Urteil des VG Münster vom 15.07.2009

VG Münster: bundesamt für migration, aufenthaltserlaubnis, syrien, ärztliche behandlung, unselbständige erwerbstätigkeit, unter drogeneinfluss, körperliche unversehrtheit, ausländer, abschiebung

Verwaltungsgericht Münster, 5 K 838/08
Datum:
15.07.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 838/08
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung von 110 v. H. des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen oder ob er dem Kläger die
Abschiebung in die Arabische Republik Syrien androhen darf.
2
Der 1980 geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien. Er
besitzt einen syrischen Pass mit einer Geltungsdauer bis Juli 2011.
3
Der Kläger reiste mit seiner Familie im November 1989 in die Bundesrepublik
Deutschland ein. Seine Eltern gaben damals an, dass sie aus dem Libanon eingereist
und dass sie Ausländer ungeklärter Staatsangehörigkeit (palästinensische
Volkszugehörige) seien. Im Jahre 2005 legte der Kläger Unterlagen vor, aus denen sich
ergab, dass er syrischer Staatsangehöriger ist.
4
Sein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter wurde abgelehnt. Die Entscheidung
ist seit 1993 rechtskräftig. Seitdem erteilt der Beklagte dem Kläger Duldungen mit der
Auflage, seinen Wohnsitz in Senden zu nehmen. Eine unselbständige Erwerbstätigkeit
ist dem Kläger erlaubt.
5
Der Kläger ist nach seinen Angaben seit dem Jahre 2002 nach religiösem Ritus mit
einer in S. /O. (Baden-Württemberg) lebenden Ausländerin verheiratet. Nach seinen
Angaben ist sie irakische Staatsangehörige, nach den Ermittlungen des
Ausländeramtes der Stadt S. türkische Staatsangehörige.
6
Der Kläger hat die Vaterschaft für zwei in den Jahren 2003 und 2006 geborene Kinder
anerkannt. Im Juni 2008 haben er und seine Lebensgefährtin vor dem Jugendamt des
Kreises U. erklärt, dass sie das Sorgerecht für beide Kinder gemeinsam ausüben. Die
Lebensgefährtin und die beiden Kinder sind vollziehbar ausreisepflichtig.
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Anträge des Klägers und seiner Lebensgefährtin auf Umverteilung nach T. bzw. nach S.
hatten keinen Erfolg.
8
Der Kläger ist seit dem Jahre 2008 an einer schizophrenen Psychose mit
halluzinatorischer Symptomatik erkrankt und befindet sich in ständiger ärztlicher
Behandlung.
9
Der Kläger wurde durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 23. Juli 2001 wegen
räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten verurteilt,
die für 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde.
10
Das Amtsgericht Coesfeld verurteilte den Kläger durch Strafbefehl vom 11. Mai 2006
wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,- Euro. Die
dem Kläger zur Last gelegte Sachbeschädigung bestand darin, dass er im
Ausländeramt des Beklagten eine Fensterscheibe eingeworfen hatte.
11
Das Amtsgericht Lüdinghausen erließ gegenüber dem Kläger am 20. November 2007
einen Strafbefehl wegen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 7 des Aufenthaltsgesetzes mit
einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15,- Euro.
12
Seit November 2008 führt die Staatsanwaltschaft U. ein strafrechtliches
Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Trunkenheit im Verkehr aufgrund
Drogeneinflusses.
13
Der Kläger besuchte von 1989 bis 1998 die Grund- und Hauptschule. Von 1999 bis
2003 war er als Aushilfe bei verschiedenen Arbeitgebern tätig. Von 2003 bis Oktober
2007 wurden dem Kläger lediglich Duldungen ohne die Erlaubnis zur Ausübung einer
Beschäftigung erteilt. Seit November 2007 werden dem Kläger wieder Duldungen erteilt,
die es ihm ermöglichen, erwerbstätig zu sein. Seit April 2009 ist er auf 400-Euro-Basis
geringfügig beschäftigt. Darüber hinaus wird er nach seinen eigenen Angaben von
seiner Familie und von Freunden unterstützt. Ein Kurierdienst in S1. hat sich bereit
erklärt, den Kläger mit sofortiger Wirkung als Kurierdienstfahrer einzustellen.
14
Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 14. Januar 2008, ihm eine
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen, durch Bescheid vom 28.
Februar 2008 ab, und zwar im Wesentlichen mit der Begründung, dass sich der Kläger
während seines bisherigen Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland nicht
integriert habe, weil er nicht in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt aus eigenem
Erwerbseinkommen sicherzustellen, und weil er mehrfach straffällig geworden sei. Der
Aufenthalt seiner Lebensgefährtin und seiner Kinder führe ebenfalls nicht dazu, ihm eine
Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weil alle Familienmitglieder vollziehbar
ausreisepflichtig seien und es ihnen deshalb möglich und zumutbar sei, nach Syrien
auszureisen. Sollte die Lebensgefährtin nicht die Staatsangehörigkeit des Klägers
besitzen, sei es ihr zuzumuten, sich ein Visum für die Einreise nach Syrien zu
verschaffen.
15
Der Kläger hat am 18. März 2008 Klage erhoben.
16
Er macht geltend:
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Er lebe seit dem Jahre 1989 in der Bundesrepublik Deutschland und habe sich hier
integriert. Seine Lebensgefährtin lebe ebenfalls hier. Auch seien seine beiden Kinder in
der Bundesrepublik Deutschland geboren worden. Zu seinem Heimatstaat Syrien habe
er keinerlei Kontakt mehr. Auch könne er dorthin nicht zurückkehren, weil er aufgrund
seiner psychischen Erkrankung nicht reisefähig sei.
18
Der Beklagte hat dem Kläger nach Anhörung durch Bescheid vom 5. Mai 2009 die
Abschiebung nach Syrien angedroht, wenn er nicht bis zum 30. Mai 2009 freiwillig
ausreist. Hiergegen hat der Kläger am 8. Juni 2009 Klage erhoben. Das Gericht hat
durch Beschluss vom 15. Juli 2009 beide Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und
Entscheidung verbunden.
19
Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide vom 26. Februar 2008 und vom 5.
Mai 2009 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu
erteilen;
21
hilfsweise, den Beklagten unter Aufhebung der vorgenannten Bescheide zu verpflichten,
ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
22
Der Beklagte beantragt,
23
die Klage abzuweisen.
24
Zur Begründung bezieht sich der Beklagte auf die Ausführungen in seinem Bescheid
vom 26. Februar 2008 und trägt ergänzend vor, dass der Kläger auf der Grundlage eines
fachärztlichen Gutachtens vom 30. April 2009 innerhalb von 8 bis 12 Wochen durch die
Einnahme von Medikamenten reisefähig sein könne, so dass ihm eine
Aufenthaltserlaubnis wegen einer allenfalls vorliegenden vorübergehenden
Reiseunfähigkeit nicht erteilt werden könne. Auch habe der Kläger seine
Reiseunfähigkeit selbst verschuldet, weil er nicht regelmäßig seine Medikamente
einnehme.
25
Das vom Beklagten gemäß § 72 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes um Stellungnahme
gebetene Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat am 13. Februar 2009 mitgeteilt,
dass Schizophrenie in Syrien fachgerecht medizinisch und medikamentös behandelbar
sei, so dass ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 des
Aufenthaltsgesetzes nicht vorliege.
26
Der Beklagte hat Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes zur Behandelbarkeit von
Schizophrenie in Syrien eingeholt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die
Schreiben des Auswärtigen Amtes an den Beklagten Bezug genommen.
27
Der Beklagte hat Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr.
Florange zur Reisefähigkeit des Klägers eingeholt. Auf den Inhalt der Gutachten vom
30. April 2009 und vom 8.Juni 2009 wird Bezug genommen.
28
Das Gericht hat den Antrag des Klägers, Beweis zu erheben dazu, dass er an einer
schizophrenen Psychose mit halluzinatorischer Symptomatik leide, dadurch eine
Reiseunfähigkeit gegeben sei und für diese eine Behandlungszeit von mehr als 6
Monaten im Inland anzusetzen sei, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens
eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie durch Beschluss vom 15. Juli 2009
abgelehnt.
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Der Antrag des Klägers, ihm durch Erlass einer einstweiligen Anordnung Schutz vor
einer Abschiebung nach Syrien zuzusprechen, ist durch Beschluss vom 17. April 2008
im Verfahren 5 L 128/08 abgelehnt worden. Im Beschwerdeverfahren vor dem OVG
NRW zum Aktenzeichen 18 B 693/08 hat der Beklagte ein Gutachten seines
Gesundheitsamtes vom 3. September 2008 eingeholt. Darin wird die Reiseunfähigkeit
des Klägers für 6 Monate festgestellt. Daraufhin ist das vorgenannte Verfahren in der
Hauptsache für erledigt erklärt worden.
30
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird Bezug genommen auf den
Inhalt der Gerichtsakten, der Verfahrensakte 5 L 128/08 und auf den Inhalt der vom
Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
32
Die Klage ist mit ihrem ersten Hauptantrag, den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger
eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen, unbegründet.
33
Eine Verpflichtung des Beklagten ergibt sich nicht aus § 104 a Abs. 1 Satz 1 des
Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern
im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG - vom 30. Juli 2004, BGB I S. 1950 in
der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 BGBl I S. 162).
34
§ 104 a Abs. 1 Satz 3 AufenthG sieht vor, dass einem geduldeten Ausländer, der seinen
Lebensunterhalt nicht eigenständig durch Erwerbstätigkeit sichert nach einer
bestimmten Aufenthaltsdauer eine Aufenthaltserlaubnis nach Satz 1 erteilt werden soll,
wenn in Satz 1 Nr. 1 bis 6 im Einzelnen genannte Voraussetzungen erfüllt bzw. dort
angeführte Ausschlussgründe nicht gegeben sind.
35
§ 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG sieht in seiner Nr. 6 vor, dass eine Aufenthaltserlaubnis
nach dieser Vorschrift ausgeschlossen ist, wenn der Ausländer wegen einer im
Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde. Dies trifft auf den
Kläger zu, denn er ist durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 23. Juli 2001 wegen
räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten verurteilt
worden. Zwar ist diese für 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzte Strafe mit Wirkung vom
17. September 2004 erlassen worden. Dies führt jedoch nicht dazu, den
Ausschlusstatbestand des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG zu verneinen.
Entscheidend ist vielmehr, dass die Strafe in dem für die Beurteilung der Sach- und
Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts noch nicht getilgt
worden ist. Die Tilgungsfrist beträgt hier gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 2 b des
Bundeszentralregistergesetzes 10 Jahre. Die Tilgungsfrist ist deshalb noch nicht
abgelaufen mit der Folge, dass dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104 a
Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht erteilt werden darf.
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Der Beklagte ist auch nicht gemäß § 104 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG verpflichtet, dem
Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Diese Vorschrift setzt u. a. voraus, dass
gewährleistet erscheint, dass sich der Ausländer aufgrund seiner bisherigen Ausbildung
und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland
einfügen kann. Dies trifft bei dem Kläger nicht zu, weil er mehrfach straffällig geworden
ist, z. Zt. ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit am Steuer unter
Drogeneinfluss anhängig ist und er seit dem Schulabschluss nicht in der Lage gewesen
ist, seinen Lebensunterhalt auf Dauer aus eigenem Erwerbseinkommen sicherzustellen.
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Der Beklagte ist nicht gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG verpflichtet, dem Kläger eine
Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, denn seine Ausreise ist weder aus rechtlichen noch
aus tatsächlichen Gründen unmöglich.
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Die Ausreise des Klägers ist nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich.
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Auf das Vorbringen des Klägers, dass er möglicherweise bei einer Rückkehr in sein
Heimatland, die Arabische Republik Syrien, wegen seiner psychischen Erkrankung
nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst medizinisch versorgt werden kann, kommt
es nicht an, denn insoweit könnte allenfalls ein zielstaatsbezogenes
Abschiebungshindernis vorliegen, dessen Überprüfung ausschließlich dem Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge vorzuhalten bleibt, wenn das Bundesamt - wie hier -
zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse in einem von dem Ausländer
eingeleiteten Asylverfahren schon einmal geprüft und verneint hat (BVerwG, Urteil vom
27. Juni 2006 - 1 C 14.05 -, BVerwG E 126, 192 = NVwZ 2006, 1418).
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Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse liegen bei dem Kläger nicht vor.
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Die Entscheidung des Beklagten, dem Kläger keine Aufenthaltserlaubnis aus
humanitären Gründen zu erteilen, verstößt nicht gegen das Grundrecht auf den Schutz
von Ehe und Familie aus Art. 6 GG, weil der Kläger nicht verheiratet ist und mit seiner
Lebensgefährtin sowie mit seinen Kindern zu keinem Zeitpunkt seines Aufenthaltes in
der Bundesrepublik Deutschland in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hat. Insoweit
nimmt das Gericht Bezug auf die Ausführungen in seinem Beschluss vom 17. April 2008
- 5 L 128/08 -, die durch das Klagevorbringen nicht entkräftet worden sind.
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Die Entscheidung des Beklagten, dem Kläger keine Aufenthaltserlaubnis aus
humanitären Gründen zu erteilen, verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit. Insbesondere ergeben sich aus dieser Entscheidung keine
unangemessenen Nachteile für den Kläger, weil sie nicht gegen Art. 8 EMRK verstößt.
Auch insoweit nimmt das Gericht, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die
Ausführungen in seinem vorgenannten Beschluss Bezug, die durch das
Klagevorbringen nicht entkräftet worden sind.
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Dem sowohl durch Art. 6 GG als auch durch Art. 8 EMRK geschützten Recht des
Klägers auf Umgang mit seinen Kindern kann dadurch Rechnung getragen werden,
dass er entweder vom Beklagten wie bisher eine Duldung erhält oder dadurch, dass der
Kläger und seine vollziehbar ausreisepflichtigen Familienangehörigen in die Arabische
Republik Syrien zurückkehren, um dort die familiäre Lebensgemeinschaft erstmals
aufzunehmen.
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Die Entscheidung des Beklagten, dem Kläger keine Aufenthaltserlaubnis aus
humanitären Gründen zu erteilen, verstößt auch nicht gegen sein Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 GG.
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Selbst wenn der Kläger in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage
maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht reisefähig sein sollte, ist
der Beklagte nicht gemäß § 25 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AufenthG verpflichtet, eine
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen.
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Aus dem Zusammenhang von § 26 Abs. 1 Satz 1 und § 60 a Abs. 1 und 2 AufenthG
ergibt sich, dass eine Aufenthaltserlaubnis wegen Reiseunfähigkeit nur erteilt werden
muss, wenn die Reiseunfähigkeit für mehr als 6 Monate besteht.
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§ 26 Satz 1 AufenthG sieht vor, dass eine Aufenthaltserlaubnis bei Vorliegen der
gesetzlichen Voraussetzungen im Übrigen für einen Zeitraum von 6 Monaten bis zu 3
Jahren erteilt werden muss, wenn sich der Ausländer mindestens 18 Monate rechtmäßig
im Bundesgebiet aufgehalten hat. Dies trifft auf den Kläger zu, denn er hat sich von
November 1989 bis zum Jahre 1993 während der Dauer seines ersten Asylverfahrens
im Besitz einer Aufenthaltsgestattung mehr als 18 Monate lang rechtmäßig in der
Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Mithin kommt für ihn bei Vorliegen der
gesetzlichen Voraussetzungen im Übrigen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur
dann in Betracht, wenn ein Ausreisehindernis besteht, das sich nicht innerhalb von 6
Monaten beseitigen lässt. Für Ausreisehindernisse bis zu 6 Monaten ist eine Duldung
vorgesehen, weil es sich bei einem Aufenthalt von bis zu 6 Monaten um eine
vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet handelt, der durch die Erteilung einer
Duldung auf der Grundlage des § 60 a Abs. 1 und 2 AufenthG Rechnung zu tragen ist.
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Hieran anknüpfend kommt das Gericht auf der Grundlage des vom Beklagten
eingeholten psychiatrischen Gutachtens vom 30. April 2009 zu dem Ergebnis, dass der
Kläger für die Dauer von 2 bis 3 Monaten nicht reisefähig ist, weil dieser Zeitraum
erforderlich ist, um ihn medikamentös so einzustellen, dass er in seinen Heimatstaat
ausreisen kann. Für das Gericht ist auf der Grundlage der Ausführungen des Gutachters
zu Frage 10 des Gutachtenauftrages nachvollziehbar, dass der Kläger gegenwärtig
nicht reisefähig ist, dass er aber im Rahmen einer adäquaten stationären und
ambulanten psychiatrisch/psychotherapeutischen Behandlung innerhalb von 8 - 12
Wochen so stabilisiert werden kann, dass eine Abschiebung unter Arztbegleitung
durchgeführt werden kann. Wenn eine Abschiebung möglich und zumutbar ist, gilt dies
auch für eine freiwillige Ausreise.
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Es ist nicht notwendig, durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens
Beweis darüber zu erheben, ob der Kläger an einer schizophrenen Psychose mit
halluzinatorischer Symptomatik leidet und ob dadurch eine Reiseunfähigkeit gegeben
ist, für die eine Behandlungszeit von mehr als 6 Monaten im Inland anzusetzen ist. Das
Gericht ist nur dann verpflichtet, ein (weiteres) Gutachten zur Reisefähigkeit des Klägers
einzuholen, wenn das bisherige Gutachten in sich widersprüchlich ist, Zweifel an der
Unparteilichkeit des Gutachters hervorruft oder von einem weiteren Sachverständigen
eine überlegenere Sachkunde zu erwarten ist (BVerwG, Beschluss vom 21. September
1994 - 1 B 131.93 -, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, Gliederungsnummer 310, Nr. 46 S. 2). Dies trifft hier nicht
zu. Es ist nicht ersichtlich, dass der vom Beklagten beauftragte Gutachter ein Gutachten
erstellt haben könnte, das die vorgenannten Mängel aufweist.
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Das Gutachten vom 30. April 2009 weist keinen Widerspruch zum Gutachten vom 8.
Juni 2009 auf. In dem Gutachten vom 8. Juni 2009 werden lediglich die Angaben zu
Ziffer 4 des Gutachtens vom 30.April 2009 zu den Einzelheiten des Transports des
Klägers im Falle seiner Reisefähigkeit konkretisiert. Aussagen zur Reisefähigkeit selbst
finden sich nur in Ziffer 10 des Gutachtens vom 30. April 2009. Darin wird für das Gericht
nachvollziehbar dargelegt, dass die gegenwärtig nicht bestehende Reisefähigkeit des
Klägers innerhalb von 8 bis 12 Wochen durch eine bestimmte ärztliche Behandlung
hergestellt werden kann.
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Es besteht auch keine Besorgnis der Befangenheit des Gutachters. Allein der Umstand,
dass der Gutachter in seiner Stellungnahme zu einer für den Kläger ungünstigen
Beurteilung kommt, führt nicht dazu, bei ihm anzunehmen, dass er befangen ist.
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Auch hat der Kläger nicht dargelegt, dass die von ihm als sachverständige Zeugin
benannte Fachärztin Dr. S2. über eine Dr. Florange überlegene Sachkunde für die
Beurteilung der Reisefähigkeit des Klägers verfügt.
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Mithin ist die Ausreise des Klägers nicht rechtlich unmöglich.
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Der Beklagte ist auch nicht gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG i. V. m. dem Erlass des
Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2006 - Az.: 15-
39.08.01-3 - verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären
Gründen zu erteilen, weil der Kläger in dem für den Erlass maßgeblichen Zeitpunkt vom
17. November 2006 auf die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen war und weil er die vorerwähnten Straftaten
begangen hat (Ziffer 1.1.3 und 1.4.6 des vorgenannten Erlasses).
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Der Hilfsantrag des Klägers, den Beklagten zu verpflichten, ihn unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, ist ebenfalls unbegründet, weil die
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis schon aus Rechtsgründen ausscheidet, so dass
dem Beklagten kein Ermessen eröffnet ist.
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Die Androhung der Abschiebung in dem Bescheid des Beklagten vom 5. Mai 2009 ist
rechtmäßig. Der Beklagte hat in diesem Bescheid zutreffend dargestellt, dass die
gesetzlichen Voraussetzungen des § 59 AufenthG erfüllt sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, ihre vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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