Urteil des VG Münster vom 11.09.2003

VG Münster (wirtschaftliche leistungsfähigkeit, kläger, einkommen, höhe, leistungsfähigkeit, berechnung, angabe, eintritt, verwaltungsgericht, eltern)

Verwaltungsgericht Münster, 7 K 2647/01
Datum:
11.09.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 2647/01
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits, für den Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die Tochter W der Kläger besuchte vom 01.08.1997 bis zum 31.07.2000 die
Kindertageseinrichtung C in N-I. Durch Bescheid vom 21.05.1997 setzte der Beklagte
auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheides für 1996 den Elternbeitrag ab dem
01.08.1997 auf 140 DM monatlich fest. Anlässlich der Aufnahme des Bruders von W in
die Tageseinrichtung zum 01.08.2001 überprüfte der Beklagte rückwirkend die
Einkommensverhältnisse der Kläger. Dabei ergab sich folgender Sachverhalt: Die
Klägerin L L befand sich vom 04.05.1998 bis zum 28.02.1999 im Mutterschutz bzw. im
Erziehungsurlaub. Vom 01.03.1999 bis zum 31.12.1999 (und darüber hinaus) war sie
wieder ununterbrochen berufstätig. Der Einkommensteuerbescheid für 1997 weist für
die 10 Einkommensmonate des Jahre 1997 Einkünfte der Klägerin aus nicht
selbstständiger Arbeit in Höhe von 14.382 DM aus. Unabhängig von dieser Feststellung
des Finanzamtes ermittelte der Beklagte das Einkommen, indem er das Bruttogehalt der
Klägerin für März 1999 (1.300,52 DM) mit 12 multiplizierte (= 15.606,24 DM) und die
Weihnachtsgeldzahlung vom November 1999 (1.257,26 DM) sowie das Urlaubsgeld
vom Juli 1999 (146,36 DM) hinzurechnete (= 17.009,86 DM). Unter Abzug des
Arbeitnehmerpauschbetrages (2.000 DM) ergab sich so ein Jahreseinkommen der
Klägerin von 15.009,86 DM, zu dem der Beklagte die Jahreseinkünfte des Klägers X L
in Höhe von 82.104 DM addierte und so zu einem Elterneinkommen im Jahre 1999 von
97.113,86 DM gelangte. Diesem Einkommen entsprach in der zum Gesetz über
Tageseinrichtungen für Kinder (GTK) gehörigen Tabelle ein Elternbeitrag von 220 DM.
Dementsprechend setzte der Beklagte mit Bescheid vom 13.09.2001 unter Änderung
des Bescheides vom 21.05.1997 den Elternbeitrag für den Zeitraum 01.04. bis
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31.12.1999 auf monatlich 220 DM fest und verlangte eine Nachzahlung in Höhe von 720
DM.
Hiergegen legten die Kläger Widerspruch ein, mit dem sie geltend machten, nur durch
die Hochrechnung sei der Tabellenwert von 96.000 DM überschritten worden; sie hätten
aber im Jahre 1999 definitiv nicht mehr verdient als der Einkommensteuerbescheid
ausweise, nämlich (unter Abzug der Sonderausgaben) 93.958 DM. Es könne nicht
angehen, dass ihnen ein Einkommen zugerechnet werde, das sie real nicht erhalten
hätten.
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Der Beklagte wies durch Widerspruchsbescheid vom 24.10.2001 den Widerspruch mit
der Begründung zurück, der Beitrag im Sinne des GTK werde nicht anhand des
Einkommens eines Kalenderjahres wie beim Steuerbescheid errechnet, sondern auf
Grund der jeweiligen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
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Mit der Klage vertiefen die Kläger ihren Rechtsstandpunkt; sie beantragen sinngemäß,
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den Bescheid des Beklagten vom 13.09.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 24.10.2001 aufzuheben.
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Der Beklagte hält an seiner Rechtsauffassung fest und erläutert seine Berechnung; er
beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt; das Gericht hat durch Beschluss vom 07.11.2002 den Rechtsstreit
auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des
Beklagten Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren
Rechten.
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Rechtsgrundlage für die Änderung des Ausgangsbescheides vom 21.05.1997 ist § 17
Abs. 5 Satz 3 des Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder (GTK). Danach sind
Elternbeiträge, wenn das maßgebliche Elterneinkommen sich dauerhaft geändert hat,
ab dem Kalendermonat nach Eintritt der Änderung neu festzusetzen. In der
Rechtsprechung ist inzwischen geklärt, dass diese Vorschrift eine eigenständige
Ermächtigungsgrundlage für eine Neufestsetzung von Elternbeiträgen darstellt, die über
die Bestimmung des § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X hinaus auch rückwirkende
Änderungen sowie die Aufhebung entgegenstehender Bescheide erlaubt.
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Vgl. OVG NRW, Urteile vom 25.09.1997 - 16 A 308/96 -, OVGE 46, 169, und vom
06.11.1998 - 16 A 2707/97 -, NVwZ-RR 2000, 184.
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Nach dieser Rechtsprechung räumt § 17 Abs. 5 Satz 3 GTK der zuständigen Behörde
kein Ermessen ein. Insofern war der Beklagte verpflichtet, den Elternbeitrag ab dem
Kalendermonat nach Eintritt der Änderung rückwirkend neu festzusetzen, ohne
Vertrauenstatbestände im Sinne des § 48 SGB X zu berücksichtigen.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.12.2002 - 16 B 2279/02 -.
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Hintergrund dieser Rechtsprechung ist, dass § 17 Abs. 5 Satz 3 GTK die materielle
Richtigkeit der Beitragserhebung höher bewertet als ein etwaiges Vertrauen auf einen
entgegenstehenden Beitragsbescheid. Diese Regelung ist Ausdruck der
gesetzgeberischen Zielsetzung, eine möglichst weit gehende Beitragsgerechtigkeit zu
verwirklichen. Da Beitragsbescheide nach § 17 GTK grundsätzlich keine
begünstigenden Verwaltungsakte darstellen, ist eine Nacherhebung auch außerhalb
des Anwendungsbereiches des § 48 Abs. 1 SGB X ohne verfahrensrechtliche
Einschränkungen zulässig, insbesondere ohne dass es hierzu einer Aufhebung des
vorangegangenen, niedrigeren Beitragsbescheides bedürfte.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.07.2003 - 16 B 896/03 - unter Bezugnahme auf die
Gesetzesbegründung in Landtags-Drucksache 11/5973, S. 17.
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Der Beklagte hat zu Recht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 5 Satz 3
GTK bejaht. Insbesondere lag bei den Klägern ab März 1999 eine „Änderung" der
Einkommensverhältnisse vor. Was darunter zu verstehen ist, erschließt sich aus § 17
Abs. 5 Satz 2 GTK. Danach ist eine besondere Ermittlungsmethode - die Berechnung
des Zwölffachen des Einkommens des letzten Monats - vorgeschrieben, wenn dieser
Betrag voraussichtlich auf Dauer höher - oder, was hier nicht in Betracht kommt,
niedriger - ist als das Einkommen des vorangegangenen Kalenderjahres. Bei den
Klägern war eine derartige Situation ab März 1999 gegeben, weil die Klägerin L L ihre
Berufstätigkeit wieder aufgenommen hatte. Damit verfügten die Kläger insgesamt in dem
der Hochrechnung zugrunde gelegten Zwölf-Monats-Zeitraum dauerhaft über ein
höheres Einkommen als im vorangegangenen Kalenderjahr 1998.
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Diese Betrachtungs- und Berechnungsweise widerspricht nicht der Systematik des
GTK, insbesondere nicht der Regelung des § 17 Abs. 5 Satz 1, die auf das Einkommen
in dem der Angabe vorangegangenen Kalenderjahr abstellt. Das Gesetz ist
gekennzeichnet von dem Bemühen, die Eltern „entsprechend ihrer wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit" an den Jahresbetriebskosten der Tages-einrichtungen zu beteiligen.
Dieser Grundsatz ist der gesamten Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 GTK ersichtlich
vorangestellt; er überlagert als Grundsatz das Elternbeitragsrecht.
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Vgl. Voßhans in Janssen/Dreier/Selle, Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-
Westfalen, Kommentar, Stand: 01.08.2003, Rdn. 13 zu § 17.
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Der Intention des Gesetzgebers entspricht es deshalb am ehesten, die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit in dem Monat zu bestimmen, für den der Elternbeitrag zu entrichten
ist. Da ein derartiges Vorgehen in der Praxis auf große Schwierigkeiten stößt und vom
Verwaltungsaufwand her kaum zu bewältigen ist, begnügt sich das Gesetz zunächst
und hilfsweise mit dem Rückgriff auf das Einkommen in dem der Angabe
vorangegangen Kalenderjahr, verpflichtet aber die Eltern in § 17 Abs. 5 Satz 5 GTK,
Änderungen der Einkommensverhältnisse, die zur Zugrundelegung einer höheren
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Einkommensgruppe führen können, „unverzüglich" anzugeben. Folge der
entsprechenden Angabe ist sodann die obligatorische Neufestung gemäß § 17 Abs. 5
Satz 3 GTK. Aus diesem Zusammenhang ist ersichtlich, dass § 17 Abs. 5 Satz 1 GTK
nur eingeschränkt als Regelfall bezeichnet werden kann, nämlich nur für die Fälle, in
denen, anders als bei den Klägern, die Einkommensverhältnisse gleich bleibend sind.
§ 17 Abs. 5 Satz 2 GTK verstößt auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Artikel
3 des Grundgesetzes. Eine Ungleichbehandlung liegt nicht vor, denn einen
Kalendermonat nach Eintritt der Einkommenserhöhung und sodann fortlaufend bis zu
einer weiteren Änderung war die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kläger in der Tat
höher als die vergleichbarer anderer Eltern ohne eine Änderung in den
Einkommensverhältnissen.
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§ 17 Abs. 5 Satz 2 GTK ist vom Beklagten auch korrekt angewandt worden. Die im
Tatbestand wiedergegebene Berechnung entspricht der gesetzlichen Vorgabe; sie ist
als solche von den Klägern auch nicht angegriffen worden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO, die Entscheidung
über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Zwar werden Streitigkeiten betreffend Elternbeiträge nach § 17 GTK nach der neueren
Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen dem
Abgabenrecht und nicht dem Sachgebiet der Jugendhilfe zugerechnet.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.11.2002 - 16 B 2228/02 -.
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Zugunsten der Kläger wird diese Rechtsprechung auf das vorliegende Verfahren noch
nicht angewandt, weil sie bis zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keine Gelegenheit
hatten, sich auf die damals noch nicht veröffentlichte Änderung der Rechtsprechung
einzustellen.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.12.2002 - 16 B 2279/02. -.
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