Urteil des VG Münster vom 17.11.2004

VG Münster: berufliche tätigkeit, festsetzung der gerichtsgebühr, persönlichkeit, drucksache, verbreitung, strafgericht, obhut, eltern, markt, vertrauensverhältnis

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Münster, 16 K 258/04.T
17.11.2004
Verwaltungsgericht Münster
2. Kammer Berufsgericht
Urteil
16 K 258/04.T
Dem Beschuldigten wird wegen Berufsvergehens das passive
Berufswahlrecht entzogen. Außerdem wird ihm eine Geldbuße in Höhe
von 10.000,00 EUR auferlegt.
Der Beschuldigte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Gebühr wird auf 250,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e
I.
Der am 6. Mai 1967 geborene Beschuldigte legte das medizinische Staatsexamen am 24.
Oktober 1995 ab und erhielt mit Wirkung vom 1. September 1997 die Approbation als Arzt.
Seit dem 7. Dezember 2002 besitzt er die Anerkennung für das Fachgebiet der
Allgemeinmedizin. Er ist in dem Evangelischen Krankenhaus L. mit der Hälfte der
gewöhnlichen Wochenarbeitszeit als Assistenzarzt tätig.
Der Beschuldigte ist berufsrechtlich nicht vorbelastet.
II.
Das Berufsgericht für Heilberufe hat auf den Antrag der Ärztekammer Westfalen - Lippe
vom 23. Januar 2004 durch Beschluss vom 21. April 2004 das berufsgerichtliche Verfahren
gegen den Beschuldigten eröffnet. Ihm wird zur Last gelegt,
gegen seine Verpflichtung verstoßen zu haben, dem ihm im Zusammenhang mit dem Beruf
entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen,
indem er in der Zeit zwischen dem 08. September 1999 und dem 18. September 2002 ca.
3.500 kinderpornographische Bild- und Videodateien besessen hat,
Verstoß gegen § 29 Abs. 1 HeilBerG in der Fassung vom 16. Mai 2000 (GV NRW 2000,
403 ff.), § 2 Abs. 2 der Berufsordnung (BO) der Ärztekammer Westfalen-Lippe in der
Fassung der Bekanntmachungen vom 21. März 1998, 24. April 1999 und 25. November
2000 (MBl. NRW 1999, 1072; 2001, 830).
10
11
12
13
14
15
III.
In der Hauptverhandlung hat das Berufsgericht für Heilberufe den folgenden Sachverhalt
festgestellt:
Der Beschuldigte war in der Kundendatenbank des Internetunternehmens ​M." in den
Vereinigten Staaten von Amerika verzeichnet. Das Unternehmen ​M." ermöglichte seinen
Kunden gegen Entgelt Zugang zu Internetseiten mit Kinderpornographie. Im Rahmen einer
bundesweiten Operation gegen die Verbreitung von Kinderpornographie im Internet wurde
der Beschuldigte als Kunde des Unternehmens festgestellt. Bei einer am 18. September
2002 in seiner Wohnung durchgeführten Durchsuchung wurde diverse Rechneranlagen
und Speichermedien sichergestellt. Auf den Speichermedien hatte der Beschuldigte ca.
35.000 Bild- und Videodateien mit pornographischem Inhalt abgespeichert. Über 10 % der
Dateien beinhalteten eindeutig kinderpornographische Abbildungen. Die ca. 3.500
kinderpornographischen Bilddateien gaben ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes
Geschehen wieder. Sie zeigten Fotos von zumindest teilweise nackten Kindern unter
aufreißerischer Hervorhebung der Geschlechtsteile bzw. die Vornahme von sexuellen
Handlungen von Kindern an sich selbst, wobei der Eindruck entstand, dass das Kind von
einem anderen dazu aufgefordert worden war.
Mit Urteil vom 12. September 2003 - 40 Ds 152 Js 358/02 W 30/03 - verurteilte das
Amtsgericht Siegen den Beschuldigten wegen vorsätzlicher Verbreitung pornographischer
Schriften durch Besitz zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung auf
die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.
IV.
Die berufsrechtliche Würdigung des Sachverhalts ergibt, dass sich der Beschuldigte eines
schwer wiegenden Berufsvergehens schuldig gemacht hat. Gemäß § 29 Abs. 1
Heilberufsgesetz sind Kammerangehörige verpflichtet, dem ihnen im Zusammenhang mit
dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Außerberufliches Fehlverhalten
ist zu ahnden, wenn es - wie hier - im besonderen Maße geeignet ist, Achtung und
Vertrauen, die der ärztliche Beruf erfordert, in einer für die Ausübung oder das Ansehen des
Berufs bedeutsamer Weise zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Zu
den beruflichen Aufgaben eines Arztes gehört es, auf die körperliche, aber auch geistige
und seelische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen positiv Einfluss zu nehmen. Er
wird deshalb besonders schwer belastet, wenn er - auch nur außerberuflich - den
Anforderungen der Rechtsordnung nicht genügt und sich am sexuellen Missbrauch von
Kindern (mittelbar) beteiligt, indem er sich kinderpornographisches Material beschafft und
konsumiert. Damit trägt er eine starke Mitverantwortung nicht ​nur" für die schwer wiegenden
Verletzungen der Menschenwürde und des allgemeinem Persönlichkeitsrechts der in den
Bildern dargestellten Kinder, indem die kindlichen ​Darsteller" zum bloßen
auswechselbarem Objekt geschlechtlicher Begierde oder Erregung gemacht werden (so im
Zusammenhang mit dem Wehrdisziplinarrecht auch BVerwG, Urteil vom 6. Juli 2000 - 2
WD 9.00 -, BVerwGE 111, 291 = NJW 2001 S. 240; Urteil vom 17. Februar 2004 - 2 WD
15.03 -, Dokumentarische Berichte B 2004 S. 278). Die (Mit-)Verantwortung des
Beschuldigten erstreckt sich auch darauf, dass weitere Anreize zur Begehung neuer
Straftaten des sexuellen Missbrauchs von - auch weiteren - Kindern geschaffen werden,
indem auf dem ​Markt" Nachfrage nach weiteren kinderpornographischen Produkten
begründet wird (vgl. dazu den Entwurf der Bundesregierung vom 03. Juli 1992 zum
Strafrechtsänderungsgesetz - Kinderpornographie, BT-Drucksache 12/3001 Seite 5).
16
17
18
19
20
21
Neben der Mitverantwortung des Beschuldigten für die massive Beeinträchtigung der
Rechte von Kindern ist berufsrechtlich zu berücksichtigen, dass die Rechtsordnung den -
nach dem bisherigen Erkenntnisstand nicht auszuschließenden - negativen Auswirkungen
auf den Betrachter selbst entgegenwirken will, die darin bestehen kann, dass der
Betrachter kinderpornographischer Darstellungen zum Kindesmissbrauch angeregt wird
(BT-Drucksache 12/3001 Seite 6). Ist ein solche negative Auswirkung nach dem Stand der
Erkenntnisse nicht allgemein auszuschließen, folgt daraus ohne Weiteres, dass auch das
Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten als Arzt und seinen Patienten
unmittelbar und schwer wiegend betroffen ist. Es ist offenbar, dass Eltern Kinder und
Jugendliche nicht in die Obhut des Beschuldigten geben, wenn ihnen das Verhalten des
Beschuldigten bekannt wäre und sie damit (zumindest) Zweifel an der Integrität der
Persönlichkeit des Beschuldigten hegten.
V.
Bei der Auswahl und Bemessung der gegen den Beschuldigten zu verhängenden
Maßnahme hatte das Berufsgericht nach allgemeinen berufsrechtlichen Grundsätzen das
Gewicht der Verfehlung des Beschuldigten, seine Persönlichkeit und das Ausmaß seiner
Schuld, namentlich aber auch die Notwendigkeit zu berücksichtigen, das Ansehen der
Angehörigen der Heilberufe zu wahren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität
und die Zuverlässigkeit des ärztlichen Berufsstandes zu Gewähr leisten.
Die Kammer hält die Aberkennung des passiven Berufswahlrechts als zweitschwerste
Maßnahme und die Verhängung der Geldbuße für erforderlich, aber auch ausreichend, um
dem Beschuldigten deutlich zu machen, dass bei weiteren Verstößen der Ausspruch der
Berufsunwürdigkeit in Betracht kommt. Dem Berufsvergehen des Beschuldigten kommt
eine erhebliche berufsrechtliche Bedeutung zu. Der Beschuldigte weckt mit seinem
Verhalten Zweifel an seiner charakterlichen Eignung für den ärztlichen Beruf infolge eines
bestehenden Persönlichkeitsmangels. Der Verstoß eines Arztes gegen das Verbot der
Kinderpornographie ist auch aus Gründen des Schutzes der Kinder berufsrechtlich mit
Entschiedenheit zu verfolgen. Soweit der Beschuldigte sich dahin eingelassen hat, er habe
die Dateien aus einer Art Sammelleidenschaft gespeichert, überzeugt dies nicht. Denn es
ist nicht erkennbar, dass das Sammeln der Dateien durch andere Umstände als durch das
Interesse an den Darstellungen geprägt war. Auch die vom Beschuldigten geltend
gemachte damalige Einschätzung seines beruflichen Fortkommens kann einen
Zusammenhang mit einem Kinder derart benachteiligenden Verhalten nicht erklären.
Die Höhe der Geldbuße berücksichtigt die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten.
Die Kammer hat davon abgesehen, die Unwürdigkeit des Beschuldigten zur Ausübung des
Berufs festzustellen. Der Beschuldigte ist berufsrechtlich nicht vorbelastet. Er hat sein
Verhalten sowohl vor dem Strafgericht als auch vor dem Berufsgericht für Heilberufe
zugestanden und Einsicht in seine Fehlverhalten gezeigt. Die Kammer konnte - in
Übereinstimmung mit dem Strafgericht - nicht erkennen, dass von dem Beschuldigten
(weitere) konkrete Gefahren für Kinder ausgehen. Das Verhalten hat bisher keine
Auswirkungen auf seine berufliche Tätigkeit gehabt. Auch die Aufsichtsbehörde hat auf der
Grundlage eines mit dem Beschuldigten geführten intensiven Gesprächs eine günstige
Zukunftsprognose getroffen. Die berufliche Tätigkeit des Beschuldigten wurde von dem
Zeugen Dr. T. positiv umschrieben und bewertet. Der als Chefarzt tätige Zeuge, in dessen
Verantwortungsbereich der Beschuldigte seit mehreren Jahren tätig ist, hat bekundet, dass
er den Beschuldigten in seiner Arbeit und seiner Persönlichkeit schätze. Nach den nicht zu
widerlegenden Angaben des Zeugen ist der Beschuldigte kritik- und teamfähig; er kann
22
23
24
auch emotional aus sich herausgehen.
VI.
Die Kostenentscheidung und die Festsetzung der Gerichtsgebühr beruhen auf § 107
Heilberufsgesetz.