Urteil des VG Münster vom 04.12.2002

VG Münster: sri lanka, aufenthaltserlaubnis, visum, ausländerrecht, bundesamt, vollstreckung, verfügung, familie, anerkennung, gerichtsakte

Verwaltungsgericht Münster, 8 K 2214/01
Datum:
04.12.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 2214/01
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 26. Juli 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 30. August
2001 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin auf ihren Antrag vom 21.
Februar 2000 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Die 1960 geborene Klägerin, die Staatsangehörige der Demokratischen Republik Sri
Lanka ist, begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur
Familienzusammenführung mit ihrem deutschen Ehemann.
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Am 00.00.1993 heiratete die Klägerin in Colombo/Sri Lanka Herrn C, der sich bereits
seit 1984 im Bundesgebiet aufhält und der - nachdem ihm 1992 zunächst eine
Aufenthaltsbefugnis und 1996 dann eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden
waren - seit dem 16. Juni 1999 deutscher Staatsangehöriger ist.
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Die Klägerin reiste nach ihren eigenen Angaben am 7. März 1995 ohne Visum in die
Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte hier am 9. März 1995 ihre
Anerkennung als Asylberechtigte. Mit Bescheid vom 9. November 1995 lehnte das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag
der Klägerin ab und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
noch diejenigen des § 53 AuslG vorliegen. Ferner drohte das Bundesamt der Klägerin
ihre Abschiebung nach Sri Lanka an. Die hiergegen im November 1995 erhobene Klage
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wies das erkennende Gericht mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 7. Oktober 1998
ab (9 K 3394/95.A).
Mit Blick auf den Aufenthaltsstatus ihres Ehemannes beantragte die Klägerin mit
Schreiben vom 13. Juli 1998 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und mit Schreiben
vom 18. November 1998 die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Während der Beklagte
der Klägerin mit Schreiben vom 12. Januar 1999 mitteilte, die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis scheide gemäß § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG aus, da sie ohne das
gemäß § 3 Abs. 1 und 3 AuslG i. V. m. §§ 1 ff. DV AuslG für die
Familienzusammenführung erforderliche Visum in das Bundesgebiet eingereist sei und
dieser Visumsverstoß auch nicht gemäß § 9 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG oder § 9 Abs. 2 Ziffer
1 DVAuslG geheilt werden könne, gab er ihrem erneut unter dem 21. Juni/30. August
1999 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 3 i. V.
m. § 55 Abs. 2 AuslG statt und erteilte ihr mit Verfügung vom 30. August 1999 erstmalig
eine - zuletzt am 16. August 2001 bis zum 15. August 2003 verlängerte -
Aufenthaltsbefugnis.
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Am 21. Februar 2000 beantragte die Klägerin erneut, ihr zum Zwecke der
Familienzusammenführung mit ihrem inzwischen deutschen Ehemann eine
Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte nach Anhörung mit
Ordnungsverfügung vom 26. Juli 2000 ab. Zur Begründung wiederholte und vertiefte er
seine auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Klägerin gerichteten
Ausführungen in seinem Schreiben vom 12. Januar 1999. Ergänzend führte er aus, dass
dem durch Art. 6 Grundgesetz (GG) vermittelten Schutz von Ehe und Familie bereits
durch Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis Genüge getan worden sei. Den hiergegen mit
Schreiben vom 25. August 2000 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin vor
allem damit, dass sich der Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG auf sämtliche
in § 5 AuslG genannten Aufenthaltsgenehmigungen beziehe. Sofern § 8 Abs. 1 Ziffer 1
AuslG der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG nicht entgegenstehe,
könne auch die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis nicht auf die erstgenannte
Vorschrift gestützt werden. Die vorgenannten Aufenthaltstitel seien in Bezug auf den
Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG vielmehr gleich zu behandeln. Den
Widerspruch wies die Bezirksregierung Münster mit am 3. September 2001 zugestelltem
Widerspruchsbescheid vom 30. August 2001 und mit einer dem Ausgangsbescheid im
Wesentlichen entsprechenden Begründung als unbegründet zurück. Ergänzend führte
die Bezirksregierung unter Bezugnahme auf den Erlass des Innenministeriums des
Landes Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 1999 (I B 2/43.31) aus, dass der
besondere Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG nicht durch die Erteilung
einer Aufenthaltsbefugnis verbraucht sei. Für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis
nach § 30 Abs. 3 AuslG komme es auf das (Nicht-)Vorliegen des besonderen
Versagungsgrundes nach § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG nicht an. Im Rahmen der
letztgenannten Vorschrift sei zu prüfen, ob der Ausländer erstmals im Bundesgebiet eine
Aufenthaltsgenehmigung beantrage, die er nicht nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AuslG i. V. m. §
9 DV AuslG nach der Einreise einholen dürfe bzw. für die das Zustimmungserfordernis
nach § 11 DV AuslG bestehe. Die oben genannte Aufenthaltsbefugnis sei keine
Aufenthaltsgenehmigung in diesem Sinne. Einer im Anschluss an diese
Aufenthaltsbefugnis erstmals beantragten Aufenthaltsgenehmigung, die nicht nach § 9
DV AuslG eingeholt werden dürfe bzw. für die das Zustimmungserfordernis nach § 11
DV AuslG bestehe, stehe somit der Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG
entgegen.
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Daraufhin hat die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens aus
dem Widerspruchsverfahren am 2. Oktober 2001 die vorliegende Klage erhoben.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren
einverstanden erklärt.
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Die Klägerin beantragt (schriftsätzlich sinngemäß),
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den Beklagten unter Aufhebung seiner Verfügung vom 26. Juli 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Münster vom 30. August 2001 zu
verpflichten, ihr eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt (schriftsätzlich),
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden
sowie auf die Erlasse des Innenministeriums des Landes Nordrhein- Westfalen vom 11.
Juli 2002 (Az.: 14/43.31) und vom 8. Dezember 1999 (I B 2/43.31); bezüglich des Inhalts
der vorgenannten Erlasse wird auf Blatt 46 bis 48 und auf Blatt 50 bis 54 der
Gerichtsakte verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf
den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Das Gericht kann in der vorliegenden Form entscheiden, da sich die Beteiligten gemäß
§ 101 Abs. 2 VwGO mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt haben.
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Die Verpflichtungsklage der Klägerin ist zulässig und begründet. Der Bescheid des
Beklagten vom 26. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der
Bezirksregierung Münster vom 30. August 2001 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin
in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Die Klägerin hat gemäß §§ 23 Abs. 1 Halbsatz 1 Ziffer 1, 17 Abs. 1 AuslG einen
Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Nach den vorgenannten Vorschriften
ist dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt
im Bundesgebiet hat, zum Zwecke des nach Art. 6 GG gebotenen Schutzes vom Ehe
und Familie eine Aufenthaltserlaubnis für die Herstellung und Wahrung der familiären
Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet zu erteilen. Diese
Voraussetzungen liegen unstreitig vor.
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Der Beklagte vertritt jedoch - angehalten durch die Erlasse des Innenministeriums des
Landes Nordrhein-Westaflen vom 11. Juli 2002 (Az.: 14/43.31) und vom 8. Dezember
1999 (Az.: I B 2/43.31) - die Auffassung, dem von der Klägerin geltend gemachten
Anspruch stehe die Regelung in § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG entgegen, da sie - was
unstreitig ist - im Jahr 1995 ohne das erforderliche Visum in das Bundesgebiet
eingereist ist und die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 9 AuslG und § 9 DV
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AuslG nicht vorlägen. Zu einem anderen Ergebnis gelange man auch nicht mit Blick auf
die der Klägerin nach § 30 Abs. 3 AuslG erteilte Aufenthaltsbefugnis, da diese
abweichend von § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG habe erteilt werden dürfen mit der Folge, dass
letztgenannte Vorschrift noch anwendbar sei.
Dieser Auffassung folgt die Kammer nicht. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an
die Klägerin nach den oben geannten Vorschriften steht § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG,
wonach eine Aufenthaltsgenehmigung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines
Anspruches nach dem Ausländergesetz versagt wird, wenn der Ausländer ohne das
erforderliche Visum eingereist ist, nicht mehr entgegen. Der Beklagte bzw. das
Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen verkennen, dass der besondere
Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG hier entfällt. Zwar kann - wie hier
geschehen - nach § 30 Abs. 3 AuslG einem Ausländer eine Aufenthaltsbefugnis
abweichend von § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG erteilt werden. Sobald die Ausländerbehörde
dann aber dem Ausländer, um diesem einen dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet zu
ermöglichen, tatsächlich eine Aufenthaltsbefugnis zu diesem Zweck erteilt und seinen
Aufenthalt im Bundesgebiet legalisiert hat, hat sie sich damit - jedenfalls in dieser
Konstellation - auch der Möglichkeit begeben, den besonderen Versagungsgrund des §
8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG später noch einmal fruchtbar zu machen.
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Vgl. Verwaltungsgerichtshof für das Land Baden- Württemberg (VGH Baden-
Württemberg), Urteil vom 26. Januar 1995 - 11 S 268/93 -, InfAuslR 1994, 104 ff.; OVG
Berlin, Beschluss vom 30. Juli 1998 - OVG 3 SN 11.97 -, InfAuslR 1998, 471;
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (OVG Hamburg), Beschluss vom 29. April 1999
- 6 Bs 259/98 -, InfAuslR 1999, 342; Fraenkel, einführende Hinweise zum neuen
Ausländergesetz, Baden-Baden 1991, 121 f.; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches
Ausländerrecht (Band 1), Stuttgart u. a., Stand: Mai 2002, § 8 Rn. 14.
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Dies ist auf den eng begrenzten Normzweck des Visumserfordernisses zurückzuführen.
Dieses soll gewährleisten, dass die Entscheidung über die Aufenthaltsgewährung
getroffen wird, bevor der Ausländer eingereist ist. Ebenso soll er gegen eine
ablehnende Entscheidung nur vom Ausland aus vorgehen können. Dieser Zweck hat
sich erledigt, wenn - wie im vorliegenden Verfahren - die Ausländerbehörde positiv
entschieden und eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt hat. Die Vorschrift des § 8 Abs. 1
Ziffer 1 AuslG dient ausschließlich der Durchsetzung dieses Zwecks. Die Vorschrift soll
den Ausländer nicht vom Bundesgebiet fernhalten, sondern ihn lediglich zur Einhaltung
des Visumsverfahrens zwingen. Das aber ist zumindest nach einer positiven
Entscheidung mit dem Ziel, dem betroffenen Ausländer einen nicht nur
vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, nicht mehr erreichbar.
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Vgl. Fraenkel, a. a. O.; Hailbronner, Ausländerrecht (Ordner 1), Heidelberg, Stand:
August 2002, § 8 Rn. 10; ferner die Begründung zum Entwurf des § 8 Abs. 1 Ziffer 1
AuslG, abgedruckt bei: Kloesel/Christ/Häußer, a. a. O., § 8, 1; zum Zweck der Vorschrift
siehe auch Bäuerle, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht (Band 1),
Neuwied u. a., Stand: Juli 2002, § 8 Rn. 1.
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Für die Richtigkeit des hier gefundenen Ergebnisses spricht auch folgende Erwägung:
Unterstellt, die Klägerin hätte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
gestellt, nachdem sie bereits über sechs Monate im Besitz der ihr einen rechtmäßigen
Aufenthalt im Bundesgebiet vermittelnden Aufenthaltsbefugnis gewesen wäre, und der
Beklagte hätte über diesen Antrag erst nach Ablauf der Geltungsdauer der
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Aufenthaltsbefugnis entschieden, dann hätte für den Zeitraum zwischen Ablauf der
Aufenthaltsbefugnis und Entscheidung der Ausländerbehörde über den
Aufenthaltserlaubnisantrag der Aufenthalt der Klägerin trotz ihrer vormals unerlaubten -
weil ohne das erforderliche Visum erfolgten - Einreise als erlaubt gegolten, vgl. § 69
Abs. 3 Satz 1 Ziffer 2 und Satz 3 AuslG. Das Ausländergesetz macht im Rahmen des §
69 Abs. 3 AuslG also selbst deutlich, dass einem Ausländer, der - auf welcher
Grundlage auch immer - im Bundesgebiet einen rechtmäßigen Aufenthalt begründet hat
und sich hier nach wie vor rechtmäßig aufhält, in einem späteren
Aufenthaltsgenehmigungsverfahren eine etwaige unerlaubte Einreise nicht mehr
entgegengehalten werden kann. Hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt, dann
hätte er demjenigen Ausländer, der zwar aus einem mehr als sechsmonatigen
rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet heraus eine Aufenthaltsgenehmigung
beantragt (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 2 AuslG), zuvor aber unter Verstoß gegen die
Sichtvermerksvorschriften eingereist ist, die in § 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG angeordnete
Fiktion des rechtmäßigen Aufenthaltes dem Zweck des § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG
entsprechend ausdrücklich versagt.
Darüber hinaus wird die Unerheblichkeit des Sichtvermerksverstoßes im vorliegenden
Verfahren auch deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass, träfe die
Rechtsauffassung des Beklagten zu, die Klägerin, um gegenwärtig schon eine
Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt bekommen zu
können, zuvor das Visumsverfahren durchlaufen müsste. Zu diesem Zweck müsste sie
nach Sri Lanka reisen und bei der dortigen deutschen Auslandsvertretung den
Visumsantrag stellen. Sie brauchte den Ausgang des Visumsverfahrens aber nicht
abzuwarten, sondern könnte unverzüglich nach der Antragstellung unter Berufung auf
ihre die Wiedereinreise ins Bundesgebiet ermöglichende Aufenthaltsbefugnis zu ihrem
Ehemann nach Deutschland zurückkehren.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
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