Urteil des VG Münster vom 20.02.2009

VG Münster: world wide web, versicherung, schlüssiges verhalten, eidesstattliche erklärung, kandidat, internet, prüfungsordnung, prüfer, gutachter, aufklärungspflicht

Verwaltungsgericht Münster, 10 K 1212/07
Datum:
20.02.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 1212/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung
abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
1
Der Kläger bestand im Frühjahr 2006 die Diplomprüfung im Studiengang
Betriebswirtschaftslehre erstmalig nicht, da er die zulässige Maluspunktegrenze
überschritten hatte.
2
Er unterzog sich daraufhin einem erneuten Prüfungsversuch. Seine Diplomarbeit zum
Thema „ ", der eine eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 2. November 2006
beigefügt war, auf deren Inhalt verwiesen wird, bewertete der Erstgutachter, Herr Prof.
Dr. C. , unter dem 13. November 2006 mit „5,0 (nicht ausreichend)". Die Arbeit sei mittels
einer speziellen Software mit im Internet bzw. World Wide Web verfügbaren Quellen
abgeglichen worden. Es habe sich gezeigt, dass in erheblichem Umfang Passagen
wörtlich ohne jede Zitierung bzw. fälschlich mit indirekter Zitierung aus Internetquellen
kopiert und Inhalte ohne (indirekte) Zitierung übernommen worden seien. In dieser
Hinsicht hervorzuheben sei eine Textstelle ab Seite 43 der vorliegenden Arbeit, bei der
etwa 1 ½ Seiten von einem im Internet vorhandenen Aufsatz wörtlich übernommen
worden seien, ohne dass dieser hierbei als Quelle aufgeführt sei. Die entsprechenden
Fälle seien in wesentlichen Teilen in einem Anhang zu dem vorliegenden Gutachten auf
insgesamt 31 Seiten dokumentiert worden. Die festgestellten Übernahmen aus dem
Internet bzw. dem World Wide Web stellten einen Verstoß gegen die vom Kläger
abgegebene eidesstattliche Erklärung dar. Des weiteren liege ein Täuschungsversuch
im Sinne von § 9 Abs. 3 Satz 1 der Prüfungsordnung vor.
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Daraufhin wurde die Diplomarbeit des Klägers Herrn Prof. Dr. Dr. F. mit der Bitte um
Erstattung eines Zweigutachtens zugeleitet. In seinem Gutachten vom 19. Dezember
2006 gelangt auch Herr Prof. F. zu dem Ergebnis, in der vorliegenden Arbeit seien in
erheblichem Umfang Passagen aus Internetquellen ohne oder mit unzureichender
Zitierung übernommen worden.
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Der Beklagte teilte dem Kläger daraufhin unter dem 8. Januar 2007 mit, die Diplomarbeit
sei von den Gutachtern mit der Note „nicht ausreichend" (5,0)" bewertet worden. Die
Diplomprüfung sei endgültig nicht bestanden.
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Der Kläger erhob Widerspruch. Sämtliche Vorwürfe würden bestritten. Es liege weder
ein Verstoß gegen die abgegebene eidesstattliche Versicherung noch ein
Täuschungsversuch vor. Bei einer Nachprüfung der vom Kläger angegebenen
Originalfundstellen hätte festgestellt werden können, dass der Kläger die von ihm
angegebenen Fundstellen in absolut zutreffender und korrekter Weise wiedergegeben
habe und dass sich der Wortlaut seiner Diplomarbeit genau aus den angegebenen
Quellen ergebe. Dem Kläger könnten lediglich zwei Vorwürfe gemacht werden, wobei
einer der Vorwürfe einen Satz auf Seite 8 der Diplomarbeit betreffe. Ein zweiter Vorwurf
beziehe sich auf Seite 43 der Diplomarbeit. Dort habe der Kläger die Originalfundstelle
der wissenschaftlichen Erkenntnisse von K /N zitiert, in der der abgedruckte Text
tatsächlich, aber in englischer Sprache aufzufinden sei. Der deutsche in der
Diplomarbeit verwendete Text stamme aus dem Buch von S /D , .... Auf den Seiten 57 ff.
dieses Werkes würden unter Nennung der Wissenschaftler K und N deren Erkenntnisse
wiedergegeben. Aus dieser Fundstelle habe er, der Kläger, die Seiten 43 und 44
entnommen. Da das deutsche Werk von S aber lediglich die Erkenntnisse der Herren
Kaplan und Norton wiedergebe, stelle die Nichtnennung der zutreffenden Fundstelle
keinen schwerwiegenden Verstoß gegen die wissenschaftlichen Nachweispflichten
eines Prüflings dar. Die beiden genannten Pflichtverletzungen hätten bei der Bewertung
der Diplomarbeit Einfluss nehmen und zur Abwertung führen können; der Vorwurf einer
falschen eidesstattlichen Erklärung oder des Begehens eines Täuschungsversuchs
könne aber nicht aufrechterhalten bleiben.
6
In ihren Stellungnahmen zum Widerspruch des Klägers hielten die genannten Gutachter
an ihrer bisherigen Benotung fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2007 wies
der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
7
Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben, mit der er sein Vorbringen aus dem
Verwaltungsverfahren ergänzt und vertieft. Unter anderem treffe es nicht zu, dass die
Textpassagen auf den Seiten 43 und 44 der Diplomarbeit wörtlich übernommen worden
seien.
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Der Kläger beantragt:
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1. „den Bescheid des Beklagten vom 08.01.2007 und den Widerspruchsbescheid des
Beklagten vom 27.06.2007 aufzuheben,
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2.den Beklagten zu verpflichten, die Prüfungsleistungen des Klägers in der Diplomarbeit
„ " neu zu bewerten.
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3.Bei der Neubewertung sind anstelle von Prof. Dr. Wolfgang C. und Prof. Dr. Dr. W. F.
zwei andere Gutachter einzusetzen."
12
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen. Er hält an seiner bisherigen Einschätzung fest und verteidigt die
angegriffenen Bescheide.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten vorgelegten
Verwaltungsvorgänge und Literatur Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 8. Januar
2007 und dessen Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2007 sind rechtmäßig und
verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Ein Anspruch des Klägers auf
Verpflichtung des Beklagten zur Neubewertung seiner Diplomarbeit (durch zwei andere
als die bisherigen Gutachter) besteht ebensowenig wie ein Anspruch darauf, ihn über
das Ergebnis der begehrten Neubewertung zu bescheiden, § 113 Abs. 5 VwGO.
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Der Beklagte hat die Diplomarbeit des Klägers zu Recht als mit „nicht ausreichend" (5,0)
bewertet. Diese Entscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 3 Satz 1 der
Ordnung für die Prüfungen in den Studiengängen der Betriebswirtschaftslehre der
Westfälischen Wilhelms-Universität vom 9. März 1999 (in der Fassung der letzten
Änderung vom 9. September 2008, die allerdings, ebenso wie die vorangehenden
Änderungen, die hier maßgeblichen Bestimmungen in ihrer ursprünglichen Fassung
unberührt gelassen hat) - Prüfungsordnung (PO) - . Danach gilt eine Prüfungsleistung
als mit der vorgenannten Note bewertet, wenn der Kandidat versucht, das Ergebnis
dieser Prüfungsleistung u. a. durch Täuschung zu beeinflussen. Eigentliche
Rechtfertigung für eine derartige Ahndung eines Täuschungsversuchs sind das Gebot
der persönlich zu erbringenden Leistung und der „Zweck der Prüfung, die wahre
Leistungsfähigkeit des Prüflings zu ermitteln"; „vorgetäuschte oder sonstwie
erschlichene Leistungen" sollen „in keiner Weise dazu beitragen können, den
Prüfungserfolg zu rechtfertigen." Dies folgt letztlich aus „dem Grundsatz der
Chancengleichheit, der es verbietet, dass ein Prüfling" sich „gegenüber den anderen
Prüflingen nicht leistungsbedingte Vorteile verschafft".
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Vgl. Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Band 2, Prüfungsrecht, 4. Aufl., Rndn. 447 f.
Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 Satz 1 PO sind erfüllt. Der Kläger hat den Versuch
unternommen, das Ergebnis seiner Diplomarbeit - diese ist eine Prüfungsleistung, vgl. §
21 Abs. 1 Satz 1 PO; sie soll zeigen, dass der Kandidat in der Lage ist, innerhalb der
vorgegebenen Frist das ihm gestellte Problem selbständig mit wissenschaftlichen
Methoden zu bearbeiten, § 21 Abs. 1 Satz 2 PO - zu beeinflussen. Mit dem Begriff der
„Täuschung" knüpft die Prüfungsordnung an die drei dem Tatbestand des § 263 Abs. 1
StGB innewohnenden Modalitäten (Vorspiegelung falscher oder Entstellung oder
Unterdrückung wahrer Tatsachen) an, die als „Täuschungshandlung" bezeichnet
werden und unter denen dasjenige Verhalten verstanden wird, „durch das im Wege
einer Einwirkung auf das intellektuelle Vorstellungsbild eines anderen eine
Fehlvorstellung über die Realitäten erregt werden kann."
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Vgl. Cramer/Perron in Schönke/Schröder/Cramer, StGB, Kommentar, 27. Aufl., München
2006, § 263 Rndn. 6. Die für die Annahme einer Täuschungshandlung erforderliche
Einwirkung auf das intellektuelle Vorstellungsbild kann „durch ausdrückliches
Vorspiegeln, durch schlüssiges Verhalten und durch Unterlassen bei bestehender
Aufklärungspflicht" geschehen.
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Vgl. Cramer/Perron, aaO, Rndn. 7. Ob der Kläger - wofür einiges spricht - (sogar) durch
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aktives Tun getäuscht hat, kann hier im Ergebnis offenbleiben; denn jedenfalls hat er es
unterlassen, bei bestehender Aufklärungspflicht die Prüfer darauf hinzuweisen, dass er
jedenfalls Teile seiner Diplomarbeit entgegen § 21 Abs. 1 Satz 2 PO nicht selbständig
mit wissenschaftlichen Methoden gefertigt hat. Diese Aufklärungspflicht ergibt sich für
den Kandidaten ausdrücklich aus der Prüfungsordnung selbst. Gem. § 21 Abs. 7 PO hat
nämlich der Kandidat der Arbeit ein Verzeichnis der von ihm benutzten Hilfsquellen
beizufügen und schriftlich zu versichern, dass er die Arbeit selbständig verfasst und
keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt sowie alle Stellen,
die wörtlich oder sinngemäß aus Veröffentlichungen entnommen worden sind, als
solche kenntlich gemacht hat. Mit dieser Verpflichtung des Kandidaten korrespondiert
die vom Kläger seiner Diplomarbeit beigefügte Versicherung vom 2. November 2006,
„...dass ich alle von anderen Autoren wörtlich übernommenen Stellen wie auch die sich
an den Gedankengänge anderer Autoren eng anlehnenden Ausführungen meiner Arbeit
besonders gekennzeichnet und die Quellen zitiert habe." Dass der Beklagte dem
Kandidaten die vorstehende Erklärung zudem in Gestalt einer eidesstattlichen
Versicherung abverlangt hat, findet seine Rechtsgrundlage in § 63 Abs. 5 Satz 1 des
Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen - Hochschulgesetz
(HG) - vom 31. Oktober 2006, wobei klarstellend darauf hinzuweisen ist, dass, wie auch
ein Blick etwa auf die Regelung des § 63 Abs. 5 Satz 2 HG zeigt, ein Verstoß gegen die
dem Kandidaten gem. § 27 Abs. 7 PO abgegebene schriftliche Versicherung ohne
weiteres auch dann vorliegt, wenn diese nicht in der gleichsam gesteigerten Form der
eidesstattlichen Versicherung vollzogen wurde; die eidesstattliche Versicherung erfüllt
insofern lediglich eine zusätzliche Warnfunktion, indem sie als eine hervorgehobene
Form der Beteuerung dem Kandidaten die ihm obliegenden Verpflichtungen in
besonderer Weise vor Augen führt und ihm zugleich verdeutlicht, dass ein gegen diese
Bekräftigung der Wahrheit verstoßendes Verhalten auch strafrechtliche Konsequenzen
(vgl. § 156 StGB) nach sich ziehen kann.
Ausgehend von dem Vorstehenden ist dem Kläger der Vorwurf zu machen, dass er
versucht hat, das Ergebnis seiner Diplomarbeit - in einer für ihn günstigen Weise -
dadurch zu beeinflussen, dass er es unterließ, von anderen Autoren wörtlich
übernommene Stellen und auch sich an die Gedankengängen anderer Autoren eng
anlehnende Ausführungen seiner Arbeit besonders zu kennzeichnen. Dies ergibt sich -
ohne dass es noch auf eine Bewertung der weiteren zwischen den Beteiligten streitigen
Passagen im Einzelnen ankäme und ohne dass es rechtlich einen Unterschied macht,
ob aus dem Internet oder aus gedruckten Schriften abgekupfert wurde - allein schon aus
einem Abgleich zwischen dem auf den Seiten 43 und 44 der klägerischen Diplomarbeit
vorzufindenden Text mit (offenbar auch ins Internet gestellten) Passagen aus der von F
/H /S /W verfassten Abhandlung „.... dort Seiten 24, 26 und 27, und zugleich mit dem von
S /D verfassten, 396 Seiten umfassenden Buch „..., Seiten 57, 60 und 61. Dieser
Abgleich führt zu folgendem Befund (die im Text der Diplomarbeit des Klägers von dem
Text der genannten Autoren abweichenden Passagen sind in Kursivdruck
hervorgehoben):
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Text der klägerischen Diplomarbeit Übernommene Passagen
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(werden in einer Synopse gegenübergestellt)
24
Damit steht zunächst fest, dass der Kläger über weite Strecken Passagen aus den
Abhandlungen der genannten Wissenschaftler wortwörtlich übernommen hat. Die in
Kursivdruck hervorgehobenen Abweichungen sind marginal. Wenn man diese
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marginalen Abweichungen, so aber der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter, nicht
als von anderen Autoren wörtlich übernommene Stellen qualifizieren will, so lehnen sie
sich doch, was keiner weiteren Begründung bedarf, sinngemäß eng an die
Gedankengänge anderer Autoren an; teils benutzt der Kläger statt der beiden im Text
der Autoren verwandten Worte „B S " nur die Abkürzung „ ", lässt kurze Wortfolgen weg
und verändert nur einen einzigen Buchstaben.
Darüber hinaus ergibt sich, dass der Kläger entgegen dem aus § 21 Abs. 1 Satz 2 PO
folgenden Gebot zur wissenschaftlichen Redlichkeit und auch entgegen der ihm gem. §
21 Abs. 7 PO und ferner aufgrund seiner eidesstattlichen Versicherung obliegenden
Verpflichtung die vorbezeichneten aus dem Text anderer Autoren stammenden
Passagen nicht besonders kenntlich gemacht hat. Dies hätte etwa durch das Setzen von
Anführungszeichen oder durch Einrücken der in Rede stehenden Passagen und bei
beiden der genannten Varianten auf jeden Fall unter ausdrücklicher Nennung der
Quelle, aus der abgeschrieben wurde, geschehen müssen, hier also durch einen
genauen Hinweis auf die von den Autorenteams F /H /S /W - S /D verfassten Texte.
Letztere werden aber in den vom Kläger verwandten Fußnoten 286, 287, 288 und 289
gerade nicht bezeichnet. Ein solches Vorgehen ist ohne weiteres dazu geeignet, beim
Prüfer die Fehlvorstellung zu erzeugen, es sei der Kläger, der die in Rede stehenden
Textpassagen formuliert und sie durch die von ihm benutzten Fußnoten
wissenschaftlich abgesichert habe. Dass der Kläger sich in Wahrheit mit fremden
Federn geschmückt und lediglich die Gedanken anderer abgekupfert hat, offenbarte er
hingegen nicht. Demgegenüber kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf das von ihm
und seinem Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung mehrfach
bemühte Argument berufen, es liege (allenfalls) eine unzutreffende, lediglich den Wert
der Arbeit mindernde, die Benotung „nicht ausreichend (5,0)" jedoch nicht
rechtfertigende Zitierweise vor. Insoweit verkennt der Kläger, dass ihm nicht eine
unzutreffende Zitierung zum Vorwurf gemacht werden muss, sondern eine Nichtzitierung
derjenigen Quellen, deren genaue Angabe geboten gewesen wäre. Auch der Einwand
des Klägers, die (u. a.) von S verfasste Abhandlung gebe nur die Erkenntnisse von K
und N wieder, so dass kein Verstoß gegen die Nachweispflicht vorliege, vermag nicht
zu überzeugen. Unabhängig davon, dass der in Bezug genommene, dem Gericht
vorliegende Text von K und N (und zwar auch dann, wenn man den Umstand
unberücksichtigt lässt, dass er in englischer Sprache verfasst ist) keineswegs mit dem
von S und anderen formulierten Text identisch ist, offenbart die sich hinter diesem
Einwand verbergende Auffassung des Klägers ein sonderbares Verständnis von
wissenschaftlichem Arbeiten und wissenschaftlicher Redlichkeit und geht offenbar von
der unzutreffenden Annahme aus, S und sein/e Mitautor/en gäben ohnehin nur das
wieder, was K und N bereits formuliert hätten. Dabei wird völlig ausgeblendet, dass die
Gewinnung gedanklicher Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Auffassungen
anderer Wissenschaftler, die Strukturierung und Gewichtung dieser Schlussfolgerungen
und ebenso ihre sprachliche Umsetzung in einen wissenschaftlichen Text
eigenständige wissenschaftliche Leistungen des (hier nicht zitierten) anderen Autors
darstellen, dessen geistige Urheberschaft deswegen auch in der wissenschaftlich
gebotenen Weise kenntlich gemacht werden muss. Anderenfalls kann - wie hier - für
den Prüfer der Eindruck entstehen, es sei der (ggf. wissenschaftlich qualifizierte)
Kandidat gewesen, der den (ggf. ansprechenden und überzeugenden) Text konzipiert
und formuliert habe und dessen Leistung deshalb ggf. besser als eine Leistung anderer,
zu derartigen Darstellungen nicht fähiger Kandidaten zu bewerten sei.
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In gleicher Weise muss dem in der mündlichen Verhandlung ebenfalls wiederholt
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vorgetragene Einwand des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten, die vom
Kläger benutzten Fußnoten belegten doch fast jeden Satz des übernommenen Textes,
der erhoffte Erfolg versagt bleiben. Denn erstens hat der Kläger die in dem Text der
genannten Wissenschaftler enthaltenen Fundstellennachweise, welche dort in den
laufenden Text eingebettet sind, lediglich aus den übernommenen fortlaufenden
Passagen ausgeschnitten und sie sodann als seine vermeintlich eigenen Fußnoten
286, 287, 288 und 289 in den jeweils unten am Ende der Seiten 43 und 44 dargestellten
Fußnotenapparat übernommen. Die fraglichen Belege in den Fußnoten sind folglich in
Wahrheit nicht vom Kläger, sondern von den anderen Autoren recherchierte und
ausgewertete Nachweise. Zweitens gilt das bereits zuvor Ausgeführte entsprechend:
Nicht allein schon dadurch, dass der Kandidat gleichsam jeden Satz seiner Arbeit mit
einer (wo auch immer herrührenden) Fußnote versieht, wird sein Text zu einer
wissenschaftlichen Arbeit, entscheidend ist vielmehr die eigenständige Recherche nach
zu dem Thema bereits existierenden Quellen, deren eigenständige geistige
Durchdringung und schließlich die eigenständige sprachliche Darstellung der
selbständig gezogenen Schlussfolgerungen. Diesen Anforderungen wird die vom
Kläger praktizierte bloße Übernahme von Fußnoten, die andere Autoren zur Stützung
ihrer Auffassung benutzten, auch nicht ansatzweise gerecht. Es kann den Kläger auch
nicht entlasten, dass die von H /W /F /S verfasste Abhandlung auf Seite 55 und das
Buch von S /D auf S. 64 des zur Diplomarbeit gehörenden Literaturverzeichnisses
genannt sind. Die bloße Nennung vollständiger wissenschaftlicher Werke im
Literaturverzeichnis ohne die ganz konkrete Bezeichnung des zitierten Nachweises an
der Stelle, an der sich die übernommene Textpassage befindet, entspricht nicht den sich
aus § 21 Abs. 1 Satz 2, Abs. 7 PO und den sich aus der abgegebenen eidesstattlichen
Versicherung folgenden Anforderungen. Es ist wissenschaftlich unredlich, für den Leser
einer Arbeit - hier: den Prüfer - gänzlich unzumutbar und macht, abgesehen von
Befunden, die wie hier mittels einer speziellen, auf die Ermittlung von Plagiaten
ausgerichteten Computersoftware gewonnen werden können, eine Kontrolle der
Prüfungsleistung nahezu unmöglich, wenn ein Kandidat, statt die genaue Fundstelle für
einen wörtlich übernommenen Text zu bezeichnen, auf ein ggf. mehrere hundert Seiten
ausmachendes Werk verweist, und dies zudem lediglich im Literaturverzeichnis und
damit an eher versteckter Stelle.
Vgl. hierzu Hess. VGH, Beschluss vom 20. Juni 1989 - 6 UE 2779/88 -, zitiert nach Juris.
Dies gilt hier umso mehr, als der Kläger die beiden genannten Werke in anderem
Zusammenhang sehr wohl in seinen Fußnotenapparat aufgenommen hat: In den zu den
Seiten 5 (Fußnote 20), 37 (Fußnoten 242 und 244), 38 (Fußnoten 249, 251 und 254)
und 39 (Fußnote 255) gehörenden Fußnoten ist das Buch von S /D und in zahlreichen
Fußnoten auf den Seiten 39, 40, 41, 42 und 47 auch die Abhandlung von H /W /F /S
ausdrücklich genannt, so dass - hätte der Kläger wissenschaftlich redlich gearbeitet und
dem Gebot genauer Zitierweise genügt - unter normalen Umständen niemand auf die
Idee gekommen wäre, an anderen als den genannten Stellen befänden sich weitere von
den genannten Autoren verfasste Passagen. Das Gericht ist schließlich auch davon
überzeugt, dass der Kläger - entgegen seiner im Ergebnis als bloße Schutzbehauptung
zu wertenden Äußerung in der mündlichen Verhandlung, er habe die übernommenen
Passagen nur „versehentlich" nicht gekennzeichnet - das dem Begriff des Versuchs in §
9 Abs. 3 Satz 1 PO innewohnende subjektive (Vorsatz-) Element (vgl. hierzu § 22 StGB)
verwirklicht hat, wobei nicht die unbedingte Täuschungsabsicht vorausgesetzt wird,
sondern der bedingte Vorsatz, dass es aufgrund der von anderen Autoren
abgekupferten Passagen zu einer Verfälschung der wahren Leistung kommen könne,
ausreicht.
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Vgl. hierzu Hess. VGH, Beschluss vom 20. Juni 1989, aaO, und Niehues, aaO, Rndn.
454. Dem Kläger ist indessen sogar eine unbedingte Täuschungsabsicht anzulasten.
Aufgrund der ihm aus der Prüfungsordnung und auch seiner eigenen, sogar an Eides
statt bekräftigten Verpflichtungserklärung erwachsenden Verpflichtungen musste er bei
der Anfertigung seiner Arbeit in hohem Maße um wissenschaftliche Redlichkeit und
sorgfältiges Arbeiten bemüht sein und wissen, dass ein Verstoß gegen seine
Verpflichtungen äußerst nachhaltige Konsequenzen zur Folge haben würde. Dass er es
gleichwohl bewusst unterließ, die von ihm übernommenen Textpassagen deutlich zu
kennzeichnen, wird - über die kaum widerlegbare Indizwirkung hinaus, die bereits für
sich genommen dem bloßen Nichtkenntlichmachen der abgekupferten Passagen
zukommt - in gravierender Weise durch geradezu eine Fülle von Gesichtspunkten
belegt. Der Kläger muss sich nämlich durchaus mit dem in Rede stehenden, von ihm
abgeschriebenen Text in einer Weise befasst haben, dass von einem bloß leichtfertigen
Verstoß gegen das Redlichkeits- und Zitiergebot keine Rede sein kann: Erstens hat der
Kläger, ohne dies kenntlich zu machen, den von ihm in seiner Diplomarbeit auf den
Seiten 43/44 präsentierten Text aus Passagen zusammengesetzt, die in den Arbeiten
von S und anderen an unterschiedlichen, durch weitere Ausführungen voneinander
getrennten Stellen verortet sind; damit hat er den Eindruck zu erwecken versucht, er
stelle einen längeren, zusammenhängenden Gedanken gleichsam aus einem Guss dar.
Zweitens hat der Kläger, ohne dass dazu irgendein sachlicher Anlass gegeben war,
durch die oben genannten marginalen Manipulationen am Originaltext (vgl. etwa im
ersten Abschnitt: „nicht leicht fällt" statt „schwer fällt") eine teilweise eigene gedankliche
Urheberschaft vorzuspiegeln versucht. Drittens hat er die Fundstellennachweise der
Autoren, von denen er abschrieb, lediglich aus deren laufendem Text herausgezogen
und sie in seinem eigenen Fußnotenapparat derart dargestellt, als beruhe der Text auf
eigenen Recherchen und Belegen. Viertens schließlich verdeutlicht die Zitierung der in
Rede stehenden, im Literaturverzeichnis aufgeführten Abhandlungen in anderem als
dem hier fraglichen Zusammenhang, dass der Kläger die wahre Herkunft der
übernommenen Passagen an der maßgeblichen Stelle zu verschleiern beabsichtigte.
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Bei dieser Sachlage kam es auf die übrigen zwischen den Beteiligten streitigen Fragen
nicht an.
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Das mit der Bewertung der Diplomarbeit des Klägers als „nicht ausreichend (5,0)"
einhergehende endgültige Nichtbestehen der Diplomprüfung ergibt sich, da der Kläger
bereits in einem ersten Prüfungsversuch gescheitert war, aus § 27 Abs. 3 Satz 1 PO.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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