Urteil des VG Münster vom 16.11.2009
VG Münster (antragsteller, stand der technik, anlage, wirtschaftliches interesse, aufschiebende wirkung, genehmigung, verwaltungsgericht, lasten, gefahr, vorsorge)
Verwaltungsgericht Münster, 10 L 436/09
Datum:
16.11.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 L 436/09
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
1
Der Antrag des Antragstellers,
2
die aufschiebende Wirkung der Klage 10 K 1376/09 gegen den der Beigeladenen
erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid der Antragsgegnerin
vom 8. Juni 2009 zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zum Halten von
Masthähnchen mit 39.990 Tierplätzen auf dem Grundstück Gemarkung C. Flur Flurstück
in T. -C. wiederherzustellen,
3
ist gemäß §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 1 und 3 VwGO zulässig, hat aber in der Sache keinen
Erfolg. Die in diesem Verfahren vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten
des Antragstellers aus, weil einerseits seine Klage gegen den
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid voraussichtlich keinen Erfolg
haben wird und andererseits die Beigeladene ein erhebliches wirtschaftliches Interesse
an der zügigen Verwirklichung ihres Vorhabens hat.
4
Die angefochtene immissionsschutzrechtliche Genehmigung verletzt den Antragsteller
nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht in seinen
Rechten. Das Gericht hat in der vorliegenden Situation der Drittanfechtung nicht zu
untersuchen, ob die Genehmigung in jeder Hinsicht rechtmäßig erteilt wurde. Ein
Abwehrrecht des Antragstellers besteht nur dann, wenn die geplante Anlage gegen
Vorschriften verstößt, die auch seinem Schutz zu dienen bestimmt sind. Dies ist nicht
der Fall.
5
Soweit der Antragsteller etwaige Mängel in der Begründung des Bescheides sowie die
Rechtswidrigkeit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens geltend macht, kann
er daraus keine Rechte ableiten, weil insoweit keine drittschützenden Vorschriften
betroffen sind.
6
Ob sich der Kläger auf eine Verletzung der Vorschriften über die
Umweltverträglichkeitsprüfung berufen kann, kann offen bleiben, da sich die
Genehmigungsbehörde mit ihrer im Rahmen der standortbezogenen Vorprüfung des
Einzelfalls nach § 3 c Satz 2 UVPG getroffenen Entscheidung, eine
Umweltverträglichkeitsprüfung nicht durchzuführen, innerhalb des ihr eingeräumten,
gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums gehalten hat.
7
Der Genehmigungsbescheid verletzt auch keine materiell-rechtlichen Vorschriften des
Immissionsschutzrechts, die dem Schutz des Antragstellers dienen. Der Antragsteller
kann nicht mit Erfolg geltend machen, die genehmigte Anlage sei nicht mit § 5 BImSchG
vereinbar. Nach § 5 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten
und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren,
erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die
Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können (Nr. 1) und Vorsorge gegen
schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der
Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung (Nr. 2). Der im
Einwirkungsbereich der Anlage wohnende Dritte kann eine dem Betreiber erteilte
immissionsschutzrechtliche Genehmigung mittels des ihm in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG
eingeräumten Schutz- und Abwehrrechts anfechten. Der Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1
Nr. 2 BImSchG kommt eine derart drittschützende Wirkung dagegen nicht zu,
8
vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 7 C 19/02 -, DVBl 2004, 638.
9
Durch die genehmigte Anlage wird die Schutzpflicht im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 BImSchG nicht zu Lasten des Antragstellers verletzt. Die immissionsschutzrechtliche
Schutzpflicht als Instrument der Gefahrenabwehr greift ein, wenn die hinreichende
Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht. Sie dient der Abwehr erkannter
Gefahren und der Vorbeugung gegenüber künftigen Schäden, die durch solche
Gefahren hervorgerufen werden können. Eine Gefahr liegt nach der klassischen
Begriffsdefinition dort vor, wo aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem
Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse
erwachsen werden. Daran fehlt es bei Ungewissheit über einen Schadenseintritt.
Potentiell schädliche Umwelteinflüsse, ein nur möglicher Zusammenhang zwischen
Emissionen und Schadenseintritt oder ein generelles Besorgnispotential können Anlass
zu Vorsorgemaßnahmen sein, sofern diese nach Art und Umfang verhältnismäßig sind.
Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen erfasst mithin mögliche Schäden, die
sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand
bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können,
deshalb noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht oder ein
Besorgnispotential besteht. Gibt es hinreichende Gründe für die Annahme, dass
Immissionen möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen, ist es
Aufgabe der Vorsorge, solche Risiken unterhalb der Gefahrengrenze zu minimieren. Ob
bei ungewissem Kausalzusammenhang zwischen Umwelteinwirkungen und Schäden
eine Gefahr oder ein Besorgnispotential anzunehmen ist, hängt vom Erkenntnisstand
über die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ab,
10
vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 10. Juni
2008 - 8 D 103/07.AK -, ZUR 2008, 492.
11
Der durch das Immissionsschutzrecht vermittelte Gesundheitsschutz beginnt erst dort,
wo der Kenntnisstand der Umwelthygiene und Medizin hinreichend sichere Aussagen
über die Gefährlichkeit der Immissionen zulässt,
12
vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 4. März 2005 - 7 LA 275/04 -, NVwZ-RR
2005, 401.
13
Hiervon ausgehend lässt sich nicht feststellen, dass von der genehmigten Anlage für
den Antragsteller schädliche Umwelteinwirkungen durch Bioaerosole (luftgetragene
Mikroorganismen, insbesondere Pilze, Bakterien, Viren und Endotoxine) ausgehen. Die
Auswirkungen von durch Massentierhaltung hervorgerufenen Bioaerosolen auf die
Umgebung ist bislang wenig erforscht. Aus arbeitsmedizinischen Untersuchungen ist
bekannt, dass in Tierställen auftretende Bioaerosole und Stäube zu Atemwegs- und
allergischen Erkrankungen führen können. Ob die im Umfeld von Tierhaltungsanlagen
lebende Bevölkerung durch Emissionen aus diesen Betrieben gesundheitlich
beeinträchtigt werden kann, ist bislang allerdings ungewiss,
14
vgl. Dirk Heller und Barbara Köllner, Bioaerosole im Umfeld von Tierhaltungsanlagen -
Untersuchungsergebnisse aus Nordrhein-Westfalen, 2007
15
Es gibt derzeit auch keine genauen Erkenntnisse darüber, ab welcher Konzentration
Bioaerosole zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung von Personen führen, die mit diesen
Stoffen in Kontakt kommen. Deshalb existieren keine wirkungsbezogene Grenzwerte für
diese Stoffe.
16
Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV
NRW) schlägt unter Bezugnahme auf den Entwurf der VDI-Richtlinie 4250
„Umweltmedizinische Bewertung von Bioaerosol-Immissionen" vor, als
Bewertungskriterium für eine mögliche Gefährdung durch Bioaerosole den Vergleich
von der Immissionskonzentration mit der normalen Hintergrundkonzentration
heranzuziehen (vgl. Schreiben des LANUV NRW an den Kreis D. vom 23. März 2009).
Nach den dem LANUV NRW vorliegenden Untersuchungen unterscheidet sich die
Immissionskonzentration von der Hintergrundkonzentration ab einer Entfernung von
etwa 500 m von der Emissionsquelle nicht mehr. Zugleich betont das LANUV NRW,
auch bei einer gegenüber der Hintergrundkonzentration erhöhten
Immissionskonzentration sei damit keine Aussage zu einem konkreten quantitativen
Gesundheitsrisiko verbunden. Die Hauptwindrichtung verläuft im Münsterland von West
nach Ost. Das Wohnhaus des Antragstellers liegt mehr als 600 m westlich des
Abluftschachtes der geplanten Anlage und damit entgegen der Hauptwindrichtung.
Deshalb sind nach derzeitigem Erkenntnisstand für die Bewohner des Gebäudes
Gesundheitsgefahren durch Bioaerosole nicht zu erwarten. Ebenso wenig gibt es eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass auf dem Grundstück des Gymnasiums C. ,
an dem der Antragsteller als Lehrer tätig ist und welches von der Emissionsquelle mehr
als 440 m und ebenfalls entgegen der Hauptwindrichtung entfernt liegt,
Gesundheitsgefährdungen durch Bioaerosole zu erwarten sind. Es bedarf hier keiner
Entscheidung, ob etwaige Gefahren durch Bioaerosole Vorsorgemaßnahmen nach § 5
Abs. 1 Nr. 2 BImSchG rechtfertigen können, da der einzelne auf die Anordnung von
Vorsorgemaßnahmen keinen Anspruch hat.
17
Der Antragsteller hat auch keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch
Geruchsimmissionen zu erwarten. Nach der im Genehmigungsverfahren vorgelegten
Geruchsimmissionsprognose des Ingenieurbüros S. und I. wird sowohl an dem
Wohnhaus des Antragstellers als auch an auf dem Grundstück des Gymnasiums C. der
in der Geruchsimmissionsrichtlinie festgelegte Richtwert einer
Geruchswahrnehmungshäufigkeit von 10 % der Jahresstunden eindeutig eingehalten.
Entgegen der Argumentation des Antragstellers wurde in dem Gutachten die
bestehende Vorbelastung durch die Hofstelle T1. E. einschließlich der Biogasanlage
berücksichtigt. In der Prognose werden die tatsächlichen Immissionen sogar
überschätzt, da sie von der Errichtung von drei Hähnchenmastanlagen mit knapp 40.000
Tierplätzen ausgeht, während Gegenstand dieses Verfahrens lediglich die
Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Hähnchenmastanlage ist.
18
Ohne Erfolg wendet der Antragsteller ein, der Geruchsimmissionsprognose hätten die
Wetterdaten der Station H. aus der Zeit von 1982 bis 1991 nicht zugrundegelegt werden
dürfen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die
Windverteilungsverhältnisse in den letzten Jahren grundlegend geändert hätten.
19
Der Antragsteller hat auch keine unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen durch den von
dem Vorhaben ausgelösten An- und Abfahrtsverkehr auf öffentlichen Straßen zu
erwarten. Nach Nr. 7.4 Abs. 2 der TA Lärm sollen Geräusche des An- und
Abfahrtsverkehr auf öffentlichen Verkehrsflächen in einem Abstand von bis zu 500 m
von dem Betriebsgrundstück durch Maßnahmen organisatorischer Art soweit wie
möglich vermindert werden, soweit sie den Beurteilungspegel der Verkehrsgeräusche
für den Tag oder die Nacht rechnerisch um mindestens drei dB (A) erhöhen, keine
Vermischung mit dem übrigen Verkehr erfolgt ist und die Immissionsgrenzwerte der
Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) erstmals oder weitgehend überschritten
werden. Angesichts des relativ geringen Umfangs des zu erwartenden An- und
Abfahrtverkehrs kann bereits ausgeschlossen werden, dass sich der Beurteilungspegel
der Verkehrsgeräusche rechnerisch um mindestens drei dB (A) erhöht. Ebenso
erscheint eine Überschreitung der Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV
ausgeschlossen.
20
Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die in der
angefochtenen Genehmigung geforderte Installation einer Abluftbehandlungsanlage sei
nicht geeignet, die Ammoniakkonzentrationen nachhaltig zu senken. Die geforderte
Abluftbehandlungsanlage hat bei den im Genehmigungsverfahren vorgelegten
Immissionsprognosen keine Berücksichtigung gefunden. Auch ohne Installation dieser
Anlage entstehen für den Antragsteller keine unzumutbaren Immissionen.
21
Da der Antragsteller somit keinen schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt ist,
verstößt die genehmigte Anlage auch nicht zu seinen Lasten gegen das drittschützende
bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
22
Soweit sich der Kläger auf naturschutzrechtliche und landschaftsschutzrechtliche
Belange sowie die mangelnde Erschließung des Vorhabengrundstücks beruft, kann er
daraus keine Rechte ableiten, da insoweit keine drittschützenden Vorschriften betroffen
sind.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die
24
Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG i. V. m. Nr. 19
Punkt 2 und Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus dem
Jahre 2004. Der danach für das Hauptsacheverfahren anzusetzende Streitwert war
wegen Vorläufigkeit dies Verfahrens auf die Hälfte zu reduzieren.
25