Urteil des VG Münster vom 28.04.2006

VG Münster: sanierung, gemeinde, motiv, eigentümer, beitrag, vollstreckung, anteil, werterhöhung, umgestaltung, unterliegen

Verwaltungsgericht Münster, 3 K 3271/03
Datum:
28.04.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 3271/03
Tenor:
Der Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 13. August 2001 in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juni 2003 wird
aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d Die Klägerin ist Eigentümerin des an der X.------straße gelegenen
Grundstücks Gemarkung J. , Flur 4, Flurstück 748 im Ortskern von J. . Im Zuge der
Wohnumfeldverbesserungsmaßnahmen im Ortskern von J. wurde bereits im Jahre 1994
ein Sanierungsgebiet festgelegt, das auch den Bereich der X.------straße umfaßte. In der
entsprechenden Sanierungssatzung vom 11. August 1994 wurden der Dritte Abschnitt
des BauGB und § 144 BauGB ausgeschlossen. Ziel des Ausschlusses war aufgrund
mehrerer Aktenvermerke, die Bürger vor höheren Belastungen durch ansonsten zu
erhebende Ausgleichsbeträge gem. § 154 BauGB zu bewahren. Im dritten Bauabschnitt
der Stadterneuerung ließ die Stadt J. die X.------straße und die Bruchstraße im Jahre
2000 vollständig umgestalten. Die bis dahin nach dem Separationsprinzip angelegten
Straßen wurden in einen verkehrsberuhigten Bereich umgewandelt. Für die dadurch
entstandenen Kosten machte der Beklagte mit Bescheid vom 13. August 2001 einen
Straßenbaubeitrag von 7700,52 Euro bei der Klägerin geltend, da es sich bei dem
Ausbau um eine nachmalige Herstellung und Verbesserung der X.------straße gehandelt
habe. Hiergegen legte die Klägerin am 03. September 2001 Widerspruch ein, den sie
damit begründete, daß die X.------straße und die C.----straße historische Straßen seien,
ihr durch die Umbaumaßnahme kein Vorteil, sondern durch weniger Stellplätze eher ein
Nachteil entstanden sei und die Festsetzungen im Bebauungsplan zur Ausnutzbarkeit
des Grundstücks bei der Berechnung nicht berücksichtigt worden seien. Mit
Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2003, der Klägerin zugestellt am 26. Juni 2003,
wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er führte zur Begründung aus, die
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nachmalige Herstellung ergebe sich aus der Funktionsänderung der Straße. Für die
Berechnung des Beitrags sei - unabhängig von der Festsetzung der Baugrenzen - die
gesamte Grundstücksfläche zugrundezulegen und darauf auch der Zuschlag für das
Maß der Nutzung anzuwenden. Die Klägerin hat am 24. Juli 2003 Klage erhoben. Sie
macht nunmehr in erster Linie geltend, der Beklagte habe die Vorschriften des Dritten
Abschnitts des BauGB nicht ausschließen dürfen. Durch § 142 Abs. 4 BauGB sei das
Vorgehen nicht gerechtfertigt, da sich die Gemeinde bei der Wahl der Verfahrensart
nicht mit den unterschiedlichen Möglichkeiten hinreichend auseinandergesetzt und
plausible Erwägungen angestellt habe. Ihr Ziel, eine hohe Belastung der betroffenen
Bürger durch Kosten der Ordnungsmaßnahmen zu vermeiden, habe sie nicht erreicht.
Dadurch habe sie ihren durch § 142 Abs. 4 BauGB eingeräumten
Beurteilungsspielraum überschritten. Die Klägerin beantragt, den
Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 13. August 2001 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 23. Juni 2003 aufzuheben. Der Beklagte beantragt, die
Klage abzuweisen. Er meint, er habe bei Festlegung der Sanierungssatzung seinen
Entscheidungsspielraum dahingehend ausgeübt, daß er zwischen den einzelnen
Ausbauvarianten differenziert habe. Das Ziel der gleichmäßigen Kostenverteilung sei im
übrigen erreicht worden. Der Ausschluß der sanierungsrechtlichen Vorschriften sei auch
nicht allein zu dem Zweck erfolgt, eine höhere Belastung für die Bürger zu vermeiden;
dies sei lediglich eine notwendige positive Begleiterscheinung gewesen. Die
Durchführung der Sanierung im vereinfachten Verfahren sei geschehen, um Fördermittel
der Bezriksregierung Münster zu erhalten, die ansonsten nicht bewilligt worden wären.
Außerdem habe § 144 BauGB aus Verwaltungsvereinfachungsgründen
ausgeschlossen werden sollen, was nur über einen Ausschluß der Vorschriften des
Dritten Abschnitts möglich gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-
und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e Die Klage ist zulässig und begründet. Der
Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 13. August 2001 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 23. Juni 2003 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in
ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für die Heranziehung der Klägerin zu
einem Straßenbaubeitrag für die X.------straße fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Eine
Beitragserhebung nach § 8 KAG NRW scheidet aus, weil diese Vorschrift durch die
sanierungsrechtlichen Sonderregelungen gem. § 154 Abs. 1 Satz 2 BauGB
ausgeschlossen ist. Die X.------ straße liegt in einem Sanierungsgebiet. Dies wurde
durch § 2 der Sanierungssatzung vom 11. August 1994 förmlich festgelegt. Die
sanierungsrechtlichen Vorschriften sind auch anwendbar, weil sich deren Ausschluß
durch die auf der Grundlage des § 142 Abs. 3 BauGB erlassene Sanierungssatzung
vom 11. August 1994 als rechtswidrig erweist. Gem. § 142 Abs. 4 BauGB ist in der
Sanierungssatzung die Anwendung der Vorschriften des Dritten Abschnitts
auszuschließen, wenn sie für die Durchführung der Sanierung nicht erforderlich ist und
die Durchführung hierdurch voraussichtlich nicht erschwert wird. Diese
Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Beklagte hat die Vorschriften des Dritten
Abschnitts nach der Überzeugung des Gerichts allein deshalb ausgeschlossen, um eine
höhere Belastung der Bürger durch die Erhebung des Ausgleichsbetrags zu vermeiden.
Das kommt in den vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgängen deutlich zum
Ausdruck. Im Vermerk des Fachbereichs IV vom 16. Juli 2001 wird allein dieses Motiv
zum Ausschluß der Anwendung des § 154 Abs. 1 BauGB genannt. Wie sich weiterhin
aus dem Vermerk des Fachbereichs IV vom 31. Mai 2001 ergibt, wurde dies auch
gegenüber dem Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebund, der um eine
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Stellungnahme bezüglich der Abrechenbarkeit nach § 8 KAG NRW gebeten wurde, so
dargelegt. In den gesamten Verwaltungsvorgängen findet sich kein Hinweis auf ein
weiteres Motiv für den Ausschluß. Der Ausschluß der sanierungsrechtlichen
Vorschriften allein aus diesem Grund ist aber dazu geeignet, die Sanierung zu
erschweren. Die Erschwerung der Durchführung der Sanierung ist vor allem in den
Bodenwertsteigerungen zu erblicken, die bereits durch die Absicht, eine Sanierung
durchzuführen, ausgelöst werden können. In diesen Fällen darf die Gemeinde nicht von
der Anwendung der Bestimmungen des Dritten Abschnitts nicht absehen. Vgl. dazu
OVG Frankfurt/Oder, Urt. v. 30. April 1997 - 3 D 29/95 -, VwRR MO 1997, 18; Bielenberg
in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Baugesetzbuch, Kommentar, § 142 BauGB, Rdnr. 25. Das
ist hier der Fall, denn Bodenpreiswertsteigerungen sind insbesondere infolge
planungsrechtlicher Veränderungen zu erwarten oder im Hinblick auf
Ordnungsmaßnahmen der Gemeinde. Hat die Sanierung hingegen im wesentlichen die
Erhaltung, Modernisierung und Instandsetzung vorhandener baulicher Anlagen zum
Ziel, sind erfahrungsgemäß Bodenwertsteigerungen nicht oder nicht kurzfristig zu
erwarten. Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 7. Aufl., Mün-chen 1999, § 142
BauGB, Rdnr. 36. Bei den von dem Beklagten an der X.------straße vorgenommenen
Maßnahmen handelte es sich nicht um bloße Erhaltungs- oder Instandsetzungsarbeiten.
Die völlige Umgestaltung der zunächst im Trennsystem erbauten X.------straße in einen
verkehrsberuhigten Bereich (Mischfläche) ist eindeutig als Ordnungsmaßnahme der
Gemeinde zu werten, die - gerade im Zusammenhang mit der umfassenden Sanierung
des Ortskerns von J. - eine erhebliche Bodenwertsteigerung zur Folge haben wird. Die
Durchführung der Sanierung im vereinfachten Verfahren nur aus dem Grunde, die
Eigentümer vor höheren Belastungen zu bewahren, widerspricht hingegen
sanierungsrechtlichen Grundsätzen, nämlich, daß sie in Höhe ihrer
sanierungsbedingten Wertsteigerungen ihren Beitrag zur Finanzierung der Sanierung
zu leisten haben; zum anderen wird hier der von der Allgemeinheit zu tragende Anteil an
der Finanzierung der Sanierung erhöht, und dies widerspricht dem
Allgemeinwohlinteresse. Köhler in: Schrödter, BauGB, Kommentar, 6. Aufl., München
1998, § 142, Rdnr. 36; Bielenberg/ Krautzberger/Söfker, Baugesetzbuch mit BauNVO,
Leitfaden und Kommentierung, 6. Aufl., München 2001, Rdnr. 521;
Bielenberg/Koopmann/Krautzberger, Städtebauförderungsrecht, Kommentar, § 142
BauGB, Rdnr. 46 f.; Bielenberg/Krautzberger in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg,
Baugesetzbuch, Kommentar, Stand: Januar 2006, § 142 BauGB, Rdnr. 26. Der in der
Literatur vertretenen Gegenauffassung, Fislake in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner
Kommentar zum BauGB, 2. Aufl., Köln 1995, § 142, Rdnr. 39; Neuhausen in:
Brügelmann, Baugesetzbuch, Kommentar, Stand: September 2005, § 142 BauGB, Rdnr.
6, ist, soweit sie so zu verstehen ist, daß sie generell den Schutz der
Sanierungsbetroffenen als erhebliches Motiv ansieht, nach der Auffassung des Gerichts
nicht zu folgen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß von dieser
Gegenauffassung ausdrücklich der Schutz der Eigentümer nur insofern
Berücksichtigung finden soll, als die Erhebung von Beiträgen nach den bundes- oder
landesrechtlichen Vorschriften bei geringen Bodenwerterhöhungen in Gebieten mit
geringer Wirtschaftskraft zu höheren Belastungen führt, weil der Ausgleichsbetrag nach
einer an der tatsächlichen Werterhöhung der Grundstücke orientierten
Belastungsgrenze erhoben wird. Der hier vorliegende umgekehrte Fall, daß eine höhere
Belastung durch Ausgleichsbeträge vermieden werden soll, wird explizit gar nicht
erwähnt. Jedenfalls für die hier gegebene Konstellation, daß die Gemeinde beabsichtigt,
die Eigentümer vor höheren Ausgleichsbeträgen zu bewahren, kann die
Berücksichtigung von finanziellen Nachteilen für die Sanierungsbetroffenen kein
zulässiges Kriterium für den Ausschluß nach § 142 Abs. 4 BauGB sein; dies verstößt
gegen den Sinn der sanierungsrechtlichen Vorschriften. § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB
bestimmt gerade, daß die Erhebung des Ausgleichsbetrags der Sanierung dient. Das
BauGB stellt damit ausschließlich auf den Gesichtspunkt der Finanzierung der
Sanierungsmaßnahme ab. Wirtschaftliche oder soziale Folgen für die Betroffenen
können danach nicht ausschlaggebend bei der Wahl der Finanzierungsinstrumente
Ausgleichsbetrag oder Beitragserhebung sein. Köhler in: Schrödter, BauGB,
Kommentar, 6. Aufl., München 1998, § 142, Rdnr. 36. Diese fehlerhafte Motivwahl hat
der Beklagte auch nicht durch seinen Schriftsatz vom 18. Januar 2006 entkräften
können. Er hat darin vorgetragen, der Ausschluß der sanierungsrechtlichen Vorschriften
sei auch deshalb erfolgt, um Fördermittel von der Bezirksregierung Münster zu erhalten.
Um die Förderung für die punktuellen Maßnahmen im Bereich der C.----straße /X.------
straße zu erhalten, habe nach Angaben der DSK Deutschen
Stadtentwicklungsgesellschaft Düsseldorf die Sanierung im vereinachten Verfahren
durchgeführt werden sollen. Die Summe der Fördermittel sei außerdem in dem
Verhältnis aufzuteilen gewesen, in dem der wirtschaftliche Vorteil der Allgemeinheit zu
dem auf den Beitragspflichtigen anfallenden Anteil gestanden habe; so hätten 50% der
Landeszuweisungen beitragsmindernd in Ansatz gebracht werden können. Daß der
Ausschluß der sanierungsrechtlichen Vorschriften zwingende Voraussetzung für die
Förderung durch Landesmittel ist, geht aus den vorgelegten Unterlagen indes nicht
hervor. Der Bericht der DSK geht nur davon aus, daß eine Sanierungssatzung im Sinne
des § 142 BauGB erlassen werden muß. Diese dient aber allein der förmlichen
Festlegung des Sanierungsgebiets. Ob ein Ausschluß der Vorschriften des Dritten
Abschnitts erfolgt, ist eine ganz andere Frage und muß einer rechtlichen Überprüfung
anhand der Voraussetzungen des § 142 Abs. 4 BauGB unterliegen, die die DSK gerade
nicht vorgenommen hat. Die DSK schlägt nur vor - wobei offenbleibt, ob dies aufgrund
eigener Sachkunde oder aufgrund des Willensbildungsprozesses in der Gemeinde
geschehen ist -, daß die Sanierungsmaßnahme im vereinfachten Verfahren
durchgeführt werden soll. Daß darüber hinaus der Ausschluß der sanierungsrechtlichen
Vorschriften Bedingung oder Auflage für eine Förderung war, kann das Gericht nicht
erkennen; der Beklagte hat hierzu auch substantiiert nichts vorgetragen. Der Beklagte
hat hierzu auch nichts nachgetragen, nachdem die Klägerin diesen Punkt in ihrem
Schriftsatz vom 28. Januar 2006 ausdrücklich angesprochen hat. Abgesehen davon hat
der Beklagte selbst angegeben, die Fördermittel seien den Beitragspflichtigen zugute
gekommen und hätten dazu gedient, den Beitrag zu mindern. Demnach steht also auch
das Motiv der Möglichkeit der Beantragung von Fördermitteln in unmittelbarem
Zusammenhang mit dem die Verwaltungsvorgänge beherrschenden einzigen Motiv, die
Bürger vor höheren Belastungen zu bewahren. Denn das sanierungsrechtliche Ziel, daß
die Eigentümer ihren Beitrag in Höhe der Wertsteigerung ihrer Grundstücke zu leisten
haben, wird auch konterkariert, wenn ein Teil der Kosten durch Landesmittel gedeckt
werden soll. Dann wird letztlich wiederum die Allgemeinheit zugunsten der Eigentümer
belastet. Der ebenfalls bezweckte Ausschluß des § 144 BauGB kann hingegen als
eigenständiges Motiv keine ausschlaggebende Rolle spielen. Er ist bloße Folge des
erfolgten Ausschlusses, indem er der Gemeinde nach der Wahl des vereinfachten
Sanierungsverfahrens eine erneute Auswahlmöglichkeit eröffnet. Die Entscheidung für
ein vereinfachtes Sanierungsverfahren nur zu dem Zweck, eine weitere Rechtsfolge zu
eröffnen, nämlich der Möglichkeit des Ausschlusses auch des § 144 BauGB, kann kein
zulässiges Motiv für die Grundentscheidung des § 142 Abs. 4 BauGB sein. Diese
Zielsetzung, sich durch den Ausschluß von einer unerwünschten Genehmigungspflicht
zu befreien, die das Gesetz aber gerade an das besondere Sanierungsverfahren knüpft,
um dessen Besonderheiten Rechnung zu tragen, ist rechtsmißbräuchlich und
widerspricht den oben bereits angeführten sanierungsrechtlichen Grundsätzen. Ist damit
der Ausschluß des Dritten Abschnitts des BauGB rechtswidrig, bleibt kein Raum für die
Erhebung von Beiträgen nach dem KAG NRW. Die Kostenentscheidung beruht auf §
154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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