektors des Kreises Steinfurt vom 7. November
1990 wurden sie zur Ausreise aufgefordert und wurde ihnen ihre Abschiebung
angedroht. Am 16. Juli 2003 beantragten sie bei dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt; jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge)
die „Wiederaufnahme des Asylverfahrens zur Feststellung von
Abschiebungshindernissen". Zur Begründung führten sie unter Bezugnahme auf
ärztliche Atteste an, sie seien chronisch krank und behandlungsbedürftig. Die
Behandlungen seien im Kosovo nicht durchführbar. Mit Bescheid vom 5. Mai 2004
lehnte das Bundesamt die Anträge auf Abänderung des Bescheides vom 25. November
1999 bezüglich der Feststellung zu § 53 Ausländergesetz ab. Zur Begründung führte es
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im Wesentlichen an, dass die angeführten Erkrankungen im Kosovo behandelbar seien.
Die Kläger haben rechtzeitig Klage erhoben. Sie tragen vor, die Klägerin zu 1. leide u. a.
an einem zentralen Schlafapnoe-Syndrom bei gleichzeitiger obstruktiver
Lungenerkrankung. Sie sei auf eine nächtliche Sauerstofftherapie angewiesen, die seit
Februar 2005 durchgeführt werde. Die Notwendigkeit der dauerhaften Behandlung sei
durch amtsärztliche Stellungnahme bestätigt. Die Schlafapnoe sei im Kosovo nicht
behandelbar. Die für den nächtlichen Einsatz des Therapiegerätes notwendige
dauerhafte Stromversorgung sei im Kosovo nicht gewährleistet. Das Gerät müsse
regelmäßig gewartet und neu eingestellt werden. Der Kläger zu 2. leide an einer
chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (Schweregrad II nach GOLD). Die Kläger
beantragen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 5.
Mai 2004 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 7
AufenthG vorliegen. Die Beklagte stellt keinen Antrag. Sie tritt dem Begehren in der
Sache entgegen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes ergänzend Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Klage der Klägerin zu 1. hat Erfolg. Der angegriffene Bescheid des
Bundesamtes ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 1. in ihren Rechten.
Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbots
nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG.
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung einer Ausländerin in einen
anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für die Ausländerin eine erhebliche
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Voraussetzungen liegen in
Bezug auf die Klägerin zu 1. einerseits und den Kosovo andererseits vor. Einer der
Klägerin zu 1. drohende Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG folgt zumindest
aus der Verbindung von zentralem Schlafapnoe- Syndrom mit chronischer obstruktiver
Lungenerkrankung und respiratorischer Globalinsuffizienz.
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Zur Behandlung der Schlafapnoe im Kosovo sind sowohl ein Auto-nCPAP Gerät als
auch ein NC-PAP-Gerät nicht erhältlich (Deutsches Verbindungsbüro Kosovo,
Auskünfte vom 21. Oktober 2004 und 8. August 2005). Auf der Grundlage dieser
Auskünfte ist das Gericht davon überzeugt, dass im Kosovo auch EPAP- und BIPAP-
Beatmungsgeräte nicht zu erwerben sind.
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Ungeachtet dessen ist im Kosovo die notwendige Wartung der Beatmungsgeräte nicht
gewährleistet (Deutsches Verbindungsbüro, Auskunft vom 8. August 2005). Ist die
notwendige Wartung des Therapiegeräts im Kosovo nicht gewährleistet, begründet die
Notwendigkeit eines solchen Geräts nicht nur ein von der Ausländerbehörde zu
beachtendes und durch die Mitgabe eines Geräts auszuräumendes
Vollstreckungshindernis, sondern ein Abschiebungsverbot. Der Einsatz eines im Falle
der Rückkehr in ihr Heimatland der Klägerin mitgegebenen Geräts wäre nicht
gewährleistet. Die Wartung des Geräts umfasst ausweislich der vorgelegten
Lieferscheins vom 17. August 2006 nicht nur die Reinigung des Geräts, sondern eine
(technische) Funktionsprüfung, eine Desinfektion und einen Filteraustausch. Diese
Maßnahmen können zur Überzeugung des Gerichts im Kosovo nicht durchgeführt
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werden, wenn dort keine Geräte zu erwerben sind und damit ein entsprechender Markt
nicht bestehen kann. Schließlich ist der Einsatz eines Beatmungsgeräts auch deshalb
nicht gesichert, weil eine durchgehende nächtliche Stromversorgung im Kosovo nicht
gewährleistet ist (vgl. nur die im Bescheid des Bundesamts vom 8. November 2006 -
5218346-133 - wiedergegebene Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo
vom 24.Oktober 2006). Die Möglichkeit eines dauerhaften Betriebs des
Beatmungsgeräts mittels Batterie oder Akku ist nicht ersichtlich (ebenso Bundesamt,
Bescheid vom 8. November 2006 - 5218346-133 -; vgl. dazu auch http://www.oxycare-
gmbh.de/Sauerstoff/Eclipse.pdf).
Eine alternative Therapie mittels Unterkieferschiene ist nicht möglich. Die Klägerin zu 1.
leidet ausweislich der ärztlichen Atteste nicht an einer obstruktiven, sondern an einer
zentralen Schlafapnoe. Die obstruktive und zentrale Schlafapnoe unterscheiden sich in
ihren Ursachen und den daraus folgenden Therapiemöglichkeiten. Anders als im Falle
einer obstruktiven Schlafapnoe ist Ursache einer zentralen Schlafapnoe nicht ein durch
Unterkieferlagenänderung beeinflussbarer Verschluss der oberen Atemwege, der durch
muskuläre Erschlaffung des Zungengrunds eintreten kann. Bei einer zentralen
Schlafapnoe bleiben die Atemwege geöffnet; die Hemmung des Atemantriebs tritt
infolge einer hirnbedingt gestörten Steuerung der Atemregulation auf (vgl. dazu z. B.
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie in Zusammenarbeit mit der
Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, AWMF-
Leitlinienregister Nr. 020/001, http://www.uni-duesseldorf.de/awmf/ll-na/020-001.htm;
Prof. Dr. Penzel, Schlafstörungen und ihre Behandlungsmöglichkeiten, http://web.uni-
marburg.de/sleep//dgsm/rat/schnarch.html#Z4), auf die eine Unterkieferschiene keinen
Einfluss hat.
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Leidet die Klägerin zu 1. nicht an einer obstruktiven, sondern an einer zentralen
Schlafapnoe, sind die Darlegungen des Bundesamts zu der Behandelbarkeit einer
obstruktiven Schlafapnoe in internistisch-pulmologischen Ambulanzen unerheblich. Im
Übrigen muss die Therapie mittels eines Beatmungsgeräts dauerhaft erfolgen, so dass
sie schon infolge dafür notwendiger langer und dauerhafter Therapiezeiten nicht in
Ambulanzen möglich ist. Bei Einstellung der Beatmungstherapie treten die Apnoen
wieder auf, weil nicht die Krankheitsursachen, sondern allein die Symptome behandelt
werden können.
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Im Falle einer unterbleibenden Behandlung verschlimmert sich die individuelle
Erkrankung der Klägerin zu 1. im Kosovo wesentlich (vgl. zu diesem Gefahrenmaßstab
BVerwG, z. B. Urteil vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18.05 -, www.bverwge.de, Rn. 14 ff.).
Leidet die Klägerin zu 1. neben der Schlafapnoe auch an einer chronisch obstruktiven
Lungenerkrankung und respiratorischen Globalinsuffizienz, ist davon auszugehen, dass
im Falle einer Nichtbehandlung der Erkrankungen eine wesentliche Verschlechterung
des gesamten lebenswichtigen Atemapparats eintritt. Dies wird durch die folgenden
Umstände bestätigt: Das Gesundheitsamt des Kreises Steinfurt hat mit amtsärztlichem
Gutachten vom 2. August 2006 bestätigt, dass die Nutzung des Sauerstoffkonzentrators
„auf Dauer notwendig" ist. Die Tochter der Klägerin zu 1. hat in der mündlichen
Verhandlung ausgeführt, dass die Klägerin zu 1. - auch tagsüber - Atemnot erlitten habe.
Apnoen beinhalten definitionsmäßig ein wiederholtes vollständiges Aussetzen der
Atmung von je zehn Sekunden und länger, wobei während jeder Stunde Schlaf fünf
Apnoen und mehr auftreten (vgl. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie
in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und
Schlafmedizin, a.a.O.). Dass eine daraus resultierende dauerhafte Unterbindung eines
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regelmäßigen Schlafs und die Wirksamkeit der Atmung für Leib und Leben von
erheblicher Bedeutung ist, bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Für die Feststellung eines Abschiebungsverbots ist in dem hier zu beurteilenden
Einzelfall eine - von der Beklagten geforderte - „existenzielle" Gesundheitsgefahr im
Sinne einer extremen oder gar lebensbedrohlichen Gesundheitsgefährdung nicht
erforderlich (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18.05 -, a.a.O., Rn.
18). Einen solchen erhöhten Gefahrenmaßstab erfordert allein die Sperrwirkung des §
60 Abs. 7 S. 2 AufenthG im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des § 60
Abs. 7 AufenthG. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG sind aber nicht
festzustellen. Eine Gefahr, dass sich eine Erkrankung eines Ausländers aufgrund der
Verhältnisse im Heimatland verschlimmert, ist in der Regel als individuelle Gefahr
einzustufen (BVerwG, z. B. Urteil vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18.05 -, a.a.O., Rn. 15). Es
ist von der Beklagten demgegenüber nicht dargelegt oder dem Gericht sonst ersichtlich,
dass im Kosovo die zentrale Schlafapnoe in einer solchen Vielzahl auftritt, dass die Zahl
der Betroffenen nicht nur eine individuelle, sondern eine im Kosovo allgemein
bestehende Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG begründet.
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Die zulässige Klage des Klägers zu 2. bleibt dagegen ohne Erfolg (wird ausgeführt).
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