Urteil des VG Münster vom 07.12.2004

VG Münster: führung des haushalts, beihilfe, unbestimmter rechtsbegriff, aufschiebende wirkung, sozialhilfe, schuppenflechte, privatperson, behinderung, körperpflege, erblindung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Münster, 5 K 3499/02
07.12.2004
Verwaltungsgericht Münster
5. Kammer
Beschluss
5 K 3499/02
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 24. Juli 2002
in der Fassung seines Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2002
verpflichtet, dem Kläger für die Zeit von Dezember 2000 bis Oktober 2002
Hilfe zur Pflege in Höhe von 146,23 Euro monatlich zu bewilligen.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollsteckbar. Der Beklagte darf
die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht der
Kläger vorher in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d:
Der 1952 geborene Kläger ist seit einem Unfall im Jahre 1993 erblindet. Er erhält vom
Landschaftsverband Westfalen-Lippe Blindengeld nach dem Gesetz über Hilfen für Blinde
und Gehörlose (GHBG). Außerdem wird ihm eine Erwerbsunfähigkeitsrente gezahlt.
Der Kläger wohnte bis November 2000 in T. (Kreis X. ) und erhielt dort Hilfe zum
Lebensunterhalt sowie Hilfe zur Pflege in Höhe von 160,00 DM monatlich gemäss § 69 b
Absatz 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) auf der Grundlage einer Stellungnahme
des Gesundheitsamtes des Kreises X. vom 5. Januar 1999. In dieser Stellungnahme heißt
es unter anderem, dass der Kläger im grundpflegerischen Bereich weitgehend selbständig
sei, für die hauswirtschaftlichen Verrichtungen aber Unterstützung benötige, die bei 45
Minuten pro Tag liege.
Der Kläger erhielt nach seinem Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten ab
Dezember 2000 ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt, soweit die ihm gezahlte
Erwerbsunfähigkeitsrente nicht ausreichte, um seinen notwendigen Lebensunterhalt
sicherzustellen.
Der Kläger beantragte bei dem Beklagten am 25. Oktober 2000, ihm wie im Kreis X. Hilfe
zur Pflege zu bewilligen.
Das Amt für Soziale Dienste (ASD) des Beklagten kam in einer Stellungnahme vom 2.
Januar 2001 zu dem Ergebnis, dass der Kläger auf Hilfe bei der Führung seines
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Haushaltes für voraussichtlich 4 Stunden wöchentlich angewiesen sei.
Der Kläger teilte dem Sozialamt des Beklagten telefonisch am 1. Februar 2001 mit, dass er
den vom ASD ermittelten Bedarf in der Weise decken wolle, dass zwei Mal wöchentlich
eine Privatperson für einen Stundensatz von 15,00 DM und zwei Mal wöchentlich ein
Zivildienstleistender vom Arbeitersamariterbund mit einem Stundensatz von 18,00 DM tätig
werden solle, sodass wöchentlich 66,00 DM und monatlich 286,00 DM zu zahlen seien.
Durch Bescheid vom 21. Februar 2001 lehnte es der Beklagte ab, dem Kläger Hilfe zur
Pflege in dem von ihm beantragten Umfang zu gewähren. Zur Begründung führte der
Beklagte im wesentlich aus, zwar sei ein pflegerischer Bedarf in Höhe von 286,00 DM
anzuerkennen; diesen Bedarf könne der Kläger jedoch dadurch decken, dass er einen
Eigenanteil von 280,00 DM aus dem Blindengeld von 1.088,00 DM einsetze und den
verbleibenden Betrag von 6,00 DM aus seinem den Hilfebedarf insgesamt übersteigenden
Einkommen in Höhe von 188,25 DM decke.
Der Kläger legte mit Schreiben vom 15. März 2001 am 19. März 2001 Widerspruch ein und
verwies darauf, dass er von der Stadt T. Hilfe zur Pflege in Höhe von 160,00 DM erhalten
habe; dabei müsse es verbleiben, weil sich seine Lage nach dem Umzug nicht verändert
habe.
Diesen Widerspruch wies der Beklagte durch Bescheid vom 2. Mai 2001 zurück.
Der Kläger erhob zunächst Klage bei dem Sozialgericht Münster, die unter dem
Aktenzeichen 5 K 1084/01 an das Verwaltungsgericht Münster verwiesen wurde.
Nach Einholung einer Stellungnahme seines Rechtsamtes zur Anrechnung des
Blindengeldes auf die Hilfe zur Pflege gemäss § 69 b BSHG teilte der Beklagte dem Kläger
in einem Schreiben vom 2. August 2001 mit, dass er seinen Bescheid vom 21. Februar
2001 in der Fassung seines Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2001 aufhebe. Das
Verfahren VG Münster 5 K 1084/01 wurde gemäss § 161 Absatz 2 VwGO eingestellt.
Durch Bescheid vom 2. August 2001 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers vom 25.
Oktober 2000 erneut ab. Zur Begründung führte er aus:
Eine Pflegebeihilfe gemäss § 69 b Absatz 1 BSHG stehe dem Kläger nicht zu, weil bei ihm
kein pflegerischer Bedarf bestehe, sondern lediglich ein hauswirtschaftlicher Bedarf
gedeckt werden müsse; dieser Bedarf werde zwar wie bisher in Höhe von 286,00 DM
anerkannt; die hierfür vorgesehene Hilfe gemäss § 11 Absatz 3 BSHG im Rahmen der Hilfe
zum Lebensunterhalt stehe dem Kläger jedoch ebenfalls nicht zu, weil er sich das
Blindengeld in Höhe von 1088,00 DM gemäss § 77 BSHG als Einkommen zurechnen
lassen müsse.
Der Kläger legte unter dem 3. September 2001 Widerspruch ein und machte geltend, dass
bei ihm ein Pflegebedarf bestehe, der sich daraus ergebe, dass er nicht nur blind sei,
sondern an einer Schuppenflechte sowie an Rheuma erkrankt sei; seine
Pflegebedürftigkeit könne nicht durch Mitarbeiter des ASD ermittelt und festgestellt werden;
vielmehr müsse ein Arzt eingeschaltet, gegebenenfalls der Medizinische Dienst der
Krankenkasse mit einem Gutachten beauftragt werden.
Durch Bescheid vom 30. November 2001 gab der Beklagte dem Widerspruch des Klägers
vom 3. September 2001 gegen den Bescheid vom 2. August 2001 statt und gewährte dem
Kläger ab 1. Dezember 2000 Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung der Kosten
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für eine Haushaltshilfe in Höhe von monatlich 286,00 DM.
Durch Bescheid vom 14. Dezember 2001 bewilligte der Beklagte dem Kläger ab Juli 2001
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 40,25 Euro. Bei der Berechnung dieses
Betrages ging der Beklagte von einem Bedarf in Höhe von 742,47 Euro aus, dem unter
anderem ein vom Beklagten so bezeichneter individueller Mehrbetrag nach § 22 Absatz 1
BSHG in Höhe von 146,23 Euro (= 286,00 DM) zugrunde lag. Dem Bedarf in Höhe von
742,47 Euro stellte der Beklagte als Einkommen die Erwerbsunfähigkeitsrente nach Abzug
von Freibeträgen in Höhe von 702,22 Euro gegenüber, sodass noch ein Restbedarf in
Höhe von 40,25 Euro verblieb.
Der Kläger legte unter dem 11. Januar 2002 Widerspruch ein, und machte geltend, dass es
ihm nicht um die Bewilligung von weiterer Hilfe zum Lebensunterhalt, sondern um die
Bewilligung von Hilfe zur Pflege gehe, wie er sie bis November 2000 von der Gemeinde T.
erhalten habe.
Der Beklagte schaltete daraufhin erneut den ASD ein. Dieser teilte unter dem 13. Februar
2002 mit, dass er an seinem Bericht vom 2. Januar 2001 festhalte, wonach zum damaligen
Zeitpunkt kein pflegerischer, sondern nur ein hauswirtschaftlicher Bedarf bei dem Kläger
bestanden habe. Der ASD regte an, ein aktuelles Gutachten des Medizinischen Dienstes
der Krankenkassen einzuholen.
Mit Schreiben vom 26. Februar 2002 bat der Beklagte den Kläger, bei der für ihn
zuständigen Pflegekasse einen Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung zu
stellen, um auf diese Weise zu klären, ob und in welchem Umfang bei ihm, dem Kläger, ein
pflegerischer Bedarf bestehe.
Zugleich teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er die Zahlung bezüglich der
Haushaltshilfe zum 1. März 2002 einstelle, weil der Kläger selbst geltend mache, dass bei
ihm kein hauswirtschaftlicher, sondern ein pflegerischer Bedarf zu decken sei.
Der Antrag des Klägers vom 21. März 2002, dem Antragsgegner aufzugeben, ihm ab 1.
März 2002 monatlich 81,81 Euro als Pflegebeihilfe gemäss § 69 b Absatz 1 BSHG zu
zahlen, wurde vom Verwaltungsgericht Münster durch Beschluss vom 25. März 2002 im
Verfahren 5 L 443/02 abgelehnt.
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe kam in einem
Gutachten vom 15. Mai 2002 zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Klägers gemäss
SGB XI zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht pflegebedürftig sei, weil der Zeitaufwand
für die Grundpflege lediglich 6 Minuten pro Tag und der Zeitaufwand für die Hauswirtschaft
51 Minuten pro Tag betrage, sodass der pflegerische Bedarf nicht die Pflegestufe 1
erreiche.
Der Kläger legte unter dem 30. Mai 2002 Widerspruch gegen das Schreiben des Beklagten
vom 26. Februar 2002 ein und forderte den Beklagten auf, die mit Bescheid vom 30.
November 2001 bzw. 14. Dezember 2001 bewilligten Leistungen ab März wieder
aufzunehmen, weil der Widerspruch vom 30. Mai 2002 gegen das Schreiben vom 26.
Februar 2002, mit denen die Zahlungen eingestellt worden seien, aufschiebende Wirkung
habe.
Durch Bescheid vom 24. Juli 2002 hob der Beklagte aufgrund des Widerspruches des
Klägers vom 11. Januar 2002 und aufgrund des Gutachtens des Medizinischen Dienstes
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der Krankenkassen einen Bescheid vom 14. Dezember 2001, mit dem er Leistungen für die
Zeit ab 1. Juli 2001 bewilligt hatte, auf und stellte zugleich die Leistungen ab dem 1. Juli
2001 ein. Von einer Rückforderung der bisher gewährten Leistungen sah der Beklagte ab.
Zur Begründung führte der Beklagte aus:
Nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes bestehe bei dem Kläger ein
pflegerischer Bedarf von 57 Minuten täglich, nämlich für die Grundpflege von 6 Minuten und
für die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten von 51 Minuten; auf dieser Grundlage könne
gemäss § 69 b BSHG eine Pflegebeihilfe in Höhe von 82,00 Euro, nämlich 40 Prozent des
Pflegegeldes der Pflegestufe 1, gewährt werden; auf diese Leistungen müssen sich der
Kläger in entsprechender Anwendung von § 69 c Absatz 1 Satz 2 BSHG das Blindengeld
in Höhe von 70 Prozent anrechnen lassen; aus dem so errechneten anteiligen Blindengeld
in Höhe von 396,90 Euro könne der Kläger den pflegerischen Bedarf in Höhe von 82,00
Euro decken; deshalb stehe ihm keine Hilfe zur Pflege zu.
Der Kläger ließ hiergegen am 19. August 2002 Widerspruch einlegen und vortragen, dass
er aufgrund seiner Schuppenflechte und seiner rheumatischen Erkrankung Anspruch auf
Hilfe zur Pflege habe und sich zur Deckung dieses Bedarfs nicht auf anteiliges Blindengeld
verweisen lassen müsse.
Diesen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober
2002 aus den Gründen seines Bescheides vom 24. Juli 2002 zurück und führte ergänzend
aus, dass die Regelung des § 69 c Absatz 1 Satz 2 BSHG zur Anrechnung des
Blindengeldes auf das Pflegegeld für die dem Kläger bewilligte Pflegebeihilfe
entsprechend gelten müsse, um ihn nicht besser zu stellen als denjenigen, der eine
Pflegestufe erreiche und damit einen höheren pflegerischen Aufwand habe und auf dieser
Grundlage in Anwendung des § 69 c Absatz 1 Satz 2 BSHG hinnehmen müsse, dass das
Blindengeld mit einem Anteil von 70 Prozent auf das Pflegegeld angerechnet werde.
Der Kläger hat am 22. November 2002 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, dass
eine Anrechnung des Blindengeldes nicht in Betracht komme, weil ihm die Hilfe zur Pflege
nicht wegen seiner Erblindung, sondern wegen seiner Schuppenflechte und seiner
rheumatischen Erkrankung zustehe.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ausgeführt, dass er in der Vergangenheit
zwei Zivildienstleistende für die Grundpflege und eine Privatperson für die Führung des
Haushalts eingesetzt habe. Das Geld habe er sich durch einen Kredit beschafft, den er zur
Zeit noch abzahle. Für die Grundpflege habe er inzwischen einen privaten Anbieter
gefunden, so dass er künftig mit 82,00 Euro für die Grundpflege auskommen könne.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 24. Juli 2002 in der Gestalt seines
Widerspruchsbescheides vom 24.Oktober 2002 zu verpflichten, ihm Hilfe zur Pflege in
gesetzlicher Höhe auf der Grundlage eines monatlichen Bedarfs von 146,23 Euro in der
Zeit von Dezember 2000 bis Oktober 2002 ohne Anrechnung von Blindengeld zu
bewilligen.
Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe seines
Widerspruchsbescheides,
die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten
wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten 5 K 844/02 und 5 K 3499/02 sowie
auf den Inhalt der in beiden Verfahren vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger
für die Zeit von Dezember 2000 bis Oktober 2002 Hilfe zur Pflege auf der Grundlage eines
Bedarfs in Höhe von 146,23 Euro ohne Anrechnung von Blindengeld zu gewähren.
Das Gericht legt das Klagebegehren so aus, dass sich der streitige Zeitraum vom Monat
des Einzuges des Klägers im Dezember 2000 bis zum Erlass des
Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2002 erstreckt.
Entgegen den Angaben in dem Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2002 beginnt der
streitgegenständliche Zeitraum nicht erst im April 2002, sondern schon im Dezember 2000.
In dem dem Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2002 zugrundeliegenden Bescheid
vom 24. Juli 2002 wurde der Bescheid vom 14. Dezember 2001 aufgehoben. Der Bescheid
vom 14. Dezember 2001 bezieht sich nach seiner Überschrift und den beigefügten
Berechnungsbögen nur auf den Bewilligungszeitraum ab Juli 2001. Dieser Bescheid knüpft
für die Beteiligten erkennbar allerdings an den Bescheid vom 30. November 2001 an. In
diesem Bescheid bewilligte der Beklagte dem Kläger ab 1. Dezember 2000 Hilfe zum
Lebensunterhalt unter Berücksichtigung der Kosten für eine Haushaltshilfe in Höhe von
monatlich 286,00 DM. Aus dem Zusammenhang der Bescheide vom 30. November 2001,
vom 14. Dezember 2001 und vom 24. Juli 2002 geht hervor, dass der letztgenannte
Bescheid nicht nur den Bescheid vom14. Dezember 2001, sondern auch den Bescheid
vom 30. November 2001 ersetzen sollte mit der Folge, dass über die hier streitige
Hilfebewilligung ab dem 1. Dezember 2000 erschieden werden sollte. Dies betrifft auch
den hier angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2002.
Für den Zeitraum von Dezember 2000 bis Oktober 2002 besteht ein Anspruch des Klägers
auf Hilfe zur Pflege gemäß § 69 b Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2, 1. Alternative BSHG. Nach
dieser Vorschrift können Pflegebedürftigen im Sinne des § 68 Absatz 1 BSHG
angemessene Beihilfen gewährt werden.
Der Kläger ist Pflegebedürftiger im Sinne des § 68 Absatz 1 BSHG. § 68 Absatz 1 Satz 1
BSHG sieht vor, dass Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen
Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden
Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6
Monate, in erheblichem oder höherem Maße Hilfe bedürfen, Hilfe zur Pflege zu gewähren
ist. Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger nicht, weil der Hilfebedarf bei ihm auf der
Grundlage des insoweit gemäß § 68 a BSHG verbindlichen Gutachtens des Medizinischen
Dienstes der Krankenkassen vom 15. Mai 2002 nicht in erheblichem Maße besteht. Nach
den Feststellungen in dem Gutachten vom 15. Mai 2002 gibt es bei dem Kläger einen
Pflegebedarf von insgesamt 57 Minuten täglich; davon entfallen 6 Minuten auf die
Grundpflege und 51 Minuten auf hauswirtschaftliche Verrichtungen. Auf dieser Grundlage
ist der Kläger gemäß § 15 SGB XI nicht in erheblichem Maße auf Hilfe angewiesen, weil in
der Pflegestufe 1 der Zeitaufwand mindestens 90 Minuten betragen muss, wobei auf die
Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen. Dies trifft bei dem Kläger nicht zu.
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Hilfe zur Pflege ist allerdings gemäß § 68 Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 1 BSHG auch
behinderten Menschen zu gewähren, die einen geringeren Hilfebedarf als nach Satz 1
haben. Dies trifft bei dem Kläger zu, weil er nach den Feststellungen in dem vorgenannten
Gutachten im Bereich der Körperpflege und im Bereich der hauswirtschaftlichen
Versorgung auf Hilfe angewiesen ist, die sich auf insgesamt 57 Minuten täglich beläuft,
(sog. Pflegestufe O).
Da der Kläger mithin zu den Pflegebedürftigen im Sinne des § 68 Absatz 1 Satz 2 BSHG
gehört, können ihm angemessene Beihilfen gewährt werden. Zu den angemessenen
Beihilfen können auch die Kosten gehören, die dadurch entstehen, dass der Kläger auf
Hilfe bei den hauswirtschaftlichen Verrichtungen angewiesen ist und dafür Hilfskräfte
bezahlen muss. Dagegen ist nicht § 69 b Absatz 1 Satz 1 1. Halbsatz BSHG einschlägig,
weil darin nur angemessene Aufwendungen der Pflegepersonen erfasst werden. Im Falle
des Klägers geht es nicht darum, dass den für ihn tätigwerdenden Pflegepersonen
Aufwendungen ersetzt werden sollen. Vielmehr sollen die Pflegepersonen dafür entlohnt
werden, dass sie den Kläger schwerpunktmäßig den Haushalt führen und ihm im geringen
Umfang auch bei der Körperpflege betreuen.
In welcher Höhe eine Beihilfe angemessen ist, unterliegt vor der gerichtlichen Überprüfung,
weil der im Gesetz verwendete Begriff des Angemessenen ein unbestimmter Rechtsbegriff
ohne eigenen Beurteilungsspielraum des zuständigen Trägers der Sozialhilfe ist (vgl. zur
Auslegung dieses Begriffs OVG NRW, Urteil vom 9. November 1993 - 8 A 29/91 -, FEVS
45, 119 sowie BVerwG, Urteil vom 6. April 1995 - 5 C 5.93 -, FEVS 46, 45 zu § 85 Nr. 3
BSHG und BVerwG Urteil vom 24. Juni 1999 - 5 C 18.98 -, FEVS 51, 167 zu § 76 Abs. 2 Nr.
3 BSHG). Der Beklagte ist in dem angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass eine
Beihilfe in Höhe von 40 % des Pflegegeldes der Pflegestufe 1 (82,00 Euro) angemessen
ist. Dem vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Eine Beihilfe ist nur dann
angemessen, wenn der geltend gemachte Bedarf notwendig ist und mit der Beihilfe
gedeckt werden kann. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen hat den pflegerischen
Bedarf des Klägers dahin beschrieben, dass er 6 Minuten täglich auf Grundpflege und 45
Minuten täglich auf Hilfe bei den hauswirtschaftlichen Verrichtungen angewiesen ist, mithin
insgesamt täglich 57 Minuten lang betreut werden muss. Der Kläger hat am 1. Februar
2001 dem Beklagten telefonisch mitgeteilt, dass er diesen vom Medizinischen Dienst der
Krankenkassen festgestellten Bedarf dadurch decken möchte, dass zwei Mal wöchentlich
eine Privatperson mit einem Stundensatz von 15,00 DM und zwei Mal wöchentlich ein
Zivildienstleistender des Arbeitersamariterbundes mit einem Stundensatz von 18,00 DM
tätig werden sollen. Diese Angaben hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung
bestätigt. Der vom Kläger beschriebene Umfang des Einsatzes der Pflegepersonen deckt
in etwa den Bedarf, der nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der
Krankenkassen und des ASD gedeckt werden muss. Dies ergibt einen monatlichen Betrag
von 286,00 DM = 146,23 Euro. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des
Einzelfalles des Klägers und seines Wunschrechtes (§ 3 BSHG) ist eine Beihilfe in Höhe
dieses Betrages als angemessen anzusehen. Insoweit folgt das Gericht den Bescheiden
des Beklagten vom 30. November 2001 und vom 14. Dezember 2001, die einen Hilfebedarf
von 286,00 DM zugrundegelegt haben. Dem gegenüber hat der Beklagte in dem hier
angefochtenen Bescheid vom 24. Juli 2002 den Pflegebedarf mit 82,00 Euro zu niedrig
festgesetzt. Insoweit genügt die Pauschalisierung durch den Beklagten nicht den
Anforderungen der Rechtsprechung an die Festsetzung von Pauschalisierungen im
Sozialrecht (vgl. statt aller BVerwG Urteil vom 22. Dezember 1998 - 5 C 25.97 -, BVerwGE
108, 221).
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Auf der Grundlage des für das Gericht nachvollziehbaren Gutachtens des Medizinischen
Dienstes der Krankenkassen vom 15. Mai 2002 ist das Gericht darüber hinaus davon
überzeugt, dass aufgrund der Krankheiten und Behinderungen des Klägers kein höherer
Bedarf zu decken ist. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen hat nicht nur die
Erblindung, sondern auch die Schuppenflechte und die rheumatische Erkrankung des
Klägers berücksichtigt. Das Gericht sieht deshalb keinen Anlass, weitere Ermittlungen
anzustellen.
Auf diese Beihilfe ist das Blindengeld entgegen der Ansicht des Beklagten nicht
anzurechnen.
Eine Anrechnung ergibt sich nicht aus § 69 c Absatz 1 Satz 2 BSHG. Danach sind
Leistungen nach § 67 BSHG oder gleichartige Leistungen, zu denen dass dem Kläger
bewilligte Landesblindengeld gehört, mit 70 % auf das Pflegegeld anzurechnen. Diese
Voraussetzungen sind hier, wie dies auch der Beklagte sieht, nicht erfüllt, weil der Kläger
kein Pflegegeld erhält. Mit dem Begriff des Pflegegeldes im Sinne des § 69 c Absatz 1 Satz
2 BSHG meint der Gesetzgeber das Pflegegeld im Sinne des § 69 a BSHG und nicht die
angemessenen Beihilfen im Sinne des § 69 b BSHG. Dies folgt schon daraus, dass
Leistungen nach § 69 b gemäß § 69 c Absatz 2 Satz 1 BSHG neben den Leistungen nach
§ 69 a BSHG gewährt werden.
Eine Anrechnung des Blindengeldes folgt auch nicht aus § 69 c Absatz 2 Satz 2 BSHG.
Diese Regelung sieht vor, dass das Pflegegeld im Sinne des § 69 a BSHG und nicht
andere Leistungen im Sinne des § 69 b BSHG gekürzt werden dürfen.
Auch § 69 c Absatz 4 Satz 1 BSHG ermöglicht nicht die vom Beklagten angeordnete
Anrechnung. In dieser Vorschrift ist geregelt, dass Leistungen nach § 69 b Absatz 1 BSHG
insoweit nicht gewährt werden, als der Pflegebedürftige in der Lage ist,
zweckentsprechende Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften in Anspruch zu
nehmen. Zu diesem Zweck entsprechende Leistungen gehören nur Pflegeleistungen nach
den Vorschriften des SGB XI, denn § 69 c Absatz 4 Satz 1 BSHG soll den Nachhang der
Hilfe zur Pflege nach den Vorschriften des BSHG gegenüber anderen Leistungen der Hilfe
zur Pflege gewährleisten. Diese Auslegung ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der
Vorschrift. In der Begründung des Regierungsentwurfes heißt es ausdrücklich, dass die
Leistungen der Pflegeversicherung den fürsorgerischen, von einer Bedürftigkeitsprüfung
abhängigen Sozialleistungen zur Pflege grundsätzlich vorgehen (zitiert nach Mergler - Zink
-, Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, § 69 c Randziffer 14). Das Landesblindengeld wird
gemäß § 1 Absatz 1 Satz 1 GHGB gewährt, um durch die Blindheit bedingte
Mehraufwendungen auszugleichen. Dem gegenüber dienen die Pflegeleistungen dazu,
einen Bedarf für Personen zu decken, die wegen einer Krankheit oder Behinderung für die
gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen
Lebens auf Dauer in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Wegen dieser
unterschiedlichen Zwecke kann das dem Kläger bewilligte Landesblindengeld nicht als
zweckentsprechende Leistung im Sinne des § 69 c Absatz 4 Satz 1 BSHG angesehen
werden.
Die Anrechnung des Landesblindengeldes auf die Hilfe zur Pflege kann auch nicht auf der
Grundlage von § 77 Absatz 1 Satz 1 BSHG erfolgen. Leistungen, die aufgrund öffentlich -
rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, sind bei
der Bewilligung von Sozialhilfe nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die
Sozialhilfe im Einzelfall dem selben Zweck dient. Dies trifft hier nicht zu. Die Hilfe zur
Pflege dient dazu, den Bedarf für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden
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Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens zu decken, während die Landesblindenhilfe
die durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen ausgleichen soll. Wegen dieser
unterschiedlichen Zwecksetzung ist in der Rechtssprechung anerkannt, dass eine
Anrechnung des Blindengeldes auf die Sozialhilfe nach § 77 BSHG nicht erfolgen darf
(BVerwG Urteil vom 5. November 1966 - 5 C 43.69 -, BVerwGE 34, 164 = FEVS 17,1 und
OVG Berlin, Beschluss vom 27. September 1985 - 6 S 100.85 -, FEVS 35,343; vergleiche
auch OVG NRW, Beschluss vom 3. Dezember 2001 - 12 E 159/00 -, FEVS 53, 573).
Sinn und Zweck von Anrechnungsvorschriften im Sozialhilferecht ist es, Doppelleistungen
für einen Bedarf zu verhindern (BVerwG Urteil vom 25. März 1993 - 5 C 45.91 - BVerwGE
92, 220 = FEVS 43, 456). Dies trifft hier nicht zu, denn durch die Hilfe zur Pflege und durch
das Landesblindengeld sollen unterschiedliche Bedarfe gedeckt werden.
Der Ansicht des Beklagten, dass eine Anrechnung in entsprechender Anwendung des § 69
c Absatz 1 Satz 2 BSHG zulässig ist, vermag das Gericht nicht zu folgen, weil es aus dem
Zusammenhang der vorgenannten Bestimmungen keine ​planwidrige" Lücke gibt, die durch
eine entsprechende Anwendung des § 69 c Absatz 1 Satz 2 BSHG in Fällen dieser Art
geschlossen werden müsste. Für den Gesetzgeber bestand kein Anlass, eine Anrechnung
des Blindengeldes nicht nur für das Pflegegeld, sondern auch für andere Leistungen im
Sinne des § 69 b BSHG zu regeln, weil die anderen Leistungen im Sinne des § 69 b BSHG
anders als das Pflegegeld nicht pauschal feststehen, sodass sich die Auswirkungen einer
Anrechnung des Blindengeldes oder vergleichbarer Leistungen nicht absehen lassen.
Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenhang der §§ 69 c und 77 BSHG, dass im Falle
einer gleichzeitigen Bewilligung von anderen Leistungen im Sinne des §69 b BSHG nur
die allgemeinen Vorschriften über die Berücksichtigung von Einkommen, also unter
anderem § 77 BSHG, gelten sollten. Nach der letztgenannten Vorschrift ist eine
Anrechnung aus den vorgenannten Gründen nicht möglich.
Zwar sieht § 69 b Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 BSHG vor, dass es im pflichtgemäßen
Ermessen des zuständigen Trägers der Sozialhilfe steht, ob er angemessene Beihilfen
gewährt. Im Falle des Klägers sind für das Gericht keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich,
dass der Beklagte einen Ermessensspielraum hätte, der es ihm ermöglichte, die Beihilfe
abzulehnen, oder auf einen niedrigeren Betrag als 146,23 Euro festzusetzen. Es liegt
vielmehr eine Ermessensreduktion auf Null mit der Folge vor, dass der Bedarf des Klägers
in Höhe von monatlich 146,23 Euro gedeckt werden muss. Auf diese monatliche Beihilfe
muss sich der Kläger, wie in dem Bescheid vom 14. Dezember 2001 geschehen, seine
Erwerbsunfähigkeitsrente anrechnen lassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 188 Satz 2, 154 Absatz 1 VwGO, ihre vorläufige
Vollstreckbarkeit aus § 167 Absatz 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nummer 11, 711
ZPO.