Urteil des VG Münster vom 01.04.2003
VG Münster: lebensversicherung, rückkaufswert, anspruch auf bewilligung, stadt, verwaltungsakt, sozialhilfe, rücknahme, grobe fahrlässigkeit, vorzeitige verwertung, härte
Verwaltungsgericht Münster, 5 K 2781/99
Datum:
01.04.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 2781/99
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten der Klägerin abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt erstatten
muss, die sie in der Zeit von Januar bis Juni 1997 und von April 1998 bis Juni 1999
erhalten hat.
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Die 1945 geborene ledige Klägerin hat die Hauptschule besucht. Sie arbeitete seit 1960
als Raumpflegerin. Im Juli 1996 wurde sie arbeitslos und erhielt Arbeitslosengeld.
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Die Klägerin beantragte am 10. Januar 1997 bei dem Beklagten die Bewilligung
ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt mit der Begründung, dass die Leistungen des
Arbeitsamtes nicht ausreichten, um ihren notwendigen Lebensunterhalt sicherzustellen.
In der dem Antrag beigefügten Erklärung über ihr Vermögen teilte die Klägerin mit, dass
sie eine Lebensversicherung abgeschlossen habe, deren Rückkaufswert ca. 2.000 DM
betrage. In dieser Erklärung versicherte die Klägerin zugleich, dass ihre Angaben
vollständig und wahr seien und dass ihr bekannt sei, dass sie wegen unvollständiger
oder unwahrer Angaben strafrechtlich verfolgt werden könne und zu Unrecht erhaltene
Leistungen erstatten müsse. Die Erklärung der Klägerin zum Vermögen enthielt
außerdem den Hinweis, dass die Klägerin verpflichtet sei, unverzüglich und
unaufgefordert Änderungen in den Verhältnissen mitzuteilen, die für die Leistungen
erheblich seien, insbesondere in den Einkommens-, Vermögens-, Familien- und
Aufenthaltsverhältnissen (Wohnungswechsel, vorübergehende Abwesenheit - z. B.
Krankenhausaufenthalte - ). Zugleich erklärte die Klägerin, dass sie über die Folgen
fehlender Mitwirkung belehrt worden sei (§ 66 SGB I).
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Am 12. März 1997 legte die Klägerin eine Bescheinigung zur Versicherung Nr. 0 vor.
Daraus geht hervor, dass die Rückvergütung zum 1. April 1997 1.848,83 DM betragen
sollte.
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Anlässlich ihrer Vorsprache vom 12. März 1997 wurde die Klägerin darauf hingewiesen,
dass die Vermögensfreigrenze 2.500 DM betrage.
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Der Oberstadtdirektor der Stadt Münster bewilligte der Klägerin ab Januar 1997
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich pauschaliertem Wohngeld unter
Anrechnung der Leistungen des Arbeitsamtes bis Juni 1997. Ab Juli 1997 wurde keine
ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt mehr bewilligt, weil die Klägerin nach ihren
eigenen Angaben wieder Arbeit gefunden hatte.
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Am 20. April 1998 beantragte die Klägerin erneut die Bewilligung von ergänzender Hilfe
zum Lebensunterhalt mit der Begründung, dass die Leistungen des Arbeitsamtes und ihr
Einkommen als Raumpflegerin nicht ausreichten, um ihren Lebensunterhalt
sicherzustellen. Daraufhin bewilligte die Oberbürgermeisterin der Stadt Münster der
Klägerin erneut ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich pauschaliertem
Wohngeld unter Anrechnung der Leistungen des Arbeitsamtes und des von ihr
angegebenen Verdienstes als Putzhilfe.
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Mit Schreiben vom 20. April 1998 forderte das Sozialamt die Klägerin auf, Unterlagen
über den aktuellen Rückkaufswert ihrer Lebensversicherung vorzulegen. Anlässlich
einer Vorsprache am 27. April 1998 legte die Klägerin zwei Schreiben über zwei
Lebensversicherungen mit den Nrn. 0 und 0 vor. Der Klägerin wurde anlässlich ihrer
Vorsprache erklärt, dass es sich bei den von ihr eingereichten Schreiben der
Versicherung nicht um Bescheinigungen über die Rückkaufswerte handele. Die
Klägerin teilte daraufhin mit, sie werde die noch fehlenden Unterlagen zusenden, sobald
sie sie habe.
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In einer Erklärung über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse vom 12. April
1999 teilte die Klägerin u. a. mit, dass sie eine beitragsfreie Lebensversicherung mit der
Nr. 0 besitze.
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Anlässlich ihrer Vorsprache vom gleichen Tage legte die Klägerin ein weiteres
Schreiben ihrer Versicherung vom 28. Januar 1998 zu der angegebenen
Versicherungsnummer vor.
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Mit Schreiben vom 20. April 1999 forderte das Sozialamt die Klägerin auf, weitere
Angaben zu den beiden von ihr angegebenen Lebensversicherungen zu machen.
Zugleich wurde die Klägerin erneut auf die Vermögensfreigrenze von 2.500 DM
hingewiesen.
12
Anlässlich einer Vorsprache vom 3. Mai 1999 teilte die Klägerin dem Sozialamt mit,
dass es etwa vier bis sechs Wochen dauere, bis sie die Bescheinigungen über die
Versicherungen habe.
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Anlässlich einer Vorsprache am 18. Juni 1999 legte die Klägerin ein Schreiben der
Versicherung vom 11. Juni 1999 vor. Aus diesem Schreiben ergibt sich, dass die
Klägerin drei Lebensversicherungen abgeschlossen hatte, deren Rückkaufswerte zum
1. Juli 1999 wie folgt festgesetzt waren: 2092,83 DM; 17.700,65 DM und 2.778,33 DM.
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Daraufhin stellte die Oberbürgermeisterin der Stadt Münster die Bewilligung von
ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt ab Juli 1999 ein.
15
Nach Anhörung der Klägerin nahm die Oberbürgermeisterin der Stadt Münster durch
Bescheid vom 25. August 1999 die Bescheide auf, mit denen der Klägerin für den
Zeitraum vom 1. Januar 1997 bis zum 30. Juni 1997 sowie vom 20. April 1998 bis zum
30. Juni 1999 Hilfe zum Lebensunterhalt und pauschaliertes Wohngeld gewährt worden
war. Zugleich forderte die Oberbürgermeisterin der Stadt Münster die Klägerin auf, die
zu viel gezahlte Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 6.590,40 DM und das
pauschalierte Wohngeld in Höhe von 3.075 DM zurückzuzahlen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin in den
vorgenannten Zeiträumen zu Unrecht Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich
pauschaliertem Wohngeld erhalten habe, weil sie verpflichtet gewesen sei, vorrangig
einsetzbares Vermögen in Form der Rückkaufswerte der drei abgeschlossenen
Lebensversicherungen einzusetzen, um ihren notwendigen Lebensunterhalt
sicherzustellen.
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Die Klägerin legte am 27. September 1999 Widerspruch ein und trug vor, dass sie die
Lebensversicherungen abgeschlossen habe, um später mal eine kleine Zusatzrente zu
bekommen.
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Durch Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 1999 wies der Beklagte den
Widerspruch der Klägerin zurück, im Wesentlichen mit der Begründung, dass es zu der
Bewilligung von ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich pauschaliertem
Wohngeld nur deshalb gekommen sei, weil die Klägerin zumindest grob fahrlässig
unvollständige Angaben über die Rückkaufswerte ihrer Lebensversicherungen gemacht
habe.
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Die Klägerin hat am 22. November 1999 Klage erhoben. Sie macht geltend:
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Sie habe bei dem Sozialamt anlässlich ihrer Antragstellung im Jahre 1997 alle
Unterlagen über sämtliche von ihr abgeschlossenen drei Lebensversicherungen
vorgelegt; wenn dort nur Kopien von einer Lebensversicherung angefertigt und zu den
Akten genommen worden seien, habe sie dies nicht zu verantworten.
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Die Klägerin macht außerdem geltend, dass sie auf die Beträge aus den von ihr
abgeschlossenen Lebensversicherungen angewiesen sei, um ihren Lebensunterhalt im
Alter sicherzustellen, weil sie lediglich eine Altersrente von 1.043,57 DM erhalten
werde.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid der Oberbürgermeisterin der Stadt Münster vom 25. August 1999 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 22. Oktober 1999 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Unter Bezugnahme auf die Gründe seines Widerspruchsbescheides trägt der Beklagte
ergänzend vor, dass die Klägerin anlässlich ihrer Antragstellungen im Januar 1997 und
im April 1998 unvollständige Angaben über ihre Lebensversicherungen gemacht habe,
obwohl sie ausdrücklich auf die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen,
insbesondere auf die Vermögensfreigrenze, hingewiesen worden sei; erstmals
anlässlich ihrer Vorsprache am 18. Juni 1999 habe die Klägerin vollständige Angaben
über sämtliche von ihr abgeschlossenen drei Lebensversicherungen gemacht; erst zu
diesem Zeitpunkt sei dem Beklagten bekannt geworden, dass die Klägerin während der
gesamten Bewilligungszeiträume über vorrangig einsetzbares Vermögen verfügt habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid der
Oberbürgermeisterin der Stadt Münster vom 25. August 1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 22. Oktober 1999 ist rechtmäßig. Der
Beklagte hat zu Recht die Bescheide aufgehoben, in denen der Klägerin für die Zeit
vom 1. Januar 1997 bis zum 30. Juni 1997 sowie vom 20. April 1998 bis zum 30. Juni
1999 ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich pauschaliertem Wohngeld
bewilligt worden ist. Die Klägerin ist verpflichtet, dem Beklagten zu viel gezahlte Hilfe
zum Lebensunterhalt und zu viel gezahltes pauschaliertes Wohngeld in Höhe von
insgesamt 9.665,40 DM zu erstatten.
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Rechtsgrundlage für die Entscheidung, die Bewilligungsbescheide zurückzunehmen
und Erstattung der zu viel gezahlten Sozialleistungen zu verlangen, sind §§ 45, 50 SGB
X.
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Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil
begründet hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem
er unanfechtbar geworden ist, gemäß § 45 Abs. 1 SGB X unter den Einschränkungen
der Absätze 2 bis 4 für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Diese
Voraussetzungen liegen hier vor.
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Der Oberstadtdirektor der Stadt Münster bzw. die Oberbürgermeisterin der Stadt Münster
haben in der Zeit von Januar 1997 bis Juni 1997 sowie vom 20. April 1998 bis zum 30.
Juni 1999 begünstigende Verwaltungsakte erlassen, indem sie der Klägerin Hilfe zum
Lebensunterhalt bewilligt haben, soweit deren eigenes Einkommen nicht ausreichte, um
ihren notwendigen Lebensunterhalt sicherzustellen. In diesem Zusammenhang kommt
es nicht darauf an, ob Bewilligungsbescheide ergangen sind oder ob die Hilfe zum
Lebensunterhalt tatsächlich ausgezahlt worden ist, ohne dass zugleich ein Bescheid
ergangen ist, denn auch die tatsächliche Auszahlung des Geldes stellt einen
begünstigenden Verwaltungsakt dar mit Rücksicht darauf, dass Sozialhilfe gemäß § 33
Abs. 2 SGB X nicht zwingend durch einen Bescheid bewilligt werden muss (BVerwG,
Urteil vom 15. November 1967 - 5 C 71.67 -, BVerwGE 28, 216 = FEVS 15, 361 und
OVG NRW, Urteil vom 24. März 1993 - 24 A 1093/90 -, NDV 1994, 72).
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Die vom Oberstadtdirektor der Stadt Münster bzw. von der Oberbürgermeisterin der
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Stadt Münster in den Jahren 1997 bis 1999 erlassenen begünstigenden
Verwaltungsakte waren rechtswidrig. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch
auf Bewilligung von ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt war nicht gegeben, weil
sich die Klägerin auf verwertbares Vermögen in Form von drei
Kapitallebensversicherungen verweisen lassen musste.
Hilfe zum Lebensunterhalt ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG dem zu gewähren, der
seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften
und Mitteln, vor allem seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann. Soweit das
Arbeitslosengeld und das weitere Erwerbseinkommen der Klägerin nicht ausreichten,
um in den vorgenannten Zeiträumen den notwendigen Lebensunterhalt sicherzustellen,
waren die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht erfüllt, denn der
Klägerin war es zuzumuten, ihren monatlichen Bedarf an ergänzender Hilfe zum
Lebensunterhalt einschließlich des pauschalierten Wohngeldes aus ihrem verwertbaren
Vermögen in Form der drei Lebensversicherungen aufzubringen.
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Vermögen im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes ist gemäß § 88 Abs. 1 BSHG das
gesamte verwertbare Vermögen. Das Vermögen ist dann als verwertbar anzusehen,
wenn sein Wert in angemessener Frist eingesetzt werden kann, um den Bedarf des
Hilfesuchenden zu befriedigen. Es kommt demnach nicht allein darauf an, ob dem
Vermögen zuzuordnende Forderungen bereits fällig sind, sondern darauf, ob der
Vermögenswert tatsächlich zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden kann. Dies ist
regelmäßig der Fall, wenn der Vermögenswert durch Veräußerung, Beleihung oder auf
andere Weise in Geld umgewandelt und so realisiert werden kann (OVG NRW, Urteil
vom 2. Mai 1994 - 8 A 3646/92 -, FEVS 45, 326, 328; Urteil vom 17. Januar 2000 - 22 A
4467/95 -, FEVS 51, 551 und Urteil vom 29. Mai 2001 - 16 A 3819/99 -, NDV-RD 2002,
97 = NVwZ-RR 2002, 199).
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Zum verwertbaren Vermögen in diesem Sinne gehört auch der Rückkaufswert einer
Kapitallebensversicherung. Hinsichtlich dieses Vermögenswertes hat das
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entschieden, dass von einem
Vermögenswert in Höhe des entsprechenden Geldwertes für den Rückkauf auszugehen
ist (Urteil vom 19. November 1993 - 8 A 278/92 -, FEVS 45, 58 und Urteil vom 6. Februar
1996 - 8 A 3537/93 -). Dieser Rechtsprechung hat sich das Bundesverwaltungsgericht
angeschlossen (Urteil vom 19. Dezember 1997 - 5 C 7.96 -, BVerwGE 106, 105 = FEVS
48, 145 = NJW 1998, 1879).
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Nach den von der Klägerin in ihrer Anhörung vom 3. August 1999 gemachten Angaben
belief sich der Rückkaufswert für die Lebensversicherung Nr. 0 am 1. März 1997 auf
16.450,38 DM, der Rückkaufswert zum gleichen Datum für die Lebensversicherung Nr.
0 auf 2.443,30 DM. Diese Werte hatten sich zum 1. Juli 1999 nach der von der Klägerin
am 18. Juni 1999 vorgelegten Auskunft der Lebensversicherung auf 17.700,65 DM bzw.
2.778,33 DM erhöht. Der Rückkaufswert der dritten Lebensversicherung mit der Nr. 0
betrug nach einer von der Klägerin am 12. März 1997 vorgelegten Auskunft der
Versicherung vom 17. Februar 1997 mindestens 1.848,83 DM. Dieser Wert hatte sich
laut Auskunft der Versicherung vom 11. Juni 1999 auf 2.092,83 DM erhöht. Während
des ersten Bewilligungszeitraumes von Januar 1997 bis Juni 1997 betrug der
Rückkaufswert aller drei Lebensversicherungen mindestens 20.742,51 DM. Am Ende
des zweiten Bewilligungszeitraumes zum 30. Juni 1999 hatten sich diese Werte
entsprechend den vorgenannten Auskünften der Klägerin und der
Lebensversicherungsgesellschaft entsprechend erhöht.
38
Die Bewilligung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt kommt nicht in Betracht, wenn
einzusetzendes Vermögen in einer den zeitabschnittsweisen, in der Regel monatlichen
Bedarf des Hilfesuchenden überschreitenden Höhe vorhanden ist, mit der rechtlichen
Folge, dass verwertbares, aber während des gesamten streitbefangenen Zeitraumes bis
zum Erlass des Widerspruchsbescheides tatsächlich nicht eingesetztes Vermögen in
jedem einzelnen Zeitabschnitt - das ist der jeweilige Bewilligungsmonat - von neuem zu
berücksichtigen ist (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1997 - 5 C 7.96 -, a. a. O. im
Anschluss an OVG NRW, Urteil vom 19. November 1993 - 8 A 278/92 -, a. a. O.; Urteil
vom 2. Mai 1994 - 8 A 3646/92 -, a. a. O. sowie Urteil vom 6. Februar 1996 - 8 A 3537/93
-). Da der Klägerin während beider Bewilligungszeiträume im Jahre 1997 bzw. in den
Jahren 1998 und 1999 jeden Monat der Rückkaufswert aller Lebensversicherungen in
Höhe von mindestens 20.742,51 DM zur Verfügung stand, war sie ohne weiteres in der
Lage, ihren monatlichen Bedarf an ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt aus eigenem
Vermögen zu decken, soweit ihr Einkommen nicht ausreichte, um ihren notwendigen
Lebensunterhalt sicherzustellen.
39
Allerdings darf die Gewährung von Sozialhilfe und damit auch von Hilfe zum
Lebensunterhalt nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung
von Vermögen, das gemäß § 88 Abs. 2 BSHG oder gemäß § 88 Abs. 3 BSHG dem so
genannten Schonvermögen zuzurechnen ist. Im vorliegenden Fall stand der Klägerin
jedoch in allen monatlichen Bedarfszeiträumen in den Jahren 1997 bzw. 1998 und 1999
auch unter Berücksichtigung der Schutzvorschriften des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG und
des § 88 Abs. 3 BSHG ein verwertbares Vermögen in Form des Rückkaufswertes der
drei Lebensversicherungen zur Verfügung, aus dem der bestehende monatliche Bedarf
an ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt monatlich gedeckt werden konnte.
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Der Beklagte hat bei seiner Entscheidung über die Rücknahme der Bescheide über die
Bewilligung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt die Schutzvorschrift des § 88 Abs.
2 Nr. 8 BSHG beachtet. Er ist zutreffend davon ausgegangen, dass das geschützte
Barvermögen gemäß § 88 Abs. 4 BSHG i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a der
Verordnung zu § 88 BSHG in der Fassung vom 11. Februar 1988, BGBl. I S. 150
monatlich lediglich 2.500 DM betragen hat. Dementsprechend ist die Klägerin auch
mehrfach von den Sachbearbeitern des Sozialamtes auf diese Vermögensfreigrenze
hingewiesen worden. Wenn dieser Freibetrag von dem im ersten Halbjahr 1997
vorhandenen Vermögen in Form des Rückkaufswertes aller Lebensversicherungen
abgezogen wird, verbleibt noch ein Betrag von mindestens 18.500 DM, der den
monatlichen Bedarf der Klägerin an ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt überstieg.
Da sich das Vermögen nach den von der Klägerin selbst vorgelegten Auskünften
während des streitgegenständlichen Zeitraumes bis zum Juni 1999 noch erhöht hat, ist
auch der einzusetzende Vermögenswert während des streitgegenständlichen
Zeitraumes im Juni 1999 ständig gestiegen und hat dementsprechend auch den Bedarf
der Klägerin an ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt bis zum Ende des streitigen
Zeitraumes im Juni 1999 ständig überstiegen.
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Der Einsatz des vorbeschriebenen monatlichen Betrages stellt auch keine Härte im
Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG dar. Der Inhalt des Begriffs der Härte ist zwar im Gesetz
nicht mehr beschrieben. Er kann jedoch durch Auslegung ermittelt werden. Dabei ist
namentlich auf die Systematik der gesetzlichen Regelung über Schonvermögen und
ihren Sinn und Zweck abzustellen. Die Vorschriften über das Schonvermögen sollen
gewährleisten, dass die Sozialhilfe nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der
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vorhandenen Lebensgrundlagen des Hilfesuchenden führt. Dem Sozialhilfeempfänger
und seinen Angehörigen soll ein gewisser Spielraum in der wirtschaftlichen
Bewegungsfreiheit erhalten bleiben. Überdies soll verhindert werden, dass die
Sozialhilfe, die lediglich eine vorübergehende Hilfe sein soll, den Willen des
Hilfesuchenden zur Selbsthilfe lähmt und zu einer nachhaltigen sozialen Herabstufung
führt. Das Ziel der Härtevorschrift des § 88 Abs. 3 BSHG ist kein anderes. Wenn der
Gesetzgeber eine Härtevorschrift einführt, so geschieht dies regelmäßig deshalb, weil er
mit den Regelvorschriften zwar den dem Gesetz zu Grunde liegenden typischen
Lebenssachverhalt gerecht werden kann, nicht aber atypischen Lebenssachverhalten.
Da die atypischen Fälle nicht mit den abstrakten Merkmalen der Gesetzessprache
hinreichend erfasst werden können, hat der Gesetzgeber neben dem Regeltatbestand
einen Ausnahmetatbestand gesetzt, der zwar hinsichtlich konkreter Einzelheiten
unbestimmt ist, jedoch bei einer sinngerechten Anwendung ein Ergebnis gestattet, das
dem Regelergebnis in seiner grundsätzlichen Zielsetzung gleichwertig ist. Hiernach
kommt es bei der Bestimmung des Begriffs der Härte darauf an, ob die Anwendung der
Regelvorschriften zu einem den Leitvorstellungen des § 88 Abs. 2 BSHG nicht
entsprechenden Ergebnis führen würde (BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1966 - 5 C
88.64 -, BVerwGE 23, 149 = FEVS 14, 81; Urteil vom 19. Dezember 1997 - 5 C 7.96 -, a.
a. O.; OVG NRW, Urteil vom 22. Juni 1989 - 8 A 329/87 -, FEVS 39, 29; Urteil vom 17.
Januar 2000 - 22 A 4447/95 -, a. a. O.).
Ferner muss bei der Auslegung berücksichtigt werden, dass es sich bei der Regelung
des § 88 Abs. 3 BSHG um eine Ausnahmevorschrift handelt, die als solche eng
auszulegen und einer erweiternden Interpretation nicht zugänglich ist (OVG NRW, Urteil
vom 17. Dezember 1993 - 8 A 400/91 - und Urteil vom 6. Februar 1996 - 8 A 3537/93 -).
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Hieran anknüpfend bedeutet der Einsatz des Rückkaufswertes einer
Lebensversicherung regelmäßig keine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG (BVerwG,
Urteil vom 19. Dezember 1997 - 5 C 7.96 - und OVG NRW, Urteil vom 19. November
1993 - 8 A 278/92 -, a. a. O. sowie Urteil vom 6. Februar 1996 - 8 A 3537/93 -). Diese
Regelung hat weder den Zweck, einen Hilfebedürftigen oder seinen Angehörigen die
(weitere) Vermögensbildung zu ermöglichen, noch den Zweck, von den Risiken dieser
Art der selbstgewählten Kapitalanlage freizustellen. Es gehört zu den allgemeinen
Lebensrisiken, für andere (spätere) Zwecke zurückgelegte Kapital vorzeitig und unter
Inkaufnahme eines Verlustes, der auch die Anwartschaft auf die Auszahlung der
Überschussbeteiligung nach Fälligkeit der Lebensversicherung umfasst, zur Deckung
eines Bedarfs einsetzen zu müssen. Das Risiko der Kapitalanlage einer
Lebensversicherung zu tragen, ist nicht Aufgabe der Sozialhilfe. Vielmehr entspricht es
der sich aus § 2 Abs. 1 BSHG ergebenden Verpflichtung, vorhandenes Vermögen zur
Selbsthilfe auch dann einzusetzen, wenn es nicht bestmöglich verwertet werden kann.
Eine andere Betrachtungsweise würde nicht nur dazu führen, dass auf Kosten der
Sozialhilfe Vermögen gebildet würde. § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG könnte darüber hinaus
weitgehend umgangen werden, weil beliebig hohe Vermögenswerte in neu
abgeschlossene Lebensversicherungsverträge eingezahlt werden könnten, aber nicht
zur Verwertung abgefordert werden müsste.
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Zudem ist zu berücksichtigen, dass der durch vorzeitige Verwertung einer
Lebensversicherung eintretende Verlust nicht einzig durch Saldierung von
Versicherungsbeiträgen und Rückkaufswerten ermittelt werden kann. Die
Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung können als
Vorsorgeaufwendungen vom steuerpflichtigen Einkommen in den vom Gesetz
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bestimmten Grenzen abgesetzt werden und daher im vorbezeichneten Umfang zu einer
Steuerentlastung führen. Ferner hat der Versicherungsnehmer den geldwerten
Versicherungsschutz schon mit Versicherungsbeginn und sodann über die bisherige
Verfahrensdauer bis zur Kündigung über die volle Versicherungssumme erlangt. Es
begründet auch keine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG, dass der
Rückkaufswert niedriger ist als die Einzahlungen (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember
1997 - 5 C 7.96 -, a. a. O.). Es kann deshalb im Falle der Klägerin nicht als Härte
angesehen werden, dass nach der von der Versicherungsgesellschaft gegebenen
Auskunft vom 11. Juni 1999 bei zwei Lebensversicherungen die Einzahlungen höher
sind als die Rückkaufswerte. Für die Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes in
den beiden streitgegenständlichen Zeiträumen hätte es im Übrigen auch ausgereicht,
den Rückkaufswert der Versicherung mit der Nr. 0 einzusetzen. In diesem Fall waren im
Juni 1999 lediglich 10.462,40 DM eingezahlt worden, während der Rückkaufswert zum
1. Juli 1999 17.700,65 DM betrug.
Die von der Klägerin abgeschlossenen drei Lebensversicherungen waren schließlich
auch nicht erforderlich, um eine angemessene Lebensführung zu gewährleisten oder
eine angemessene Alterssicherung aufrecht zu erhalten (§ 88 Abs. 3 Satz 2 BSHG).
Diese Regelung gilt zunächst und in erster Linie dann, wenn es um die Bewilligung von
Hilfe in besonderen Lebenslagen geht, während im vorliegenden Fall lediglich die
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt im Streit steht. Entscheidend ist jedoch in diesem
Zusammenhang, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Klägerin auf
Beträge aus ihren drei Lebensversicherungen angewiesen ist, um ihren notwendigen
Lebensunterhalt im Alter sicherzustellen. Die Klägerin hat im Klageverfahren eine
Auskunft der Landesversicherungsanstalt Westfalen vorgelegt. Darin wird der Klägerin
bescheinigt, dass ihre Altersrente 1.043,57 DM betragen wird. Dieser Betrag reicht nach
dem heutigen Stand aus, um den notwendigen Lebensunterhalt unter Berücksichtigung
angemessener Kosten der Unterkunft und der Bewilligung von Wohngeld mit Eintritt der
Klägerin in den Ruhestand zu gewährleisten.
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Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Vorbringen der
Klägerin, die drei Lebensversicherungen dienten ihrer Altersversorgung, nicht durch
ausreichende Tatsachen gestützt wird. Der Schutz der Härtevorschrift des § 88 Abs. 3
Satz 2 BSHG kommt nur demjenigen zu Gute, der sein Vermögen auch nachweisbar für
den Zweck der Alterssicherung verwendet. Bloße Absichten oder unverbindliche
Erklärungen in Bezug auf die Verwendung der Lebensversicherung zum Zwecke der
Alterssicherung können dagegen nicht ohne weiteres zur Herausnahme eines Teiles
des zu verwertenden Vermögens führen (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1997 - 5 C
7.96 -, a. a. O. im Anschluss an das Urteil vom 21. Oktober 1970 - 5 C 33.70 -, Buchholz,
Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
Gliederungsnr. 436.0, § 88 Nr. 3, S. 10). Die Klägerin hat nicht substantiiert dargelegt,
dass die von ihr abgeschlossenen Lebensversicherungen tatsächlich dafür vorgesehen
waren, ihren Lebensunterhalt im Alter zu sichern, denn es war nach den von der
Klägerin selbst vorgelegten Unterlagen und Auskünften ohne weiteres möglich, die drei
Lebensversicherungen jederzeit vor Eintritt in den Ruhestand anderweitig zu verwerten.
Dies war der Klägerin auch zuzumuten, soweit es um den hier streitigen Bedarf an Hilfe
zum Lebensunterhalt geht.
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Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender
Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den
Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem
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öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist gemäß §
45 Abs. 2 Satz 2 SGB X in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte
Leistungen verbraucht hat oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht
mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen
kann sich der Begünstigte allerdings gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht
berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich
oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht
hat. Diese Voraussetzungen sind hier entgegen der Ansicht der Klägerin gegeben. Sie
hat bezüglich beider streitiger Bewilligungszeiträume aus 1997 bzw. aus 1998 und 1999
unvollständige Angaben über ihr Vermögen gemacht. Ihr Vorbringen, dass sie
anlässlich der Antragstellung Anfang 1997 alle Lebensversicherungsverträge vorgelegt
habe und aus von ihr nicht zu vertretenen Umständen die Kopie nur eines
Lebensversicherungsvertrages in die Akten gekommen sei, wird durch die vom
Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge widerlegt. Die Angaben über Ansprüche
aus Sterbe- und Lebensversicherung im Grundantrag vom 10. Januar 1997 lassen aus
Sicht des Sozialamtes nur den Schluss zu, dass lediglich eine Lebensversicherung
bestanden hat. In ihrer zeitgleich abgegebenen Erklärung über ihr Vermögen hat die
Klägerin angegeben, dass sie über eine Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert
von ca. 2.000 DM verfüge. Anlässlich ihrer Vorsprache vom 12. März 1997 hat sie
mitgeteilt, dass sie den Rückkaufswert der Lebensversicherung vorlege. Zugleich hat
sie eine Auskunft der Versicherungsgesellschaft vom 17. Februar 1997 über die
Versicherung Nr. 0 mit einem Rückkaufswert von 1.848,83 DM vorgelegt. Zu Beginn des
zweiten Bewilligungszeitraumes im April 1998 hat die Klägerin anlässlich einer
Vorsprache vom 27. April 1998 Schreiben der Versicherungsgesellschaft über zwei -
nicht drei - Lebensversicherungen vorgelegt. In diesen Schreiben war allerdings der
Rückkaufswert nicht angegeben. In ihrer Erklärung über ihre Einkommens- und
Vermögensverhältnisse vom 12. April 1999 hat die Klägerin wiederum nur die
Lebensversicherung Nr. 0 angeführt und sie mit dem Zusatz der Beitragsfreiheit
versehen. Erst auf die Erinnerung des Sozialamtes anlässlich einer Vorsprache vom 3.
Mai 1999 hat die Klägerin erstmals am 18. Juni 1999 offen gelegt, dass sie über drei
Lebensversicherungen verfügte. Bei diesem Ablauf der Ereignisse ist es
ausgeschlossen, dass die Klägerin schon anlässlich der Vorsprache beim Sozialamt
Anfang 1997 Unterlagen über alle drei Lebensversicherungen vorgelegt hat.
Die unvollständigen Angaben der Klägerin in der Zeit von Januar 1997 bis Juni 1999
beruhen auf grober Fahrlässigkeit. Grobe Fahrlässigkeit liegt gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3
Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in
besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies trifft bei der Klägerin zu. Anlässlich ihrer
ersten Antragstellung im Januar 1997 hat die Klägerin versichert, dass ihre Angaben
vollständig und wahr sind. Ihr ist mitgeteilt worden, dass sie verpflichtet ist, unverzüglich
und unaufgefordert Änderungen in ihren Verhältnissen mitzuteilen, insbesondere in
ihren Vermögensverhältnissen. Ihr ist außerdem mitgeteilt worden, dass sie wegen
unvollständiger oder unwahrer Angaben strafrechtlich verfolgt werden könne. Auch ist
die Klägerin mehrfach auf den Vermögensfreibetrag von 2.500 DM hingewiesen
worden. Bei dieser Sachlage beruhen die unrichtigen Angaben der Klägerin auf einer
besonders schweren Pflichtverletzung, auch wenn berücksichtigt wird, dass die Klägerin
lediglich die Hauptschule besucht und anschließend als Raumpflegerin gearbeitet hat.
Die schriftlichen und mündlichen Hinweise des Sozialamtes waren so eindeutig, dass
der Klägerin klar sein musste, dass alle Lebensversicherungen anzugeben waren.
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Vertrauensschutz genießt die Klägerin auch nicht mit Rücksicht darauf, dass dem
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Sozialamt seit der Vorsprache vom 27. April 1998 bekannt war, dass nicht nur eine,
sondern mindestens zwei Lebensversicherungen abgeschlossen worden waren. Diese
Angaben über zwei Lebensversicherungen enthielten keine Zahlen über die
Rückkaufswerte und waren deshalb für das Sozialamt keine ausreichende Grundlage,
um über die Weiterbewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt zu entscheiden. Vielmehr
musste die Klägerin weitere Angaben machen, die sie erst am 18. Juni 1999 getätigt hat.
Die Klägerin konnte sich auf der Grundlage ihrer Mitteilungen vom 27. April 1998 nicht
darauf verlassen, dass dem Sozialamt der gesamte Sachverhalt bekannt war, und
darauf vertrauen, dass keine weiteren Angaben über ihr Vermögen erforderlich waren.
Auch die besonderen Voraussetzungen des § 45 Abs. 4 SGB X für die Rücknahme mit
Wirkung für die Vergangenheit liegen vor. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X sieht vor, dass in
den Fällen von Abs. 2 Satz 3 SGB X der Verwaltungsakt mit Wirkung für die
Vergangenheit zurückgenommen werden kann. Dieser Fall liegt hier vor. Darüber
hinaus bestimmt § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, dass die Behörde dies innerhalb eines
Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun muss, welche die Rücknahme eines
rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Auch dies trifft hier zu. Dem Sozialamt des Beklagten war frühestens nach Vorlage der
Auskünfte der Versicherungsgesellschaft am 18. Juni 1999 bekannt, dass die Klägerin
drei Lebensversicherungen mit entsprechenden Rückkaufswerten abgeschlossen hatte.
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Wenn - wie hier - die Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen
begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen, entscheidet die zuständige Behörde nach
pflichtgemäßem Ermessen, ob sie den Verwaltungsakt zurücknimmt oder nicht (§ 45
Abs. 1 SGB X). Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu
handeln, prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem
Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114
Satz 1 VwGO). Der Beklagte hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage
maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober
1999 sein Ermessen nicht überschritten. Er hat vielmehr von seinem Ermessen in einer
dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Die
Ermessensermächtigung des § 45 Abs. 1 SGB X verfolgt bei der Rücknahme der
Bewilligung von Sozialhilfe den Zweck, den in § 2 Abs. 1 BSHG geregelten Nachrang
der Sozialhilfe zu gewährleisten (BVerwG, Urteil vom 17. August 1995 - 5 C 26.93 -,
BVerwGE 99, 114 = FEVS 46, 265).
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Hieran anknüpfend hat der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober
1999 sein Ermessen erkannt und unter Berücksichtigung der vorgenannten
Ermessensermächtigung in rechtlich nicht zu beanstandener Weise ausgeübt, weil die
Klägerin keine Gesichtspunkte vorgetragen hat, die es hätten rechtfertigen können, von
der Rücknahme der in den Jahren 1997 bis 1999 erlassenen Bewilligungsbescheide
abzusehen.
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Soweit es um die Bewilligung des pauschalierten Wohngeldes geht, gelten die
vorstehenden Ausführungen entsprechend. Rechtsgrundlage für die Rücknahme ist
insoweit ebenfalls § 45 SGB X.
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Rechtsgrundlage für die Erstattung des Betrages in Höhe von 9.665,40 DM ist § 50 Abs.
1 Satz 1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein
Verwaltungsakt - wie hier - aufgehoben worden ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 188 Satz 2, 154 Abs. 1 VwGO, ihre vorläufige
Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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