Urteil des VG Münster vom 26.01.2001

VG Münster: juristische person, ausgleichsabgabe, kleine und mittlere unternehmen, beschäftigungspflicht, beihilfe, abgabepflicht, befreiung, berufsfreiheit, handel, begriff

Verwaltungsgericht Münster, 10 K 2759/97
Datum:
26.01.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 2759/97
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Hinterlegung des oder Sicherheitsleistung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Zahlung der Ausgleichsabgabe nach dem
Schwerbehindertengesetz (SchwbG) für das Jahr 1995.
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Die Klägerin betreibt zahlreiche Frisiersalons im gesamten Bundesgebiet.
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Durch Bescheid vom 12. Dezember 1996 teilte die Hauptfürsorgestelle des Beklagten
der Klägerin mit, da diese im Jahr 1995 weniger als 6 % Schwerbehinderte beschäftigt
habe, habe sie gemäß § 11 SchwbG eine Ausgleichsabgabe in Höhe von 236.800,- DM
zu zahlen. Den rückständigen Betrag der Ausgleichsabgabe stellte der Beklagte - unter
Anrechnung eines Guthabens in Höhe von 5.800,- DM - auf 231.000,- DM fest.
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Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin unter dem 2. Januar 1997 Widerspruch mit
der Begründung, die Festsetzung der Ausgleichsabgabe sei auf Grund einer
unzulässigen Zusammenfassung ihrer Einzelbetriebe erfolgt. Den Widerspruch wies der
Widerspruchsausschuss der Hauptfürsorgestelle des Beklagten durch
Widerspruchsbescheid vom 21. März 1997 zurück. Zur Begründung führte er im
Wesentlichen aus, die zu zahlende Ausgleichsabgabe sei zutreffend auf 231.000,- DM
festgesetzt worden. Für die Erhebung der Ausgleichsabgabe sei es unerheblich, aus
welchen Gründen der Arbeitgeber unbesetzte Pflichtplätze nicht durch Einstellung von
anrechnungsfähigen Personen besetzt. Sowohl § 5 sowie § 8 SchwbG bezögen sich auf
den Arbeitgeber und nicht auf den Betrieb oder einzelne Betriebsteile. Die
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Rechtsmittelbelehrung erfolgte dahingehend, dass Klage beim Verwaltungsgericht
Gelsenkirchen erhoben werden könne.
Mit bei Gericht am 4. April 1997 beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
eingegangenem Schreiben hat die Klägerin Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht
Gelsenkirchen hat sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das
Verwaltungsgericht Münster verwiesen.
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Die Klägerin ist der Ansicht, die Zusammenfassung von mehreren Einzelbetrieben
werde bei verfassungskonformer, an Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG und dem Übermaßverbot
und der Verhältnismäßigkeit orientierter Auslegung von § 5 Abs. 1 SchwbG nicht
getragen. In ihren sämtlichen Filialbetrieben seien weniger als 16 Arbeitnehmer
beschäftigt. Eine Pflicht zur Beschäftigung von Schwerbehinderten und
dementsprechend eine Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsabgabe bestehe
deshalb nicht. Die Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers gemäß § 5 Abs. 1 SchwbG
sei betriebsbezogen, nicht bezogen auf die juristische Person zu sehen. Die
Zusammenrechnung der Beschäftigung in den Einzelbetrieben belaste „Filialisten" wie
die Klägerin im Vergleich mit Einzelbetrieben unverhältnismäßig und sei ungeeignet,
den Gesetzeszweck zu erreichen, den Arbeitgeber zur Einstellung von
Schwerbehinderten anzuhalten. Die Herausnahme der Kleinbetriebe aus der
Beschäftigungspflicht und der Verpflichtung zur Entrichtung einer Ausgleichsabgabe
werde damit gerechtfertigt, dass Arbeitgeber mit einer kleineren Betriebsgröße in
Anbetracht der geringen oder fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit für
Schwerbehinderte ausgenommen werden sollten. Diese Erwägung sei nicht geeignet,
Arbeitgeber mit mehreren Kleinbetrieben zur Beschäftigung anzuhalten. Die
Beschäftigungsmöglichkeit stelle gerade auf den Betrieb als technische und
organisatorische Einheit ab. Es sei kein Unterschied zu sehen, ob verschiedene
Betriebe in unterschiedliche juristische Personen aufgeteilt oder unter dem Dach einer
juristischen Person tätig seien. Die demgegenüber aufgestellte Erwägung, das
Abstellen auf den juristischen Arbeitgeberbegriff sei notwendig, um es dem Arbeitgeber
zu verwehren, sich durch entsprechende Gestaltung der Einzelbetriebe seiner
Beschäftigungspflicht zu entziehen, sei nicht tragfähig. Die Struktur eines einzelnen
Betriebes, insbesondere seine Größe, sei durch wirtschaftliche, technische und
organisatorische Sachzwänge vorgegeben. Es wäre unklug, auf die Einstellung einer
zusätzlichen Kraft nur deshalb zu verzichten, weil dann die Zahlengrenze nach dem
SchwbG überschritten würde. Denn hierdurch entgingen einem Geschäftsmann
Umsätze und daraus sich ergebende Ertragsaussichten. Auch im Arbeitsrecht gelte ein
funktionaler Arbeitgeberbegriff, nach dem jeweils „der Betrieb" als Arbeitgeber gelte und
unerheblich sei, ob dieser Betrieb von mehreren Unternehmen gehalten werde. Daher
könne umgekehrt die formale Zusammenfassung mehrerer selbstständig geleiteter
Einzelbetriebe unter einem Dach nicht dazu führen, dass die Beschäftigungspflicht vom
funktionalen Arbeitgeberbegriff gelöst würde. Der vom Beklagten zu Grunde gelegte
formale Arbeitgeberbegriff verletze auch übermäßig das Recht der Klägerin auf
Berufsausübungsfreiheit gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Entsprechend der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 128 des
Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in der bis zum 30. Juni 1991 geltenden Fassung sei
die Entlastung von Kleinbetrieben verfassungsrechtlich geboten. Was für die
„Auferlegung der sozialen Folgekosten" der Frühpensionierung älterer Arbeitnehmer als
dem Übermaßverbot unterliegender Berufsausübungsregelung gelte, könne beim
„Ausgleich von Belastungen" nach dem SchwbG nicht anders sein. § 5 SchwbG sei
auch mangels einer abgestuften Kleinbetriebsregelung verfassungswidrig, die nach der
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Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 128 AFG allein dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspräche. Die Unverhältnismäßigkeit der Anknüpfung
an den formalen Arbeitgeberbegriff im Fall der Klägerin ergebe sich daraus, dass diese
eben keine zentrale Verwaltung, keinen zentralen Einkauf und kein zentrales
Management habe, sondern jede Filiale durch die örtliche Filialleiterin selbstständig
geleitet werde. Somit verstoße die Bevorzugung von Kleinarbeitgebern nach § 5 Abs. 1
SchwbG auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG und das
Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. § 5 Abs. 1
SchwbG sei in der vom Beklagten vorgenommenen Auslegung auch mit dem Beihilfe-
Verbot des Art. 92 Abs. 1 des EG-Vertrages unvereinbar. Bei der Auferlegung der Pflicht
zur Beschäftigung Schwerbehinderter, ersatzweise einer Abgabepflicht, handele es sich
um die Gewährung von Vorteilen aus staatlichen Mitteln in einem anderen Gewande. Es
mache für die Behandlung als „Beihilfen" i.S.v. Art. 92 Abs. 1 EG-Vertrag keinen
Unterschied, ob einer Gruppe von Unternehmen Mittel zugewandt, oder ob einer
anderen Gruppe von Unternehmen Abgaben auferlegt würden.
Die Klägerin beantragt,
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den Feststellungsbescheid des Beklagten vom 12. Dezember 1996 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 21. März 1997 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
11
Zur Begründung bezieht er sich auf den Widerspruchsbescheid vom 21. März 1997.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zu
den Akten gereichten Schriftsätze der Beteiligten, der Sitzungsniederschrift, der vom
Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (1 Ordner) sowie der Gerichtsakte 10 L
588/99 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässige Klage hat in der Sache
keinen Erfolg.
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Der Bescheid des Beklagten vom 12. Dezember 1996 und sein Widerspruchsbescheid
vom 21. März 1997 sind nicht rechtswidrig und verletzen die Klägerin nicht in ihren
Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Wie bereits im Beschluss vom 19. August 1999 in dem Verfahren gleichen Rubrums
hinsichtlich der Ausgleichsabgabe für das Jahr 1997 (10 L 588/99) dargelegt, liegen die
gesetzlichen Voraussetzungen für die Heranziehung der Klägerin zur
Ausgleichsabgabe vor. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SchwbG haben Arbeitgeber, solange
sie die vorgeschriebene Zahl Schwerbehinderter nicht beschäftigen, für jeden
unbesetzten Pflichtplatz monatlich eine Ausgleichsabgabe zu entrichten. Dabei trifft die
Pflicht zur Beschäftigung Schwerbehinderter gemäß § 5 Abs. 1 SchwbG u.a. private
Arbeitgeber, die über mindestens 16 Arbeitsplätze im Sinne des § 7 Abs. 1 (SchwbG)
verfügen; sie haben auf wenigstens 6 vom Hundert der Arbeitsplätze Schwerbehinderte
zu beschäftigen.
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Die Klägerin ist private Arbeitgeberin i.S.d. § 5 Abs. 1 SchwbG. Bei der Bestimmung des
Begriffes des - privaten - Arbeitgebers ist auch im Rahmen des
Schwerbehindertengesetzes vom arbeitsrechtlichen Arbeitgeberbegriff auszugehen.
Danach ist - ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Unternehmensgestaltung oder
Rechtsform - Arbeitgeber, wer einen anderen in abhängiger, entgeltlicher Arbeit als
Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt oder dessen Dienste annimmt.
18
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1989 - 5 C 64/84 -, Buchholz 436.61 § 4 SchwbG Nr. 1;
OVG NW, Urteil vom 30. Oktober 1985 - 10 A 2930/84 -; VG Münster, Urteil vom 13.
September 1984 - 5 K 1788/83 -; Wiegand, Kommentar zum SchwbG, § 5 Rn. 9; jeweils
mit weiteren Nachweisen.
19
Damit ist die Klägerin Arbeitgeberin aller in ihren verschiedenen Betrieben
Beschäftigten, da sie nach ihren Angaben Vertragspartnerin von Arbeitsverträgen in
ihren Filialen ist. Sie verfügt auch - unstreitig - insgesamt über mehr als 16 Arbeitsplätze
(i.S.d. § 7 SchwbG). Zwar sind in sämtlichen der von ihr betriebenen Filialen jeweils
weniger als 16 Arbeitnehmer beschäftigt. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist aber
bei der Berechnung der Pflichtplätze nach § 5 Abs. 1 SchwbG bei Arbeitgebern mit
mehreren Betrieben nicht jeweils auf die Zahl der Arbeitsplätze in den einzelnen
Betrieben abzustellen. Maßgeblich ist vielmehr allein, über wie viele Arbeitsplätze der
Arbeitgeber insgesamt verfügt. Das Schwerbehindertengesetz unterscheidet deutlich
zwischen den Begriffen des Arbeitgebers und des Betriebes. Dies zeigt etwa die
Bestimmung des § 13 Abs. 1 SchwbG, wonach die Arbeitgeber u.a. gesondert für jeden
Betrieb ein Verzeichnis der bei ihnen beschäftigten Schwerbehinderten zu führen und
den zuständigen Behörden vorzuzeigen haben. Schon dadurch, dass der Begriff des
Betriebes in § 5 SchwbG nicht übernommen ist, hier vielmehr allein der Begriff des
Arbeitgebers verwendet wird, wird deutlich, dass die Beschäftigungspflicht gemäß § 5
Abs. 1 SchwbG entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht betriebsbezogen ist.
Dies belegt vor allem auch der Vergleich zur früher geltenden Bestimmung über die
Verpflichtung zur Beschäftigung Schwerbeschädigter des § 3 Abs. 1 SchwbG 1961
(i.d.F. vom 14. August 1961, BGBl. I S. 1233), wonach "von den Arbeitgebern ... die
öffentlichen und privaten Betriebe auf wenigstens 6 vom Hundert der Arbeitsplätze
Schwerbeschädigte beschäftigen" mussten: Während die Beschäftigungspflicht
hiernach an den "Betrieb" anknüpfte, also die Zahl der Pflichtplätze für
Schwerbeschädigte für jeden einzelnen Betrieb eines Arbeitgebers gesondert zu
berechnen war, stellt § 5 Abs. 1 SchwbG in der heutigen Fassung allein auf den Begriff
des "Arbeitgebers" ab. Daraus folgt, dass es für die Frage nach der
Beschäftigungspflicht nunmehr allein auf die Summe der Arbeitsplätze im
Direktionsbereich eines Arbeitgebers ankommt, unabhängig davon, ob die Arbeitsplätze
über mehrere Betriebe verteilt sind. Deshalb ist es entgegen der Auffassung der
Klägerin auch unerheblich, ob ein sog. Filialist seine verschiedenen Betriebe zentral
verwaltet oder die einzelnen Filialen jeweils selbstständig geleitet werden, ihnen also
möglicherweise jeweils "funktional" eine Arbeitgeberstellung zukommt. Nach dem oben
Dargelegten gilt im Rahmen des Schwerbehindertengesetzes gerade nicht ein
"funktionaler" Arbeitgeberbegriff. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber hier eindeutig für
die Zusammenrechnung sämtlicher Arbeitsplätze der Betriebe eines Arbeitgebers und
damit für den "formalen" Arbeitgeberbegriff entschieden. So war es das erklärte Ziel der
Neufassung des § 3 Abs. 1 SchwbG 1961, "die Beschäftigungspflicht nicht mehr den
Betrieben und Verwaltungen, sondern den Arbeitgebern" aufzuerlegen (BT-Drucks.
7/656, S. 27 zu Nr. 8 Buchst. b). Das Aufteilungs- oder Trennungsprinzip für die
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Pflichtplatzberechnung bei mehreren Betrieben desselben Arbeitgebers ist somit nicht
mehr geltendes Recht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1989, a.a.O., mit weiteren Nachweisen; Großmann in
Gemeinschaftskommentar zum SchwbG, 2. Aufl., § 5 Rdnr. 60-65;
21
Damit sind im Fall der Klägerin die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 SchwbG
zur Entrichtung einer Ausgleichsabgabe verpflichtet. Denn im hier maßgeblichen
Kalenderjahr 1995 beschäftigte sie keine Schwerbehinderten und erfüllte damit ihre
nach dem Vorstehenden bestehende Beschäftigungspflicht nicht.
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Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Inanspruchnahme der Klägerin bestehen
nicht. Weder die gesetzliche Anknüpfung an den Arbeitgeberbegriff noch die
arbeitgeberbezogene Auslegung der Beschäftigungs- und Abgabepflicht der § 5 Abs. 1,
11 Abs. 1 Satz 1 SchwbG verstößt gegen höherrangiges Recht. Eine Verletzung von
Grundrechten oder ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht liegen nicht vor.
23
Soweit die Klägerin geltend macht, die Zusammenrechnung der Arbeitsplätze eines
Arbeitgebers mit mehreren Betrieben nach § 5 Abs. 1 SchwbG verstoße gegen Art. 12
Abs. 1, 3 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG, greift dies nicht durch.
24
Prüfungsmaßstab ist insoweit vor allem die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der
Klägerin, die ihr auch als juristische Person zusteht (Art. 19 Abs. 3 GG). Die genannten
gesetzlichen Regelungen greifen zwar in die Berufsausübungsfreiheit der Klägerin ein;
diese Eingriffe sind jedoch gerechtfertigt (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG).
25
Nach der Rechtsprechung des BVerfG liegen Regelungen wie die vorliegende
Beschäftigungs- und Abgabepflicht zwar außerhalb der eigentlichen Berufsausübung,
stellen aber wegen ihres inneren Zusammenhangs mit dem Beruf und ihrer
Rückwirkungen auf die Berufsausübung dennoch einen Eingriff in die
Berufsausübungsfreiheit dar.
26
BVerfG, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 u. a., BVerfGE 57, 139 (158).
27
Die arbeitgeberbezogene Anordnung der Beschäftigungs- und Abgabepflicht ist durch
vernünftige Gründe des Gemeinwohls unter Wahrung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt.
28
Sinn der Regelung ist zum einen die Verwaltungsvereinfachung, indem auf die sonst
notwendige Einzelfallprüfung des Grades der organisatorischen Selbstständigkeit der
Filialen verzichtet wird. Zum anderen sollen Gestaltungen verhindert werden, durch die
Arbeitgeber sich - unter Beibehaltung der Vorteile, die eine einheitliche Führung der
Filialen unter dem Dach einer einzigen juristischen Person mit sich bringt - ihrer
Beschäftigungspflicht durch entsprechende organisatorische Gestaltung ihrer Filialen
entziehen. Beide Erwägungen stellen legitime Gemeinwohlzwecke dar. Dies gilt
insbesondere für den Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung im Hinblick darauf,
dass nach dem bis 1974 geltenden Rechtszustand der Verwaltungsaufwand beim
Vollzug des SchwbG als zu hoch empfunden wurde.
29
Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10. Mai 1973, BT-Drucks.
7/656, S. 20.
30
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die getroffene Regelung auch geeignet, die
verfolgten Zwecke zu erreichen. Hinsichtlich der genannten Ziele, den
Verwaltungsaufwand zu reduzieren und Missbrauchsmöglichkeiten zu beschränken,
liegt dies auf der Hand. Die Eignung ist - anders als die Klägerin meint - auch
hinsichtlich des generell mit der Beschäftigungspflicht verfolgten Zieles der
Eingliederung Schwerbehinderter in das Arbeitsleben, ersatzweise der
Ausgleichsfunktion der Abgabepflicht, zu bejahen. An der Eignung einer gesetzlichen
Regelung fehlt es nur dann, wenn das eingesetzte Mittel objektiv oder schlechthin
ungeeignet ist, den gewünschten Erfolg zu fördern. Dabei genügt die abstrakte
Möglichkeit der Zielerreichung; ob der gewünschte Erfolg im Einzelfall tatsächlich
eintritt, ist für die Frage der Eignung eines Gesetzes ohne Belang.
31
BVerfG-Beschlüsse vom 4. Oktober 1983 - 1 BvR 1633/82 - u.a., BVerfGE 65, 116 (126),
vom 20. Juni 1984 - 1 BvR 1494/78 - , BVerfGE 67, 157 (175) und vom 1. Juli 1986 - 1
BvL 26/83 -, BVerfGE 73, 301 (317); BVerfG-Urteil vom 23. Januar 1990 - 1 BvL 44/86 -
u.a., BVerfGE 81, 156 (192).
32
Bereits die Auferlegung einer Beschäftigungspflicht als solche ist auch bei
Filialbetrieben zur Eingliederung Schwerbehinderter geeignet. Angesichts der
vielfältigen Erscheinungsformen von Schwerbehinderungen sind viele
Schwerbehinderte durchaus in der Lage, auch in Kleinbetrieben einen Arbeitsplatz
auszufüllen.
33
So ausdrücklich Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 15. Januar
1974, BT-Drucks. 7/1515, S. 5.
34
In jedem Falle folgt die Eignung aber aus der ersatzweisen Auferlegung der
Ausgleichsabgabe. Diese hat sowohl eine Antriebsfunktion (Anreiz zur Erfüllung der
Beschäftigungspflicht, um die Zahlungspflicht zu vermeiden) als auch eine
Ausgleichsfunktion (finanzieller Beitrag derjenigen Arbeitgeber, die sich nicht an den
allgemeinen Lasten, die durch die unmittelbare Beschäftigung Schwerbehinderter
hervorgerufen werden, beteiligen).
35
Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10. Mai 1973, BT-Drucks.
7/656, S. 20; BVerfG, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 - u.a., BVerfGE 57, 139
(167).
36
Nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Schwerbehindertenausgleichsabgabe behält
die Abgabe ihre Eignung hinsichtlich der Ausgleichsfunktion auch dann, wenn in einer
bestimmten Branche keine (weiteren) Schwerbehinderten beschäftigt werden können.
Denn die Abgabe wirkt auch dahin, dass gegenüber bereits beschäftigten
Schwerbehinderten keine (zulässigen) Kündigungen ausgesprochen werden. Aber
selbst wenn keinerlei Antriebsfunktion mehr feststellbar wäre (etwa weil der Arbeitgeber
- wie die Klägerin - von vornherein keinen einzigen Schwerbehinderten beschäftigt),
würde bereits die reine Ausgleichsfunktion zur Bejahung der Eignung ausreichen. Denn
die Abgabe wirkt insoweit in einer dem Gleichheitssatz entsprechenden Weise auf
Ausgleich der den Arbeitgebern auferlegten Belastungen.
37
BVerfG, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 - u.a., BVerfGE 57, 139 (168).
38
Die Zusammenrechnung ist auch erforderlich, um die mit ihr verfolgten Ziele zu
erreichen. Eine Regelung ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber kein anderes, gleich
wirksames, aber das betroffene Grundrecht weniger fühlbar einschränkendes Mittel hat
wählen können.
39
BVerfG, Beschlüsse vom 16. März 1971 - 1 BvR 52/66 - u.a., BVerfGE 30, 292 (316) und
vom 1. Juli 1986 - 1 BvL 26/83 -, BVerfGE 73, 301 (319); BVerfG, Urteil vom 23. Januar
1990 - 1 BvL 44/86 - u.a., BVerfGE 81, 156 (192).
40
Ein solches Mittel ist hier nicht ersichtlich. Die von der Klägerin erstrebte
Einzelfallprüfung nach dem Grad der organisatorischen Selbstständigkeit der Filialen
bzw. das Abstellen auf den einzelnen Betrieb wären nicht ebenso geeignet, den
erstrebten Vereinfachungseffekt zu erreichen bzw. den befürchteten
Umgehungsgestaltungen entgegenzuwirken. So würde ein System der nach
Einzelbetrieben getrennten Pflichtsatzberechnung es dem Arbeitgeber gerade erlauben,
sich durch entsprechende Gestaltung der von ihm dirigierten Einzelbetriebe seiner
Beschäftigungspflicht ganz oder teilweise zu entziehen.
41
BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1989, a.a.O.
42
Die demgegenüber vertretene Ansicht der Klägerin, diese Erwägung sei nicht tragfähig,
da die Struktur eines einzelnen Betriebes u.a. durch wirtschaftliche Sachzwänge
vorgegeben sei, sodass es unklug wäre, auf die Einstellung einer zusätzlichen Kraft nur
wegen des Überschreitens der Zahlengrenze des SchwbG zu verzichten, überzeugt
nicht. Die genannten Sachzwänge mögen vor allem für den einzelnen Kleinarbeitgeber
bestehen. Die Klägerin übersieht aber, dass Filialisten auf Grund ihrer Struktur und
Wirtschaftskraft vielfältige Möglichkeiten offen stehen, durch eine entsprechende
Organisation ihrer Filialen wirtschaftliche Sachzwänge zu relativieren. Im Übrigen
kommt das Zusammenrechnungsprinzip ihr gerade entgegen, indem sie die
Pflichtsatzquote zwar insgesamt, nicht aber in jedem einzelnen Filialbetrieb erfüllen
muss
43
- vgl. LSG NRW, Urteil vom 21. März 1996 - L 9 Ar 200/94 -, S. 14 des Abdrucks - und
dadurch einen weiten Spielraum zur Organisation ihrer Filialen behält.
44
Auch bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Grad der Schwere des mit der
Ausgleichsabgabe verbundenen Eingriffs in die Berufsfreiheit der Filialisten und dem
Gewicht der rechtfertigenden Gründe ist die Grenze der Zumutbarkeit für die Klägerin
gewahrt. Auszugehen ist dabei von einer erheblichen Gestaltungsfreiheit des
Gesetzgebers zum einen generell in Zusammenhang mit Berufsausübungsregelungen,
zum anderen aber auch speziell bei der Festlegung der zu verfolgenden wirtschafts-,
arbeits- oder sozialpolitischen Ziele, die noch größer wird, wenn die getroffene
Regelung - wie vorliegend - keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter aufweist.
45
Zur Gestaltungsfreiheit vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 5. März 1974 - 1 BvL 27/72 -,
BVerfGE 37, 1 (21), vom 19. März 1975 - 1 BvL 20/73 -, BVerfGE 39, 210 (225), vom 12.
Oktober 1977 - 1 BvR 217/75 - u.a., BVerfGE 46, 120 (145), vom 25. Oktober 1977 - 1
BvR 173/75 -, BVerfGE 46, 246 (257), vom 22. Mai 1979 - 1 BvL 9/75 -, BVerfGE 51, 193
(208), vom 15. Dezember 1987 - 1 BvR 563/85 u.a., BVerfGE 77, 308 (332); Urteil vom
23. Januar 1990 - 1 BvL 44/86 - u.a., BVerfGE 81, 156 (189).
46
Die angeführten Gemeinwohlzwecke der Verwaltungsvereinfachung und der
Verhinderung von Umgehungsgestaltungen sind auch verfassungsrechtlich - gerade
wenn es um Abgaben geht, die in einem Massenverfahren erhoben werden - von
einigem Gewicht.
47
Zum Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung und Praktikabilität z.B. BVerfG,
Beschlüsse vom 14. März 1967 - 1 BvR 334/61 -, BVerfGE 21, 209 (217), vom 11. Juli
1967 - 1 BvR 495/63 -, BVerfGE 22, 156 (161), vom 2. Oktober 1969 - 1 BvL 12/68 -,
BVerfGE 27, 58 (67), vom 8. Oktober 1991 - 1 BvL 50/86 -, BVerfGE 84, 348 (359) und
vom 10. April 1997 - 2 BvL 77/92 -, BVerfGE 96, 1 (6); zum Gesichtspunkt der
Missbrauchsvermeidung z. B. BVerfG, Beschlüsse vom 11. Juli 1967 - 1 BvR 495/63 -,
BVerfGE 22, 156 (161) und vom 3. Juli 1973 - 1 BvR 369/65 - u.a., BVerfGE 35, 326
(341)
48
Demgegenüber ist die finanzielle Belastung der Arbeitgeber durch die
Ausgleichsabgabe mit 2.400 DM jährlich je unbesetzten Pflichtplatz nicht unzumutbar
hoch. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zur Pflicht der Arbeitgeber, der
Bundesanstalt für Arbeit das Arbeitslosengeld bestimmter von ihnen entlassener älterer
Arbeitnehmer zu erstatten (§ 128 AFG 1981/1984; jetzt § 147a SGB III), von der
Arbeitgeber mit nicht mehr als fünf Arbeitnehmern gleichfalls ausgenommen waren (§
128 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AFG 1984), die Erstattungs- und Ausgleichspflicht für zumutbar
angesehen,
49
Urteil vom 23. Januar 1990, a.a.O.,
50
obwohl diese für den Arbeitgeber ein Vielfaches der finanziellen Belastung durch die
Ausgleichsabgabe nach dem SchwbG bedeutete. Dass der Eingriff durch die
Ausgleichsabgabe nicht unzumutbar schwer wiegt, bestätigt auch das Vorbringen der
Klägerin, sie würde auf die Einstellung einer zusätzlichen Kraft in einem Einzelbetrieb
angesichts der ihr ansonsten entgehenden Umsätze und Ertragsaussichten nicht
deshalb verzichten, weil dadurch die Beschäftigungspflichtgrenze nach § 5 Abs. 1
SchwbG überschritten würde.
51
Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt eine andere, für sie günstigere Beurteilung
auch nicht aus der - oben bereits zitierten - Entscheidung des BVerfG zu § 128 AFG
1984. Zwar hat das BVerfG in dieser Entscheidung an einer Stelle den Begriff des
„Kleinbetriebs" verwendet und ausgeführt, eine Entlastung von „Kleinbetrieben" von der
Erstattungspflicht könne auch für die Zeit vor der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung
im Wege der Auslegung der bereits vorhandenen allgemeinen Härteklausel
verfassungsrechtlich geboten sein.
52
BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1990, a.a.O., (204).
53
Es bestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich dabei um eine
Stellungnahme des Gerichts zur Frage der arbeitgeber- oder betriebsbezogenen
Auslegung - die in keiner Weise Gegenstand der genannten Entscheidung war -
handeln sollte. Angesichts der Geläufigkeit des Begriffs „Kleinbetriebsklausel" statt des
an sich korrekten Begriffs „Kleinarbeitgeberklausel"
54
- vgl. Palandt/Putzo, BGB, 59. Aufl. 2000, § 622 Rdnr. 25, wo zunächst von einer
„Kleinbetriebsklausel" gesprochen wird, obwohl in der anschließenden Kommentierung
55
auf den „kleinen Arbeitgeber" abgestellt wird -
spricht vielmehr alles dafür, dass in der Entscheidung des BVerfG der „Kleinarbeitgeber"
gemeint ist.
56
Auch die allgemeine Handlungsfreiheit der Klägerin ist nicht verletzt. Dabei kann offen
bleiben, ob das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG angesichts der vollständigen
Erfassung des vorliegenden Sachverhalts von der Berufsfreiheit nicht bereits durch
diese verdrängt ist. In jedem Fall wäre ein etwaiger Eingriff gerechtfertigt. Denn die
allgemeine Handlungsfreiheit stellt angesichts ihrer bereits im Verfassungstext
enthaltenen Schranken keine strengeren Anforderungen an die Rechtfertigung eines
Eingriffs als die Berufsfreiheit.
57
So auch BVerfG, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 - u.a., BVerfGE 57, 139 (159).
58
Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor. Die
Klägerin rügt der Sache nach eine Ungleichbehandlung zwischen ihr als Filialistin und
den Frisöreinzelbetrieben, mit denen sie in vieler Hinsicht vergleichbar sei, die aber
nicht unter die Beschäftigungs- und Abgabepflicht des SchwbG fallen.
59
Die neuere Rechtsprechung des BVerfG wendet bei der Prüfung von Art. 3 Abs. 1 GG je
nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche
Prüfungsmaßstäbe an, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an
Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen können.
60
Vgl. dazu und zu den nachstehenden Unterscheidungen BVerfG, Beschluss vom 26.
Januar 1993 - 1 BvL 38/92 -, BVerfGE 88, 87 (96); grundlegend Beschluss vom 8. Juni
1993 - 1 BvL 20/85 -, BVerfGE 89, 15 (22); ferner Beschluss vom 10. Januar 1995 - 1
BvL 20/87 - u.a., BVerfGE 91, 389 (401); Urteil vom 4. Juli 1995 - 1 BvF 2/86 - u.a.,
BVerfGE 92, 365 (407 f).
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Dabei wird zunächst die Zulässigkeit von Differenzierungen von der Natur des jeweils in
Frage stehenden Sachbereichs abhängig gemacht (bereichsspezifische Anwendung
des Gleichheitssatzes). Wesentlich ist ferner die Unterscheidung zwischen der
Ungleichbehandlung von Personen(gruppen) einerseits (strengere Prüfung wegen der
fehlenden Ausweichmöglichkeit) und Sachverhalten andererseits. Je mehr sich die
personenbezogenen Merkmale an die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten
Differenzierungsverbote annähern, desto strenger wird der Maßstab. Zudem hängt der
Maßstab von der Beeinflussbarkeit der personenbezogenen Unterscheidungsmerkmale
ab. Auch gleichzeitige Auswirkungen auf die Ausübung grundrechtlich geschützter
Freiheiten können zu einem strengeren Prüfungsmaßstab beim Gleichheitssatz führen.
Der bei sachbezogenen Differenzierungskriterien grundsätzlich weitere Spielraum des
Gesetzgebers wird wiederum enger, wenn die Ungleichbehandlung von Sachverhalten
mittelbar die Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt.
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Auf die von der Klägerin gerügte Differenzierung zwischen ihr als Filialistin und den
Frisöreinzelbetrieben ist lediglich ein großzügiger Prüfungsmaßstab anzuwenden, der
im Ergebnis nicht über ein Willkürverbot hinausgeht. Denn im vorliegenden Fall liegt
keine personenbezogene, sondern allenfalls nur eine sachbezogene
Ungleichbehandlung vor, die auf die Organisationsform des Unternehmens abstellt.
Zudem ist die Verwirklichung des Differenzierungsmerkmals (Betreiben des
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Unternehmens als einheitliche juristische Person mit unselbständigen Filialen oder
Aufteilung in einen Konzern aus vielen kleinen rechtlich selbstständigen Einheiten, die
jeweils eine Filiale betreiben) durch die Klägerin beeinflussbar. Denn es steht ihr frei, ihr
Unternehmen - wie viele andere Filialisten auch - dergestalt umzustrukturieren, dass die
beschriebene Konzernstruktur aus zahlreichen rechtlich selbstständigen juristischen
Personen entsteht. In diesen Fällen lässt der Gleichheitssatz nach der Rechtsprechung
des BVerfG dem Gesetzgeber weit gehende Freiheit, Lebenssachverhalte entsprechend
dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln. Es ist dann grundsätzlich
Sache der Betroffenen, sich auf diese Regelung einzustellen und nachteiligen
Auswirkungen durch eigenes Verhalten zu begegnen. Die Gestaltungsbefugnis des
Gesetzgebers wird in diesen Fällen lediglich durch das Willkürverbot begrenzt; sie
endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit
einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also
ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt.
BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1990, a.a.O., (206 f.), mit weiteren Nachweisen.
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Bei einer Prüfung an dem sich so ergebenden großzügigen Maßstab erweisen sich die
der arbeitgeberbezogenen Betrachtung zu Grunde liegenden Gesichtspunkte als
sachgerecht. Das Abstellen auf den Arbeitgeber und nicht auf den einzelnen Betrieb
dient - wie oben bereits ausgeführt - der Verwaltungsvereinfachung und der Vermeidung
von Umgehungsgestaltungen. Beide Gesichtspunkte sind - wie ebenfalls bereits
ausgeführt - legitim und vermögen die - im Hinblick auf den recht geringen Betrag pro
Arbeitsplatz nicht besonders schwer wiegende - Ungleichbehandlung der Klägerin, die
sie zudem durch Änderung ihrer Organisationsform vermeiden könnte, zu rechtfertigen.
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Die Befreiung der Arbeitgeber mit weniger als 16 Arbeitsplätzen von der
Beschäftigungs- und Abgabepflicht verstößt auch nicht gegen das Beihilfeverbot des im
Streitjahr 1995 noch maßgeblichen Art. 92 Abs. 1 EGV a.F. (seit 1. Mai 1999 ohne
textliche Änderung Art. 87 Abs. 1 EGV in der Fassung des Vertrages von Amsterdam).
Danach sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher
Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den
Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt
unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
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Letztlich kann es offen bleiben, ob die Befreiung der Arbeitgeber mit weniger als 16
Arbeitsplätzen von der Pflicht zur Zahlung der Ausgleichsabgabe - anders als die
Befreiung der Kleinbetriebe von den Vorschriften des KSchG
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Vgl. dazu das auf den Vorlagebeschluss des ArbG Reutlingen vom 3. Mai 1991 - 4 (2)
Ca 85/91 -, EuZW 1991, 608, ergangene Urteil des EuGH vom 30. November 1993 C-
189/91 EuZW 1994, 91, der hier entscheidend auf das Fehlen der Gewährung aus
staatlichen Mitteln abstellte -
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eine Beihilfe darstellt. Denn selbst wenn man in der Befreiung der Kleinbetriebe eine
Beihilfe sehen wollte, würde diese jedenfalls den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht
beeinträchtigen.
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Eine Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten liegt vor, wenn das durch
die Beihilfe begünstigte Unternehmen infolge der durch die Beihilfe möglichen
Kosteneinsparungen auf dem Markt anderer Mitgliedstaaten seine Leistungen günstiger
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anbieten kann als die dortigen Wettbewerber. Gleiches gilt, wenn das begünstigte
Unternehmen nur im Inland tätig ist, aber auf seinem Heimatmarkt mit
Leistungserbringern aus anderen Mitgliedstaaten konkurriert.
Vgl. Geiger, EGV, 2. Aufl., Art. 92 Rdnr. 16; Rawlinson in Lenz, EGV, 2. Aufl., Art 87
Rdnr. 13.
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An solchen Wirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel fehlt es, wenn Beihilfen
an kleine und mittlere Unternehmen, z.B. für Dienstleistungen von rein lokaler
Bedeutung gewährt werden, die Auswirkungen der Beihilfe also lokal begrenzt bleiben.
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Vgl. Rawlinson in Lenz, a.a.O., Art 87 Rdnr. 14.
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Ein kleiner Einzelbetrieb des Frisörhandwerks hat ausschließlich lokale Kundschaft.
Der Betrieb wird seinen Einflussbereich auch nicht auf das Gebiet anderer
Mitgliedstaaten erweitern und dort in Wettbewerb zu nicht subventionierten Frisören
treten. Auch die Möglichkeit, dass ausländische Frisöre im Inland zu dem Einzelfrisör in
Konkurrenz treten und dabei Einbußen infolge von dessen Befreiung von der
Ausgleichsabgabe erleiden, dürfte eher theoretischer Natur sein.
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Letztlich kann aber auch die Frage, ob die Befreiung kleiner Betriebe von der
Ausgleichsabgabe zu einer - wenn auch nur noch theoretischen - Beeinträchtigung des
Handels zwischen Mitgliedstaaten führt, offen bleiben. Denn die EU-Kommission hat im
Hinblick auf die häufig nicht mit letzter Sicherheit durchführbare Feststellbarkeit oder
Verneinung von Bagatellauswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel alle
Beihilfen, die bezogen auf ein einzelnes Unternehmen den Betrag von 100.000 ECU
(heute wohl: Euro) innerhalb von drei Jahren nicht übersteigen, sowohl von dem Verbot
des Art. 92 Abs. 1 EGV als auch von der Notifizierungspflicht des Art. 93 Abs. 3 EGV
freigestellt.
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Vgl. zur Mitteilung der Kommission über „de minimis"-Beihilfen vom 6. Juni 1996, ABl.
1996 C Nr. 68 S. 9: Rawlinson, in: Lenz, EGV, a.a.O., Art. 87 Rdnr. 14.
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Wären die Einzelbetriebe mit weniger als 16 Arbeitsplätzen nicht von der
Beschäftigungspflicht freigestellt, so hätten sie nach der Berechnungsformel des § 5
Abs. 1 SchwbG und der Rundungsregel des § 8 Satz 2 SchwbG höchstens einen
Pflichtplatz zu besetzen (Arbeitgeber mit 8 bis 15 Arbeitsplätzen). Nach § 11 Abs. 2
SchwbG würde sich eine Ausgleichsabgabe von höchstens 2.400 DM je Unternehmen
und Jahr ergeben. Innerhalb von drei Jahren ergibt sich ein Betrag, der weit unterhalb
der Betragsgrenze in der von der EU-Kommission veröffentlichten „de-minimis"-Regel
liegt. Bei der Ermittlung der Bagatellgrenze ist entgegen der vom Bevollmächtigten der
Klägerin in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung allein auf das Maß der
„Begünstigung" des betreffenden Kleinbetriebs abzustellen, nicht dagegen auf die
Auswirkungen der Beihilfe auf die wirtschaftliche Situation eines möglichen
Konkurrenten. Denn nach der genannten Regel kommt es erkennbar allein auf die Höhe
der gewährten Beihilfe an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß §
188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Da Mehrkosten durch die Anrufung des örtlich
unzuständigen Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen nicht entstanden sind, ist eine
Entscheidung über eine etwaige anderweitige Kostenverteilung entbehrlich.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
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