Urteil des VG Münster vom 17.03.2000

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Verwaltungsgericht Münster, 4 L 269/00
Datum:
17.03.2000
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 L 269/00
Tenor:
1. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
untersagt, die durch Erlaß des Innenministeriums des Landes Nordrhein-
Westfalen vom 24. Januar 2000 - IV B 2-5021/5022/5023 - dem
Antragsgegner zugewiesenen und im vorliegenden Auswahlverfahren
noch besetzbaren 5 Planstellen der Besoldungsgruppe A 11 mit den
Beigeladenen zu besetzen, bis er über die Bewerbung des
Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
erneut entschieden hat.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner und der
Beigeladene zu 2. je zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen
die Beigeladenen selbst.
3. Der Streitwert wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.
G r ü n d e
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Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
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dem Antragsgegner zu untersagen, die durch Erlaß des Innenministeriums des Landes
Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2000 - IV B 2-5021/5022/5023 - dem
Antragsgegner zugewiesenen und im vorliegenden Auswahlverfahren noch
besetzbaren 5 Planstellen der Besoldungsgruppe A 11 mit den Beigeladenen zu
besetzen, bis er über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden hat,
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hat Erfolg. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, daß ihm ein Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung zusteht
(Anordnungsanspruch), dieser Anspruch gefährdet ist und durch vorläufige Maßnahmen
- hier in Form einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO i. V. m.
§§ 920 Abs. 2, 294 ZPO gesichert werden muß (Anordnungsgrund).
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Ein Beamter hat nach geltendem Dienstrecht grundsätzlich keinen Anspruch auf
Übertragung eines Beförderungsamtes. Der Dienstherr hat Beförderungen jedoch
gemäß §§ 7, 25 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LBG)
aufgrund einer Auslese der Bewerber nach Eignung, Befähigung und fachlicher
Leistung vorzunehmen. Ist ein Bewerber besser qualifiziert, so ist er zu befördern. Im
übrigen - bei gleicher Qualifikation - ist die Entscheidung in das pflichtgemäße
Ermessen des Dienstherrn gestellt. In diesem Falle hat der einzelne Bewerber insoweit
lediglich ein nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sicherungsfähiges Recht auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung bei der Stellenbesetzung. Der Antragsteller hat eine
Verletzung seines Rechts auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bei der Besetzung
einer der zugewiesenen und noch besetzbaren Beförderungsstellen glaubhaft gemacht.
Er hat einen Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung, weil nicht
auszuschließen ist, daß eine fehlerfreie Ermessensentscheidung zu seiner Beförderung
führen wird.
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Für eine am Bestenauslese-Prinzip orientierte Auswahlentscheidung sind grundsätzlich
die jeweils letzten dienstlichen Beurteilungen der Konkurrenten ausschlaggebend.
Zeitnahe und aussagekräftige dienstliche Beurteilungen sollen verläßlich Auskunft
geben über die maßgeblichen Beförderungskriterien Befähigung, fachliche Leistung und
Eignung.
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Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 22. Juni 1998 - 12 B 698/98 -, vom 17. Dezember 1998 -
12 B 2041/98 - und vom 28. Juli 1999 - 6 B 1144/99 -.
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Nach diesen Maßstäben sind der Antragsteller und die Beigeladenen als gleich gut
qualifiziert einzustufen. Die zum Beurteilungsstichtag 1. Juni 1999 gefertigten
Beurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen zu 1. bis 6. enthalten durchweg
das Beurteilungsergebnis „Die Leistung und Befähigung übertreffen die Anforderungen".
Auch die für die Beigeladene zu 7. am 23. Dezember 1999 erstellte Beurteilung durch
das Bundeskriminalamt enthält die Note „übertrifft die Anforderungen". Zusätze oder
Einschränkungen bei dem Gesamturteil sind an keiner Stelle gemacht worden. Die
dienstlichen Beurteilungen der Beigeladenen zu 1. und 2. haben auch nicht etwa
deshalb ein größeres Gewicht, weil die Beamten während des Beurteilungszeitraums
teilweise auch Führungsfunktionen (Dienstgruppenleiter, Gruppenführer VD)
wahrgenommen haben. Diese Tätigkeiten sind in den Beurteilungen bereits gewürdigt
worden, ohne daß dies jedoch zu einem anderen Beurteilungsergebnis geführt hat.
Zwar kann die unterschiedliche Gewichtung von Ämtern bei übereinstimmenden
Prädikaten der Beurteilungen zu einer größeren Bedeutung der Beurteilung des
Inhabers des höherwertigen Amtes führen. Dies gilt jedoch nur insoweit, als die
Beamten in unterschiedlichen statusrechtlichen Ämtern beurteilt worden sind.
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Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 24. Juli 1990 - 6 B 37/90 -, vom 30. April 1996 - 1 B
3346/95 -, vom 3. Februar 1995 - 12 B 2894/94 - und vom 17. Dezember 1998 - 12 B
2041/98 -.
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Vorliegend befinden sich alle Konkurrenten um die noch besetzbaren Stellen im
statusrechtlichen Amt eines Polizei- bzw. Kriminaloberkommissars der
Besoldungsgruppe A 10, so daß eine aus der Inhaberschaft eines höherwertigen Amtes
abgeleitete höhere Gewichtung einzelner Beurteilungen nicht in Betracht kommt.
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Demgemäß hatte der Antragsgegner bei der Besetzung der Beförderungsstellen nach
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pflichtgemäßen Ermessen unter Heranziehung weiterer Kriterien („Hilfskriterien")
auszuwählen. Hierbei kann er - nach sachgerechten Gesichtspunkten, die das
Leistungsprinzip nicht in Frage stellen, und lediglich beschränkt durch das Willkürverbot
des Art. 3 GG - frei darüber befinden, welchen Hilfskriterien er größere Bedeutung
beimißt.
Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 6. Juli 1992 - 6 B 2483/92 -, 4. Januar 1999 - 6 B
2096/98 - und vom 28. Juli 1999 - 6 B 1144/99 -, jeweils m. w. N.
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Zu den sachgerechten Hilfskriterien kann z. B. die „Leistungsentwicklung" eines
Beamten gehören, die aus den ihm früher erteilten dienstlichen Beurteilungen
abzulesen ist.
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Vgl. etwa OVG NW, Beschlüsse vom 20. Juli 1995 - 12 B 1250/95 -, vom 17. Dezember
1998 - 12 B 2041/98 - und vom 28. Juli 1999 - 6 B 1144/99 -.
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Auch die Hilfskriterien des Dienst- und Lebensalters sind ohne weiteres
berücksichtigungsfähig, weil davon auszugehen ist, daß die von einem lebens- und
dienstälteren Beamten typischerweise mitgebrachte umfassendere praktische
Berufserfahrung für die nunmehr im Beförderungsamt zu erfüllenden Aufgaben von
Bedeutung sein kann.
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Schließlich können sich Auswahlkriterien auch aus den Anforderungen des
angestrebten Amtes ergeben („Anforderungsprofil"). Grundsätzlich obliegt es dem
Dienstherrn in Ausübung seiner weiten organisatorischen Dispositionsbefugnis, für die
gebildeten Dienstposten das (persönliche und fachliche) Anforderungsprofil näher zu
bestimmen. Um die Eignung eines Bewerbers zuverlässig am Anforderungsprofil eines
Dienstpostens messen zu können, ist erforderlich, daß (a) der Auswahlentscheidung
überhaupt ein bestimmtes Anforderungsprofil zugrundegelegt wird, (b) dieses
Anforderungsprofil auch hinreichend scharf umrissen ist und (c) dieses
Anforderungsprofil nicht während des Auswahlverfahrens geändert oder ausgetauscht
wird.
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Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 11. Januar 1999 - 12 B 1220/99 - und vom 14.
Dezember 1999 - 12 B 1304/99 -.
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Vorliegend hat der Antragsgegner für die weitere Auswahlentscheidung die
Hilfskriterien in der Reihenfolge 1. ausgeübte Funktionen, 2. Datum der Zweiten
Fachprüfung und 3. Dienstalter herangezogen. Daraus abgeleitet ergab sich ein
Vorsprung für die Beigeladenen zu 1. und 2., weil sie im Laufe des
Beurteilungszeitraums teilweise herausgehobene Führungsfunktionen wahrgenommen
haben. Das erste Hilfskriterium der ausgeübten Funktion kann jedoch - isoliert betrachtet
- nicht herangezogen werden, weil die Wahrnehmung derartiger Funktionen bereits in
den zugrundeliegenden Beurteilungen gewürdigt worden ist. Eine unterschiedliche
Gewichtung der Beurteilungen kommt, wie bereits dargelegt, wegen der Zugehörigkeit
zu denselben statusrechtlichen Ämtern nicht in Betracht.
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Ein Eignungsvorsprung einzelner Bewerber könnte allerdings daraus hergeleitet
werden, daß diese Beamten dem Anforderungsprofil eines zu besetzenden
Dienstpostens in besonderem Maße gerecht werden. Ein solcher
Qualifikationsvorsprung kann sich auch aus Einzelaussagen einer dienstlichen
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Beurteilung, die Hinweise für ein bestimmtes Anforderungsprofil geben, ableiten lassen.
Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 29. Januar 1997 - 6 B 2684/96 - und vom 4. Januar
1999 - 6 B 2096/98 -.
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Hier hat der Antragsgegner zwar einzelne Funktionen - im Ergebnis zugunsten der
Beigeladenen zu 1. und 2. - bewertet, diese aber nicht zu dem Anforderungsprofil der
Beförderungsstellen in Beziehung gesetzt. Der Auswahlentscheidung ist ein bestimmtes
und hinreichend scharf umrissenes Anforderungsprofil der zu besetzenden Stellen gar
nicht zugrundegelegt worden. Lediglich das Bewerberprofil ist somit einer
(nochmaligen) Würdigung unterzogen worden, während es - wenn man es als
Hilfskriterium hätte einbeziehen wollen - nach den oben beschriebenen Grundsätzen mit
dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Stellen bzw. dem konkret definierbaren Amt
eines Polizei- bzw. Kriminalhauptkommissars der Besoldungsgruppe A 11 hätte in
Deckung gebracht werden müssen. Nur auf diese Art und Weise hätten dann auch
bereits ausgeübte Funktionen Berücksichtigung finden können.
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Der Antragsgegner wird unter Beachtung der dargestellten Grundsätze eine neue
Ermessensentscheidung über die Auswahl der Bewerber zu treffen haben. Er hat
dargelegt, daß die Hilfskriterien in unterschiedlicher Reihenfolge angewandt werden
und bei ihm eine feste Praxis nicht existiert. Dem Gericht ist es versagt, das erste
Hilfskriterium der ausgeübten Funktionen durch ein anderes Kriterium zu ersetzen oder
eine gänzlich neue Reihenfolge der Hilfskriterien zu bilden. Es ist auch nicht Aufgabe
des Gerichts, das Anforderungsprofil der Stelle eines Polizei- bzw.
Kriminalhauptkommissars zu ermitteln und zu prüfen, ob einzelne Bewerber dieses
Profil angesichts ihrer bisher ausgeübten Führungsaufgaben in besonderer Weise
erfüllen. Da es auch andere - möglicherweise auch aus den Beurteilungen ableitbare -
Merkmale gibt, die für das Anforderungsprofil der Beförderungsstellen von Bedeutung
sind, ist es Sache des Antragsgegners, dieses zu definieren und die Auswahl
möglicherweise danach vorzunehmen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.
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