Urteil des VG Münster vom 18.08.2005

VG Münster: bundesamt für migration, abschiebung, aufschiebende wirkung, öffentliche gewalt, öffentliches recht, subjektiv, aufenthaltserlaubnis, ausländer, kommission, rechtsweggarantie

Verwaltungsgericht Münster, 8 L 683/05
Datum:
18.08.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 L 683/05
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.
Der Antrag der Antragsteller,
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„Der Antragsgegner wird verpflichtet, von einer Abschiebung der Antragsteller
abzusehen bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens - 8 K
1272/05 -",
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ist nicht begründet. Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft
gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO, § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO).
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Die Abschiebungsvoraussetzungen nach den § 58 AufenthG i. V. m. § 50 AufenthG
liegen vor bzw. werden für sämtliche Antragsteller am Tage der beabsichtigten
Abschiebung ( 00.00.0000) nach der fernmündlichen Erklärung des Antragsgegners
vom heutigen Tage gegenüber dem Gericht (vgl. den schriftlichen Vermerk des
Berichterstatters vom heutigen Tage) vorliegen.
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Grundlage der beabsichtigten Abschiebung der Antragsteller zu 1. bis 4. sind die in den
vorangegangenen Asylverfahren gegenüber diesen Antragstellern ergangenen
unanfechtbar gewordenen Abschiebungsandrohungen des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge, Bundesamt). Das ist zwischen den Parteien nicht streitig. Auch für den
Antragsteller zu 5. wird nach der vom Gericht nicht in Zweifel gezogenen
fernmündlichen Erklärung des Antragsgegners vom heutigen Tage, er werde bezüglich
dieses Antragstellers unverzüglich eine Abschiebungsandrohung erlassen, im Zeitpunkt
der Abschiebung eine wirksame Grundlage vorliegen. Denn auch dieser Antragsteller
ist vollziehbar ausreisepflichtig: Er ist ausreisepflichtig, weil er einen erforderlichen
Aufenthaltstitel nicht besitzt (§ 50 Abs. 1 AufenthG); seine Ausreisepflicht ist auch
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vollziehbar, nachdem der Antragsgegner den auch für ihn gestellten Antrag auf Erteilung
einer Aufenthaltsbefugnis durch Bescheid vom 00.00.0000 abgelehnt hat (und die
dagegen erhobene Klage 8 K 3174/02 im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der
Kammer am 30. Juni 2004 zurückgenommen worden ist), § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG/§
42 Abs. 2 Satz 2 AuslG.
Das Abschiebeschutzbegehren der Antragsteller richtet sich nach § 60 a Abs. 2
AufenthG. Danach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die
Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine
Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Namentlich ist die Abschiebung der Antragsteller nicht aus - insoweit allein in Betracht
zu ziehenden - rechtlichen Gründen unmöglich.
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Ein rechtliches Abschiebungshindernis folgt weder (für die Antragsteller zu 1. bis 4.)
daraus, dass die von ihnen gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom
00.00.0000 (betreffend die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs.
6 AuslG, nunmehr § 60 Abs. 7 AufenthG) erhobene Klage 6 K 1257/03.A noch anhängig
ist, weil diese Klage keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. § 75 AsylVfG), noch (für
sämtliche Antragsteller) aus dem Antrag vom 00.00.0000 auf Erteilung von
Aufenthaltserlaubnissen, weil dieser Antrag ersichtlich die Fiktionswirkungen nach § 81
AufenthG nicht ausgelöst hat.
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Insbesondere und vor allem ist die Abschiebung der Antragsteller nicht etwa deshalb
aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil ihnen - was sie im vorliegenden Verfahren
allein geltend machen und mit ihrer Klage 8 K 1272/05 verfolgen - gegenüber dem
Antragsgegner ein Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen auf der
Grundlage von § 23 a AufenthG zustünde. Das ist nämlich ersichtlich nicht der Fall, weil
§ 23 a AufenthG dem betroffenen Ausländer kein subjektiv-öffentliches Recht vermittelt.
Der gegenüber dem Antragsgegner - im Übrigen nur mit der Klage 8 K 1272/05 und dem
vorliegenden Antrag - geltend gemachte Erteilungsanspruch kann schon deshalb,
abgesehen von allen weiteren Zweifelsfragen, dem Begehren auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung nicht zum Erfolg verhelfen.
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Nach § 23 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf die oberste Landesbehörde bzw. nach Abs. 2
Satz 1 der Vorschrift i. V. m. § 7 Abs. 1 der Verordnung zur Einrichtung einer
Härtefallkommission nach § 23 a des Aufenthaltsgesetzes und zur Regelung des
Verfahrens (Härtefallkommissionsverordnung - HFKVO -) anordnen, dass einem
Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von den im
Aufenthaltsgesetz festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen für
einen Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, wenn eine von der
Landesregierung durch Rechtsverordnung eingerichtete Härtefallkommission darum
ersucht (Härtefallersuchen). Hierauf berufen sich die Antragsteller, nachdem sich die
Härtefallkommission in der Sitzung vom 00.00.0000 mit ihrem Anliegen befasst und den
Antragsgegner nach § 6 Abs. 3 HFKVO ersucht hat, einen Aufenthaltstitel zu erteilen,
dieser sich jedoch im Rahmen des ihm nach § 23 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, § 7 Abs. 2
Satz 2 HFKVO eingeräumten Ermessens dazu entschieden hat, dem Ersuchen nicht zu
entsprechen; sie vertreten hierzu die Auffassung, trotz der Regelung in § 23 a Abs. 1
Satz 4 AufenthG, wonach die Befugnis zur Aufenthaltsgewährung ausschließlich im
öffentlichen Interesse steht und keine eigenen Rechte des Ausländers begründet,
müsse jedenfalls nach einem Ersuchen der Härtefallkommission die negative
Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG einer
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gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden können. Diese Auffassung geht im
Ansatz fehl.
Mit § 23 a AufenthG wollte der Gesetzgeber aus politischen Erwägungen der im
öffentlichen Raum wiederholt vorgebrachten Forderung nach einer „Härtefallklausel"
Rechnung tragen
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- vgl. Schönenbroicher, Rechtsstaat auf Abwegen? - Die neue „Härtefallklausel" des
Ausländerrechts, in ZAR 2004, 351 ff. -
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und in besonders gelagerten Härtefällen bei Vorliegen dringender humanitärer oder
persönlicher Gründe, die er bei der Regelung des Systems der Aufenthaltsgewährung
nicht berücksichtigen konnte, die Möglichkeit schaffen, dass Ausländern abweichend
von den im Aufenthaltsgesetz geregelten Voraussetzungen für die Gewährung eines
Aufenthaltsrechts eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Dass mit dieser außerhalb des
Rechtsregimes der ausländerrechtlichen Vorschriften über die Gewährung eines
Aufenthaltsrechts geschaffenen Möglichkeit, Ausländern gleichsam extra legem die
„Wohltat" einer Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen, keine
anspruchsbegründenden subjektiv-öffentlichen Rechte des Ausländers verknüpft sind,
legt § 23 a Abs. 1 Satz 4 AufenthG unmissverständlich fest. Damit hat es sein
Bewenden. Denn es ist Sache des (Verfassungs- und des) Gesetzgebers, dem
Individuum subjektive, an Normen ausgerichtete Rechte einzuräumen; rein faktische
Betroffenheiten schaffen noch keine subjektiv-öffentlichen Rechte.
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Vgl. Schmidt/Aßmann in Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4
Rdnrn. 116 ff.
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Der Gesetzgeber des Aufenthaltsgesetzes hat mit der Regelung des § 23 a Abs. 1
AufenthG solche Rechte nicht geschaffen, sie vielmehr ausdrücklich in Satz 4 der
Vorschrift ausgeschlossen, und zwar nicht nur, was die Tätigkeit und Befugnisse der
Härtefallkommission angeht, sondern auch bezüglich der Entscheidung der
Ausländerbehörde über ein Härtefallersuchen der Kommission. Dem ist der
Verordnungsgeber mit der inhaltsgleichen Regelung in § 1 Abs. 2 HFKVO gefolgt. Der
Ausschluss subjektiv-öffentlicher Rechte zur Gänze folgt eindeutig aus der Formulierung
in § 23 a Abs. 1 Satz 4 AufenthG und § 1 Abs. 2 HFKVO („Die Befugnis zur
Aufenthaltsgewährung ...."), denn der Aufenthalt wird nicht durch die Kommission,
sondern durch die Ausländerbehörde gewährt (oder nicht gewährt).
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Das alles hat - anders als die Antragsteller meinen - mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nichts
zu tun. Die fehlende Vermittlung eines subjektiv-öffentlichen Rechts durch § 23 a
AufenthG kann deshalb auch nicht unter dem Blickwinkel des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG
verfassungswidrig sein. Denn Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG enthält eine Rechtsweggarantie
nur, wenn „jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt" wird,
begründet mithin keine subjektiv-öffentlichen Rechte, sondern setzt sie - was hier nicht
gegeben ist - voraus.
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Vgl. Schmidt/Aßmann a. a. O., Rdnr. 119.
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Im Übrigen: Selbst wenn § 23 a Abs. 1 AufenthG verfassungswidrig wäre, könnte dies
den Antragstellern nicht weiterhelfen, weil sie sich dann auch und erst recht nicht auf die
Vorschrift berufen könnten.
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Dem Hilfsantrag auf Seite 7, zweiter Absatz der Antragsschrift,
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„eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Normkontrollklage zu
erwägen",
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war danach nicht weiter nachzugehen.
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Zur Vermeidung unnötiger weiterer Rechtsstreitigkeiten erlaubt sich die Kammer
folgenden Hinweis: Selbst wenn - wider Erwarten - im Zeitpunkt der Abschiebung für
den Antragsteller zu 5. keine vollziehbare Abschiebungsandrohung vorliegen sollte,
wäre zwar seine, nicht aber die Abschiebung der übrigen Antragsteller rechtlich
unmöglich. Denn die Antragsteller zu 1. könnten von ihrem
Aufenthaltsbestimmungsrecht in zumutbarer Weise dahin Gebrauch machen, den
Antragsteller zu 5. freiwillig in das gemeinsame Heimatland mitzunehmen. Im Falle
einer gegenteiligen Entscheidung hätten sie die dann entstehende
abschiebungsbedingte Trennung von ihrem Kind selbst zu verantworten und könnten
ihrer Abschiebung die Schutzwirkungen aus Art. 6 GG/Art. 8 EMRK nicht mit Erfolg
entgegenhalten.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1
ZPO, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG, § 5 Halbsatz 1 ZPO.
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