Urteil des VG Münster vom 03.03.2009

VG Münster (kläger, versorgung, land, delta, ärztliche behandlung, umfang, behinderung, verwaltungsgericht, hilfsmittel, betrag)

Verwaltungsgericht Münster, 11 K 1620/07
Datum:
03.03.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 1620/07
Tenor:
Das beklagte Land wird unter teilweiser Aufhebung des
Feststellungsvermerkes des polizeiärztlichen Dienstes vom 1. Juni 2007
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landrates als
Kreispolizeibehörde D. vom 5. September 2007 verpflichtet, dem Kläger
über den gezahlten Festbetrag von 823 Euro hinaus einen Betrag von
1.650 Euro für die Versorgung mit zwei Hörgeräten zu erstatten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu ¼ und dem beklagten
Land zu ¾ auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige
Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die Beteiligten streiten um die Übernahme der über einen Festbetrag hinausgehenden
Kosten für die Versorgung mit zwei Hörgeräten im Rahmen der freien Heilfürsorge.
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Der Kläger steht als Kriminalhauptkommissar im Dienst des beklagten Landes. Er ist bei
der Kreispolizeibehörde D. eingesetzt.
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Aufgrund eines bei der regelmäßigen polizeiärztlichen Untersuchung festgestellten
Hörschadens wurde der Kläger zur weiteren Abklärung zum Facharzt für Hals-, Nasen,
Ohren, Stimm- und Sprachstörungen Dr. I. überwiesen. Dieser diagnostizierte beim
Kläger am 9. Februar 2007 eine beidseitige Hochtonschwerhörigkeit und verordnete ihm
eine Hörhilfe beiderseits. Der Kläger suchte verschiedene Hörgeräte-Akustiker auf und
probierte mehrere Hörgeräte unterschiedlicher Preis- und Leistungsklassen aus. Die Fa.
B. Hörgeräte GmbH Münsterland, Filiale D. , schlug auf entsprechendem Formblatt
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„nach den Hörproben unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit" am 20. April 2007
die Versorgung mit zwei Hörgeräten Oticon Delta 6000 zum Gesamtpreis von 3.298
Euro vor. In den „Angaben zur Hörgeräte-Anpassung" vermerkte die Fa. B. : „Nach
vergleichender Anpassung kommen für Herrn X.----ring ausschließlich die Systeme
Delta 6000 in Frage. Alle Vergleichsgeräte, die angepasst wurden, führten nicht zu einer
zufriedenstellenden Kompensation der sehr speziellen Hörproblematik."
Unter dem 2. Mai 2007 stellte der Facharzt Dr. I. auf dem entsprechenden Formblatt eine
ärztliche Bescheinigung des Inhalts aus, dass das vorgeschlagene Gerät zweckmäßig
sei.
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Der polizeiärztliche Dienst der Bezirksregierung Münster vermerkte auf dem Formblatt
unter dem 1. Juni 2007, dass nach den Festbeträgen der aktuellen VdAK- Preisliste
abzurechnen sei.
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Mit Schreiben vom 21. Juni 2007 stellte die Fa B. dem Kläger für die Versorgung mit den
beiden Hörgeräten Delta 6000 einen Betrag von 2.250 Euro (3.073,00 Euro abzüglich
„Kassenanteil" von 823 Euro) in Rechnung. Hierdurch erfuhr der Kläger, dass nur der
Festbetrag von 823 Euro im Rahmen der freien Heilfürsorge übernommen worden war.
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Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers vom 11. Juli 2007 wurde durch
Widerspruchsbescheid des Landrates als Kreispolizeibehörde D. vom 5. September
2007 als unbegründet zurückgewiesen. Da der Kläger ein Gerät in einer aufwändigeren
als der vom Polizeiarzt für erforderlich gehaltenen Ausstattung gewählt habe, seien die
Mehraufwendungen vom Kläger zu tragen.
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Der Kläger hat am 2. Oktober 2007 Klage erhoben, die er im Wesentlichen wie folgt
begründet: Um die bei ihm beidseitig bestehende Hochtonschwerhörigkeit soweit
möglich auszugleichen, benötige er genau die Hörgeräte, die ihm die Fa. B. angepasst
und dann unter dem 21. Juni 2007 abgerechnet habe. Der bislang vom Land
übernommene Festbetrag sei unzureichend.
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Der Kläger beantragt,
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das beklagte Land unter teilweiser Aufhebung des Feststellungsvermerkes des
polizeiärztlichen Dienstes vom 1. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
des Landrates als Kreispolizeibehörde D. vom 5. September 2007 zu verpflichten, ihm,
dem Kläger, über den gezahlten Festbetrag von 823 Euro hinaus einen Betrag von
2.250 Euro für die Versorgung mit zwei Hörgeräten zu erstatten.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es ist der Auffassung, dass das vom Kläger ausgewählte Hörgerät nicht erforderlich sei,
um die Verminderung des Hörvermögens auszugleichen. Vielmehr sei bei dem
vorliegenden Hörschaden des Klägers mit dem Festbetrag eine ausreichende
Versorgung möglich. Es beruft sich auf die Stellungnahme des Polizeiarztes Dr. E. vom
9. November 2007, in der u.a. ausgeführt ist:
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„Die VdAK-Preisliste enthält die aktuellen Beträge, zu denen eine medizinisch
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hinreichende und notwendige Versorgung mit Hörgeräten gewährleistet ist. Dass es
darüber hinaus eine sehr viel komfortablere und höherwertige Versorgung gibt mit
entsprechenden Selbstbehalten, steht außer Frage. Die freie Heilfürsorge übernimmt
jedoch nur die medizinische notwendige und ausreichende Versorgung entsprechend
der VdAK-Preisliste. Mit diesem Festbetrag sollte bei dem vorliegenden Hörschaden
von Herrn W. eine ausreichende Versorgung möglich sein." Das Gericht hat Beweis
erhoben darüber, a) ob die vom Kläger zum Preise von 3.073 Euro beschafften
Hörgeräte Delta 6000 der Fa. Oticon GmbH erforderlich und angemessen sind, um die
bei ihm bestehende beidseitige Hochtonschwerhörigkeit im notwendigen Umfang
auszugleichen und - falls dies nicht der Fall sein sollte - b) ob preiswertere Geräte -
insbesondere solche, die für den Festbetrag (823 Euro) bezogen werden können -
ausreichend sind, um einen Ausgleich der beim Kläger bestehenden
Hochtonschwerhörigkeit im notwendigen Maße zu erreichen, durch Einholung eines
schriftlichen Sachverständigen-Gutachtens. Mit der Erstellung des Gutachtens ist der
Hörgeräteakustikermeister Herr H. X1. aus E1. als öffentlich bestellter und vereidigter
Sachverständiger beauftragt worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf das Gutachten vom 17. September 2008 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Verwaltungsakten des
Beklagten.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
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Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig und teilweise begründet. Dem Kläger
steht gegen das beklagte Land wegen der notwendigen Versorgung mit zwei
Hörgeräten im Rahmen der freien Heilfürsorge ein Anspruch auf Erstattung eines
Betrages von 1.650 Euro über den bereits gewährten Festbetrag hinaus zu. Insoweit ist
der Feststellungsvermerk des polizeiärztlichen Dienstes vom 1. Juni 2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides des Landrates als Kreispolizeibehörde D. vom 5.
September 2007 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5
VwGO).
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Hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs ist von § 189 Abs. 2 des
Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LBG) auszugehen. Nach § 189
Abs. 2 Satz 1 und 2 LBG haben Polizeivollzugsbeamte Anspruch auf freie Heilfürsorge,
die alle zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Polizeidienstfähigkeit des Beamten
notwendigen und angemessenen Aufwendungen des Landes umfasst. Das Nähere,
insbesondere über den Umfang der freien Heilfürsorge und die Angemessenheit der
Aufwendungen des Landes, ist gemäß § 189 Abs. 2 Satz 3 durch die Verordnung über
die freie Heilfürsorge der Polizei (FHVOPol) vom 13. Juli 2001, GV.NRW.2001, S. 536,
geregelt.
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Nach § 2 Abs. 1 FHVOPol umfasst der Anspruch auf freie Heilfürsorge u.a. die zur
Erhaltung oder Wiederherstellung der Polizeidienstfähigkeit notwendige und
angemessene ärztliche Behandlung im Krankheitsfall (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 FHVOPol) und
Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 2 Abs. 1 Nr. 8 FHVOPol). Soweit in der Verordnung nichts
anderes bestimmt ist, richtet sich der Umfang der Leistungen nach den Vorschriften des
SGB V (§ 2 Abs. 2 FHVOPol). In § 10 Abs. 1 Satz 1 FHVOPol ist geregelt, dass der
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Polizeivollzugsbeamte Anspruch auf die Versorgung mit ärztlich verordneten Hilfsmitteln
hat, die im Einzelfall erforderlich sind den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern
oder eine Behinderung auszugleichen.
Fest steht, dass der Kläger wegen seiner bestehenden Hochtonschwerhörigkeit zur
Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Polizeidienstfähigkeit beiderseits einer Hörhilfe
bedarf. Die Notwendigkeit der Versorgung mit den Hörgeräten ist auch durch den
Polizeiarzt vor der Beschaffung anerkannt worden (§ 10 Abs. 2 FHVOPol). Streitig
zwischen den Beteiligten ist lediglich die Frage, ob der Anspruch auf Gewährung freier
Heilfürsorge bereits damit erfüllt ist, dass das beklagte Land die dem Grunde nach
anerkannten Hilfsmittel lediglich mit dem Festbetrag in Höhe von 823 Euro abgerechnet
hat.
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Nach § 2 Abs. 2 FHVOPol richtet sich der Umfang der Leistungen nach den Vorschriften
des SGB V, soweit in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist. Ebenso wie § 10 Abs.
1 Satz 1 FHVOPol stellt § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB X darauf ab, dass das Hilfsmittel im
Einzelfall erforderlich ist, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine
Behinderung auszugleichen. Hinsichtlich des Umfangs der Leistungen sehen die
Bestimmungen des SBG V für bestimmte Hilfsmittel, so auch für Hörgeräte, Festbeträge
vor, die so anzupassen und festzusetzen sind, dass sie im Allgemeinen eine
ausreichende, zweckmäßige, wirtschaftliche und in der Qualität gesicherte Versorgung
gewährleisten. Mit der Zahlung des Festbetrages erfüllt die Krankenkasse grundsätzlich
ihre Leistungspflicht. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Festbetrag für den Ausgleich
der konkret vorliegenden Behinderung nicht ausreicht (vgl. BSG, Urteil vom 23. Januar
2003 - B 3 KR 7/02 R, BSGE 90, 220; LSG Niedersachsen -Bremen, Urteil vom 15. Juni
2005 - L 4 KR 147/03 -, Juris)
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Dementsprechend ist also auch der Anspruch auf Versorgung mit einem Hörgerät im
Rahmen der freien Heilfürsorge nicht zwingend auf den Festbetrag begrenzt.
Entscheidend ist allein, ob Hörgeräte, die zum Festbetrag bezogen werden konnten, die
beim Kläger konkret vorliegende Hörbehinderung mit Blick auf die Anforderungen des
Polizeidienstes hinreichend ausgleichen.
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Diese Frage ist nach den überzeugenden Ausführungen des Gutachters eindeutig zu
verneinen. Der Sachverständige X1. ist unter Zugrundelegung objektiver Kriterien,
insbesondere der von Dr. I. erhobenen audiologischen Messwerte, zu der Beurteilung
gelangt, dass „aufgrund des ungewöhnlichen Hörverlustes von Herrn X.----ring (nur
hohe Töne) Hörgeräte zum Festbetrag nicht geeignet" seien, weil bei solchen
Hörgeräten durch eine nicht vollständig zu reduzierende Tieftonverstärkung die
Sprachverständlichkeit eingeschränkt sei. Diese Beurteilung ist schon aus sich heraus
plausibel und gewinnt noch weitere Überzeugungskraft durch die vergleichenden
Darlegungen zu den Übertragungseigenschaften der höherwertigen Geräte Delta 6000
und Delta 4000. Vor diesem Hintergrund erscheint dem Gericht die Äußerung des
Polizeiarztes Dr. E. in seiner Stellungnahme vom 24. Oktober 2008, dem Gutachten des
Herrn X1. lasse sich zu der Frage einer Hörgeräteversorgung zum Festbetrag keine
Aussage entnehmen, unverständlich. Die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens,
wie es dem beklagten Land vorschwebt, hält das Gericht für überflüssig, weil der
medizinische Befund geklärt und unstreitig ist. Das beklagte Land hat auch keine
tragfähigen Einwendungen gegen das eingeholte Gutachten erhoben. Allein der
Umstand, dass das beklagte Land mit dem Beweisergebnis nicht einverstanden ist,
rechtfertigt nicht die Erhebung weiteren Beweises.
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Nach dem Ergebnis des Gutachtens ist allerdings auch davon auszugehen, dass die
beschafften Hörgeräte Delta 6000 nicht erforderlich sind, um die bestehende
Hochtonschwerhörigkeit in angemessenem Umfang auszugleichen. Vielmehr hat der
Sachverständige überzeugend dargelegt, dass die Versorgung mit Hörgeräten des Typs
Delta 4000, die in der Beschaffung um insgesamt ca. 600 Euro unter den beschafften
Geräten Delta 6000 gelegen hätten, auch mit Blick auf die beruflichen Anforderungen
notwendig, aber auch ausreichend sei. Ausgehend von dieser Beurteilung, die das
Gericht teilt, beschränkt sich der Erstattungsanspruch des Klägers auf die Übernahme
der Differenz zwischen dem bereits gewährten Festbetrag und den Beschaffungskosten
für Hörgeräte des Typs Oticon Delta 4000.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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