Urteil des VG Münster vom 30.11.2006

VG Münster: einkünfte aus erwerbstätigkeit, notlage, pflege, studiengebühr, einziehung, verfügung, anfang, vollstreckung, belastung, erlass

Verwaltungsgericht Münster, 1 K 3179/04
Datum:
30.11.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 3179/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Kläger begehrt die gerichtliche Verpflichtung der Beklagten zum Erlass der auf der
Grundlage des Studienkonten- und -finanzierungsgesetzes (StKFG) erhobenen
Studiengebühren für das Sommersemester (SS) 2004 und für das Wintersemester (WS)
2004/2005. Er begann im WS 1992/93 an der Universität Münster das
rechtswissenschaftliche Studium, dessen gesetzliche Regelstudienzeit einschließlich
aller Prüfungsleistungen neun Semester beträgt (§ 1 Satz 2 des bisherigen
Juristenausbildungsgesetzes - JAG -). Das SS 2004 war das 24. Semester und das WS
2004/2005 das 25. Semester des Klägers. Er war während keines Semesters vom
Studium beurlaubt.
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Die Beklagte zog den Kläger durch Gebührenbescheid vom 5. Dezember 2003 zu einer
Gebühr für das SS 2004 in Höhe von 650 EUR heran und begründete dies damit, dass
der Kläger sein Studienguthaben wegen Überschreitung der 1,5fachen Regelstudienzeit
verbraucht habe. Der Kläger erhob durch Schreiben vom 28. Dezember 2003
Widerspruch und stellte einen Härtefallantrag mit dem Ziel, ihn aufgrund persönlicher
Umstände und mangels wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit von der Zahlung der Gebühr
zu befreien. Er habe seine Mutter, die schwer erkrankt gewesen sei, und seine
Großmutter gepflegt. Deshalb habe er die intensive Examensvorbereitung, welche ein
erstes juristisches Staatsexamen verlange, nicht leisten können. Er habe im Jahr 2003
durch Arbeit zwischen 500 EUR und 800 EUR monatlich brutto verdient. Der Hausarzt
des Klägers führte in der beigebrachten ärztlichen Bescheinigung vom 30. September
2003 unter anderem aus: Die Mutter und die Großmutter des Klägers hätten unter
progredienten chronischen Erkrankungen gelitten. Der Kläger habe seine Mutter von
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Ende 1993 bis zu ihrem Tod Anfang Juli 2003 gepflegt und weitgehend betreut. Die
Großmutter habe der Kläger zumindest in der Zeit von 1997 bis zu deren Tod Ende
2001 versorgt und gepflegt. Der Kläger sei aufgrund erheblicher Belastungen bei der
Durchführung seines Studiums deutlich gehandicapt gewesen. Zeitliche
Verschiebungen seien unumgänglich gewesen.
Die Beklagte setzte durch weiteren Bescheid vom 8. Juli 2004 die Studiengebühr für
das WS 2004/2005 in Höhe von 650 EUR fest. Der Kläger wandte sich daraufhin mit
Schreiben vom 19. Juli 2004 ("Erneuter Widerspruch und Härtefallantrag") an die
Beklagte. Er bat um die Bescheidung seines früheren Widerspruchs und erhob zugleich
Widerspruch gegen den Bescheid vom 8. Juli 2004 "aus den genannten Gründen". Der
Kläger fügte seinem Schreiben zum Beleg seines Arbeitseinkommens Unterlagen über
Zahlungseingänge aus der Zeit von Januar 2004 bis Ende Juni 2004 in Höhe von
insgesamt 5358 EUR bei.
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Die Beklagte wies den Widerspruch vom 28. Dezember 2003 durch
Widerspruchsbescheid vom 22. September 2004 zurück. Zugleich lehnte sie den Antrag
des Klägers auf Berücksichtigung als Härtefall (im SS 2004) mit der Begründung ab, der
Kläger befinde sich in keiner wirtschaftlichen Notlage im Zusammenhang mit
besonderen familiären Belastungen. Eine familiäre Belastung, die in der Vergangenheit
bestanden habe, könne nicht angerechnet werden. Zudem liege keine wirtschaftliche
Notlage vor, weil das Einkommen des Klägers den BAföG- Höchstsatz um
durchschnittlich ca. 300 EUR monatlich übersteige. Durch weiteren
Widerspruchsbescheid vom 23. November 2004 wies die Beklagte den Widerspruch
des Klägers vom 19. Juli 2004 zurück und führte unter anderem aus, dass sie auf die
Begründung des Klägers bereits in dem Widerspruchsbescheid vom 22. September
2004 eingegangen sei.
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Der Kläger hat jeweils am 22. Oktober 2004 und am 24. November 2004 Klage gegen
die jeweiligen Bescheide erhoben. Das Gericht hat die Verfahren miteinander
verbunden. Der Kläger macht im Wesentlichen geltend: Die Gebührenerhebung stelle
für ihn eine unbillige Härte dar. Er sei nicht in der Lage gewesen, innerhalb der
Regelstudienzeit sein Examen abzulegen. Die familiäre Belastung habe zu einer
entsprechenden Verzögerung seines Studiums geführt. Sein Einkommen läge nicht um
durchschnittlich ca. 300 EUR monatlich über dem BAföG-Höchstsatz. Er werde
entsprechende Unterlagen vorlegen.
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Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Widerspruchsbescheides vom 22.
September 2004 zu verpflichten, die Studiengebühr für das Sommersemester 2004 zu
erlassen;
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2.
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3. die Beklagte zu verpflichten, die Studiengebühr für das Wintersemester 2004/2005 zu
erlassen.
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4.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage in den verbundenen Verfahren abzuweisen.
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Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen in den erlassenen Bescheiden
und meint ferner, dass der Kläger keinen gesonderten Härtefallantrag für das WS
2004/2005 gestellt habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Verpflichtungsklage hat jedenfalls in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keine
Ansprüche darauf, dass die Beklagte ihm auf seine Anträge vom 28. Dezember 2003
und vom 19. Juli 2004 ("Erneuter Widerspruch und Härtefallantrag") hin die für das SS
2004 und für das WS 2004/2005 erhobenen Studiengebühren ganz oder teilweise
erlässt.
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Die Voraussetzungen eines Gebührenerlasses nach der maßgeblichen
Härtefallregelung des § 14 RVO-StKFG NRW vom 17. September 2003 (GV. NRW. S.
570/SGV. NRW. 223) liegen nicht vor. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG NRW
kann die Gebühr nach § 9 Abs. 1 Satz 1 StKFG auf Antrag von der Hochschule teilweise
oder ganz erlassen werden, wenn die Einziehung der Gebühr aufgrund besonderer
Umstände des Einzelfalls für die Studierende oder den Studierenden eine unbillige
Härte darstellt. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVO-StKFG NRW liegt eine unbillige
Härte bei der Einziehung der Gebühr nach § 9 Abs. 1 Satz 1 StKFG in der Regel vor bei
einer von der Studierenden oder dem Studierenden nicht zu vertretenden
wirtschaftlichen Notlage im Zusammenhang mit besonderen familiären Belastungen.
Das Vorliegen einer unbilligen Härte ist glaubhaft zu machen (§ 14 Abs. 3 Satz 1 RVO-
StKFG NRW). Bei der Auslegung und Anwendung der Härtefallregelung sind Sinn und
Zweck der Gebühr zu berücksichtigen. Ziel der Erhebung der Studiengebühr nach § 9
Abs. 1 Satz 1 StKFG ist es, die Gebührenfreiheit auf die Studien zu beschränken, die
dem Erwerb eines ersten berufsqualifizierenden Abschluss innerhalb einer
angemessenen Dauer dienen. Aus der Bemessung des Studienguthabens ist zu
schließen, dass der Gesetzgeber eine Studiendauer bis zur 1,5-fachen Regelstudienzeit
noch als angemessen ansieht. Die Studiengebühr verfolgt zugleich den Zweck, die
Studierenden, die einen ersten berufsqualifizierenden Abschluss anstreben, zu einem
zügigen Studium anzuhalten.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Dezember 2004 - 8 E 1072/04 - und vom 29.
Dezember 2004 - 8 E 1478/04 -.
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, dass für ihn
die Einziehung der für das SS 2004 und für das WS 2004/2005 erhobenen
Studiengebühren eine unbillige Härte darstellt.
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Er beruft sich Begründung einer unbilligen Härte auf eine wirtschaftliche Notlage und
studienzeitverlängernde Auswirkungen familiärer Belastungen durch eine in der
Vergangenheit geleistete Pflege und Betreuung seiner Mutter und seiner Großmutter. Er
kann damit, sei es unter dem Gesichtspunkt des Regelfalltatbestandes des § 14 Abs. 1
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Satz 2 Nr. 3 RVO-StKFG NRW, sei es nach der allgemeinen Härtefallbestimmung des §
14 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG NRW, keinen Erfolg haben.
Der Kläger hat schon nicht glaubhaft gemacht, dass er sich im SS 2004 und im WS
2004/2005 in einer nicht zu vertretenden wirtschaftlichen Notlage befand, die ohnehin
grundsätzlich nur bei Zusammentreffen mit sonstigen besonderen Umständen eine
unbillige Härte begründen könnte. Es fehlt an einer substantiierten Darlegung und
Glaubhaftmachung, dass ihm monatlich keine ausreichenden Mittel zur Verfügung
standen. Es sind nicht nur Einkünfte aus Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen, sondern
alle zur Verfügung stehenden Mittel einschließlich der Anrechnungen von Vermögen
nach Maßgabe der §§ 27 bis 30 BAföG (vgl. insoweit Abschnitt II der VV-StKFG NRW
vom 1. Oktober 2003 zu § 14 RVO-StKFG, MBl. NRW. 2003 S. 1155/SMBl. 22308). Der
Kläger hatte nach den vorgelegten Unterlagen schon allein aus seiner Erwerbstätigkeit
Zahlungseingänge in der Zeit von Januar 2004 bis Ende Juni 2004 in Höhe von
insgesamt 5358 EUR. Bei dieser Sachlage kann ohne weitere nähere Darlegungen und
Nachweise zur finanziellen Lage keine wirtschaftliche Notlage angenommen werden.
Der Kläger hat es jedoch lediglich dabei belassen, mit der Klageschrift vom 23.
November 2004 im Verfahren 1 K 3448/04 die Vorlage entsprechender Unterlagen
anzukündigen.
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Soweit der Kläger neben einer wirtschaftlichen Notlage studienzeitverlängernde
Auswirkungen familiärer Belastungen durch eine in der Vergangenheit geleistete Pflege
und Betreuung seiner Anfang Juli 2003 verstorbenen Mutter und seiner Ende 2001
verstorbenen Großmutter geltend macht, begründet dies ebenfalls keine unbillige Härte
bei der Einziehung der Gebühren für das SS 2004 und für das WS 2004/2005. Dabei
bedarf es keiner grundsätzlichen Erörterung der Frage, ob und inwieweit
studienzeitverlängernde Auswirkungen von besonderen familiären Belastungen der
Vergangenheit (bei Zusammentreffen mit einer aktuellen wirtschaftlichen Notlage, an
der es bereits nach dem zuvor Gesagten fehlt) die Annahme einer unbilligen Härte
rechtfertigen können. Eine unbillige Härte ist im Fall des Klägers allemal zu verneinen.
Ein Erlass der Studiengebühren widerspräche den gesetzlichen Zielen, die
Studierenden zu einem zügigen Studium anzuhalten und die Gebührenfreiheit
grundsätzlich auf Studien zu beschränken, die dem Erwerb eines ersten
berufsqualifizierenden Abschluss innerhalb einer angemessenen Dauer dienen. Eine
das Studium auf lange Zeit weit gehend verdrängende Pflege von Angehörigen ist mit
der Obliegenheit eines eingeschriebenen und nicht beurlaubten Studierenden, seine
Ausbildung zielstrebig zu verfolgen, unvereinbar. Der Kläger hatte bis zum Beginn des
SS 2004 die Regelstudienzeit seines Studiums von neun Semestern um 14 Semester
und die 1,5-fache Regelstudienzeit von aufgerundet 14 Semestern um neun Semester
überschritten. Er war während keines Semesters aus wichtigem Grund vom Studium
beurlaubt und hat sich auch nicht etwa vorübergehend exmatrikulieren lassen.
Abgesehen davon fehlen konkrete Darlegungen des Klägers zu den geltend gemachten
Auswirkungen familiärer Belastungen. Er hat nicht dargetan, an welchen Krankheiten
die Familienangehörigen litten, in welchem Ausmaß und Umfang welche Pflege
notwendig war, welche Pflege er selbst übernommen hat, ob andere Personen für diese
Pflege zur Verfügung standen und inwieweit die Pflege neben dem Studium möglich
war.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§
708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
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