Urteil des VG Münster vom 06.06.1990

VG Münster (fahrzeug, ablauf der frist, abfall, kläger, amtliches kennzeichen, beseitigung, kennzeichen, wagen, ersatzvornahme, vwvg)

Verwaltungsgericht Münster, 6 K 842/89
Datum:
06.06.1990
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 842/89
Tenor:
Der Leistungsbescheid des Beklagten vom 5. Dezember 1988 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidenten
Münster vom 3. Mai 1989 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d:
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Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger die Kosten für die Beseitigung eines
Kraftfahrzeuges als Abfall zu zahlen hat, welches im öffentlichen Verkehrsraum ohne
gültiges Kennzeichen abgestellt worden war.
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Bei einer Kontrolle am 25. Juli 1988 stellten Bedienstete des Beklagten fest, dass auf
dem der Öffentlichkeit zugänglichen Parkdeck Brüningheide 69 bis 73 in Münster ein
Kraftfahrzeug - Typ Volkswagen Käfer, Baujahr 1971 - ohne gültiges Kennzeichen
abgestellt worden war. Der Kläger hatte das Kennzeichen zum Zweck einer
vorübergehenden Stillegung des Fahrzeuges entfernt. Diese Stillegung erfolgte am 2.
August 1988.
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Als das Fahrzeug auch am 13. September 1988 noch auf dem Parkdeck vorgefunden
wurde, ließ der Beklagte einen Aufkleber nach § 5 Abs. 2 des Abfallgesetztes
anbringen. Dieser Aufkleber enthielt die Aufforderung, das Fahrzeug bis zum 12.
Oktober 1988 zu entfernen. Andernfalls gelte es als Abfall, der ordnungsgemäß entsorgt
werden müsse. Die Behörde könne auch auf Kosten des Pflichtigen das Fahrzeug
beseitigen oder beseitigen lassen. Bei einer weiteren Kontrolle am 3. November 1988
wurde festgestellt, dass der Wagen vom Parkdeck herunter auf einen in der Nähe
gelegenen Parkstreifen der öffentlichen Straße verbracht worden war. Der Aufkleber war
von der Frontscheibe entfernt und im Inneren des Wagens angebracht worden.
Daraufhin ließ der Beklagte am 24. November 1988 das Fahrzeug durch eine von ihm
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beauftragtes Unternehmen abschleppen und verschrotten.
Mit Leistungsbescheid vom 5. Dezember 1988 forderte der Beklagte den Kläger, der
sich zwischenzeitlich telefonisch gemeldet hatte, auf, die Kosten der Maßnahme in
Höhe von 76.03 DM zu erstatten. Die vom Beklagten als Widerspruch behandelte
Eingabe des Klägers, mit der er sich gegen die Behandlung des Wagens als Abfall mit
der Begründung wandte, das Fahrzeug sei noch bis März 1999 „TÜV- abgenommen"
gewesen und habe einschließlich eines eingebauten Kassettenradios im Wert von ca.
200,-- DM einen Verkaufswert von noch 1.000,-- DM besessen, wies der
Regierungspräsident Münster mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 1989 als
unbegründet zurück.
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Daraufhin hat der Kläger am 26. Mai 1989 Klage erhoben, mit der er seine Auffassung
vertieft, die Beseitigung des verkehrstauglichen Fahrzeuges sei zu Unrecht erfolgt. Eine
Kostenerstattung für die Beseitigung des Fahrzeuges komme damit nicht in Betracht.
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Der Kläger beantragt,
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den Leistungsbescheid des Beklagten vom 5. Dezember 1988 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidenten Münster vom 3. Mai 1989
aufzuheben. Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen. Er hält den angefochtenen Leistungsbescheid für rechtmäßig.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage hat Erfolg.
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Der angefochtene Leistungsbescheid des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den
Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger ist nicht verpflichtet,
die mit diesem Bescheid geltend gemachten Kosten der Beseitigung des in Rede
stehenden Fahrzeuges zu erstatten.
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Die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden und vom Beklagten auch
herangezogenen Rechtsgrundlage des § 11 Abs. 2 Nr. 7 der Kostenordnung zum
Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (KostO NW) liegen
nicht vor. Nach dieser Vorschrift sind der Vollstreckungs- bzw. Vollzugsbehörde vom
Pflichtigen unter anderem solche Beträge zu erstatten, die bei der Ersatzvornehme an
Beauftragte zu zahlen sind. Voraussetzung für das Entstehen des Erstattungsanspruchs
ist eine rechtmäßige Durchführung der Ersatzvornahme. Daran fehlt es hier.
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Die Ersatzvornahme ist unter Beauftragung des Abschleppdienstes Mahnke ohne eine
vorausgegangene, auf eine Beseitigung des Fahrzeuges als Abfall durch den
Pflichtigen selbst abzielende sogenannte Grundverfügung im Wege des sofortigen
Vollzuges nach § 55 Abs. 2 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land
Nordrhein-Westfalen (VwVG) durchgeführt worden. Damit mussten zur Rechtmäßigkeit
der Ersatzvornahme die besonderen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 VwVG
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vorliegen. Das ist nicht der Fall.
Nach § 55 Abs. 2 VwVG kann der Verwaltungszwang - auch in der Form einer
Ersatzvornahme - ausnahmsweise ohne vorausgehenden, dem Pflichtigen das
geforderte Verhalten aufgebende, Verwaltungsakt unter anderem dann angewendet
werden, wenn der sofortige Vollzug zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig
ist und die Behörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt. Die
Notwendigkeit zu einem Vorgehen im Wege des sofortigen Vollzuges im Sinne des § 55
Abs. 2 VwVG setzt eine Lage voraus, in der die Abwendung der Gefahr nicht auf dem für
den Regelfall vorgesehenen Weg - im sogenannten gestreckten Vollzug - möglich ist. In
einer solchen Lage befindet sich die Vollzugsbehörde dann, wenn die mit dem
normalen Weg des Einschreitens verbundenen Verzögerungen Abwehrmaßnahmen
unwirksam werden ließen oder wesentlich beeinträchtigen würden, wenn also allein der
sofortige Vollzug geeignet ist, die gegenwärtige Gefahr abzuwenden.
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Vgl. etwa: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NW), Urteil
vom 16. Dezember 1988 - 20 A 2659/87 - , S. 11; Urteil vom 26. März 1984 - 20 A
1242/83 - , S. 7, jeweils m.n.N. Innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnis handelt die
Behörde, wenn sie für das Einschreiten zuständig ist und die Durchführung der
getroffenen Maßnahme von dem in Anspruch Genommenen hätte verlangen können.
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In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Vorgehen des Beklagten als
fehlerhaft. Dabei ist bereits fraglich, ob der Beklagte vom Kläger gemäß § 3 Abs. 4 Satz
1 Abfallgesetz (AbfG) die - dann im Wege des sofortigen Vollzuges durch
Ersatzvornahme verwirklichte - Beseitigung des in Rede stehenden Fahrzeuges als
Abfall hätte verlangen können. Die Qualifizierung des Fahrzeuges Als Abfall unterliegt
erheblichen Bedenken. Die Annahme, es handele sich bei dem Fahrzeug um einen
Gegenstand, dessen sich der Besitzer habe entledigen wollen (sog. subjektiver
Abfallbegriff, § 1 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative AbfG), scheidet von vornherein aus.
Davon, dass sich das Fahrzeug im Zeitpunkt des behördlichen Einschreitens in einem
Zustand befunden hätte, der es als geboten hätte erscheinen lassen, es zur Wahrung
des Wohls der Allgemeinheit als Abfall zu entsorgen (sog. objektiver Abfallbegriff, § 1
Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative AbfG), geht der Beklagte, wie auch seine Vorgehen nach §
5 Abs. 2 AbfG zeigt, selbst nicht aus. Hiergegen ist angesichts des Eindrucks, den das
Fahrzeug auf dem der Kammer vorliegenden Lichtbild vom 13. September 1988
vermittelt, nichts zu erinnern. Hiernach hat es sich um ein zwar älteres, aber äußerlich in
gut erhaltenem und durchaus gepflegtem Zustand befindliches Fahrzeug gehandelt.
Auch der Umstand, dass der Wagen, wie sich später herausgestellt hat, erst im März
1990 zur nächsten Hauptuntersuchung anstand, bestätigt diese Einschätzung. Von
einem nicht mehr fahrbereiten und sinnvollerweise nicht mehr reparaturfähigen
Autowrack, dessen Ablagerung im öffentlichen Verkehrsraum zu einer Beeinträchtigung
abfallrechtlich relevanter Schutzgüter führen könnte, konnte nach alledem keine Rede
sein. Soweit ein längerfristiges Abstellen eines nicht zugelassenen Kraftfahrzeuges
möglicherweise als Verletzung straßenverkehrsrechtlicher Bestimmungen aufzufassen
wäre, würde dies die vom Beklagten vollzogene Entsorgung des Fahrzeuges als Abfall
ohnehin nicht rechtfertigen können. In Betracht kämen insoweit allenfalls
straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen, die der Beklagte hier jedoch nicht ergriffen hat.
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Vgl. etwa: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, § 1 Rdner. 27. Soweit der Beklagte die
Abfalleigenschaft des Fahrzeuges auf der Grundlage des § 5 Abs. 2 AbfG angenommen
hat, begegnet dies ebenfalls erheblichen Bedenken. Nach dieser Bestimmung, die als
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gesetzliche Vermutungsregelung die Abfalleigenschaft fingiert, gelten Kraftfahrzeuge
(oder Anhänger) ohne gültige amtliche Kennzeichen. die auf öffentlichen Flächen
abgestellt sind, als Abfall, wenn 1. keine Anhaltspunkte dafür sprechen, dass sie noch
bestimmungsgemäß genutzt werden oder dass sie entwendet wurden, und 2. wenn sie
nicht innerhalb eines Monats nach einer am Fahrzeug angebrachten, deutlich
sichtbaren Aufforderung entfernt worden sind. Zwar war das Fahrzeug vom Kläger für
längere Zeit ohne gültiges amtliches Kennzeichen auf einer öffentlichen Fläche im
Sinne der Vorschrift abgestellt worden; auch wurde es trotz der vom Beklagten
angebrachten Aufforderung nach § 5 Abs. 2 AbfG nicht innerhalb der genannten Frist
von der öffentlichen Fläche entfernt. Das bloße Umsetzen von dem Parkdeck auf die nur
wenig entfernt gelegene Parkbucht stellt in diesem Zusammenhang kein „Entfernen" im
Sinne des § 5 Abs. 2 AbfG dar. Zweifelhaft ist aber, ob der Beklagte auch davon
ausgehen durfte, das Fahrzeug werde nicht mehr bestimmungsgemäß genutzt. Nach
dem Gesamteindruck. den das Fahrzeug nach Zustand und Abstellort vermittelte, konnte
jedenfalls nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass eine Nutzung als
Fahrzeug nicht mehr möglich bzw. gewollt war. In diesem Zusammenhang könnte auch
der Umstand Bedeutung zukommen, dass der Wagen nach dem 13. September 1988
auf einen Parkstreifen für Kraftfahrzeuge umgesetzt und die Aufforderung des Beklagten
von der Frontscheibe entfernt wurde. Hierin könnte ein Anhalspunkt dafür gesehen
werden, dass das Fahrzeug seinerzeit jedenfalls noch betriebsfähig war und weiterhin
bestimmungsgemäß genutzt werden sollte.
Alle diese Gesichtspunkte bedürfen jedoch keiner abschließenden Beurteilung. Auch
braucht die Kammer dem Vorbringen des Klägers nicht nachzugehen, im Wagen sei
eine Mitteilung angebracht gewesen, wonach er - der Kläger - nur vorübergehend
ortsabwesend war. Denn wenn auch unterstellt wird, dass Fahrzeug sein nach
Maßgabe des § 5 Abs. 2 AbfG als Abfall zu behandeln, so lagen jedenfalls die
besonderen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 VwVG nicht vor. Von dem Fahrzeug,
welches im Zeitpunkt der Entfernung durch den Beklagten (24. November 1988) auf
einem zur öffentlichen Straße gehörenden Parkstreifen (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Straßen-
und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen) abgestellt war, ging eine den
Sofortvollzug rechtfertigende gegenwärtige Gefahrenlage nicht aus. Der - hier
unterstellte - bloße Verstoß gegen die einen Abfallbesitzer nach § 3 Abs. 4 AbfG
treffende Entsorgungspflicht begründet die Notwendigkeit eines sofortigen Eingreifens
allein nicht. Dies würde dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen.
Notwendig ist vielmehr - wie oben bereits dargelegt - eine über einen bloßen
Rechtsverstoß hinausgehende besondere Gefahrenlage, die die sofortige Beseitigung
der Störung gebietet. Dafür fehlen jedoch jegliche konkreten Anhaltspunkte. Daß das
Fahrzeug etwa Öl oder sonstige Betriebsstoffe verloren hätte, ist vom Beklagten nicht
festgestellt worden. Der Wagen war äußerlich unbeschädigt und stellte auch in
sonstiger Hinsicht - etwa in Hinblick auf spielende Kinder oder andere
Verkehrsteilnehmer - keine Gefahrenquelle dar. Dies wird durch das Vorgehen des
Beklagten selbst unterstrichen. So hat er nämlich, ohne dass zwischenzeitlich
besondere Umstände hinzugetreten wären, auch nach Ablauf der Frist des § 5 Abs. 2
AbfG noch über einen Monat mit der Beseitigung des Fahrzeuges zugewartet. Die
Annahme einer Dringlichkeit wäre hiermit nicht vereinbar. Daran ändert nicht, dass das
Fahrzeug wegen der fehlenden amtlichen Kennzeichen nicht ohne weiteres einem
bestimmten Pflichtigen, dem die Entsorgung als Abfall hätte aufgegeben werden
können, zuzuordnen war. Ein Vorgehen im Wege des Sofortvollzugs war gleichwohl
nicht geboten. Denn der Beklagte konnte ohne Schwierigkeiten mit Hilfe der
vorhandenen Fahrzeug-Identitäts-Nummer beim Kraftfahrt-Bundesamt den letzten Halter
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ermitteln und diesen - gegebenenfalls unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und
mit kurzer Frist - in Anspruch nehmen. Eine solche Halteranfrage hat der Beklagte auch
nach der Verschrottung des Fahrzeuges beim Kraftfahrt-Bundesamt erfolgreich
angebracht. Soweit zur Feststellung der Identitäts-Nummer ein Öffnen des Fahrzeuges
mit Hilfe eines Nachschlüssels oder in Anwendung ähnlicher Maßnahmen notwendig
gewesen wäre, hätte dies angesichts der gegebenen Umstände dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen. Eine relevante Verzögerung bzw.
Beeinträchtigung von gebotenen Abwehrmaßnahmen hätte ein solches Vorgehen nicht
bewirkt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, deren vorläufige
Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO.
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Die Berufung ist gemäß Artikel 2 § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Entlastungsgesetzes
(EntlG) nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des Art. 2 § 4 Abs. 2 EntlG i.V.m. §
131 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
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