Urteil des VG Münster vom 28.10.2008

VG Münster: marokko, aufenthaltserlaubnis, botschaft, abschiebung, bundesamt, ausreise, familie, staatsangehörigkeit, besitz, bekanntmachung

Verwaltungsgericht Münster, 5 K 1819/07
Datum:
28.10.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 1819/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens als
Gesamtschuldner.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Hinterlegung oder
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des beizutreibenden Betrages
abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit
leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen eine
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen.
2
Die Klägerinnen sind nicht im Besitz von Personalpapieren. Die Klägerin zu 1. ist nach
ihren eigenen Angaben eine 0000 geborene ledige marokkanische Staatsangehörige,
die Klägerin zu 2. ihre am 00.00.0000 in der Bundesrepublik Deutschland geborene
Tochter. Das Standesamt ihres Geburtsortes hat eine Geburtsurkunde ausgestellt. Aus
einem in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten befindlichen DNA-Gutachten ergibt
sich, dass die Mutterschaft der Klägerin zu 1. praktisch erwiesen ist.
3
Die Klägerin zu 1. reiste nach ihren Angaben am 00.00.0000 mit dem Flugzeug von D.
nach G. /N. , brachte am 00.00.0000 ihre Tochter zur Welt und meldete sich am 6. Juli
2000 in Hessen als Asylsuchende. Durch Bescheid der Bezirksregierung B. vom
00.00.0000 wurde die Klägerin zu 1. der Gemeinde P. im Zuständigkeitsbereich des
Beklagten zugewiesen. Sie hält sich zusammen mit der Klägerin zu 2. seitdem dort auf.
4
Beide Klägerinnen haben bisher ihren Lebensunterhalt durch Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz sichergestellt. Die Klägerin zu 2. besucht eine
Grundschule in P. .
Anlässlich ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für ausländische Flüchtlinge am
00.00.0000 gab die Klägerin zu 1. an, dass ihr Reisepass und Personalausweis in
Marokko gestohlen worden seien und dass sie mit gefälschten Papieren eingereist sei,
die der Schleuser ihr bei der Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland wieder
abgenommen habe. Die Klägerin zu 1. begründete ihren Asylantrag im Wesentlichen
damit, dass sie ihr Heimatland habe verlassen müssen, weil ihre Verwandten sie nach
bekannt werden ihrer Schwangerschaft geschlagen und misshandelt hätten. Im Falle
der Rückkehr befürchte sie, von ihren Brüdern umgebracht zu werden.
5
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte
durch Bescheid vom 00.00.0000die Anträge der Klägerinnen auf Anerkennung als
Asylberechtigte ab und stellte zugleich fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 noch die Voraussetzungen des § 53 des Ausländergesetzes vorlagen. Für den
Fall, dass die Klägerinnen nicht innerhalb der ihnen gesetzten Frist freiwillig ausreisen
sollten, wurde ihnen die Abschiebung nach Marokko angedroht. Die hiergegen
gerichtete Klage wurde durch Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 17. Juni 2003
- 4 K 2861/00.A - abgewiesen. Die Rechtskraft trat im August 2003 ein. Seitdem erhalten
die Klägerinnen vom Beklagten Duldungen. Zwei in den Jahren 2004 und 2006
gestellte Folgeasylanträge blieben ebenfalls erfolglos.
6
Die Klägerin zu 1. lehnt es seit dem Jahre 2004 ab, an der Beschaffung von
Passersatzpapieren mitzuwirken, mit der Begründung, dass sie nicht nach Marokko
zurückkehren könne, weil sie dort von ihren Familienangehörigen misshandelt und
geschlagen werde.
7
Der Antrag der Klägerinnen vom 00.00.0000, ihnen eine Aufenthaltserlaubnis aus
humanitären Gründen zu erteilen, wurde vom Beklagten durch Bescheid vom
00.00.0000 mit der Begründung abgelehnt, dass es die Klägerinnen trotz mehrfacher
Aufforderungen abgelehnt hätten, Passersatzpapiere auszufüllen oder sonstige
Identifikationsnachweise vorzulegen.
8
Ihren hiergegen gerichteten Widerspruch begründeten die Klägerinnen damit, dass sie
im Falle einer Rückkehr nach Marokko eine geschlechtsspezifische Verfolgung
befürchten müssten. Außerdem ließen die Klägerinnen durch den Verein für
Völkerverständigung U. e. V. mit Schreiben vom 00.00.0000 vortragen, dass die
Klägerin zu 1. bereits im Jahre 2004 oder 2005 persönlich im marokkanischen
Generalkonsulat vorgesprochen habe, allerdings ohne Erfolg. Im April und Mai 2007
habe sich der Caritasverband schriftlich an die Königlich Marokkanische Botschaft
gewandt und darum gebeten, dass den Klägerinnen ein Ausweispapier ausgestellt
werde. Die Klägerinnen seien an das Generalkonsulat in Düsseldorf verwiesen worden.
Seitdem sei nichts mehr geschehen.
9
Den Widerspruch der Klägerinnen wies die Bezirksregierung N1. durch
Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 im Wesentlichen aus den Gründen des
Ausgangsbescheides zurück.
10
Die Klägerinnen haben am 00.00.0000 Klage erhoben. Sie machen geltend, dass ihnen
11
eine Rückkehr nach Marokko nicht zugemutet werden könne, weil die Klägerin zu 1. als
ledige Mutter und die Klägerin zu 2. als ihre nichteheliche Tochter mit unzumutbaren
Schwierigkeiten durch die Familie und durch den marokkanischen Staat rechnen
müssten. Es drohe ihnen eine erniedrigende Behandlung durch ihre Familie. Ihre
Bemühungen um Pässe seien gescheitert. Es könne von ihnen nicht erwartet werden,
nach Marokko zurückzukehren.
Die Klägerinnen beantragen,
12
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 00.00.0000 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung N1. vom 00.00.0000zu verpflichten,
ihnen eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen.
13
Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide,
14
die Klage abzuweisen.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
16
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
17
Die Klage ist unbegründet, denn der Beklagte ist nicht verpflichtet, den Klägerinnen eine
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen. Diese Verpflichtung ergibt
sich weder aus § 104 a Abs. 1 noch aus § 23 Abs. 1 noch aus § 25 Abs. 5 des
Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar
2008, BGBl. I S. 162.
18
§ 104 a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sieht u. a. vor, dass einem geduldeten Ausländer eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn er behördliche Maßnahmen zur
Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat. Dies haben
die Klägerinnen jedoch getan.
19
Ein Ausländer hat behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich
hinausgezögert oder behindert, wenn er die Bemühungen der Ausländerbehörde, die
Ausreise vorzubereiten, gezielt und nachhaltig unterlaufen hat. Diese Voraussetzung
wird erfüllt, wenn sich der Ausländer beharrlich weigert, daran mitzuwirken, einen Pass
oder einen Passersatz zu beschaffen (OVG NRW, Beschluss vom 21. Januar 2008 - 18
B 1864/07 -, Asylmagazin 2008, Heft 4, S. 29 = NVwZ-RR 2008, 423 sowie Beschluss
vom 12. Februar 2008 - 18 B 230/08 -, AuAS 2008, 112 = InfAuslR 2008, 211 und Urteil
vom 18. Juni 2008 - 17 A 2250/07 -, AuAS 2008, 208 = Asylmagazin 2008, Heft 9, S. 37;
Fehrenbacher, HTK-AuslR § 104 a AufenthG, Ziffer 3.5 Abs. 4). Dieser Fall liegt hier vor.
20
Ausländer dürfen sich nur im Bundesgebiet aufhalten, wenn sie einen anerkannten und
gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch
Rechtsverordnung befreit sind (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Die Klägerinnen sind nicht
von der Passpflicht befreit. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt in der Regel
voraus, dass die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). Besitzt der
Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz, ist er verpflichtet, an der Beschaffung
21
des Identitätspapiers mitzuwirken sowie alle Urkunden und sonstigen Unterlagen, die
für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und
Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung
sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung dieses Gesetzes
betrauten Behörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen (§ 48
Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diesen Verpflichtungen sind die Klägerinnen nicht
nachgekommen.
Die Klägerinnen haben sich nicht ausreichend bemüht, bei der zuständigen
Auslandsvertretung ihres Heimatlandes einen Pass zu erhalten. Soweit die Klägerin zu
1. vortragen lässt, dass sie im Jahre 2004 oder im Jahre 2005 persönlich bei der
Botschaft des Königreiches Marokko vorgesprochen und darum gebeten habe, ihr einen
Pass auszustellen, sind diese Bemühungen nicht belegt. Hinzu kommt, dass die
zweimalige Vorsprache bei der Auslandsvertretung nicht den gesetzlichen
Anforderungen des § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG genügt, denn wegen der Bedeutung
der Passpflicht für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sind fortgesetzte
Bemühungen notwendig.
22
Auch das Schreiben des Caritasverbandes im Kreisdekanat X. e. V. vom 25. April 2007
genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht. In diesem Schreiben wird noch nicht
einmal der Name der Klägerinnen erwähnt. Außerdem sind diesem Schreiben keine
Unterlagen beigefügt worden, die belegen könnten, dass es sich bei den Klägerinnen
um Staatsangehörige des Königreiches Marokko handelt. Die Klägerinnen können nicht
erwarten, dass die Botschaft oder das Generalkonsulat von sich aus tätig werden, ohne
dass die Klägerinnen ihren Namen nennen und Unterlagen einreichen, die den Schluss
zulassen, dass sie Staatsangehörige des Königreiches Marokko sind. Den Klägerinnen
ist es in diesem Zusammenhang möglich und zumutbar, sich durch die Einschaltung
von Mittelspersonen in Marokko um Identitätspapiere für die Klägerin zu 1. zu bemühen.
Selbst wenn das Gericht dem Vorbringen der Klägerinnen folgt, dass sie sich aus den
von ihnen genannten Gründen nicht mit in Marokko lebenden Familienangehörigen in
Verbindung setzen können, ist es ihnen möglich und zuzumuten, andere Personen
einzuschalten, denn nach ihrem eigenen Vorbringen haben in Marokko lebende dritte
Personen ihnen geholfen, sich vor der Familie zu verstecken und das Land zu
verlassen. An diese Personen können sich die Klägerinnen wenden, um sowohl
gegenüber der Botschaft bzw. dem Generalkonsulat ihres Landes als auch gegenüber
dem Ausländeramt des Beklagten Unterlagen über ihre Identität als marokkanische
Staatsangehörige vorzulegen.
23
Darüber hinaus lehnen es die Klägerinnen seit dem bestandskräftigen Abschluss des
ersten Asylverfahrens ab, Formulare auszufüllen, die es dem Ausländeramt des
Beklagten ermöglichen, Passersatzpapiere ausstellen zu lassen. § 48 Abs. 3 Satz 1, 1.
Alternative AufenthG sieht ausdrücklich vor, dass ein Ausländer, der - wie die
Klägerinnen - keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt, verpflichtet ist, an der
Beschaffung von Identitätspapieren mitzuwirken. Zudem haben sie auch nicht ihre
Verpflichtung aus § 48 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative AufenthG erfüllt, Urkunden und
sonstige Unterlagen, die für die Feststellung ihrer Identität und Staatsangehörigkeit von
Bedeutung sein können, etwa die Geburtsurkunde der Klägerin zu 1. vorzulegen,
obwohl es ihnen, wie oben ausgeführt, möglich und zumutbar war und ist, durch
Mittelspersonen in Marokko diese Unterlagen zu beschaffen.
24
Den Klägerinnen war es zuzumuten, nach dem Abschluss des ersten Asylverfahrens
25
daran mitzuwirken, einen Pass oder Passersatzpapiere zu beschaffen. Sie können sich
gegenüber dem Ausländeramt des Beklagten nicht darauf berufen, dass ihnen bei einer
Rückkehr nach Marokko Gefahr für Leib und Leben durch ihre Familienangehörigen
oder den Staat drohen, denn mit diesem Vorbringen machen die Klägerinnen ein
zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 des
Aufenthaltsgesetzes geltend, über dessen Vorliegen allein das Bundesamt zu
entscheiden hat. An diese Entscheidung sind die Ausländerbehörden nach gefestigter
verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung gemäß § 42 Satz 1 des
Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) gebunden (vgl. statt aller OVG NRW, Beschluss vom
12. Februar 2008 - 18 B 230/08 -, a. a. O. mit Nachweisen zur Rechtsprechung).
Diese Mitwirkungspflicht bestand auch während der beiden von den Klägerinnen
durchgeführten Folgeasylverfahren, denn ihre Verpflichtung zur Ausreise ergab sich
auch während der Asylfolgeverfahren aus dem unanfechtbar gewordenen Bescheid des
Bundesamtes vom 25. August 2000.
26
Die minderjährige Klägerin zu 2. muss sich die Weigerung ihrer Mutter, der Klägerin zu
1., an der Beschaffung von Pässen oder Passersatzpapieren mitzuwirken, zurechnen
lassen (OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2008 - 17 A 2250/07 -, a. a. O.).
27
Das Verhalten der Klägerinnen ist auch ursächlich dafür, dass behördliche Maßnahmen
zur Aufenthaltsbeendigung nicht getroffen werden konnten.
28
Bezugspunkt der durch das Tatbestandsmerkmal "behindert" geforderten
Kausalitätsprüfung ist nicht die Aufenthaltsbeendigung als solche im Sinne einer
erfolgreichen Abschiebung, sondern die Durchführung hierauf gerichteter behördlicher
Maßnahmen. Eine Behinderung behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung
liegt nicht erst dann vor, wenn feststeht, dass ohne das betreffende Verhalten der
Aufenthalt beendet werden könnte. Es reicht vielmehr aus, dass in Folge des von dem
Ausländer an den Tag gelegten Verhaltens der in der Regel eine Mehrzahl von
Verfahrensschritten umfassende Prozess der Aufenthaltsbeendigung nicht gefördert
werden kann (OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2008 - 17 A 2250/07 -, a. a. O.).
29
Dies trifft hier zu. Durch die anhaltende Weigerung der Klägerin zu 1., einen Pass zu
beschaffen oder das ihr vom Beklagten vorgelegte Formular zur Beantragung von
Passersatzpapieren auszufüllen und zu unterzeichnen, hat sie das Ausländeramt des
Beklagten daran gehindert, überhaupt Schritte zur Aufenthaltsbeendigung zu ergreifen.
30
Zwar wird in der Rechtsprechung (OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 18 B
230/08 - a. a. O.) und in der Kommentarliteratur (Fränkel in Handkommentar zum
Ausländerrecht, 1. Auflage 2008, § 104 a AufenthG, Randziffer 13) die Ansicht vertreten,
dass ein "behindern" durch den Ausländer nur dann kausal ist, wenn vom Ausländeramt
konkret eingeleitete aufenthaltsbeendende Maßnahmen erschwert werden.
31
Dem folgt das Gericht nicht. Für die hier vertretene weite Auslegung spricht schon der
Wortlaut der Vorschrift ("behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung ...
behindert"), der insoweit abweicht von den Formulierungen vergleichbarer Vorschriften,
die jeweils erfolgsbezogen darauf abstellen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen
nicht vollzogen werden können (vgl. etwa § 11 Satz 1 der
Beschäftigungsverfahrensverordnung vom 22. November 2004, BGBl. I S. 2934 oder § 1
a Nr. 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 5.
32
August 1997, BGBl. I S. 2022; wie hier OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2006 - 17 A
2250/07 -, a. a. O.). Die weite Auslegung des § 104 a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG ergibt sich
vor allem aus dem Sinn und Zweck dieser Regelung. Sie dient dazu Ausländerinnen
und Ausländern nach einem mehrjährigen Aufenthalt einen Aufenthaltstitel zu
verschaffen, wenn sie faktisch und wirtschaftlich in der Bundesrepublik Deutschland
integriert sind und sich rechtstreu verhalten haben (so die Begründung des Entwurfs der
Bundesregierung in BT-Drucksache 16/5065, S. 124). Rechtstreues Verhalten liegt
dann nicht vor, wenn der Ausländer das Ausländeramt daran hindert,
aufenthaltsbeendende Maßnahmen einzuleiten. Es ist nicht erforderlich, dass das
Ausländeramt schon eine konkrete Abschiebung vorbereitet hat und der Ausländer in
Kenntnis dieser Abschiebung die Durchführung dieser Maßnahme zu verhindern
versucht.
Der Beklagte ist auch nicht gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i. V. m. dem Erlass des
Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2006 - Az.: 15-
39.08.01-3-3 - verpflichtet, den Klägerinnen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. § 23
Abs. 1 Satz 1 AufenthG sieht vor, dass die oberste Landesbehörde aus
völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen
der Bundesrepublik Deutschland anordnen kann, dass Ausländern aus bestimmten
Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Der auf dieser Grundlage ergangene vorgenannte
Erlass des Innenministeriums sieht allerdings unter Ziffer 1.4.3 vor, dass die Ausländer
von dieser Regelung ausgeschlossen sind, die behördliche Maßnahmen zur
Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert haben. Dieser Fall
liegt aus den vorgenannten Gründen hier vor. Insoweit gelten die Ausführungen zu §
104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG entsprechend.
33
Der Beklagte ist auch nicht gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG verpflichtet, den Klägerinnen
eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig
ist, kann nach Satz 1 dieser Vorschrift eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn
seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem
Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Eine
Aufenthaltserlaubnis darf allerdings gemäß Satz 3 dieser Regelung nur erteilt werden,
wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des
Ausländers in diesem Sinne liegt nach Satz 4 insbesondere vor, wenn der Ausländer
zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt. Dies
trifft bei den Klägerinnen zu, weil sie aus von ihnen zu vertretenden Gründen nicht daran
mitgewirkt haben, einen Pass oder Passersatzpapiere zu erhalten. Dies folgt ebenfalls
aus den vorangegangenen Ausführungen.
34
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 i. V. m. § 159 Satz 2 VwGO, ihre
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
35
Die Berufung wird gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
zugelassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, weil die Voraussetzungen
des § 104 a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht
geklärt sind.
36
37