Urteil des VG Münster vom 01.09.2005

VG Münster: strafbefehl, aufschiebende wirkung, marihuana, besitz, rechtskraft, cannabis, unrichtigkeit, einfluss, zustellung, einspruch

Verwaltungsgericht Münster, 10 K 316/05
Datum:
01.09.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 316/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Mit Strafbefehl vom 03. Mai 2004 hatte das Amtsgericht H. gegen den Kläger einen
Strafbefehl mit folgendem Tenor verhängt:
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„Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Münster wird gegen Sie wegen unerlaubter Einfuhr
von Betäubungsmitteln - Vergehen nach §§ 1, 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1, 33 BtMG,
74 StGB - eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 40,00 Euro (= 800,00 Euro)
festgesetzt. Folgende Gegenstände werden eingezogen: 2 KVT mit ca. 12,0 Gramm
Marihuana. Gemäß § 465 StPO werden Ihnen die Kosten des Verfahrens auferlegt."
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Der Strafbefehl wurde am 10. Juni 2004 rechtskräftig. Am 1. Juli 2004 wurden die beim
Kläger eingezogenen Drogen vernichtet.
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Mit Bescheid vom 10. September 2004 teilte der Beklagte dem Kläger mit, gemäß § 14
Abs. 1 Satz 2 FeV könne die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens angeordnet
werden, wenn der Betroffene Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes
widerrechtlich besitze oder besessen habe. Die beim Kläger aufgefundene Menge von
12,00 Gramm Cannabis werte er, der Beklagte, als Indiz dafür, dass der Kläger das
Rauschmittel zum Zwecke des Eigenkonsums bei sich gehabt habe, da Erfahrungen
zeigten, dass zwischen Besitz und Konsum von Drogen oft ein enger Zusammenhang
bestehe. Des Weiteren bestehe aufgrund der aufgefundenen Menge von 12,00 Gramm
Cannabis der Verdacht, dass der Kläger erheblichen Cannabiskonsum betreibe. Es
bestünden Bedenken an der Kraftfahreignung des Klägers. Zu deren Beurteilung ergehe
folgende Anordnung: Die Vorlage eines fachärztlichen Gutachtens in Form einer Blut-
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und Urinuntersuchung innerhalb von 20 Tagen nach Zustellung dieser Verfügung,
wobei die Blut- und Urinabgabe innerhalb von 8 Tagen erfolgen müsse.
Mit Schriftsatz vom 15. September 2004 teilten die Prozessbevollmächtigten des
Klägers dem Beklagten mit, der Kläger werde der Beweisanordnung nicht Folge leisten.
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Nach vorheriger Anhörung entzog der Beklagte dem Kläger durch Ordnungsverfügung
vom 12. Oktober 2004 die Fahrerlaubnis der Klasse 3. Zugleich forderte er den Kläger
auf, den Führerschein innerhalb von 3 Tagen nach Zustellung der Ordnungsverfügung
in seiner, des Beklagten, Dienststelle abzugeben. Der Beklagte ordnete für die
Entziehung der Fahrerlaubnis die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Ziff. 4 VwGO
an.
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Der Kläger erhob Widerspruch und suchte beim erkennenden Gericht um einstweiligen
Rechtsschutz nach. Durch Beschluss vom 22. November 2004 lehnte das Gericht den
Antrag des Klägers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 12. Oktober 2004 wiederherzustellen, ab.
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Klägers wies das Oberverwaltungsgericht für
das Land Nordrhein-Westfalen durch Beschluss vom 22. Mai 2005 - 16 B 2643/04 -
zurück.
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Am 24. Februar 2005 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben, mit der er geltend
macht: Der Beklagte mutmaße zu Unrecht, dass er, der Kläger, allein wegen des
Besitzes einer kleinen Menge von Marihuana auch Marihuana konsumiere.
Unzulässigerweise werde die Ordnungsverfügung des Beklagten auch auf den
Verdacht gestützt, der Kläger könne über den gemutmaßten Marihuanakonsum hinaus
auch nicht Marihuanakonsum und Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr im
Zustand rauschbedingter Fahruntüchtigkeit trennen. Es stehe indessen fest, dass eine
Fahrt des Klägers unter Einfluss von Marihuana zu keinem Zeitpunkt vorgelegen habe.
Allein in dem Besitz einer kleinen Menge sogenannter weicher Drogen liege kein
hinreichender Gefahrenverdacht, der einen Eignungsmangel als naheliegend
erscheinen lasse. Damit könne auch die Weigerung des Klägers, sich einer
Begutachtung zu stellen, im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren nicht zu seinen Lasten
gewürdigt werden. Ungeachtet dessen bestätige eine Auswertung der Strafakte, dass
der Kläger nicht im Besitz von 12 Gramm Marihuana gewesen sei. Dies ergebe sich u.
a. aus der Formulierung im Strafbefehl „2 KVT mit ca. 12,00 Gramm Marihuana". In
Abzug zu bringen sei das Gewicht der Klemmverschlusstüten. Im Übrigen sei die
Verwiegung der Drogen mit einer ungeeichten Waage erfolgt, so dass ein zusätzlicher
Toleranzabzug in Höhe von 20 Prozent vorzunehmen sei.
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Der Kläger beantragt,
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die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 12. Oktober 2004 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verteidigt die angegriffenen Bescheide und trägt vor, die Anordnung eines
Drogenscreenings sei auch bei einer nicht mehr exakt ermittelbaren Menge des vom
Kläger mitgeführten Marihuanas zulässig gewesen. Der Kläger habe in den bisherigen
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verwaltungsgerichtlichen Verfahren die angegebene Menge von ca. 12 Gramm nicht als
entscheidungsrelevant angesehen. Auch im strafrechtlichen Verfahren habe er keinerlei
Rechtsmittel gegen den Strafbefehl eingelegt. Es könne daher vermutet werden, dass
die beim Kläger aufgefundene Menge nicht weniger als 12 Gramm betragen habe,
zumal die mitgeführte Menge illegaler Drogen erheblichen Einfluss auf das festgesetzte
Strafmaß gehabt haben dürfte.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung den Leiter des Eichamts N. , Herrn
Oberregierungsrat C1. , gehört und ihn u. a. gebeten, die Genauigkeit der zum Wiegen
der beim Kläger aufgefundenen Drogenmenge benutzten ungeeichten Waage zu
überprüfen. Auf die darüber gefertigte Niederschrift wird verwiesen. Verwiesen wird
ebenfalls auf die Niederschrift über die Vernehmung der Zeugen L. und B. .
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
des vorliegenden Verfahrens, des Verfahrens 10 L 1425/04, des Strafverfahrens 49 Js
244/04 sowie auf den Inhalt der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die gemäß § 75 VwGO zulässige Klage ist nicht begründet. Die angegriffene
Ordnungsverfügung des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in
seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Zur Begründung und zur Vermeidung von
Wiederholungen verweist das Gericht zunächst auf seinen im Eilverfahren ergangenen
Beschluss vom 22. November 2004 - 10 L 1425/04 - sowie auf den im
Beschwerdeverfahren ergangenen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 2005 - 16 B 2643/04 -.
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Dem ist mit Blick auf das Vorbringen des Klägers im vorliegenden
Hauptsacheverfahren, in dem der Kläger insbesondere hervorhebt, es sei nicht
bewiesen, dass er 12 g Cannabis besessen habe, hinzuzufügen:
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Dass der Kläger eine Drogenmenge mit einem Gewicht von etwa 12 g besessen hat, ist
durch den Strafbefehl des Amtsgerichts H. vom 3. Mai 2004 seit dem 10. Juni 2004
rechtskräftig festgestellt. Da der Kläger gegen diesen Strafbefehl nicht rechtzeitig
Einspruch erhoben hat, steht der Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleich, § 410
Abs. 3 StPO. Allerdings erwächst nur der Tenor des Strafbefehls in Rechtskraft; auf die
Entscheidungsgründe bezieht sich die Wirkung der Rechtskraft nicht.
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Vgl. Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 3. Aufl., Einleitung Rndn. 167;
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43 Aufl., Einleitung Rndn. 170.
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Im vorliegenden Fall ist jedoch die Drogenmenge, von deren Besitz beim Kläger
auszugehen ist, in den im Tatbestand im einzelnen wiedergegebenen Tenor
aufgenommen worden. Grundlage hierfür waren §§ 407 Abs. 2 Nr. 1, 5. Alt. StPO, 74
Abs. 1 und 2 StGB. Die Einziehung ist grundsätzlich im Tenor des Strafurteils oder des
diesem gleichstehenden Strafbefehls auszusprechen; die hier erfolgte Angabe einer
genauen Drogenmenge steht im Einklang mit dem Gebot, die einzuziehenden
Gegenstände genau zu bezeichnen.
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Vgl. zu Vorstehendem: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 74 Rdnr. 44.
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Aus alledem folgt, dass durch den Tenor des gegen den Kläger ergangenen
Strafbefehls vom 3. Mai 2004 rechtskräftig von einer Drogenmenge von etwa 12 g
auszugehen ist. Hätte der Kläger dieses Ergebnis vermeiden wollen, hätte er gegen den
Strafbefehl Einspruch erheben müssen. Dies hat er - offenbar aus guten Gründen - nicht
getan. Folglich muss er die Rechtskraft des Strafbefehls gegen sich gelten lassen.
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Selbst wenn man im Gegensatz zum erkennenden Gericht davon ausginge, die vom
Kläger besessene Drogenmenge sei nicht Gegenstand des in Rechtskraft erwachsenen
Tenors des Strafbefehls vom 3. Mai 2004, sondern nur Teil des dort festgestellten
Sachverhalts, führte dies nicht zu einer für den Kläger günstigeren Beurteilung. Denn
ein Kraftfahrer muss in einem Fahrerlaubnis-Entziehungsverfahren eine rechtskräftige
strafgerichtliche Entscheidung mit dem darin festgestellten Sachverhalt gegen sich
gelten lassen, sofern sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der
tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil ergeben.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. September 1992 - 11 B 22/92 -, NVwZ-RR 1993, 165;
OVG Koblenz, Beschluss vom 23. Mai 2002 - 7 B 10765/02 -, NJW 2002, 2581.
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Gewichtige Anhaltpunkte für die Unrichtigkeit der tatsächlichen Feststellungen im
Strafbefehl haben sich indessen nicht ergeben. Der Leiter des Eichamts N. , Herr
Oberregierungsrat C1. , hat in der mündlichen Verhandlung auf der Digitalwaage, mit
der die beim Kläger aufgefundenen Drogen abgewogen worden waren, verschiedene
Gewichte gewogen, mit denen Waagen in Apotheken geprüft werden. Ausweislich der
Niederschrift über die mündliche Verhandlung ergab sich hierbei eine hohe
Messgenauigkeit der in Rede stehenden Waage. Die im Übrigen ganz unsubstantiierte
Behauptung des Klägers, bei ungeeichten Waagen sei ein Toleranzabzug in Höhe von
20 % vorzunehmen, ist damit widerlegt. Herr Oberregierungsrat C1. konnte zwar
naturgemäß keine Aussage darüber treffen, welches Gewicht im Jahre 2004 mit dieser
Waage gemessen worden wäre. Ein messtechnischer Grundsatz des Inhalts, eine im
Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zutreffend (sogar geringfügig zu wenig)
wiegende Waage müsse im Jahre 2004 unrichtig, namentlich zu viel gewogen haben,
wurde aber weder von Herrn C1. aufgestellt noch vom Kläger substantiiert behauptet
noch ist er sonst ersichtlich. Gewichtige Gründe im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, die auf eine Unrichtigkeit der im Strafbefehl zu Grunde
gelegten tatsächlichen Feststellungen schließen lassen würden, bestehen daher nicht.
Nichts anderes ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers, er reklamiere einen vom
festgestellten Gewicht vorzunehmenden Abzug für die Klemmverschlusstüten, in denen
die bei ihm aufgefundenen Drogen aufbewahrt worden waren. Das Gericht hat insoweit
in der mündlichen Verhandlung feststellen können, dass die in der Strafakte 49 Js
244/04 abgeheftete Klemmverschlusstüte, deren Gewicht Herr Oberregierungsrat C1.
mittels einer geeichten Waage mit 3,17 g ermittelte, nicht eine der vom Kläger benutzten
Klemmverschlusstüten ist, sondern aus dem Hauptzollamt stammt. Dies geht aus der
Aussage des Zeugen L. überzeugend hervor. Überdies steht zur Überzeugung des
Gerichts fest, dass der Kläger, als er die bei ihm aufgefundenen Drogen bei sich führte,
diese in zwei kleineren Klemmverschlusstüten mit einem Inhalt von etwa je 5 g und mit
einem Eigengewicht von etwa je 0,8 g aufbewahrte. Zwar vermochte sich der Zeuge B.
an Einzelheiten des in Rede stehenden Sachverhalts nicht mehr zu erinnern. Er
vermittelte aber dem Gericht in glaubhafter und anschaulicher Weise einen Eindruck
davon, dass in niederländischen Coffee-Shops üblicherweise beim Verkauf von 5 g
Cannabis kleinere Klemmverschlusstüten mitgegeben werden, deren Eigengewicht
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jeweils 0,8 g betrage. Der Zeuge L. untermauerte dieses Bekunden verstärkend, indem
er darauf hinwies, die Beamten der Mobilen Kontrollgruppe hätten die üblicherweise
benutzten Tüten mit eine Feinwaage im Einzelnen verwogen und seien dann zu den
genannten Erfahrungswerten gelangt. Dass im Fall des Klägers von einem hiervon
völlig abweichenden, gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des Strafbefehls
begründenden Geschehensablauf ausgegangenen werden müsste, ist nicht ersichtlich,
zumal der Zeuge L. eindrucksvoll darlegte, dass bei auffälligen Diskrepanzen zwischen
der Größe eines Drogenbehältnisses und dem Gewicht seines tatsächlichen Inhalts
eine Nettoverwiegung stattfinde. Der Kläger hat zudem nicht substantiiert behauptet, die
von ihm seinerzeit mitgeführten zwei Tüten hätten die Größe derjenigen Tüten deutlich
überschritten, in denen üblicherweise in Coffee-Shops Drogenportionen zu je 5 g
verkauft werden.
Schließlich und unabhängig davon gilt: Wer das Gewicht von bei ihm aufgefundenen
Drogen erst zu einem Zeitpunkt in Frage stellt, als die Drogen bereits vernichtet worden
sind (hier: nach dem 1. Juli 2004), obwohl er hierauf abzielende Rügen bereits zuvor
hätte erheben können, ist entsprechend dem § 444 ZPO innewohnenden
Rechtsgedanken so zu stellen, als sei die Richtigkeit des bezweifelten Gewichts (hier
also: ca. 12 g) bewiesen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711
Satz 1 ZPO.
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