Urteil des VG Münster vom 27.01.2009

VG Münster: freie mitarbeit, vertretung, zwangsvollstreckung, rechtspflege, berufsausübung, zivilprozessordnung, mandat, landrat, beendigung, verschwiegenheit

Verwaltungsgericht Münster, 7 K 305/08
Datum:
27.01.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 305/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrages leistet.
T a t b e s t a n d :
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Durch Planfeststellungsbeschluss vom 23. Juni 1989 hatte der Regierungspräsident
Münster der Firma Q. X. Kalk-Sandsteinwerke, der Rechtsvorgängerin der Beklagten,
die Herstellung eines Gewässers auf dem Grundstück G1 durch Freilegung des
Grundwassers in Folge einer Abgrabung von Sand genehmigt.
2
Durch Urteil vom 17. September 2004 hatte das Gericht auf die Klage des Klägers in
dem Verfahren 7 K 379/02 das Außerkrafttreten dieses Planfeststellungsbeschlusses
festgestellt. In dem Verfahren 20 A 4568/04 änderte das Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 13. Juni 2007 die Entscheidung des
Gerichts und wies die Klage ab. Die Beklagte, die als Beigeladene Beteiligte des vor
dem Oberverwaltungsgericht geführten Rechtsstreits war, ließ sich durch ihren jetzigen
Prozessbevollmächtigten, Herrn E. . V. aus der Anwaltskanzlei C. Rechtsanwälte,
vertreten; dieser hatte das Mandat am 25. November 2004 übernommen und dem
Oberverwaltungsgericht am 13. Dezember 2004 Prozessvollmacht vorgelegt. Zuvor war
die Beklagte von E. . I. aus Münster vertreten worden.
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Auf den Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten setzte das Gericht nach Eintritt der
Rechtskraft des Urteils des Oberverwaltungsgerichts die von dem Kläger an die
Beklagte zu erstattenden Kosten II. Instanz durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 5.
September 2007 auf 3.811,20 EUR fest.
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Am 6. Februar 2008 hat der Kläger Vollstreckungsgegenklage wegen eines Betrages in
Höhe von 1.624,80 EUR erhoben. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Gericht durch Beschluss vom 6. Februar 2008
ab; die dagegen erhobene Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht durch
Beschluss vom 22. Februar 2008 zurück. Zur Begründung seiner Klage macht der
Kläger geltend: Der Anwaltsvertrag zwischen der Beklagten und den Rechtsanwälten C.
sei wegen Verstoßes gegen anwaltliches Berufsrecht nichtig gewesen, als diese sie als
Beigeladene in dem zweitinstanzlichen Verfahren vertreten hätten. Diese hätten nämlich
für Frau H1. T. aus Sassenberg beim Landrat des Kreises Warendorf ebenfalls einen
Antrag auf Feststellung des Erlöschens des Planfeststellungsbeschlusses vom 23. Juni
1989 gestellt. Damit hätten sie vor der Vertretung der Beklagten in dem
zweitinstanzlichen Verfahren eine andere Partei in derselben Rechtssache im
widerstreitenden Interesse beraten und vertreten. Der hierdurch verursachte Verstoß
gegen anwaltliches Berufsrecht führe zwingend zur Nichtigkeit des Anwaltvertrages,
sodass ein Gebührenanspruch der Rechtsanwälte C. gegen die Beklagte nicht
bestanden habe. Dementsprechend könne die Beklagte auch von ihm nicht die durch
die Vertretung der Rechtsanwälte entstandenen Kosten beanspruchen.
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Der Kläger beantragt,
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die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Gerichts vom 5.
September 2007 in Höhe von 1.624,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für unzulässig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt die Beklagte aus: Die Bevollmächtigung der Rechtsanwälte C.
durch Frau T. sei im Jahre 2001 vor dem Eintritt von E. . V. in die Sozietät erfolgt.
Nachdem der Planfeststellungsbeschluss mit Bescheid vom 26. November 2001
geändert worden sei, habe Frau T. nicht mehr weiter gegen den
Planfeststellungsbeschluss vorgehen wollen; daraufhin sei das Mandat beendet
worden. Es fehle an einer Interessenkollision, weil schon nicht dieselbe Rechtssache
betroffen gewesen sei. Zudem greife das Verbot kollidierender Interessen nicht. Die
Neufassung des § 3 Abs. 2 der Berufsordnung für Rechtsanwälte könne im Zeitpunkt
der Inkraftsetzung am 1. Juli 2006 bereits bestehende Mandatsverhältnisse nicht
betreffen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und insbesondere der Gerichtsakten in
dem Verfahren 7 K 379/02, in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren 7 L 86/08 und
dem zugehörigen Beschwerdeverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht 20 B 256/08
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
12
Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die Zwangsvollstreckung aus dem gegen den Kläger ergangenen
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Kostenfestsetzungsbeschluss vom 5. September 2007 ist nicht unzulässig.
Gemäß § 167 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - in Verbindung mit § 767
Abs. 1 der Zivilprozessordnung - ZPO - sind vom Schuldner Einwendungen, die den
durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen, bei dem Prozessgericht des
ersten Rechtszuges geltend zu machen.
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Zu den danach berücksichtigungsfähigen Einwendungen gehören auch Einwendungen
gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse. Nach § 795 Satz 1 ZPO sind auf die
Zwangsvollstreckung aus den in § 794 ZPO erwähnten Schuldtiteln die Vorschriften der
§§ 724 bis 793 ZPO entsprechend anzuwenden; zu den in § 794 Abs. 1 ZPO erwähnten
Schuldtiteln zählen auch Kostenfestsetzungsbeschlüsse.
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Die Einwendungen greifen aber nicht durch. Der Erstattungsanspruch der Beklagten
besteht, der zwischen den Rechtsanwälten C. und ihr geschlossene Anwaltsvertrag ist
nicht unwirksam.
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Ein Verstoß gegen anwaltliches Berufsrecht wegen des Tätigwerdens der
Rechtsanwälte C. für die Beklagte in dem Verfahren 20 A 4568/04 vor dem
Oberwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen lässt sich nicht feststellen.
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Gemäß § 43a Abs. 4 der Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO - darf der Rechtsanwalt
keine widerstreitenden Interessen vertreten. Nach § 3 Abs. 1 der Berufsordnung für
Rechtsanwälte - BORA - darf der Rechtsanwalt nicht tätig werden, wenn er eine andere
Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder
vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46
BRAO beruflich befasst war. Nach der zurzeit der Mandatsübernahme am 25. November
2004 geltenden Fassung des § 3 Abs. 2 BORA (BORA a.F.) gilt das Verbot auch, wenn
ein anderer Rechtsanwalt oder Angehöriger eines anderen Berufes im Sinne des § 59
BRAO, mit dem der Rechtsanwalt in Sozietät, zur gemeinschaftlichen Berufsausübung
in sonstiger Weise (Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit) oder in Bürogemeinschaft
verbunden ist oder war, in derselben Rechtssache, gleich in welcher Funktion, im
widerstreitenden Interesse berät, vertritt, bereits beraten oder vertreten hat oder mit
dieser Rechtssache in sonstiger Weise beruflich befasst ist oder war. Nach dem am 1.
Juli 2006 in Kraft getretenen § 3 Abs. 2 Satz 1 BORA gilt dieses Verbot für alle mit dem
Rechtsanwalt in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft gleich welcher
Rechts- oder Organisationsform verbundenen Rechtsanwälte.
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§ 3 Abs. 2 BORA a.F. ist nichtig,
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vgl. hierzu, Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 3. Juli 2003 - 1 BvR
238/01 -,
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sodass sich aus dieser Regelung ein Tätigkeitsverbot der Rechtsanwälte C. nicht
ergeben kann.
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Das Gericht lässt offen, ob das Verbot des § 3 Abs. 2 Satz 1 BORA in der jetzigen
Fassung in das zwischen der Beklagten und den Rechtsanwälten C. bestehende
Mandatsverhältnis hätte eingreifen können, obwohl einiges dafür sprechen dürfte. Die
Regelung hätte nicht einen bereits abgewickelten, der Vergangenheit angehörenden
Tatbestand, sondern eine gegenwärtige Rechtsbeziehung in einem laufenden
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Berufungsverfahren betroffen; ein etwaiges schutzwürdiges Vertrauen in ein weiteres
Tätigwerden des Prozessbevollmächtigten in diesem Berufungsverfahren hätte
möglicherweise hinter dem Interesse an einer funktionstüchtigen Justiz zurücktreten
müssen.
Vgl. zum Interesse an einer funktionstüchtigen Justiz: BVerfG, Beschluss vom 3. Juli
2003 a.a.O., wonach das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen auch der im
Interesse der Rechtspflege gebotenen Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung
diene, also dem Ziel, dass ein Anwalt nur einer Seite diene. Hinsichtlich dieses
Gemeinwohlbelangs gälten folgende Grundsätze: Die Wahrnehmung anwaltlicher
Aufgaben setze - für den Mandanten unverfügbar - den unabhängigen, verschwiegenen
und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt voraus.
Diese Eigenschaften stünden nicht zur Disposition der Mandanten. Der Rechtsverkehr
müsse sich darauf verlassen können, dass der Pflichtenkanon des § 43a BRAO befolgt
werde, damit die angestrebte Chancen- und Waffengleichheit der Bürger untereinander
und gegenüber dem Staat gewahrt werde und die Rechtspflege funktionsfähig bleibe.
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Eine Tätigkeit im widerstreitenden Interesse in derselben Rechtssache im Sinne der §§
43a Abs. 4 BRAO, 3 Abs. 1 BORA hat nicht stattgefunden. Es kann dahingestellt
bleiben, ob das Tatbestandsmerkmal der Vorschrift des § 3 Abs. 1 BORA „in derselben
Rechtssache" erfüllt ist oder ob, wie die Beklagte dies meint, wegen fehlender
Sachverhaltsidentität und mangels desselben materiellrechtlichen Rechtsverhältnisses
eine andere Rechtssache betroffen gewesen ist. Denn eine Vertretung im
widerstreitenden Interesse lässt sich nicht feststellen. Im Interesse der Rechtspflege
sowie eindeutiger und geradliniger Rechtsbesorgung verlangt § 43a Abs. 4 BRAO
lediglich, dass im konkreten Fall die Vertretung widerstreitender Interessen vermieden
wird,
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vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 2003, a.a.O..
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Anlässlich der Vertretung der Beklagten in dem Berufungsverfahren durch E. . V. als
Sozietätsmitglied der Kanzlei Rechtsanwälte C. drohte eine konkrete Beeinträchtigung
der Interessen seiner Mandantin und der von Frau T. als ehemaliger Mandantin der
Kanzlei nicht. Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts reicht
gerade nicht, wie der Kläger dies meint, das Bestehen der allein abstrakten Gefahr einer
Kollision von Mandanteninteressen. Vielmehr müsste, um eine solche hier feststellen zu
können, Rechtsanwalt E. . V. als Prozessbevollmächtigter der Beklagten über Wissen
aus dem Verfahren der Frau T. gegen den Landrat des Kreises Warendorf verfügt
haben, welches im Gegensatz zu der Wahrnehmung seiner Aufgabe als unabhängiger,
verschwiegener und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteter
Rechtsanwalt gestanden haben könnte. Die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit
und das Vertrauen des Mandanten in die Verschwiegenheit des einzelnen Anwalts
kommen erst dann zur Geltung, wenn der Rechtsanwalt über geheimhaltungsbedürftige
Informationen verfügt. Denn diese können dem Rechtsanwalt die innere Unabhängigkeit
nehmen oder den Mandanten verunsichern und deshalb zur Beendigung des Mandats
durch Auftragnehmer oder Auftraggeber führen.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 2003, a.a.O..
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Anhaltspunkte dafür, dass Rechtsanwalt E. . V. , der erst nach Beendigung des Mandats
mit Frau T. in die Kanzlei Rechtsanwälte C. eingetreten ist, über derartige
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geheimhaltungsbedürftige Informationen verfügt haben könnte, sind nicht ersichtlich und
vom Kläger selbst nicht vorgetragen.
Im Übrigen wird zur weiteren Begründung auf die Ausführungen des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in dem Beschluss vom 22.
Februar 2008 - 20 B 256/08 -, insbesondere soweit dort auf den vor dem
Oberverwaltungsgericht bestehenden Vertretungszwang und die damit ohnehin
anfallenden Anwaltskosten hingewiesen wird, Bezug genommen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den
§§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.
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