Urteil des VG Münster vom 05.12.2005

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Verwaltungsgericht Münster, 7 L 917/05
Datum:
05.12.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 L 917/05
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 200.000 EUR festgesetzt.
G r ü n d e
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs.
3 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 der
Zivilprozessordnung - ZPO -).
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Bei der nur möglichen summarischen Prüfung spricht alles dafür, dass die
Antragstellerin keinen Anspruch auf Einschreiten der Antragsgegnerin gegen die
Beigeladene hat.
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Ein Anspruch auf Einschreiten steht der Antragstellerin nicht aus Art. 26 Abs. 3 der
Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und
Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen
Gemeinschaft, zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) 2557/2001 vom 28.
Dezember 2001 (EG-Abfallverbringungsverordnung - EG-AbfVerbrVO -) zu. Nach dieser
Vorschrift sorgt die zuständige Behörde am Bestimmungsort im Falle der durch den
Empfänger zu verantwortenden illegalen Verbringung dafür, dass die betreffenden
Abfälle vom Empfänger oder, sofern dies nicht möglich ist, von ihr selbst innerhalb von
30 Tagen, nachdem sie von der illegalen Beförderung Kenntnis erhalten hat, bzw.
innerhalb einer anderen mit den betroffenen zuständigen Behörden vereinbarten Frist
auf umweltverträgliche Weise beseitigt werden.
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Die Antragstellerin kann sich nicht mit Erfolg auf diese Vorschrift berufen. Es ist bereits
zweifelhaft, ob über diese Norm Drittschutz vermittelt wird, der Ansprüche Privater auf
behördliches Einschreiten gegen Dritte begründen kann. Drittschutz vermittelt eine
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Regelung, wenn sie objektiv nach ihrem aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung
zu erschließenden Sinn und Zweck nicht lediglich Allgemeininteressen, sondern auch
den Individualinteressen des betroffenen Einzelnen zu dienen bestimmt ist. Die
Regelung des Art. 26 Abs. 3 EG- AbfVerbrVO dient in erster Linie Allgemeininteressen,
sie eröffnet die Möglichkeit des sonderordnungsrechtlichen Einschreitens, damit die
Beseitigung des illegalen Zustandes zeitnah erfolgen kann und eine dem Wohl der
Allgemeinheit entsprechende Entsorgung von verbrachten Abfällen gewährleistet ist. Ob
der Schutz des Einzelnen mitgedachtes und mitverfolgtes Ziel dieser
Ermächtigungsnorm ist, ihr also partiell drittschützende Wirkung zukommt, erscheint
fraglich.
Selbst wenn aber ein Drittschutz auch im Rahmen des Art. 26 Abs. 3 EG- AbfVerbrVO
mit der Argumentation der Antragstellerin - das Vorliegen der Voraussetzungen des Art.
26 Abs. 3 EG-AbfVerbrVO begründe in der besonderen Dreieckskonstellation zwischen
Behörde, Empfänger und notifizierender Person einen Anspruch der notifizierenden
Person auf Tätigwerden gegen den Empfänger - für möglich gehalten und das Vorliegen
der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 26 Abs. 3 und 1 EG-AbfVerbrVO unterstellt
wird, steht der Antragstellerin ein Anspruch auf Einschreiten aufgrund der konkreten
Umstände nicht zu.
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Denn es sind Anhaltspunkte gegeben, die für das Vorliegen (auch) der
Voraussetzungen des Art. 26 Abs. 2 EG-AbfVerbrVO sprechen. Danach ist die
zuständige Behörde ermächtigt, gegen die notifizierende Person einzuschreiten, wenn
diese die nach Abs. 1 als illegal geltende Verbringung zu verantworten hat. Es kann bei
nur summarischer Prüfung jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass (auch) durch
ein Verhalten der Antragstellerin der Tatbestand des Art. 26 Abs. 1 EG- AbfVerbrVO
verwirklicht worden ist, sie die illegale Verbringung (auch) zu verantworten hat und die
zuständige Behörde deshalb nach Art. 26 Abs. 2 EG- AbfVerbrVO gegen sie vorgehen
könnte. Entsprechende Anhaltspunkte lassen sich aus dem Gutachten vom 30.
September 2005 entnehmen, welches im Rahmen eines beim Amtsgericht Castrop-
Rauxel durchgeführten Beweissicherungsverfahrens eingeholt worden ist. Der
Gutachter ist zwar zu einer weitgehenden Übereinstimmung der Ergebnisse der
chemischen Untersuchungen des verbrachten Abfalls mit den anlässlich der
Notifizierung übermittelten und der Zustimmung durch die betroffenen Behörden
zugrunde gelegten Daten gekommen; gleichzeitig hat er jedoch auf bei seinen
Untersuchungen festgestellte auffallend höhere Konzentrationen der Parameter Blei,
Cadmium, Nickel und Zink sowie ein deutlich geringeres Vorliegen der analysierten
PAK-Gehalte verwiesen. Mit Blick darauf kann im Rahmen der Prüfung im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nicht abschließend festgestellt werden, ob es sich bei dem
verbrachten Abfall tatsächlich um den im Rahmen der Notifizierung deklarierten Abfall
oder vielmehr um anderen Abfall handelt, letzteres mit der Folge, dass die
Voraussetzungen des Art. 26 Abs. 2 EG- AbfVerbrVO (gleichermaßen) erfüllt wären;
eine solche Prüfung müsste einem Hauptsacheverfahren vorbehalten sein.
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Ist die (Mit-)Verantwortung der Antragstellerin an einer illegalen Verbringung nicht
auszuschließen, kann die Antragstellerin ein Einschreiten der Antragsgegnerin
gegenüber der Beigeladenen nicht verlangen. Insofern bedarf es auch keiner weiteren
Vertiefung, ob ein solcher Anspruch auf Einschreiten schon wegen der eigenen (Mit-
)Verantwortlichkeit an der illegalen Verbringung von vornherein ausscheidet oder ob
eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Heranziehung der Beigeladenen deswegen
nicht in Betracht kommt, weil - jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - nicht
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ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin fehlerfrei nur gegen die Beigeladene
einschreiten kann.
Der Hilfsantrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die verbrachten Abfälle selbst einer
umweltverträglichen Entsorgung zuzuführen, hat keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin
kann nicht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet werden, nach Art. 26 Abs.
3 2. Alternative EG-AbfVerbrVO vorzugehen. Zur Begründung wird auf die bereits
genannten Gründe verwiesen, die insoweit gleichermaßen Geltung haben.
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Der weitere Hilfsantrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Beigeladene zur
vorläufigen Annahme der verbrachten Abfälle zu verpflichten, bleibt ebenfalls ohne
Erfolg. Ein Anspruch auf Einschreiten steht der Antragstellerin nicht aus den
Grundsätzen über den Folgenbeseitigungsanspruch zu. Ein solcher Anspruch kann nur
bejaht werden, wenn die Beeinträchtigung der Rechtsposition die unmittelbare Folge
hoheitlichen Handelns ist. Es ist aber - jedenfalls im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren - nicht feststellbar, ob das Unterlassen der Mitteilung der
Änderung der der Beigeladenen erteilten Genehmigung durch die Antragsgegnerin für
die geltend gemachte Beeinträchtigung der Antragstellerin unmittelbar kausal gewesen
ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus den §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 des
Gerichtskostengesetzes - GKG - in Verbindung mit den Ziffern 1.5 und 2.1.4 des
Streitwertkatalogs 2004. Den danach maßgeblichen Betrag der Aufwendungen für die
Entsorgung des verbrachten Abfalls hat das Gericht unter Berücksichtigung der
vorgetragenen Umstände (nämlich auf dem Hintergrund des vertraglich vereinbarten
Preises von 65,-- EUR pro Tonne einerseits und des Hinweises der Antragsgegnerin auf
mögliche Entsorgungskosten in Höhe von mindestens 500,-- EUR pro Tonne
andererseits) geschätzt und mit Blick auf das Begehren der Antragstellerin in Höhe des
für ein Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts festgesetzt.
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