Urteil des VG Münster vom 21.07.2008

VG Münster: cannabis, blutprobe, konzentration, parkplatz, abend, führer, entziehung, blutentnahme, polizeibeamter, entziehen

Verwaltungsgericht Münster, 10 K 94/08
Datum:
21.07.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 94/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch den
Beklagten.
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Im Jahre 2005 gab der Kläger im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung zu, im
November 2004 zwei Gramm Marihuana zum Eigenverbrauch erworben zu haben und
das Betäubungsmittel konsumiert zu haben.
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In der Nacht vom 14. September 2007 auf den 15. September 2007 wurde der Kläger
zusammen mit zwei anderen Personen, Herrn F. und Herrn I., in einem Fahrzeug auf
einem Parkplatz in S. von der Polizei angetroffen. Nach Darstellung der Polizei gab der
Kläger zu, als Fahrer eines Pkw mit zwei Freunden nach Holland gefahren zu sein und
sich dort eine Cannabiszigarette geteilt zu haben. Auf Nachfrage habe der Kläger
ausdrücklich zugegeben, auch selbst geraucht zu haben. Danach sei er mit dem Pkw
wieder nach Deutschland auf den Parkplatz gefahren. Hier hätten sich alle drei
wiederum eine Cannabiszigarette geteilt. Nach dem rechtsmedizinischen Gutachten von
Prof. Dr. Q. vom 22. Oktober 2007 über die chemisch-toxikologische Untersuchung der
vom Kläger abgegebenen Blutprobe stand der Kläger zum Zeitpunkt der Blutentnahme
unter akuter Cannabiseinwirkung mit einer THC-Konzentration im Blut von 2,1 ng/ml.
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Unter dem 10. Dezember 2007 erging gegen den Kläger ein Bußgeldbescheid, in dem
ihm vorgeworfen wurde, am 14. September 2007 ein Kraftfahrzeug unter
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Cannabiseinfluss geführt zu haben. Gegen diesen Bußgeldbescheid legte der Kläger
unter dem 13. Dezember 2007 Einspruch ein. Das Amtsgericht Bocholt stellte am 12.
Juni 2008 das Bußgeldverfahren gegen den Kläger gem. § 47 Abs. 2 des
Ordnungswidrigkeitengesetzes ein.
Mit Ordnungsverfügung vom 13. Dezember 2007 entzog der Beklagte dem Kläger die
Fahrerlaubnis, ordnete die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis an,
forderte den Kläger auf, seinen Führerschein innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung
der Verfügung abzugeben, und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe
des Führerscheins die Anwendung unmittelbaren Zwangs an. Zur Begründung trug er
vor: Aus einer Beschuldigtenvernehmung der Kreispolizeibehörde Borken gehe hervor,
dass der Kläger nach eigenen Angaben im November 2004 Cannabisprodukte
konsumiert habe. Nach dem Bericht der Kreispolizeibehörde Borken vom 15. September
2007 habe der Kläger am 14. September 2007 in S. unter dem Einfluss von
Betäubungsmitteln (Cannabis) ein Kraftfahrzeug geführt. Auf Grund dieser Tatsachen
sei nachgewiesen, dass er gelegentlich Cannabisprodukte konsumiere und zudem nicht
in der Lage sei, zwischen dem Konsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs sicher zu
trennen. Damit sei er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet. Aus diesem
Grund sei ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen.
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Hiergegen hat der Kläger am 11. Januar 2008 die vorliegende Klage erhoben. Zur
Begründung trägt er vor: Er habe zu keiner Zeit unter dem Einfluss von Drogen ein
Kraftfahrzeug geführt.
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Der Kläger beantragt,
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die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 13. Dezember 2007 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht er sich auf den Inhalt der angefochtenen Verfügung.
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In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht Beweis erhoben durch Vernehmung der
Zeugen C., F. und I.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge sowie der Bußgeldakte des Amtsgerichts Bocholt 99 Js 146/08
Owi Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger wird durch die
Ordnungsverfügung des Beklagten vom 13. Dezember 2007 nicht rechtswidrig in seinen
Rechten verletzt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die mit der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 13. Dezember 2007 verfügte
Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers beruht auf § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. § 46 Abs.
1 FeV. Nach diesen Vorschriften hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu
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entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen
erweist. Das gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 zur
Fahrerlaubnisverordnung vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur
Fahrerlaubnisverordnung ist die Fahreignung grundsätzlich nicht gegeben, wenn der
Betroffene gelegentlich Cannabis einnimmt und nicht in der Lage ist, zwischen dem
Konsum von Cannabis und dem Führen eines Fahrzeugs zu trennen. Diese
Voraussetzungen liegen in der Person des Klägers vor.
Der Kläger nimmt gelegentlich Cannabis ein, weil er das Betäubungsmittel nicht nur
einmal, sondern in mindestens zwei Fällen konsumiert hat. Bei einer
Beschuldigtenvernehmung im Jahre 2005 hat der Kläger eingeräumt, Marihuana
erwoben und konsumiert zu haben. Des weiteren hat er am Abend des 14. September
2007 Cannabis eingenommen. Nach dem rechtsmedizinischen Gutachten von Prof. Dr.
Q. vom 22. Oktober 2007 über die chemisch-toxikologische Untersuchung der vom
Kläger abgegebenen Blutprobe stand er zum Zeitpunkt der Blutentnahme unter akuter
Cannabiseinwirkung mit einem THC-Wert von 2,1 ng/ml sowie einem THC-COOH-Wert
von 22,0 ng/ml. Die Tatsache, dass zwischen den beiden Cannabiseinnahmen ein
Zeitraum von fast drei Jahren liegt, steht der Annahme eines gelegentlichen
Cannabiskonsums nicht entgegen. Vielmehr deutet der Umstand, dass der Kläger
eigens in die Niederlande gereist ist, um sich dort Cannabis zu beschaffen, auf einen
Konsum hin, der nicht nur einmalig erfolgt ist.
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Darüber hinaus ist der Kläger nicht in der Lage, zwischen dem Konsum von Cannabis
und dem Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen. Nach der in der mündlichen
Verhandlung durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest,
dass der Kläger am 14. September 2007 in den Niederlanden Cannabis konsumiert hat
und anschließend als Führer eines Kraftfahrzeuges mit seinen Freunden, den Zeugen
F. und I., nach S. zurückgefahren ist. Der Zeuge C. hat glaubhaft bekundet, er habe in
seiner Eigenschaft als Polizeibeamter den Kläger sowie seine beiden Freude am 14.
September 2007 in ihrem PKW auf einem Parkplatz in S. angetroffen und sowohl der
Kläger als auch der Zeuge F. hätten ihm gegenüber eingeräumt, dass der Kläger vor
Fahrtantritt in den Niederlanden Cannabis konsumiert habe. Diese Aussage deckt sich
inhaltlich vollständig sowohl mit der von dem Zeugen C. gefertigten
Verkehrsordnungswidrigkeitenanzeige vom 15. September 2007, in der die Einlassung
des Klägers, er habe vor der Fahrt mit seinen beiden Kollegen einen Joint geraucht,
wiedergeben ist, als auch mit der schriftlichen Äußerung des Polizeioberkommissars C.
vom 30. Januar 2008. Der Zeuge konnte in der mündlichen Verhandlung auch glaubhaft
ausschließen, dass der Kläger die Frage nach einem Cannabiskonsum vor Fahrtantritt
falsch verstanden haben könnte.
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Demgegenüber erweisen sich die Angaben des Klägers sowie die Aussagen der
Zeugen F. und I., der Kläger habe vor Fahrtantritt in den Niederlanden kein Cannabis
konsumiert und weder der Kläger noch der Zeuge F. hätten gegenüber der Polizei einen
Cannabiskonsum des Klägers in den Niederlanden eingeräumt, als unglaubhaft.
Während sich der Kläger an das Geschehen am Abend des 14. September 2007 fast
vollständig erinnern konnte und in der Lage war, die Abläufe genau wiederzugeben,
zeigte er bei der Frage, welche Angaben er gegenüber dem Polizeibeamten gemacht
habe, ein unsicheres und ausweichendes Antwortverhalten. Er gab an, er wisse nicht
mehr, was er genau gesagt habe. Vielleicht habe der Polizeibeamter es falsch
verstanden und gemeint, er hätte gesagt, auch in Holland geraucht zu haben. Diese
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Einlassung kann dem Kläger nicht abgenommen werden. Wenn er den
Cannabiskonsum in den Niederlanden vor Fahrtantritt gegenüber der Polizei in keiner
Weise eingeräumt hätte, könnte er sich daran - wie auch an das übrige Geschehen an
dem Abend - genau erinnern. Auch der Zeuge F. wirkte auf die Frage, was er gegenüber
der Polizei angegeben habe, im Gegensatz zu seinem sonstigen Aussageverhalten
unsicher und erklärte, er wisse nicht mehr genau, was er gesagt habe. Seine Aussage,
es könne sein, er habe gegenüber der Polizei gesagt, dass sie zusammen geraucht
hätten, er habe aber - was den Kläger angehe - nur Zigaretten gemeint, erweist sich als
völlig lebensfremd und schon deshalb unglaubhaft. Es war dem Zeugen F. völlig klar,
dass die Polizei nach einem Cannabiskonsum des Klägers gefragt hat. Auch der Zeuge
I. konnte nicht glaubhaft bekunden, dass der Kläger sowie Herr F. gegenüber der Polizei
einen Cannabiskonsum des Klägers in den Niederlanden nicht eingeräumt hätten. Auch
er berief sich darauf, insoweit keine genauen Angaben machen zu können. Das
ausweichende Aussageverhalten des Klägers sowie der Zeugen F. und I. belegt, dass
sie die wahren Umstände nicht offenbaren wollten und die Aussage des Zeugen C.,
sowohl der Kläger als auch Herr F. hätten ihm gegenüber den Cannabiskonsum des
Klägers vor der Fahrt eingeräumt, den Tatsachen entspricht. Haben der Kläger sowie
die Zeugen F. und I. insoweit unrichtige Angaben gemacht, sind ihre Behauptungen, der
Kläger habe in den Niederlanden keine Betäubungsmittel konsumiert, ebenfalls
unglaubhaft. Die Angaben des Klägers und des Herrn F. gegenüber der Polizei lassen
nur den Schluss zu, dass der eingeräumte Cannabiskonsum des Klägers in den
Niederlanden tatsächlich stattgefunden hat.
Indem der Kläger in den Niederlanden Cannabis konsumiert hat und anschießend als
Führer eines Kraftfahrzeuges am Straßenverkehr teilgenommen hat, hat er gezeigt, dass
er nicht in der Lage ist, zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines
Kraftfahrzeuges zu trennen. Das gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass nicht genau
festgestellt werden konnte, wie hoch der Wert des Cannabiswirkstoffs THC im Blut des
Klägers zum Fahrtzeitpunkt war. In dem rechtsmedizinischen Gutachten über die
Untersuchung der vom Kläger abgegebenen Blutprobe wurde ein THC-Wert von 2,1
ng/ml festgestellt. Auch wenn zum Zeitpunkt der Straßenverkehrsteilnahme eine
geringere THC-Konzentration im Blut des Klägers bestanden hat - weil der Kläger nach
Beendigung der Fahrt und vor Entnahme der Blutprobe erneut Cannabis konsumiert hat
-, kann das Trennungsvermögen nicht bejaht werden. Denn für die Frage, ob jemand in
der Lage ist, zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeuges und dem Konsum von
Cannabis zu trennen, kommt es auf die Höhe der festgestellten THC-Konzentration im
Blut nicht entscheidend an. Das Erreichen oder Überschreiten bestimmter Grenzwerte
allein ermöglicht nur in beschränktem Maße Aussagen über die konkrete
Fahrtauglichkeit,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2007 - 16 B 907/07 -, Blutalkohol 44, 336, mit
weiteren Nachweisen.
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Es kommt auch nicht darauf an, dass beim Kläger während der Teilnahme am
Straßenverkehr keine drogenbedingten Auffälligkeiten und Ausfallerscheinungen
nachgewiesen werden konnten,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2007, a.a.O: Fehlendes Trennungsvermögen
zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen ist
unabhängig von der beim Fahrerlaubnisinhaber ermittelten THC-Konzentration
jedenfalls dann zu bejahen, wenn in einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit dem
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Führen eines Kraftfahrzeuges drogenbedingte Auffälligkeiten oder
Ausfallerscheinungen festgestellt werden, die einen Bezug zur aktuellen Fahrtüchtigkeit
aufweisen.
Das fehlende Trennungsvermögen resultiert im vorliegenden Fall bereits daraus, dass
der Kläger sich zusammen mit seinen beiden Freunden eine Cannabiszigarette geteilt
hat, sich kurze Zeit später an das Steuer eines Kraftfahrzeugs gesetzt hat und eine nicht
ganz unerhebliche Strecke - von den Niederlanden bis nach S. - zurückgelegt hat. Die
Frage, ob ein bestimmter THC-Wert im Blut erreicht ist oder drogenbedingte
Ausfallerscheinung feststellbar sind, spielt dann eine Rolle, wenn der
Betäubungsmittelkonsum längere Zeit zurückliegt und der Betroffene davon ausgehen
konnte, der Drogenkonsum beeinträchtige das Fahrvermögen nicht mehr. Wenn aber
jemand - so wie der Kläger - kurze Zeit nach dem Konsum von Cannabis als Führer
eines Kraftfahrzeugs am Straßenverkehr teilnimmt, kann er nicht auf seine
Fahrtauglichkeit vertrauen, da die Wirkung des Cannabiskonsum weit schwieriger
einzuschätzen ist als insbesondere die Wirkung von Alkohol. Er kann nicht sicher
ausschließen, dass eine drogenbedingte Fahruntauglichkeit bereits erreicht ist und
andere Verkehrsteilnehmer gefährdet werden. Wer in einem nahen zeitlichen
Zusammenhang mit einem Cannabiskonsum ein Kraftfahrzeug führt, zeigt nicht das
Verantwortungsbewusstsein, das erforderlich ist, um zwischen dem Konsum von
Betäubungsmitteln und dem Führen eines Kraftfahrzeuges hinreichend sicher trennen
zu können.
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Die Aufforderung, den Führerschein bei dem Straßenverkehrsamt des Beklagten
abzugeben, folgt aus § 47 Abs. 1 FeV. Die Androhung der Anwendung unmittelbaren
Zwangs beruht auf den einschlägigen Vorschriften des
Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen und begegnet
ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr.
11, 711 ZPO.
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