Urteil des VG Münster vom 22.02.2008
VG Münster: abschiebung, schutz der familie, bundesamt für migration, konsularische vertretung, botschaft, echtheit, duldung, gewahrsam, befreiung, legalisation
Verwaltungsgericht Münster, 8 L 140/08
Datum:
22.02.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 L 140/08
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 1.250,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag des Antragstellers,
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den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, es für die Zeit von drei Monaten zu
unterlassen, den Antragsteller abzuschieben,
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als auch sein Hilfsantrag dem Antragsgegner vorläufig zu untersagen, den Antragsteller
binnen eines Zeitraums von einer Woche nach schriftlicher Ankündigung der
Abschiebung abzuschieben,
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sind nicht begründet. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch auf einen für
ihn bestehenden Abschiebungsschutz glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.
V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
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Die Abschiebungsvoraussetzungen nach § 58 AufenthG i. V. m. § 50 AufenthG liegen
vor. Grundlage der beabsichtigten Abschiebung des Antragstellers ist die
Abschiebungsandrohung, die in dem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -)
vom 00.00.0000 enthalten ist.
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Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 a AufenthG.
Insbesondere liegen die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - §
60 a Abs. 2 AufenthG nicht vor. Danach ist die Abschiebung eines Ausländers
auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen
unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Eine Duldung kann erteilt
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werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche
öffentliche Interessen die vorübergehende weitere Anwesenheit des Ausländers im
Bundesgebiet erfordern. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Insbesondere ist die Abschiebung des Antragstellers nicht aus rechtlichen Gründen
unmöglich.
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Eine Abschiebung des Antragstellers ist nicht rechtlich unmöglich, weil ihm eine
Abschiebung nicht angekündigt wurde. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht,
dass ihm seine Abschiebung nicht angekündigt wurde. Vielmehr hat der Antragsgegner
dem Antragsteller die Abschiebung mit Schreiben vom 00.00.0000 angekündigt.
Ungeachtet dessen wäre die Abschiebung wegen einer fehlenden
Abschiebungsankündigung auch deshalb nicht rechtlich unmöglich, weil es nach Ablauf
der letzten Duldung keiner Abschiebungsankündigung bedarf. Die frühere Regelung
des § 60 a Abs. 5 S. 4 AufenthG, wonach es unter den dort genannten Voraussetzungen
(auch) im Falle des Ablaufs der Geltungsdauer einer Duldung einer
Abschiebungsankündigung bedurfte, ist mit Art. 1 Nr. 49 Buchstabe c) des Gesetzes zur
Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.
August 2007 (BGBl. I S. 1970, 1983) mit Wirkung vom 00.00.0000 aufgehoben worden.
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Einer Abschiebung des Antragstellers steht auch nicht § 59 Abs. 5 S. 2 AufenthG
entgegen. Es mag dahingestellt bleiben, ob der Antragsgegner dem Antragsteller die
Abschiebung nicht schon hinreichend angekündigt hat, wenn er die Verlängerung der
Sicherungshaft mit dem Umstand begründete, dass der Antragsteller infolge (Flug-
)Umbuchung am 00.00.0000 abgeschoben werden solle. Jedenfalls hat der
Antragsgegner nicht gegen § 59 Abs. 5 AufenthG verstoßen.
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Nach § 59 Abs. 5 AufenthG bedarf es in den Fällen, in denen ein Ausländer sich auf
richterlicher Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
keiner Festsetzung einer Ausreisefrist; der Ausländer wird aus der Haft oder dem
öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung aus der Haft oder dem
öffentlichen Gewahrsam soll (jedoch) mindestens eine Woche vorher angekündigt
werden. Eine solchen Ankündigung bedarf es hier jedoch nicht. § 59 Abs. 5 S. 2
AufenthG ist nicht anwendbar, weil kein Fall des § 59 Abs. 5 S. 1, 1. Halbsatz AufenthG
vorliegt. Der Antragsteller soll nicht abgeschoben werden, ohne dass ihm zuvor eine
Ausreisefrist (§ 59 Abs. 1 AufenthG) gesetzt worden war. Der Antragsgegner selbst hat
dem Antragsteller die Abschiebung nicht angedroht, so dass er von der
Ausnahmemöglichkeit des § 59 Abs. 5 S. 1 AufenthG nicht Gebrauch gemacht hat. Der
Bescheid des Bundesamtes vom 00.00.0000 enthält eine Ausreisefrist (§ 36 Abs. 1
AsylVfG).
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Dass § 59 Abs. 5 S. 2 AufenthG lediglich in den Fällen des Satzes 1 der Vorschrift
anwendbar ist, folgt aus dem unmittelbaren Zusammenhang der Regelungen. Das
Auslegungsergebnis wird bestätigt durch den Gesetzeszweck und die Gesetzeshistorie.
§ 59 Abs. 5 AufenthG entspricht § 50 Abs. 5 des am 31. Dezember 2004 außer Kraft
getretenen Ausländergesetzes. Diese Regelung wollte der Gesetzgeber wieder
aufnehmen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 23. April 2007, BT-
Drucksache 16/5065, S. 184). Nach der Rechtsprechung zu § 50 Abs. 5
Ausländergesetz waren die Vorschriften zur Bestimmung einer Ausreisefrist einerseits
und zur Ankündigung einer Abschiebung ohne Setzung einer Ausreisefrist andererseits
jedoch alternativ. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Regelungen lag
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nämlich allein darin, dass a n d i e S t e l l e der Bestimmung einer Ausreisefrist im
Regelfall die Ankündigung der Abschiebung trat (OVG NRW, Beschluss vom 11. März
2002 - 18 B 849/01 -, www.nrwe.de = AuAS 2002, 148 = NWVBl 2002, 391). Soll § 59
Abs. 5 AufenthG diese alte Regelung wieder einführen, kann für die jetzige Rechtslage
nichts anderes gelten. Ist eine Ausreisefrist bestimmt worden, auf deren Grundlage der
Antragsteller sich um seine Angelegenheiten kümmern konnte, bedarf es also keiner
weiteren Abschiebungsankündigung.
Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung folgt nicht aus dem mit Art. 6 GG und
Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutz der Familie.
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Der volljährige Antragsteller ist ledig und alleinstehend, so dass er in Deutschland keine
Familienangehörigen im Sinne des Art. 6 GG hat. Das geltend gemachte Verhältnis zur
Tochter der Frau N. begründet keine familiäre Bande im Sinne des Art. 6 GG. Die
beabsichtigte Eheschließung führt nicht dazu, dass eine Abschiebung des
Antragstellers ein Recht aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK verletzt. Im Hinblick auf die
Einwendung, dass eine Eheschließung des Antragstellers mit einer deutschen
Staatsangehörigen unmittelbar bevorstehe, muss das Gericht für die hier zu treffende
Entscheidung nicht untersuchen, ob eine unmittelbar bevorstehenden Eheschließung
überhaupt die Rechtsfolge bewirkt, dass eine Abschiebung rechtlich unmöglich ist (offen
lassend OVG NRW, Beschlüsse vom 6. September 2007 - 18 B 1188/07 -, vom 11. Juni
2007 - 18 B 863/07 - und vom 1. Februar 2007 - 18 B 103/07 -). Jedenfalls erfüllt der
Antragsteller nämlich nicht die notwendigen Voraussetzungen. Ein solche
Schutzwirkung setzte nämlich voraus, dass die Eheschließung im Bundesgebiet u n m i
t t e l b a r bevorsteht (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. September 2007 - 18 B
1188/07 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 4. April 2007 - 3 Bs 28/07 -, NVwZ-RR 2007,
559 = InfAuslR 2007, 282; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 9. Februar 2007 - 3 S 5.07 -
, NVwZ-RR 2007, 634 = AuAS 2007, 114; SächsOVG, Beschluss vom 16. Mai 2006 - 3
Bs 61/06 -, AuAS 2006, 242; BayVGH, Beschluss vom 20. April 2006 - 19 CE 06.981 -,
juris). Die Eheschließung des Antragstellers steht aber nicht unmittelbar bevor.
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Der Antragsteller hat zwar bei dem Standesamt N1. die Eheschließung angemeldet. Ein
Eheschließungstermin ist gleichwohl bis heute nicht bestimmt worden. Der
Eheschließungstermin kann bis heute auch nicht bestimmt werden, weil der
Antragsteller kein Ehefähigkeitszeugnis vorgelegt hat (§ 1309 Abs. 1 BGB) und nicht
von der Pflicht zur Vorlage eines Ehefähigkeitszeugnisses befreit ist (§ 1309 Abs. 2
BGB).
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Die Eheschließung hängt auch nicht noch allein von der Entscheidung des
Oberlandesgerichts und damit ausschließlich von dessen Verhalten ab. Das
Oberlandesgericht kann derzeit nicht entscheiden, dass der Antragsteller von der Pflicht
zur Vorlage eines Ehefähigkeitszeugnisses befreit ist.
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Die Eheschließung ist von weiteren Umständen abhängig, die der Sphäre des
Antragssteller zuzurechnen sind. Das Oberlandesgericht Hamm kann eine Befreiung
von der Pflicht zur Vorlage eines Ehefähigkeitszeugnis nicht erteilen, weil der
Antragsteller dem Standesamt (§ 5 a PStG) bisher nicht alle für die Befreiung
notwendige Unterlagen vorgelegt hat (vgl. dazu in Bezug auf den Runderlass des
Innenministerium NRW vom 21. Juli 2006 - 15-39.10.01-2-Eheschließung - OVG NRW,
Beschluss vom 6. September 2007 - 18 B 1188/07 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 4.
April 2007 - 3 Bs 28/07 -, a.a.O.). Der Antragsteller macht zwar geltend, dass er alle
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Unterlagen vorgelegt habe. Dem Standesamt liegen aber wegen der von ihm
vorgelegten ausländischen Urkunden noch nicht die notwendigen Beweismittel zur
Echtheit der Urkunden vor. Damit begründen die vom Antragsteller vorgelegten
ausländischen Urkunden derzeit nicht den notwendigen Beweis, so dass er im
Grundsatz gehalten ist, andere Beweismittel vorzulegen.
Ausländische Urkunden begründen nämlich nicht als solche den Beweis der darin
bezeugten Tatsachen. Grundsätzlich bedürfen ausländische Urkunden der Legalisation.
Die Legalisation ist ein Verfahren, bei der durch die diplomatische oder konsularische
Vertretung der Bundesrepublik Deutschland die Echtheit der Unterschrift, die
Eigenschaft, in welcher der Unterzeichner gehandelt hat und gegebenenfalls die
Echtheit des beigedrückten Siegels einer ausländischen öffentlichen Urkunde bestätigt
wird, die in Deutschland zu Beweiszwecken verwendet werden soll (vgl. § 13
Konsulargesetz, § 438 Abs. 2 ZPO). Diese Beweisführung ist jedoch ausgeschlossen,
weil in der Republik Guinea die Voraussetzungen für ein Legalisationsverfahren nicht
gegeben sind, so dass die deutsche Botschaft in D. das Legalisationsverfahren mit
Zustimmung des Auswärtigen Amtes ausgesetzt hat. Eine Beweisführung ist damit nur
möglich, indem der Urkundsinhalt anders belegt wird. Der Antragsteller strebt insoweit
eine Überprüfung der Deutschen Botschaft mittels Untersuchungen eines
Vertrauensanwalts der Botschaft an. Das Ermittlungsergebnis des Verfahrens ist aber
nicht abzusehen. Ohne das Ergebnis kann das Standesamt die Unterlagen des
Antragstellers nicht dem Oberlandesgericht übersenden. Ohne das Ergebnis der
Ermittlungen hängt die Eheschließung nicht nur von einer Entscheidung des
Oberlandesgerichts ab, weil das Oberlandesgericht auf der Grundlage der vom
Antragsteller derzeit vorgelegten Unterlagen eine Befreiungsentscheidung nicht treffen
kann. Infolge der damit bestehenden offenen Situation kann nicht mit der notwendigen
Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass am 00.00.0000 eine Eheschließung des
Antragsteller u n m i t t e l b a r bevorsteht. Diese Bewertung wird durch den Zeitfaktor
verstärkt. Das Überprüfungsverfahren durch die Botschaft D. erfasst einen Zeitrahmen
von voraussichtlich acht Wochen. Auch dieser Zeitablauf spricht dagegen, dass der
Zeitpunkt der Eheschließung nicht nur bevorsteht, sondern unmittelbar bevorsteht.
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Damit liegen auch keine dringenden humanitäre oder persönliche Gründe im Sinne des
§ 60 a Abs. 2 S 3 AufenthG vor. Es bedarf daher keiner weiteren Untersuchung und
kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Antragsteller nicht allein deshalb ausreisen
muss, weil ihm auch im Falle einer Eheschließung keine Aufenthaltserlaubnis erteilt
werden könnte, bevor er ausgereist ist (§§ 10 Abs. 3 S. 2 und 3, 28 Abs. 1 S. 3, 5 Abs. 1
Nr. 1 AufenthG)
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.
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