Urteil des VG Münster vom 08.04.2008
VG Münster: grobe fahrlässigkeit, kapitalvermögen, mitteilungspflicht, vertrauensschutz, einkünfte, ausnahmefall, laie, rechtswidrigkeit, wohnkosten, vollstreckbarkeit
Verwaltungsgericht Münster, 5 K 54/07
Datum:
08.04.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 54/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
von 110 v.H. des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der
Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand: Die Beteiligten streiten um die Rückforderung von Wohngeld für die Zeit
vom 1. Februar 2001 bis zum 28. Februar 2006 in Höhe von insgesamt 311,97 EUR
wegen Nichtangabe von Zinseinkünften.
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Die Klägerin stellte am 19. Februar 2001 bei dem Beklagten einen Antrag auf
Gewährung von Wohngeld für die von ihr bewohnte, 35 qm große Wohnung X.----- weg
00 in N. . In dem Antragsformular wurde sie unter Spalte 14 darauf hingewiesen, dass
sie alle Einnahmen, ohne Rücksicht darauf, ob sie steuerpflichtig seien oder nicht, zu
denen auch solche aus Kapitalvermögen (z.B. Zinsen aus Sparguthaben) zählten,
anzugeben habe. Mit Wohngeldbescheid vom 10. April 2001 gewährte ihr der Beklagte
vom 1. Februar 2001 bis zum 31. Januar 2002 monatliches Wohngeld in Höhe von
68,45 DM. In den Folgejahren erhielt sie auf entsprechende Anträge hin mit Bescheiden
vom 13. März 2002, 27. März 2003, 29. April 2004 und 15. April 2005 bis zum 28.
Februar 2006 jeweils Wohngeld in unterschiedlicher Höhe.
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Aufgrund eines Datenabgleichs mit dem Landesamt für Datenverarbeitung am 7. Juni
2006 erhielt der Beklagte Kenntnis von einem Freistellungsauftrag der Klägerin für
Zinsen bei der Postbank. Auf entsprechende Nachfrage teilte die Klägerin unter dem 10.
Juli 2006 mit, dass sie im Jahr 2004 Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 514,00
EUR gehabt habe. Mit weiteren Schreiben vom 25. Juli 2006 und 8. August 2006 teilte
sie die Einnahmen aus Kapitalvermögen für die Jahre 2000 bis 2004 mit und verwies
darauf, dass sie diese für unbeachtlich gehalten habe, weil sie unterhalb des
Sparerfreibetrages und der wohngeldrechtlichen Mitteilungspflicht gelegen hätten.
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Nach Anhörung nahm der Beklagte mit Bescheid vom 16. August 2006 die konkret
bezeichneten Wohngeldbescheide für die Zeiträume vom 1. Februar 2001 bis zum 28.
Februar 2006 gemäß § 45 SGB X zurück, berechnete für den gleichen Zeitraum
Wohngeld unter Berücksichtigung der Einnahmen aus Kapitalvermögen und forderte
das überzahlte Wohngeld in Höhe von 311,97 EUR gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin am 11. September 2006 Widerspruch mit der
Begründung, dass ihr Vertrauen in den Bestand der Wohngeldbescheide schutzwürdig
sei, weil die Kapitaleinkünfte so niedrig gewesen seien, dass sie im Steuerbescheid
jeweils mit „0" aufgeführt worden seien. Dass zwischen Einnahmen und Einkünften ein
Unterschied bestehe, sei ihr nicht bekannt gewesen und habe ihr angesichts des
synonymen Sprachgebrauchs auch nicht bekannt sein müssen. Zudem hätten die
Einnahmen die in der Mitteilungspflicht benannten Beträge nicht erreicht. Der Beklagte
zeigte das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Münster an, wo es unter dem
Aktenzeichen 62 Js 10756/06 bearbeitet wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.
Dezember 2006, zugestellt am 15. Dezember 2006, wies die Bezirksregierung Münster
den Widerspruch der Klägerin zurück.
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Die Klägerin hat am 12. Januar 2007 Klage erhoben. Sie trägt vor, dass sie sich auf
schutzwürdiges Vertrauen berufen könne, weil sie sich auf die steuerrechtliche
Einkommensermittlung habe verlassen können. Die Unterscheidung zwischen
Einnahmen und Einkünften sei steuerrechtlich sehr erheblich. Sie habe die
steuerrechtliche Einordnung ihrer Kapitaleinkünfte auch für die wohngeldrechtliche
Bewertung zugrunde legen dürfen. Auch seien die Beträge im Rahmen der
Mitteilungspflicht unbeachtlich gewesen. Sie habe daher ihre Einkünfte korrekt
angegeben.
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Die Klägerin beantragt,
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den Wohngeldbescheid vom 16. August 2006 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 12. Dezember 2006
aufzuheben. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er trägt in Ergänzung der
streitgegenständlichen Bescheide vor, dass der steuerrechtliche Sparerfreibetrag
wohngeldrechtlich nicht relevant sei. Die Klägerin sei in den Anträgen und der
Wohngeldbroschüre ordnungsgemäß darüber aufgeklärt worden, dass sie alle
Einnahmen anzugeben habe. Insbesondere sei ein ausdrücklicher Hinweis auf Zinsen
und Dividenden erfolgt. Hätte die Klägerin Zweifel über die Zuordnung gehabt, so hätte
sie sich an die Wohngeldstelle wenden können und müssen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der
Bezirksregierung Münster verwiesen.
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Entscheidungsgründe: Die Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 16. August 2006 und der Widerspruchsbescheid der
Bezirksregierung Münster vom 12. Dezember 2006 sind rechtmäßig, § 113 Abs. 1 Satz 1
der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Der Beklagte hat zu Recht seine Wohngeldbescheide vom 10. April 2001, 13. März
2002, 27. März 2003, 29. April 2004 und 15. April 2005 für die Zeit vom 1. Februar 2001
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bis zum 28. Februar 2006 gemäß § 45 des Sozialgesetzbuches, Zehntes Buch
(Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X -) zurückgenommen und
gemäß § 50 SGB X die Erstattung des überzahlten Wohngeldes in Höhe von insgesamt
311,97 EUR verlangt. Dabei ist davon auszugehen, dass der Beklagte die
entsprechenden Bewilligungsbescheide jeweils nur in Höhe des Überzahlungsbetrages
aufgehoben hat. Dies ergibt sich unmittelbar aus der dem Eingangssatz des Bescheides
vom 16. August 2006 folgenden Aufstellung und die in Anlage beigefügten
Neuberechnungen der Wohngeldhöhe.
Die Rücknahme der Wohngeldbewilligungsbescheide gemäß § 45 Abs. 1 und 2 SGB X
erweist sich dem Grunde nach als rechtmäßig. Insbesondere steht ihr schutzwürdiges
Vertrauen der Klägerin nicht entgegen. Zwar ist davon auszugehen, dass sie die
erbrachten Wohngeldleistungen verbraucht hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X).
Allerdings kann sich die Klägerin auf Vertrauen deswegen nicht berufen, weil die
Wohngeldbewilligungsbescheide auf Angaben beruhen, die sie vorsätzlich oder grob
fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45
Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Dabei liegt grobe Fahrlässigkeit nach dieser Vorschrift (§ 45
Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X) vor, wenn der Begünstigte die erforderliche
Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
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Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat zumindest grob fahrlässig dem Beklagten ihre
Zinseinnahmen aus Kapitalvermögen nicht mitgeteilt. Hätte sie das Antragsformular
ordnungsgemäß gelesen und ausgefüllt, so hätte keinerlei Zweifel daran bestehen
dürfen, dass sie auch die Zinseinnahmen mitteilen muss. In dem Antragsformular wird
unter Punkt 14 ausdrücklich die Angabe aller Einnahmen, egal ob steuerpflichtig oder
nicht, verlangt. Dabei weist der Beklagte entsprechend der gesetzlichen Vorgabe des §
10 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Ziffer 3.1 des Wohngeldgesetzes in den Erläuterungen zu
diesem Punkt explizit auf die Einnahmen aus Kapitalvermögen (Zinsen) hin. Insoweit
musste jedem Antragsteller klar sein, dass Zinseinnahmen auch dann anzugeben sind,
wenn sie aufgrund des nach § 20 Abs. 4 (bzw. heute Abs. 8) des
Einkommenssteuergesetzes gewährten Sparerpauschbetrages steuerrechtlich keine
Bedeutung haben.
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Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass sich die Klägerin, wie auch in der
mündlichen Verhandlung vorgetragen, durch die mit dem Wohngeldantrag
ausgehändigte Wohngeldbroschüre hat verunsichern lassen, ist die Nichtangabe der
Zinsen trotzdem als grob fahrlässig anzusehen.
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Es ist bereits zweifelhaft, ob die Klägerin überhaupt die eventuell ungenaue
Bezeichnung der anzugebenden Einnahmen in der Wohngeldbroschüre zum Anlass für
ihre Nichtangabe der Zinsen genommen hat. Ausweislich ihres Widerspruches macht
sie gerade geltend, dass sie den Unterschied zwischen Einkommen und Einkünften als
steuerrechtlicher Laie nicht habe erkennen können und müssen. In der mündlichen
Verhandlung wurde dagegen der Sachverhalt derart dargestellt, dass die Klägerin erst
aufgrund steuerrechtlicher Ermittlung des Unterschieds zwischen Einkommen und
Einkünften zu der Einschätzung gelangt sei, dass sie ihre Zinseinnahmen nicht
angeben müsse.
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Ungeachtet dessen hätte die Klägerin aber spätestens mit Ausfüllen des
Antragsformulars erkennen müssen, dass ihre Einschätzung der Nichtanrechnung von
Zinseinnahmen zumindest äußerst fraglich ist. Dies hätte sie - wie auch jeden
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steuerrechtlich unbewanderten Bürger - dazu veranlassen müssen, eine entsprechende
Nachfrage bei dem Beklagten zu stellen und vorsorglich auch diese Einnahmen
anzugeben.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Zinseinnahmen
unterhalb der Beträge gelegen haben, die in den Erläuterungen der einzelnen
Wohngeldbewilligungsbescheiden als ausschlaggebend für die Mitteilungspflicht
angegeben worden sind. Diese Beträge haben, wie sich aus dem Wortlaut der
Erläuterung bereits ergibt, nur Bedeutung für Veränderungen der Einnahmen während
des laufenden Bewilligungszeitraumes.
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Doch selbst wenn man im Ergebnis annehmen könnte, dass die Klägerin sich auf ihre
etwaige Einschätzung zur Nichtanrechnung ihrer Zinseinnahmen habe verlassen
dürfen, besteht vorliegend kein schutzwürdiges Vertrauen. Auch für den Fall des
Verbrauchs der Wohngeldleistungen ist Vertrauensschutz nicht zwingend
vorgeschrieben, sondern nur im Regelfall zuzugestehen (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB
X). Hier liegt jedoch ein Ausnahmefall vor, der die Annahme von Vertrauensschutz
verbietet. Weil die Rechtswidrigkeit der Wohngeldbewilligungsbescheide ihre Ursache
nicht in der Sphäre der Verwaltung, sondern in der Sphäre der Klägerin hat, steht ihr
kein Vertrauensschutz zu. Der Klägerin ist unter Berücksichtigung der Tatsache, dass
Wohngeld der Finanzierung der Wohnkosten unter Berücksichtigung aller zum
Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Finanzmittel dient, die fehlende Angabe der
Zinseinnahmen zuzurechnen.
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Die Berechnung des Aufhebungsumfanges weist keine Rechtsfehler auf. Die Klägerin
hat die ihr im Einzelnen mitgeteilte Berechnung des Aufhebungsbetrages nicht
angegriffen, rechtliche Bedenken gegen die Berechnung bestehen ebenfalls nicht.
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Das dem Beklagten in § 45 Abs. 1 SGB X eingeräumte Ermessen ist im Umfange der
nach § 114 VwGO zulässigen Überprüfung ordnungsgemäß ausgeübt. Die
Darlegungen der Erwägungen im Bescheid des Beklagten vom 16. August 2006
begegnen zumal unter dem Aspekt des so genannten intendierten Ermessens,
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vgl. hierzu: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. September 1992 - 8 C 69.90 und 8
C 71.90 -, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1993, 747, keinen Bedenken,
Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermessensausübung hat die Klägerin nicht
vorgetragen, solche sind im Übrigen auch nicht ersichtlich.
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Die Anordnung der Erstattung des überzahlten Wohngeldes in Höhe von 311,97 EUR
beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wonach die bereits erbrachten Leistungen zu
erstatten sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist.
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Nach alledem war die Klage mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden
Kostenfolge abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt
aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
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