Urteil des VG Münster vom 28.10.2009

VG Münster (entstehung des anspruchs, festsetzung der beiträge, verjährung, festsetzung, entstehung, fälligkeit, verwaltungsgericht, beitragspflicht, bekanntgabe, abgabenordnung)

Verwaltungsgericht Münster, 3 K 2365/08
Datum:
28.10.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 2365/08
Tenor:
Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren
eingestellt. Im Übrigen werden die Bescheide der Beklagten vom 26.
September 2008 betreffend die Beitragsjahre 1999 bis einschließlich
2002 aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte jeweils
zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin ist ein Fleischerfachbetrieb und wendet sich gegen die Heranziehung zum
Handwerkskammerbeitrag für die Jahre 1999 bis 2007.
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Die Beklagte erließ im Nachgang zu einer Betriebsprüfung durch die Finanzverwaltung
am 26. September 2008 Korrekturbescheide für die Jahre 1999 bis 2007. Der sich aus
der Differenz zwischen den ursprünglich festgesetzten Beiträgen und den nunmehr
festgesetzten Beiträgen ergebende Nachforderungsbetrag beläuft sich auf insgesamt
31.225,47 Euro.
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Die Klägerin hat am 30. Oktober 2008 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie im
Wesentlichen vor, die von der Beklagten geltend gemachten Beiträge seien für den
Zeitraum von 1999 bis 2002 verjährt. Hierzu beruft sie sich auf § 8 Abs. 1 der
Beitragsordnung vom 28. Dezember 1994, wonach die Beitragsansprüche fünf Jahre
nach dem Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, verjähren. Die
Klägerin hat die Klage zunächst umfassend erhoben, in der mündlichen Verhandlung
jedoch die Klage betreffend die Beitragsjahre 2003 bis 2007 zurückgenommen; dies
entspricht einem Betrag in Höhe von 16.102,97 Euro.
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Die Klägerin beantragt nunmehr,
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die Beitragsbescheide der Beklagten vom 26. September 2008 für die Beitragsjahre
1999 bis einschließlich 2002 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung macht sie geltend, die Beiträge für den Zeitraum bis 2002 seien
keinesfalls verjährt. Anknüpfungspunkt für die Verjährung sei entgegen des Wortlauts in
§ 8 Abs. 1 der Beitragsordnung die Fälligkeit des Anspruchs. Denn nur fällige
Ansprüche könnten verjähren. Hierzu verweist sie auf § 7 Abs. 2 der Beitragsordnung,
wonach der Beitrag erst mit Bekanntgabe des Bescheides fällig werde. Sie verweist
außerdem auf § 4 Abs. 3 der Beitragsordnung, der die Beklagte verpflichte, im Fall der
nachträglichen Neufestsetzung der Bemessungsgrundlagen einen berichtigten
Bescheid zu erlassen. Schließlich trägt sie vor, auch bei Anwendung steuerrechtlicher
Grundsätze sei eine Verjährung nicht gegeben. Hierzu bezieht sie sich auf die
Rechtsprechung u.a. des VGH Mannheim zur Verjährung von IHK-Beiträgen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte einschließlich der von der Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge
ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen (§
92 Abs. 3 VwGO). Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.
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Die Klage ist insbesondere rechtzeitig erhoben worden. Die Klagefrist beträgt gem. § 74
Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes.
Die Bekanntgabefiktion des § 41 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW („dritter Tag nach der
Aufgabe zur Post") gilt hier nicht, denn die streitgegenständlichen Bescheide vom 26.
September 2008 sind der Klägerin erst später, nämlich am 30. September 2008
zugegangen (vgl. § 41 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW). Einen früheren Zugang hat die
Beklagte weder behauptet noch einen entsprechenden Nachweis geführt.
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Die Klage betreffend den Zeitraum 1999 bis 2002 ist auch begründet. Denn die
angefochtenen Bescheide vom 26. September 2008 für die genannten Jahre sind
rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO).
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Ermächtigungsgrundlage für den Erlaß der angefochtenen Bescheide ist § 113
HandwerksO i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 2 der Beitragsordnung in der
Fassung vom 28. Dezember 1994 (BeitragsO). Für die Festsetzung/Berichtigung von
Beiträgen für Kalenderjahre bis 2004 gilt die Beitragsordnung in der vor dem 1. Januar
2004 geltenden Fassung, mithin der Fassung von 1994 (vgl. § 11 Abs. 3 der
Beitragsordnung vom 27. August 2004).
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Zwischen den Parteien ist allein (noch) streitig, ob den Beitragsfestsetzungen für 1999
bis 2002 der Gesichtspunkt der Verjährung entgegensteht. Dies ist der Fall. Denn die
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angeforderten Beiträge für diese Jahre waren im Zeitpunkt ihrer Festsetzung im
September 2008 bereits verjährt. Das ergibt sich aus § 8 Abs. 1 BeitragsO. Danach
verjähren Beitragsansprüche fünf Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch
entstanden ist. Die Entstehung des Anspruchs ist in § 2 Abs. 1 Satz 1 BeitragsO
geregelt. § 2 Abs. 1 BeitragsO lautet: „Die Beitragspflicht entsteht mit Beginn des
Kalenderjahres, für das der Beitrag erhoben wird."
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist in dieser Norm nicht das Entstehen der
abstrakten Beitragspflichtigkeit, sondern die Entstehung des konkreten
Beitragsanspruchs geregelt. Denn die abstrakte Beitragspflicht der Mitglieder der
Handwerkskammer ergibt sich bereits aus § 113 HandwerksO i.V.m. § 1 BeitragsO. Die
in § 2 Abs. 1 BeitragsO normierte Beitragspflicht des Mitglieds korreliert mit einem
entsprechenden Beitragsanspruch der Beklagten. Entgegen der Ansicht der Beklagten
ist der Begriff des „Entstehens" des Anspruchs auch nicht mit dem der „Fälligkeit" des
Anspruchs gleichzusetzen. Denn beide Tatbestände sind in der Beitragsordnung
geregelt: Die Entstehung des Anspruchs in § 2 Abs. 1 BeitragsO und die Fälligkeit in § 7
Abs. 2 BeitragsO. Aus diesen Normen ergibt sich, dass es sich um unterschiedliche
Tatbestände handelt, die auch unterschiedliche Zeitpunkte betreffen. Da es im hier
einschlägigen Fachrecht Regelungen zum Entstehen und zur Fälligkeit des Anspruchs
gibt, bedarf es keines Rückgriffs auf etwaige allgemeine Grundsätze.
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Die Verjährung knüpft nach dem eindeutigen Wortlaut des § 8 Abs. 1 BeitragsO allein
an das Tatbestandsmerkmal „Entstehung des Anspruchs" an. Für das Beitragsjahr 1999
ist der Anspruch somit zum 1. Januar 1999 entstanden und Verjährung ist mit Ablauf des
31. Dezember 2004 eingetreten. Dementsprechend ist für das Beitragsjahr 2002 die
Verjährung mit Ablauf des 31. Dezember 2007 eingetreten. Die Festsetzung der
Beiträge für 1999 bis 2002 durch die Bescheide von September 2008 ist somit
rechtswidrig.
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Auch der Hinweis der Beklagten auf § 4 Abs. 3 der BeitragsO führt nicht weiter. Danach
ist im Falle der nachträglichen Neufestsetzung der Bemessungsgrundlagen für die
betroffenen Jahre ein berichtigter Bescheid zu erlassen. Der Beklagten ist zwar darin
zuzustimmen, dass hieraus eine grundsätzliche Verpflichtung für die Beklagte folgt,
geänderte Beitragsbescheide zu erlassen und der Erlass von Korrekturbescheiden nicht
im Ermessen steht. Diese Norm ist jedoch im Gesamtkontext der Beitragsordnung zu
sehen. Daraus ergibt sich, dass eine nachträgliche Festsetzung nur innerhalb der
Grenzen der Verjährung, die sich aus § 8 Abs. 1 der BeitragsO ergeben, erfolgen darf.
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Eine Verlängerung der Verjährungsfrist durch die Anwendung von steuerrechtlichen
Vorschriften kommt nicht in Betracht. Zu Unrecht verweist die Beklagte insoweit auf die
zur Festsetzungsverjährung von IHK-Beiträgen ergangene Rechtsprechung. Denn bei
der Festsetzung von IHK-Beiträgen sind andere Rechtsgrundlagen zu beachten. So
existiert im IHK-Gesetz (IHKG) eine Verweisungsnorm auf die steuerrechtlichen
Vorschriften der Abgabenordnung (AO). Nach § 3 Abs. 8 IHKG sind nämlich hinsichtlich
der Beiträge, Sonderbeiträge und der Gebühren für die Verjährung die Vorschriften der
Abgabenordnung über die Steuern vom Einkommen und Vermögen entsprechend
anzuwenden. Die Festsetzungsverjährung ist in §§ 169 bis 171 AO geregelt. Über § 3
Abs. 8 IHKG ist damit bei der Festsetzung von IHK-Beiträgen insbesondere auch § 171
Abs. 10 AO anwendbar. Die dort normierte Ablaufhemmung besagt, dass die
Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des
Grundlagenbescheides endet. Der Gewerbesteuermessbescheid und der IHK-Bescheid
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stehen insoweit im Verhältnis Grundlagen- und Folgebescheid zueinander. Im Fall der
Änderung des Gewerbesteuermessbescheides verlängert sich somit über diese
Verweisung die Festsetzungsfrist für die Festsetzung des IHK-Beitrages um zwei Jahre.
Demgegenüber existiert weder in der Handwerksordnung noch in der Beitragsordnung
der Beklagten ein solcher Verweis auf die entsprechende Anwendbarkeit
steuerrechtlicher Verjährungsvorschriften. Daraus folgt, dass insbesondere § 171 Abs.
10 AO nicht anzuwenden ist. Auch eine analoge Anwendung des § 171 Abs. 10 AO
kommt mangels Regelungslücke nicht in Betracht. Denn die Frage der Verjährung ist in
der Beitragsordnung geregelt und auch der Fall der möglichen nachträglichen Änderung
von Beitragsbescheiden wegen Änderung der Bemessungsgrundlagen ist bei Erlass
der Satzung vom Satzungsgeber gesehen und geregelt worden, wie § 4 Abs. 3 der
BeitragsO belegt. Die Beklagte hätte kraft ihrer Satzungsautonomie in der
Beitragsordnung auf die entsprechende Anwendbarkeit der Verjährungsvorschriften der
AO verweisen müssen, wenn diese gelten sollten. Einen entsprechenden Verweis
haben z.B. die Handwerkskammern Hamburg, Niederbayern-Oberpfalz sowie München
und Oberbayern in ihre Beitragsordnungen aufgenommen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 und 2 VwGO, die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
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