Urteil des VG Münster vom 20.07.2006

VG Münster: bundesamt für migration, auskunft, politische verfolgung, persönliche freiheit, europäische union, staatliche verfolgung, ausreise, zugehörigkeit, anhörung, gefahr

Verwaltungsgericht Münster, 3 K 1748/04.A
Datum:
20.07.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 1748/04.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d
1
Die Kläger sind nach eigenem Vorbringen kurdische Volkszugehörige yezidischen
Glaubens mit der Heimat Türkei. Sie reisten am 7. März 2004 - nach eigenen Angaben
auf dem Luftweg - in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten die
Gewährung von Asyl. Zur Begründung legte der Kläger während der Anhörung vor dem
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - am 15. März 2004 dar, sie seien
wegen ihrer Religion unterdrückt worden. Er habe keinen Militärdienst geleistet und
wolle dies auch nicht. Die Soldaten hätten seine erste Ehefrau verschleppt, damit er sich
stelle. Da er dies nicht getan habe, sei seine erste Ehefrau verschwunden geblieben. In
letzter Zeit habe er sich nur noch in den Bergen in Höhlen versteckt. Die Moslems und
die Soldaten seien immer zusammen gekommen und hätten die yezidischen
Dorfbewohner belästigt. Zuletzt hätten sie sogar die Scheune in Brand gesetzt. Er selbst
sei im Dorf mehrfach geschlagen, aber nie festgenommen worden. Hätten sie ihn
erwischt, hätten sie ihn zwangsweise zum Militärdienst gebracht; dort wäre er schwer
misshandelt worden. Er praktiziere den yezidischen Glauben nur im Umfang der
Fastenregeln. Bei derselben Gelegenheit erklärte die Klägerin, sie seien wegen der
Religion gekommen; sie wollten den islamischen Glauben nicht annehmen. Die Felder
und das geerntete Heu seien in Brand gesetzt worden. Ihr Mann sei unterdrückt worden;
er habe sich zuletzt in den Bergen aufhalten müssen; sie habe ihm das Essen dorthin
gebracht. Wenn sie, die Klägerin, im Hof gewesen sei, sei sie von Nachbarinnen
bespuckt und geschlagen worden; die Nachbarinnen seien muslimischen Glaubens
gewesen. Sie hätte das Haus nur in der Dunkelheit verlassen. Sie habe gefastet,
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gebetet und die yezidischen Glaubenssymbole geachtet.
Das Bundesamt lehnte den Asylantrag der Kläger durch Bescheid vom 17. Mai 2004 ab,
stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen, forderte die Kläger zur
Ausreise auf und drohte die Abschiebung an.
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Am 29. Mai 2004 haben die Kläger Klage erhoben. Im Näheren wird auf das Protokoll
der mündlichen Verhandlung vom heutigen Tag verwiesen.
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Die Kläger beantragen,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 17. Mai 2004 zu
verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, dass die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise Abschiebungshindernisse
gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Kläger entgegen und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Asylakte des Bundesamtes sowie auf die in das
Verfahren eingeführten Gutachten, Auskünfte, Stellungnahmen und Presseberichte
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Den Klägern
steht ein Anspruch auf Gewährung von Asyl im Sinn des § 13 AsylVfG i. V. m. Art. 16 a
GG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu. Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2
bis 7 AufenthG sind nicht ersichtlich; die in dem angefochtenen Bescheid enthaltenen
aufenthaltsbeendenden Maßnahmen erweisen sich als rechtmäßig, § 113 Abs. 5 Satz 1,
Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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I. Den Klägern stehen materielle Asylgründe im Sinn des Art. 16 a GG bzw. § 60 Abs. 1
AufenthG nicht zu,
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vgl. zu den Voraussetzungen im Einzelnen: BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2
BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 333.
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Die Kläger haben nach Überzeugung des Gerichts in der Heimat keine Verfolgung
erlitten, die an ihre politische Überzeugung, an ihre religiöse Grundentscheidung oder
an andere für sie unverfügbare Merkmale, die ihr Anderssein prägen, angeknüpft und
sie in ihrer Intensität aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit
ausgegrenzt hat. Zwar genügt es für die Überzeugungsbildung des Gerichts (§ 108
VwGO) insoweit, wenn die Vorgänge im Herkunftsland, aus denen die Verfolgungsfurcht
abgeleitet wird, glaubhaft gemacht werden. Die Glaubhaftmachung setzt indes eine
schlüssige, nachprüfbare Darlegung der in die Sphäre des Asylsuchenden fallenden
Ereignisse, insbesondere der persönlichen Erlebnisse voraus, mithin eine in sich
stimmige Schilderung, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu
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tragen. Eine derartige Überzeugung konnten die Kläger dem Gericht nicht vermitteln.
1. Eine Vorverfolgung aus politischen Gründen hat es nach eigenem Vortrag der Kläger
nicht gegeben; sie sind politisch weder tätig noch auffällig geworden. Die Furcht des
Klägers, wegen Wehrdienstentziehung belangt zu werden, stellt - mit Blick auf das
Herkunftsland Türkei - keinen asylrechtlich anerkennungsfähigen Beweggrund dar. Dies
entspricht einhelliger Auffassung; zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das
Gericht auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen
Verwaltungsaktes (Seite 6 Mitte bis Seite 7 oben), denen es ausdrücklich folgt, § 77
Abs. 2 AsylVfG. Ereignisse, die auf eine individuelle Vorverfolgung wegen
Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Yeziden schließen lassen könnten, sind
ebenfalls nicht ersichtlich. Die Kläger haben sich zwar bereits während der Anhörung
beim Bundesamt am 15. März 2004 darum bemüht, solche Ereignisse zu kennzeichnen.
Der Vortrag ist jedoch ohne Substanz geblieben. So konnte die Klägerin trotz
vertiefender Befragung nicht schlüssig schildern, in welchen räumlichen
Zusammenhängen es zu Kontakten mit muslimisch-gläubigen Nachbarn gekommen ist,
die sie als persönlich nachteilig empfinden musste. Auf Vorhalt hatte sie sich letztlich
dahin eingelassen, sie habe das Haus nur in der Dunkelheit verlassen, und dem
deutlich vorausgeschickt, sie habe sich persönlich nicht unterdrückt gefühlt. Der Kläger
hat persönliche Nachteile aus der Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Yeziden
ebenfalls nicht nachvollziehbar schildern können. Er hatte während der Anhörung beim
Bundesamt zu keinem Zeitpunkt deutlich unterscheiden können, aus welchem Anlass
eine Verfolgung stattgefunden haben sollte, die nicht auf die Wehrdienstverweigerung
zurückzuführen und nicht durch Soldaten durchgeführt worden sein sollte. Letztlich
haben beide Kläger den Aufenthalt in den Bergen lediglich in der zeitlichen
Unbestimmtheit „in letzter Zeit" gleichbleibend, ansonsten aber abweichend geschildert:
Die Klägerin hat lediglich berichten können, dass sie in der Dunkelheit das Essen in die
Berge gebracht habe. Dies findet keinen schlüssigen Eingang in den Vortrag des
Klägers. Dieser ging - in der beim Bundesamt präsentierten Version - dahin, die Suche
nach ihm sei derart intensiv gewesen, dass er sich sogar in Höhlen habe verstecken
müssen. Wie die Klägerin in der Lage gewesen sein sollte, die jeweilige Höhle
aufzuspüren, zumal ohne selbst verfolgt worden zu sein, ist nicht nachvollziehbar.
Überdies sieht sich das Gericht nicht in der Lage, den Klägern die gesamte
Verfolgungsgeschichte, soweit darin Momente staatlicher Verfolgung oder sonstiger -
ggfs. staatlich geduldeter - Individualverfolgung durch Dritte aus Anlass der
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgruppe enthalten sein sollen, überhaupt als
wahr abzunehmen. Denn gerade in diesen Bezügen sowie in tatsächlichen Details, die
die Ausreise als durch bereits eingesetzte Verfolgungsnot kennzeichnen könnten,
weichen die Vorträge voneinander ab. So haben Kläger und Klägerin die Anzahl der
„yezidischen Häuser" im Heimatdorf unterschiedlich angegeben. Die Brandschatzung,
die durch die Muslime im Dorf veranlasst oder durchgeführt worden sein soll, betraf nach
Darstellung des Klägers die Scheune, nach Darstellung der Klägerin die Felder und das
Heu. Der Aufenthalt in J. soll abweichend vier bzw. drei Tage gedauert haben. Der
Ablauf der Aushändigung der Pässe durch den mitreisenden Schleuser wird - jedenfalls
für die Abläufe nach Verlassen des Flugzeuges - ebenfalls nicht übereinstimmend
dargestellt. Alles dies betrifft zwar lediglich Details. Damit werden die Unterscheidungen
aber nicht bedeutungslos. Denn angesichts der ersichtlich geringen intellektuellen
Befähigung beider Kläger wäre gerade in Bezug auf diese Einzelheiten eine ungetrübte
Wahrnehmung und Vermittlung zu erwarten gewesen, um Hintergründe und Geschehen
als wahrhaftig einstufen zu können.
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2. Der mündliche Vortrag der Kläger vom heutigen Tag hat weder die erforderliche,
bislang aber fehlende Substanz für die Annahme eines Schicksals der Vorverfolgung
erbracht noch die aufgezeigten Widersprüche aufgelöst. Vielmehr sieht sich das Gericht
im Ergebnis der mündlichen Verhandlung nach wie vor nicht in der Lage, den Klägern
das geschilderte Verfolgungsgeschehen als wahrhaftig abzunehmen. Ihre Erklärungen
sind - nach Maßgabe der eingangs geschilderten Kriterien der Glaubhaftmachung i. V.
m. § 108 VwGO - allenfalls in dem Umfang schlüssig, als sie behaupten, auf dem
Luftweg nach Deutschland gekommen zu sein. Der Reiseweg einschließlich der
Handhabung der Reisepässe ist insoweit jedenfalls nachvollziehbar geworden.
Ansonsten hat die heutige Anhörung erbracht, dass der Kläger sich in der letzten Zeit
bis zur Ausreise weder dauerhaft in den Bergen verstecken musste, um so eine Präsenz
im Dorf zu vermeiden, noch einen Unterschlupf in Höhlen suchen musste. Nach heutiger
Version hatte er sich bis zur konkreten Ausreise - seiner Berufstätigkeit gemäß - „auf den
Weiden bei den Tieren" aufgehalten, war sodann nach Hause gegangen und
zusammen mit der Klägerin nach J. abgereist. Weder im faktischen Bereich noch als
Ausdruck einer bestimmten Gefühlslage haben die Kläger vermitteln können, dass mit
diesen Vorgängen irgendeine Gefährdung verbunden gewesen wäre. Weitere
Ereignisse als Ursache der konkret vorgenommenen Ausreise haben die Kläger nicht
schildern können. Die als negativ empfundenen Kontakte mit muslimischen
Dorfbewohnern liegen nach eigenem Vortrag weit in der Vergangenheit oder sind derart
pauschal beschrieben worden, daß damit die objektive Kausalität für die konkret
vorgenommene Ausreise nicht glaubhaft gemacht werden konnte, diese Schilderungen
mithin nicht dazu beitragen konnten, das für die Klageansprüche maßgebliche
Verfolgungsgeschehen als Wahrheit erscheinen zu lassen. Schließlich musste der
Vortrag der Kläger über den Abschluss ihrer Reise - in der Phase vom Verschwinden
des Schleppers bis zur Antragstellung beim Bundesamt in Dortmund - als weiterer -
misslungener - Versuch gewertet werden, das Gericht irrezuführen. Bereits den Kontakt
mit dem Kurden im oder unmittelbar vor dem Flughafengebäude konnten sie nicht
stimmig schildern. Nach eigenem Vortrag hatten sie den Kontakt zu dieser Person selbst
aufgenommen, weil sie sich verlassen fühlten. Als lebensfremd - und auf Nachfrage von
den Klägern nicht näher erläutert - muss es sodann gelten, dass diese Person nicht nur
in den asylverfahrensrechtlichen Notwendigkeiten sich auskannte, sondern auch ohne
Weiteres bereit war, die Kläger zur zuständigen Behörde nach E. zu fahren. Ungeachtet
dessen muss das Gericht von der Unwahrheit des betreffenden Vorgangs ausgehen,
weil die Kläger nunmehr behaupten, sie hätten sich gar nicht drei Tage in E.
aufgehalten. Angesichts des nicht strittigen Datums der Einreise am 7. März 2004 sowie
ausweislich des durch Unterzeichnung der Kläger bestätigten Inhalts der
Verwaltungsvorgänge müssen sie indes im Verlauf des 7. März 2004 in E. angekommen
sein, haben sich am 8. März 2004 dort als Asylsuchende gemeldet und ist ihr förmlicher
Antrag am 10. März 2004 ebenfalls in E. aufgenommen worden. Welche Motive die
Ausreise der Kläger veranlasst haben und welche Kontakte nach der Einreise in
Deutschland für sie im Vordergrund standen und sodann dazu führten, sogar die
Abläufe in E. in ihrer Erinnerung zu überlagern, bedarf nicht der positiven Erkenntnis
des Gerichts; diese wahren Absichten der Einreise nehmen nicht an dem durch den
Klageantrag vorbestimmten und durch die eingangs geschilderten Normen umgrenzten
Streitgegenstand teil, soweit - wie hier - asylrechtliche Bezüge nicht einmal im Ansatz
glaubhaft gemacht werden konnten.
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II. Die Kläger können ihre materiellen Asylansprüche im Sinn des Art. 16 a GG bzw. § 60
Abs. 1 AufenthG im gegenwärtigen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (S. 77 Abs. 1
S. 1 AsylVfG) nicht auf eine sog. Gruppenverfolgung der Yeziden stützen.
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1. Dies gilt zunächst ungeachtet der geänderten Rechtsprechung des OVG NRW zu
einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei.
18
Vgl. hierzu das den Beteiligten bekannte Urteil vom 14. Februar 2006 - 15 A 2119/02.A -
.
19
Denn die Annahme einer Gruppenverfolgung konnte auch nach der bisherigen
Rechtsprechung allein für Yeziden aus den angestammten Siedlungsgebieten
durchgreifen, die ihren Glauben auch praktizierten. Nur Yeziden mit einer erkennbar
religiösen Bindung sind bzw. waren in der Südosttürkei einem Klima allgemeiner
religiöser und gesellschaftlicher Verachtung und - damit einhergehend - einer Vielzahl
von Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, die in Relation zu der Anzahl der noch in ihren
Siedlungsgebieten verbliebenen Yeziden für jedes Mitglied dieser Bevölkerungsgruppe
die Gefahr begründete, jederzeit zum Ziel und Opfer religiös motivierter
Rechtsverletzung werden zu können, ohne dass der türkische Staat bereit (gewesen)
wäre, die ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel zum Schutz der Yeziden
einzusetzen. Dabei hatten lediglich die Anforderungen des Gerichts zur Aufklärung der
Glaubensgebundenheit im Einzelfall, nämlich der ernsthaften Glaubenspraxis des
einzelnen Yeziden, eine Relativierung erfahren - dies aus der Einsicht, dass es kein für
alle Yeziden unterschiedslos und gleichermaßen gültiges Mindestwissen im Sinn eines
katalogartig abfragbaren Glaubensinhaltes gebe, desweiteren keinen einheitlichen
Kanon von Glaubenssätzen und Verhaltensweisen, der für alle Yeziden gleichermaßen
verbindlich wäre und in dieser Weise die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft
sicher kennzeichnen könnte.
20
Vgl. zu diesen Voraussetzungen in den aktuellen Ausprägungen der Rechtsprechung
des 8. Senates des OVG NRW: Urteil vom 23. Juli 2003 - 8 A 3920/02.A -; ferner Urteile
des erkennenden Gerichts vom 12. Februar 2004 - 3 K 758/01.A - und vom 19.
November 2004 - 3 K 2033/02.A -.
21
Diese Modifizierung enthebt jedoch nicht von der Erkenntnis, dass Asyl- und
Abschiebungsschutz einem nicht praktizierenden Yeziden auch unter dem
Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung nicht zukommt. Um eine für die gesetzliche
Anerkennung ausreichende Glaubenspraxis glaubhaft machen zu können, ist zumindest
eine Schilderung zu verlangen, die die grundlegende Kenntnis dessen, was es zu
praktizieren gilt, widerspiegelt, also - in den Grundlagen - Kenntnisse zum yezidischen
Glaubensinhalt und zu seinen Bräuchen - Gebete, Fasten, Anbetung des Melek Taus
und zur yezidischen „Taufe". Vor allem aber muss der/die jeweilige Kläger/in das
Bewusstsein erkennen lassen, einen unverrückbaren Platz in einer Gesellschaft zu
haben, die hierarchisch strukturiert ist und von engen persönlichen und funktionalen
Verflechtungen zwischen Geistlichen verschiedener Kasten und Laien geprägt wird.
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Siehe hierzu vor allem Urteil des OVG NRW vom 23. Juli 2003, a.a.O.
23
Dies vorausgesetzt haben die Kläger bereits vor dem Bundesamt nicht glaubhaft
machen können, zum Kreis der glaubensgebundenen Yeziden zu gehören. Dies ergibt
sich nicht nur aus der unzweideutig verneinenden Antwort des Klägers, sondern auch
daraus, dass beide Kläger eine positive Handlungsweise nachvollziehbar lediglich mit
dem Einhalten der Fastenregeln umschrieben haben. Angesichts der den sonstigen
Äußerungen zu entnehmenden absoluten Ausrichtung an der Familie des Onkels bzw.
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der Eltern kann dies allein allerdings nicht als Ausdruck persönlicher Glaubensbindung
bewertet werden. Wenn die Klägerin während der Anhörung beim Bundesamt das
heilige Brot bei sich geführt hat, so drückt dies ebenfalls keine genügende eigene
Glaubenspraxis aus, sondern zuvörderst eine entsprechende Bindung und Fürsorge
ihrer Mutter, die dieses Brot zum Abschied gebacken hat. Die sonstigen Äußerungen
der Kläger zu Merkmalen der yezidischen Religion haben einige Missverständnisse
offenbart. Diese zeigten sich zunächst in der Gleichsetzung von Gott und Melek Taus
durch den Kläger, ferner darin, dass die Klägerin auf entsprechende Frage des
Einzelentscheiders nicht auf die Kügelchen vom Grab Scheich Adis zu sprechen kam,
sondern ein Stück des von der Mutter gebackenen Brotes vorzeigte. Das auf ihre
Glaubensbindung bezogene Vorbringen der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom
heutigen Tag hat dieses Bild bestätigt. Das Gericht konnte in der Gesamtbewertung des
Vortrages und des Verhaltens in der mündlichen Verhandlung nicht erkennen, dass
ihnen das Bewusstsein eigen ist, in einer hierarchisch und von engen persönlichen und
funktionalen Verflechtungen zu höherrangigen Kasten geprägten Gesellschaft einen
unverrückbaren Platz inne zu haben und in diesen Strukturen einen Glaubensinhalt zu
sichern. So antworteten die Kläger bereits zögerlich auf die Frage, welche Zeremonien
die Zusammengehörigkeit der Yeziden prägten. Sie zählten - wie bereits beim
Bundesamt - katalogartig und damit plakativ einige Stichpunkte auf. Erst auf Nachfrage
folgte die Einsicht, dass nicht nur die Geburt, sondern auch das spätere Ritual der
Haarbeschneidung die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft bedingt, während die
für die Existenz der Yeziden- Gemeinden und die beim Tod außerordentlich wichtige
Funktion des Bruders bzw. der Schwester in der anderen Welt (sog. Jenseitsbruder bzw.
-schwester) den Klägern ganz offensichtlich nicht geläufig ist. Auch die vom Gericht
angesprochene Unterscheidung von heiligem Brot und Bayrat konnten die Kläger erst
auf Nachfrage und nach interner Abklärung schildern. Damit bestätigte sich, dass die
Kläger nur insoweit ihren Glauben praktizieren, als ihr Umfeld (Familie in der Heimat
bzw. jetzige Kontaktpersonen) dazu Anlaß gibt, dass sie diesen Glauben aber nicht als
persönliche Bindung erleben, aus der die Notwendigkeit ständiger Ausübung resultiert.
Dieser Gegenschluss wird sehr anschaulich dokumentiert durch die Angabe des
Klägers, er habe am Morgen der mündlichen Verhandlung gebetet; in der Heimat sei er
ständig unterwegs gewesen und habe viele Dinge nicht machen können; hier gebe es
hingegen viele Yeziden. Denn bei den Tieren auf den Weiden hätte er - entsprechende
Bindung vorausgesetzt - sicherlich die beste Möglichkeit zum Gebet gehabt; hierfür hätte
es nicht der vielen Yeziden bedurft, die er in Deutschland angetroffen hat.
2. Selbst als glaubensgebundene und praktizierende, jedoch - wie gezeigt - nicht
vorverfolgt ausgereiste Yeziden hätten die Kläger für den Fall der Rückkehr in die
Heimat keine asylrelevanten Rechtsverletzungen zu befürchten. Denn im
gegenwärtigen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG
droht ihnen keine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu ihrer yezidischen
Glaubensgemeinschaft.
25
Vgl. zu den Voraussetzungen der sog. Gruppenverfolgung OVG NRW, Urteil vom 14.
Februar 2006 - 15 A 2119/02.A -, juris MWRE 206012848 mit umfassenden Hinweisen
zur Rechtsprechung des BVerfG und BVerwG.
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a. Die Voraussetzungen, die die Rechtsprechung veranlasst haben, eine mittelbare
staatliche Gruppenverfolgung der ihren Glauben praktizierenden Yeziden in ihren
angestammten Siedlungsgebieten anzunehmen, sind entfallen. Auf Grund der nunmehr
verfügbaren Erkenntnisse über eine nahezu fünf Jahre anhaltende Entwicklung in den
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angestammten Siedlungsgebieten der Yeziden im Südosten der Türkei ist weder von
einer anhaltenden - im sachlichen sowie zeitlichen Umfang - intensiven Verfolgung der
Yeziden durch die muslimische Mehrheitsbevölkerung noch von einer fehlenden
Bereitschaft des türkischen Staates zur Gewährung des erforderlichen Schutzes
auszugehen.
Vgl. hierzu Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3. Februar 2004 an das VG
Braunschweig sowie vom 20. Januar 2006 an das OVG Sachsen-Anhalt; Bericht des
Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom
11. November 2005, Seite 8, 20, 21; Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland Ankara an das BAMF vom 26. Oktober 2005; Auskunft des Yezidischen
Forums e. V. vom 3. Februar 2006 an Rechtsanwalt Walliczek.
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Das OVG NRW, a.a.O., Rdn. 80-110, hat im Wesentlichen die diesen Quellen zu
entnehmenden tatsächlichen Entwicklungen sowie den gegenwärtig erreichten
tatsächlichen Zustand zum Anlass genommen, die Rechtsprechung zur sog.
Gruppenverfolgung der Yeziden abzuändern und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
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Derzeit hat sich die Situation der Yeziden im Vergleich zu den Jahren zwischen 1980
und 2000 beruhigt. Nach der aktuellen Erkenntnislage sind in den letzten Jahren
allenfalls vereinzelte religiös motivierte Verfolgungsmaßnahmen gegen in der Türkei
verbliebene Yeziden festzustellen.
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Nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes sind in den traditionellen
Siedlungsgebieten der Yeziden im Südosten der Türkei seit mehreren Jahren keine
religiös motivierten Übergriffe von Moslems gegen Yeziden bekannt geworden. Diese
Angaben stützen sich u.a. auf Befragungen einzelner Yeziden im Südosten der Türkei:
So hat ein am 27. Juli 2003 durchgeführter Besuch von Vertretern der Deutschen
Botschaft in Ankara in einem Dorf in der Provinz Batman bei einem Gespräch mit aus
Deutschland zurückgekehrten Yeziden ergeben, dass es dort seit der Rückkehr keine
Schwierigkeiten mit den in den Nachbardörfern lebenden Moslems gegeben hat. Nach
der vorgenannten Auskunft hat des Weiteren ein "maßgeblicher Yezidenführer" in
Besiri/Batman Vertretern der Deutschen Botschaft erklärt, in der Region um Batman
gebe es noch ca. 17 bis 18 Yezidendörfer, bei denen es sich sowohl um Dörfer mit
reiner Yezidenbevölkerung als auch um Dörfer mit gemischt muslimisch-yezidischer
Bevölkerung handele. In den letzten Jahren habe sich das Verhältnis zwischen den
Religionsgruppen erheblich verbessert. In den Kreisen Besiri, Batman und Bismil - nach
der oben zitierten Auskunft des Yezidischen Forums e.V. vom 30. Oktober 2005 waren
am Stichtag 15.1.2005 immerhin knapp 30 % (102) aller Yeziden im Kreis Besiri
wohnhaft - habe es in jüngerer Zeit keine Übergriffe gegen Yeziden gegeben.
Gleichlautend hat der Dorfvorsteher des Yezidendorfs Burc/Kreis Viransehir/Provinz
Sanliurfa - im Kreis Viransehir waren nach der genannten Auskunft ca. 50 % aller
Yeziden wohnhaft - am 22. Juli 2003 gegenüber Vertretern der Deutschen Botschaft
angegeben, eine Vertreibung der in dieser Region lebenden Yeziden bzw. Übergriffe
seitens muslimischer Dorfbewohner habe es nicht gegeben. Es gebe auch keine
Schwierigkeiten mit muslimischen Nachbarn. Es besteht kein Grund daran zu zweifeln,
dass die in den vorgenannten Auskünften des Auswärtigen Amtes erwähnten
Erklärungen von in der Türkei lebenden Yeziden in der zitierten Form abgegeben
worden sind , zumal das Auswärtige Amt die Situation der Yeziden in der Vergangenheit
durchaus kritisch gesehen und eine asylerhebliche Gruppenverfolgung der Yeziden
angenommen hat. Ebenso wenig besteht Anlass zu der Annahme, die zitierten
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Erklärungen seien inhaltlich unzutreffend. Soweit in der zitierten Auskunft des
Auswärtigen Amtes vom 3. Februar 2004 von einem "maßgeblichen Yezidenführer" die
Rede ist, handelt es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um eine
Bewertung der Bedeutung der Person innerhalb der Gruppe der Yeziden durch das
Bundesamt. Deshalb war der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag,
mit dem die Funktion als "maßgeblicher Yezidenführer" in Zweifel gezogen wird,
abzulehnen, zumal der Senat unterstellt, dass es keine "amtlichen" Sprecher oder
Vertreter innerhalb der Yezidischen Religionsgemeinschaft gibt. Bedenken gegen die
inhaltliche Richtigkeit der Erklärungen des "maßgeblichen Yezidenführers" werden
hierdurch aber nicht begründet. Sie ergeben sich auch nicht aus der Auskunft des
Yezidischen Forums vom 3. Februar 2006 an Rechtsanwalt Walliczek, wonach es in
letzter Zeit mehrfach Übergriffe auf Yeziden gegeben haben soll. Von diesen Übergriffen
werden lediglich vier nach Ort, Zeit und den betroffenen Personen näher konkretisiert.
Im Übrigen wird pauschal - ohne irgendwelche weiteren Einzelheiten - auf weitere Fälle
vergleichbarer Art Bezug genommen, denen nachgegangen werde. Drei der näher
konkretisierten Übergriffe sollen sich 2004, Anfang 2005 und im Oktober 2005 ereignet
haben, also nach dem Zeitpunkt, zu dem die vom Auswärtigen Amt zitierten Yeziden
ihre Erklärungen abgegeben haben. Lediglich der vierte Übergriff soll bereits vorher,
nämlich 2002 stattgefunden haben. Er wird aber in Zusammenhang mit der Stadt
Nusaybin gebracht, auf die sich die Erklärungen der vom Auswärtigen Amt zitierten
Yeziden nicht beziehen. Der Senat kann für das vorliegende Verfahren unterstellen,
dass die vier konkretisierten Vorfälle stattgefunden haben, denn diese Vorfälle sind nicht
entscheidungserheblich. Auch wenn sie asylrelevant sein sollten, wofür bislang keine
Anhaltspunkte bestehen, lägen jedenfalls keine so dicht und eng gestreuten
Verfolgungsschläge vor, dass für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet wäre, in
eigener Person Opfer der Übergriffe zu werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der
gravierendste Vorfall, der Mord an den Angehörigen der Sheikkaste Sheredin Sancar
und seiner schwangeren Ehefrau, im März 2002 erfolgt sein soll und damit fast vier
Jahre zurückliegt. Für die Bewertung der derzeitigen Gefährdungssituation der
Gruppenangehörigen hat er deshalb nur relativ geringe Bedeutung. Es bleiben damit im
Wesentlichen drei Verfolgungsfälle aus den Jahren 2004 und 2005, wobei den
Verfolgten in einem Fall schwere Verletzungen zugefügt worden sein sollen, es in
einem weiteren Fall zur gewaltsamen Wegnahme der halben Ernte gekommen sein und
es im letzten Fall bei massiven Drohungen geblieben sein soll. Auch im Hinblick auf die
- unterstellte - relativ geringe Anzahl von 363 Gruppenangehörigen ist damit die für die
Annahme einer Gruppenverfolgung vorausgesetzte Verfolgungsdichte - ungeachtet der
Frage, inwieweit etwaige Verfolgungsschläge dem türkischen Staat überhaupt
zugerechnet werden können - ersichtlich nicht gegeben. Der Senat konnte deshalb den
in der mündlichen Verhandlung in Anknüpfung an die Beweisankündigungen im
Schriftsatz vom 3. Februar 2006 gestellten Beweisantrag der Klägerin mit der
Beweisbehauptung, es habe in den letzten drei Jahren in der Südosttürkei mindestens
neun schwerwiegende asylrelevante Übergriffe seitens der Moslems auf Yeziden aus
religiösen Gründen gegeben, ablehnen, weil die vorstehend abgehandelten vier Fälle
nicht entscheidungserheblich sind und es sich in den weitergehenden fünf Fällen um
einen Ausforschungsbeweisantrag handelte. Hierbei hat der Senat zu Gunsten der
Klägerin unterstellt, dass die angesprochenen neun Fälle die vier abgehandelten Fälle
einschließen, die in der Anlage zum Schriftsatz vom 3. Februar 2006 (Auskunft des
Yezidischen Forums vom 3. Februar 2006 an RA Walliczek) konkretisiert worden sind.
Wie oben ausgeführt fehlt es hinsichtlich der weiteren fünf Fälle an jeglichen
konkretisierenden Angaben und damit an tatsächlichen Grundlagen für die unter Beweis
gestellten Tatsachenbehauptungen. Für deren Wahrheitsgehalt sprach damit nicht
wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Dies galt um so mehr, als auch nach der
Auskunft des Yezidischen Forums bislang lediglich Hinweise vorliegen sollen, denen
weiter nachgegangen werde. Es kam hinzu, dass auch die vier näher konkretisierten
Fälle, mit denen die weiteren Fälle vergleichbar sein sollen, keine Asylrelevanz
erkennen ließen. Von daher lag hinsichtlich der fünf weiteren Fälle ein unzulässiger
Ausforschungsbeweis vor. Dem steht nicht entgegen, dass das Gericht bis 2003 von
einer Gruppenverfolgung der Yeziden in der Südosttürkei ausgegangen ist. Allein dieser
Umstand führt nicht dazu, dass für den Wahrheitsgehalt der pauschal auf die letzten drei
Jahre bezogenen Behauptung (weiterer) fünf asylrelevanter Übergriffe bereits eine zur
Beweiserhebung verpflichtende Wahrscheinlichkeit bestünde. Unterstellt der Senat die
oben genannten vier Vorfälle als asylrelevant, so wird dadurch die Aussagekraft der
oben zitierten Auskünfte des Auswärtigen Amtes, wonach in den letzten Jahren keine
religiös motivierten Übergriffe von Moslems gegen Yeziden bekannt geworden seien,
nicht in dem Sinne relativiert, dass den Auskünften keine Bedeutung mehr zukäme.
Vielmehr hat es im Hinblick auf die dem Auswärtigen Amt eröffneten
Erkenntnismöglichkeiten nach wie vor Gewicht, wenn diesem dementsprechende
Übergriffe nicht bekannt geworden sind. Von den vorliegenden Erkenntnissen
ausgehend ist es auszuschließen, dass auch in jüngerer Zeit gleichwohl asylerhebliche
Verfolgungsschläge von einer eine Gruppenverfolgung begründenden
Verfolgungsdichte gegen Yeziden erfolgt sein könnten und lediglich nicht bekannt
geworden wären. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Beobachtungstätigkeit
der zahlreichen in der Türkei tätigen Menschenrechtsorganisationen, die inzwischen
ungehindert arbeiten können und denen ein dementsprechendes
Verfolgungsgeschehen nicht verborgen geblieben sein könnte, zumal auch die
verschiedenen Organisationen der Yeziden im Ausland ein erhebliches Interesse an der
Veröffentlichung derartiger Vorfälle hätten. Es kommt hinzu, dass es sich bei den in der
Vergangenheit zu beobachtenden Übergriffen der muslimischen Mehrheitsbevölkerung
um öffentlich wahrnehmbare Gewaltakte gehandelt hat und keinerlei Anhaltspunkte
dafür bestehen, dass eine Verfolgung nunmehr im Verborgenen, unbemerkt von der
Öffentlichkeit stattfinden könnte. Hiergegen spricht auch, dass der türkische Staat
erkennbar bemüht ist, die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die Europäische
Union gerade auch in Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte zu erfüllen und in
Verfolgung dieses Zieles bereits eine Vielzahl von Verfassungs- und
Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht hat. Im Rahmen dieses Bestrebens sind
die türkischen Staatsorgane zunehmend bereit und in der Lage, verfolgte Minderheiten
und auch die Yeziden gegen Übergriffe Dritter zu schützen. Dies wird belegt durch
einen Rechtsstreit, der Ende 2001 vor dem erstinstanzlichen Zivilgericht Batman
anhängig war. Hierbei haben fünf Yeziden die Rückgabe ihrer Häuser erstritten, die
nach ihrem Wegzug von Moslems in Besitz genommen worden waren. Im Jahre 2004
hat die türkische Armee das von Dorfschützern besetzte yezidische Dorf Magara im
Landkreis Sirnak-Idil geräumt und den zurückgekehrten yezidischen Eigentümern
übergeben. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass der
Provinzgouverneur von Batman nach einem Bericht von CNN Türk Yeziden besucht hat,
die in das Dorf Kumgecit zurückgekehrt sind. Hierbei hat er den Yeziden Hilfe zugesagt
und dem Landrat von Besiri hierzu Anweisungen erteilt. Dieses allgemeine Klima der
deutlichen Entspannung der Situation der Yeziden in der Türkei wird schließlich
bestätigt dadurch, dass es in Besiri mittlerweile einen Yezidenverein gibt unter dem
Vorsitz eines früher in Deutschland lebenden Yeziden, der u.a. bei der Beerdigung von
im Ausland verstorbenen Yeziden Unterstützung leistet und auch rückkehrwilligen
Yeziden behilflich ist. Nach alledem ist nicht nur derzeit eine asylerhebliche
Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei zu verneinen, sondern es ist auch in
absehbarer Zeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer derartigen
Gruppenverfolgung zu rechnen. Ob die Situation sich ändern würde, wenn eine Vielzahl
von yezidischen Asylbewerbern in relativ kurzer Zeit in die Türkei zurückkehren sollte,
braucht der Senat derzeit nicht zu entscheiden, weil die Entscheidung gemäß § 77 Abs.
1 AsylVfG allein an der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung auszurichten ist. Die bloße Möglichkeit, dass sich die politischen
Verhältnisse in weiterer Zukunft verändern können und der Asylbewerber dann vielleicht
verfolgt wird, vermag einen Asylanspruch nicht zu begründen. Vgl. BVerwG, Urteil vom
27. April 1982, a.a.O.; S.-H. OVG, Urteil vom 29. September 2005, a.a.O.
Insoweit ändern auch zu beobachtende Tendenzen einer zunehmenden Islamisierung
derzeit nichts an der getroffenen Verfolgungsprognose. Die vorgenannten tatsächlichen
Feststellungen sind ausreichend, um die Gefahr politischer Verfolgung der Klägerin
zuverlässig einschätzen zu können, so das eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht
erforderlich war. Die Frage, ob einer bestimmten Gruppe von Menschen insbesondere
wegen ihres Volkstums, ihrer Rasse oder Religion politische Verfolgung droht, ist nicht
nur eine tatsächliche Feststellung, sondern zugleich auch das Ergebnis einer aufgrund
festgestellter Tatsachen erfolgten rechtlichen Würdigung. Die Bildung der dafür
notwendigen richterlichen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO setzt nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine ausreichende
Erforschung des Sachverhalts voraus. Was dabei die hier zur Rede stehende
Gefahrenprognose einer Gruppenverfolgung angeht, so verlangt ihre Erstellung wegen
der Vielzahl von Ungewissheiten über die asylrelevante Entwicklung in einem
ausländischen Staat eine sachgerechte, der jeweiligen Materie angemessene und
methodisch einwandfreie Erarbeitung ihrer tatsächlichen Grundlagen. Dazu gehört nach
übereinstimmender Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und
Bundesverwaltungsgericht, dass - soweit und solange es im Asylrecht keine speziellen
gesetzlichen Beweisregeln oder ein besonderes Beweisverfahren gibt - die
Tatsachengerichte bei der Feststellung vor allem von Wortlaut, Inhalt und praktischer
Handhabung ausländischer Strafvorschriften sowie bei der Feststellung sonstiger
genereller Tatsachen besondere Aufklärungspflichten haben, durch die sie gehalten
sind, alle möglichen und verfügbaren Erkenntnisquellen auszuschöpfen, um zu einer
verlässlichen Beurteilung der Frage einer möglichen Gruppenverfolgung zu kommen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 1990 - 9 C 91.89 -, BVerwGE 85, 92, 93 f. Hiervon
ausgehend brauchte der Senat keine weiteren Erkenntnisquellen zur Beurteilung der
Verfolgungsgefahr von Yeziden auszuschöpfen, insbesondere kein
Sachverständigengutachten einzuholen. Denn der Senat konnte seine Prognose auf der
Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel ausreichend bilden. Diese zahlreichen
Erkenntnismittel aus unterschiedlichen Quellen liefern ein aussagekräftiges und
homogenes Bild der Situation der Yeziden in der Türkei; dass die vorliegenden
Erkenntnisse fehlerhaft wären, ist nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des § 60 Abs.
1 AufenthG sind auch dann nicht gegeben, wenn in der Türkei yezidische Gemeinden
sowie die für die Murids zuständigen Sheiks bzw. Pirs nicht oder nur eingeschränkt
vorhandensein sollten. Zwar kann sich eine die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung
rechtfertigende Verfolgung nicht nur aus Eingriffen in Leib, Leben oder persönliche
Freiheit des Betroffenen ergeben, sondern auch aus Eingriffen in andere Rechtsgüter
wie die Religionsfreiheit, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die
Menschenwürde verletzen. Dies ist der Fall, wenn die Eingriffe ein solches Gewicht
erhalten, dass sie in den elementaren Bereich eingreifen, den der Einzelne unter dem
Gesichtspunkt der Menschenwürde wie nach internationalem Standard als so
genanntes religiöses Existenzminimum zu seinem Leben- und Bestehen können als
32
sittliche Person benötigt. Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 C 9/03 -,
BVerwGE 120, 16 ff.
Eine asylerhebliche Verletzung des religiösen Existenzminimums droht der Klägerin im
Falle der Rückkehr in die Türkei nicht. Dabei verkennt der Senat nicht die Bedeutung,
die der religiösen Betreuung durch einen Sheikh und einen Pir für ein funktionierendes
Gemeindeleben der Yeziden zukommt. Nicht jede Beeinträchtigung eines
funktionierenden Gemeindelebens führt jedoch bereits zu einer Verletzung des
religiösen Existenzminimums. Zur Überzeugung des Senats schließt auch für
glaubensgebundene Yeziden das Fehlen ausreichender priesterlicher Betreuung und
das Leben ohne eine funktionierende Gemeinde die Religionsausübung in ihrem
Kernbereich nicht ohne weiteres aus. Besondere Umstände, aus denen sich im
vorliegenden Fall eine dementsprechende Rechtsverletzung ergeben könnte, sind nicht
ersichtlich. Unabhängig davon läge eine Verletzung des religiösen Existenzminimums
nur dann vor, wenn die Religionsausübung in ihrem unverzichtbaren Kern durch
staatliche oder dem Staat zurechenbare Eingriffe unmöglich gemacht würde. Vgl.
BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 C 9/03 -, BVerwGE 120, 16 ff.
33
Unter diesem Gesichtspunkt ist der Heimatstaat also nicht zur Gewährleistung einer
bestimmten religiösen Infrastruktur verpflichtet. Die von der Klägerin geltend gemachten
religiösen Beeinträchtigungen beruhen nicht auf staatlichen oder dem Staat
zurechenbaren Eingriffen, sondern sind lediglich tatsächliche Folge der vergleichsweise
geringen Zahl von in der Türkei lebenden Yeziden.
34
Die Kammer verfügt - wie eingangs zitiert - über eine identische Erkenntnislage. Nach
deren Auswertung sowie unter Beachtung der in der Rechtsprechung entwickelten
Maßstäbe zur Anerkennung einer (mittelbaren) Gruppenverfolgung sowie der
allgemeinen Prognosemaßstäbe zur Anerkennung des Asyls bzw. des
Abschiebungsschutzes folgt sie der vorstehend zitierten Würdigung. Der zu
entscheidende Fall ist im Übrigen vergleichbar, da die Kläger - wie die Klägerin in dem
vom OVG NRW zu entscheidenden Fall - unverfolgt ausgereist sind und ihr
Asylanspruch deshalb nach dem Maßstab zu beurteilen ist, ob im Fall der Rückkehr in
die Heimat asylrelevante Verfolgung (in Form der mittelbaren Gruppenverfolgung) mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dies ist - wie ausgeführt - zu verneinen.
35
b. Die von den Klägern eingereichte, vom Yezidischen Forum e. V. unter dem 4. Juli
2006 verfasste Stellungnahme veranlasst nicht zu einer abweichenden Beurteilung der
Verfolgungslage unter dem Blickpunkt der mittelbaren staatlichen Guppenverfolgung.
Diese Stellungnahme enthält weitgehend eine Beschreibung der Verhältnisse, die die
Rechtsprechung in früheren Jahren sowie aktuell geprägt haben,
36
vgl. die Entscheidungen des OVG NRW vom 23. Juli 2003 sowie vom 14. Februar 2006,
jeweils a.a.O.,
37
und kommentiert diese umfangreich. Erörterungen hierzu würden lediglich bedeuten, die
tatsächlichen Grundlagen des Wandels der Rechtsprechung, der sich das erkennende
Gericht jeweils angeschlossen hatte, zu wiederholen. Aber auch die vom Yezidischen
Forum unter dem 4. Juli 2006 beschriebenen Einzelfälle veranlassen nicht dazu, den
durch das Urteil des OVG NRW vom 14. Februar 2006, a.a.O. eingetretenen Wandel in
der Einschätzung der Gruppenverfolgung der Yeziden in ihren angestammten
Siedlungsgebieten in Frage zu stellen. Bereits die Anzahl der Einzelfälle, mit denen das
38
Yezidische Forum e. V. der neueren Rechtsprechung des OVG NRW entgegentreten
will, ist zu revidieren. Denn vier der darin geschilderten elf Einzelschicksalen waren der
Sache nach bereits in der Auskunft vom 3. Februar 2006 an Rechtsanwalt Walliczek
aufgeführt und entsprechend in der Entscheidung vom 14. Februar 2006 berücksichtigt
worden, vgl. Ziff. 3., 6., 9. und 11. Mit den Ziff. 2. und 10. greift die Stellungnahme vom 4.
Juli 2006 Verfolgungsfälle auf, die auf das Jahr 2002 zurückgehen. Diese können schon
deshalb nicht als beachtlich gewertet werden, weil die aktuelle Rechtsprechung auf eine
Änderung der tatsächlichen Hintergründe abstellt, die für Zeiten ab Ende 2003 im Sinn
der zugrundezulegenden Prognosemaßstäbe als gesichert gelten können und so (siehe
oben) auch in der Erkenntnisliste der Kammer dokumentiert werden. In wieweit die
Kläger mit den Ziff. 1., 4., 5., 7. und 8. überhaupt Verfolgungshandlungen schildern
konnten, die schlüssig als Ausdruck der Gruppenverfolgung gewertet werden könnten,
kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls, d. h. auch ungeachtet einer Änderung der
tatsächlichen Verfolgungslage, setzte die Annahme einer Gruppenverfolgung - außer in
Fällen eines (hier fehlenden) staatlichen Verfolgungsprogramms - eine bestimmte
Verfolgungsdichte voraus. Die Feststellung einer ausreichenden Verfolgungsdichte
erfordert die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen, dass es sich
dabei nicht mehr allein um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe handelt. Die
Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und
Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in
quantitativer und qualitativer Weise so ausweiten, wiederholen und um sich greifen,
dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne
Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit resultiert. Dies gilt auch für
Gruppenverfolgungen, die von Dritten auszugehen drohen.
Vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200,
203, 206.
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Diese Anforderungen sind in der Frage der mittelbaren Gruppenverfolgung der Yeziden
in der Türkei ersichtlich selbst dann zu verneinen, wenn für den der Änderung der
Verhältnisse zugrunde gelegten Zeitraum ab Ende 2003 weitere fünf Einzelfälle bekannt
werden. Dies gilt zumal, wenn die Anzahl der betreffenden Gruppenangehörigen im
Verfolgungsgebiet - mit der neuerlichen Stellungnahme des Yezidischen Forums e. V.
gegenüber einer eigenen, lediglich 18 Monate älteren Übersicht - um 44 v. H. höher
anzusetzen ist. Es bedarf deshalb auch keiner weiteren Vertiefung, ob die aus der
Stellungnahme vom 4. Juli 2006 als „neu" verbliebenen Einzelschicksale überhaupt als
Ausdruck einer glaubensbezogenen Drittverfolgung oder als davon unabhängige
Gewaltverbrechen zu bewerten sind.
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Angesichts der vorstehend erneut aufgearbeiteten Erkenntnisse zur Frage der
mittelbaren Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei, die die Kläger mit der von
ihnen vorgelegten Stellungnahme zur Situation der Yeziden vom 4. Juli 2006 nicht in
Frage zu stellen vermochten, erweist sich auch eine Beweiserhebung im Sinn der
Anregungen der Kläger lt. Schriftsatz vom 12. Juli 2006 als entbehrlich.
41
III. Eine allein auf die kurdische Volkszugehörigkeit bezogene staatliche Verfolgung
fand - wie die gefestigte Rechtsprechung der Kammer sowie des OVG Nordrhein-
Westfalen auch aktuell ausweisen - bereits Anfang des Jahres 2004 in der Türkei nicht
statt.
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IV. Vor dem gegebenen Hintergrund scheiden Abschiebungshindernisse - namentlich
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im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG - ersichtlich aus.
V. Die in dem angefochtenen Bescheid enthaltenen aufenthaltsbeendenden
Maßnahmen genügen als solche den gesetzlichen Anforderungen der §§ 34 Abs. 1, 38
Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 50 AuslG.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über deren
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 und Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO.
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