Urteil des VG Münster vom 30.01.2007

VG Münster: strafbefehl, straftat, bestrafung, geldstrafe, widerruf, aufzählung, inhaber, auskunft, munition, konkretisierung

Verwaltungsgericht Münster, 1 K 2594/05
Datum:
30.01.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 2594/05
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Münster vom 30.
November 2005 wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des
Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Der Beklagte erteilte dem Kläger 1973 bzw. 1977 mit den Waffenbesitzkarten Nr. 000
und Nr. 00000Erlaubnisse zum Erwerb und Besitz von Schusswaffen.
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Mit Strafbefehl vom 19. April 2004, auf dessen Wortlaut verwiesen wird (Bl. 24 bis 26 der
Beiakte Heft 1), setzte das Amtsgericht Osnabrück auf Antrag der Staatsanwaltschaft
gegen den Kläger wegen strafbarer Vergehen „nach §§ 130 a, 130 b i.V.m. § 177 a
HGB" eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 30, - Euro fest (0 D 0000 K 0000000).
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Mit Bescheid vom 9. Juni 2005 widerrief der Beklagte die dem Kläger erteilten
waffenrechtlichen Erlaubnisse und forderte den Kläger auf, seine Waffen und ggf.
vorhandene Munition binnen eines Monats einem Berechtigten zu überlassen oder
unbrauchbar zu machen und hierüber den Nachweis zu führen. Zur Begründung gab der
Beklagte im Wesentlichen an: Die waffenrechtlich vorgeschriebene Regelüberprüfung
habe ergeben, dass der Kläger laut Eintragung im Zentralregister beim
Bundesgerichtshof zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 30,- Euro verurteilt
worden sei. Damit sei der Regeltatbestand der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit
gegeben. Umstände, die ein Abweichen von der gesetzlichen Regelvermutung
rechtfertigten, seien nicht ersichtlich.
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Hiergegen erhob der Kläger unter dem 28. Juni 2005 Widerspruch, zu dessen
Begründung er u.a. angab: Er sei wegen einer unter der Gültigkeit des alten
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Waffengesetzes begangenen Tat verurteilt worden, nach dem die Bestrafung wegen
Insolvenzverschleppung gemäß § 130 a Abs. 1 oder 4 HGB nicht zu Zweifeln an der
waffenrechtlichen Zuverlässigkeit geführt habe. Außerdem greife die Regelvermutung
auch nach dem neuen Waffengesetz nur bei einer Verurteilung wegen einer
vorsätzlichen Straftat ein. Eine solche Verurteilung sei jedoch durch den Strafbefehl des
Amtsgerichts Osnabrück nicht erfolgt. Dieser lasse nicht erkennen, welche
Begehungsweise ihm zur Last gelegt worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2005 wies die Bezirksregierung Münster
den Widerspruch zurück. Zur Begründung wiederholte sie die Gründe des Bescheids
vom 9. Juni 2005 und führte ergänzend im Wesentlichen aus, die Neuregelung des
Waffengesetzes sei auf die „alten" Erlaubnisse des Klägers anwendbar.
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Der Kläger hat am 29. Dezember 2005 Klage erhoben.
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Zur Begründung bezieht er sich auf die Begründung seines Widerspruchs und macht
ergänzend im Wesentlichen geltend: Für die Frage, ob das Amtsgericht Osnabrück ihn
wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt habe, sei nicht dessen subjektive
Vorstellung entscheidend, sondern der objektive Erklärungsinhalt des Strafbefehls.
Dieser lasse den Vorwurf einer Vorsatztat nicht erkennen. Weder aus dem Anklagesatz
noch aus der Konkretisierung sowie aus der Aufzählung der verletzten Strafnormen
gehe die vom Gericht angenommene Schuldform hervor.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Münster vom 30. November 2005
aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt im Wesentlichen vor: Nach einer Auskunft der Staatsanwaltschaft Osnabrück sei
der Strafbefehl vom 19. April 2004 wegen einer Vorsatztat ergangen. Bei dieser im
Wege der Amtshilfe erteilten Rechtsauskunft sei von deren Richtigkeit auszugehen. Es
entspreche nicht dem Schutzgedanken des Waffenrechts, zu Gunsten des Klägers eine
lediglich fahrlässige Straftat zu unterstellen. Selbst wenn die strafrechtlich geahndete
vorsätzliche Handlung im Strafbefehl nicht ausdrücklich als solche benannt worden sei,
verbiete der restriktive gesetzgeberische Wille die vom Kläger geforderte Entlastung.
Eine nachträglich erkannte, rein formale Ungenauigkeit sei unbedeutend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und
verletzt den Kläger deshalb in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Es kann offen bleiben, ob der Beklagte den angefochtenen Widerruf der dem Kläger
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1973 bzw. 1977 mit den Waffenbesitzkarten Nr. 000 und Nr. 0000 erteilten Erlaubnisse
zum Erwerb und Besitz von Schusswaffen zu Recht auf § 45 Abs. 2 Satz 1 des
Waffengesetzes vom 11. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3970) - WaffG 2002 - gestützt hat oder
ob hier noch § 47 Abs. 2 Satz 1 WaffG 1976 maßgeblich ist.
Vgl. zu der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage der Anwendbarkeit von § 45
WaffG 2002 im Fall des Widerrufs waffenrechtlicher Erlaubnisse, die vor dem
Inkrafttreten dieser Vorschrift erteilt worden sind: OVG NRW, Urteil vom 24. Mai 2006 -
20 A 2531/04; Bayer. VGH, Beschluss vom 14. November 2003 - 21 Cs 03.2056 -;
Nieders. OVG, Urteil vom 26. Januar 2006 - 11 LB 178/05 -, DVBl. 2006, 528, OVG
Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. März 2005 - 1 M 279/04 -; VGH BW, Beschluss vom
19. August 2004 - 1 S 976/04 -, VBlBW 2005, 102. Der angefochtene Bescheid erweist
sich selbst dann als rechtswidrig, wenn mit dem Beklagten im vorliegenden Fall von der
Anwendbarkeit von § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG 2002 auszugehen sein sollte.
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Nach dieser Vorschrift ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz zu widerrufen, wenn
nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Nach § 4
Abs. 1 Nr. 2 WaffG 2002 setzt eine waffenrechtliche Erlaubnis u.a. voraus, dass der
Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne von § 5 WaffG 2002 besitzt.
Nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG 2002 besitzen die erforderliche Zuverlässigkeit in der
Regel u.a. Personen nicht, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe
von mindestens 60 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden sind.
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Diese Voraussetzung liegt im Fall des Klägers nicht vor. Zwar hat das Amtsgericht
Osnabrück durch Strafbefehl vom 19. April 2004 gegen den Kläger wegen „Vergehen,
strafbar nach §§ 130 a, 130 b i.V.m. § 177 a HGB" eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen
zu je 30,- EUR festgesetzt. Dem Strafbefehl ist indes nicht zu entnehmen, dass die
Bestrafung wegen einer vorsätzlichen Straftat i.S.v. § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG 2002
erfolgte. Wie der Kläger zu Recht anführt und auch der Beklagte selbst einräumt, lassen
weder der Anklagesatz noch die Konkretisierung des dem Kläger vorgeworfenen
Sachverhalts noch die Aufzählung der verletzten Strafnormen oder das Strafmaß
erkennen, ob das Gericht dem Kläger - vorsätzliche - Insolvenzverschleppung nach §
130 b Abs. 1 HGB oder fahrlässiges Handeln nach § 130 b Abs. 2 HGB zur Last gelegt
hat. Dass das Gericht den Kläger wegen einer Vorsatztat bestraft hat, ergibt sich auch
nicht aus § 15 StGB, wonach nur vorsätzliches Handeln strafbar ist, wenn das Gesetz
fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht. Hieraus lässt sich kein Grundsatz
etwa dergestalt herleiten, dass bei fehlenden Hinweisen auf vorsätzliches oder
fahrlässiges Handeln im Strafbefehl stets von einer Bestrafung wegen Vorsatzes
auszugehen ist. Auch wenn angesichts der Bestimmung des § 15 StGB der Zusatz
vorsätzlicher Tatbegehung nicht in die Urteilsformel aufgenommen zu werden braucht,
sondern dort nur die fahrlässige Begehungsform zu erwähnen ist,
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vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 1992 - 3 StR 61/92 -, NstZ 1992, 546,
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lässt sich hieraus jedenfalls für die Fälle, in denen - wie hier - sowohl eine vorsätzliche
als auch eine fahrlässige Tatbegehung strafbar ist, es einem Strafbefehl aber an
jeglichem Hinweis auf die Begehungsform fehlt, nicht der Schluss ziehen, dass die
Strafe an ein vorsätzliches Handeln anknüpft. Nach § 409 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 StPO sind
im Strafbefehl u.a. die gesetzlichen Merkmale der Straftat zu bezeichnen sowie die
angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und der
Bezeichnung des Gesetzes anzugeben. Danach hat der Strafbefehl u.a. die Aufgabe,
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den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen
denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen, damit der Beschuldigte aus ihm deutlich ersehen
kann, wessen er beschuldigt ist. Diese Aufgabe erfüllt ein Strafbefehl nur dann, wenn
nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also
zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll.
Vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1970 - 4 StR 190/70 -, BGHSt 23, 336 = NJW
1970, 2222 (dem mit § 409 Abs. 1 StPO im Wesentlichen gleichlautenden § 66 Abs. 1
OwiG); Löwe- Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das
Gerichtsverfassungsgesetz, 23. Aufl., § 409 Rdnr. 11.
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Fehlt es im Strafbefehl an jeglichen Hinweisen auf die Begehungsform der dem
Beschuldigten zur Last gelegten Tat, liegt in den Fällen, in denen - wie bei § 130 b Abs.
1 und 2 HGB - sowohl eine vorsätzliche als auch eine fahrlässige Tatbegehung strafbar
ist, ein Mangel der Bezeichnung der gesetzlichen Merkmale der Straftat sowie der
angewendeten Vorschriften vor, der den zweifelsfreien Schluss auf eine Bestrafung
wegen vorsätzlichen Handelns nicht zulässt.
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Hieran ändert im Fall des Klägers auch die vom Beklagten eingeholte Auskunft der
Staatsanwaltschaft Osnabrück vom 8. März 2005 nichts, der Strafbefehl vom 19. April
2004 sei wegen einer Vorsatztat ergangen. Für die Frage, ob ein Inhaber
waffenrechtlicher Erlaubnisse im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 2 a) WaffG 2002 wegen einer
vorsätzlichen Straftat verurteilt worden ist, kommt es allein auf den objektiven
Erklärungsinhalt des betreffenden Strafurteils bzw. Strafbefehls an. Dies folgt schon
daraus, dass es - wie bereits oben erwähnt - für den Betroffenen erkennbar sein muss,
welches Verhalten Gegenstand der strafrechtlichen Ahndung sein soll, gegen welchen
Vorwurf er sich also verteidigen muss oder ob es aus seiner Sicht etwa angezeigt ist,
Rechtsmittel einzulegen. Dies gilt insbesondere für einen Inhaber waffenrechtlicher
Erlaubnisse. Denn dieser muss im Hinblick auf §§ 45 Abs. 2 Satz 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 und
Abs. 2 Nr. 2 WaffG 2002 auch zweifelsfrei erkennen können, ob und ggf. in welcher
Weise sich seine Bestrafung auf seine waffenrechtlichen Erlaubnisse auswirkt. Daher
lassen sich Mängel eines Strafurteils bzw. Strafbefehls hinsichtlich der Bezeichnung der
dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat weder mit Hilfe anderer Erkenntnisquellen noch
nachträglich, etwa durch Einholung von Auskünften der betreffenden Staatsanwaltschaft
oder des Gerichts, beheben. Dies ergibt sich auch daraus, dass der Strafbefehl, sofern
er nicht angefochten wird, selbst in Rechtskraft erwächst (vgl. § 410 Abs. 3 StPO) und
deshalb auch selbst die für seine Wirksamkeit notwendigen Voraussetzungen erfüllen
muss.
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Vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1970, a.a.O.
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Entgegen der Auffassung des Beklagten rechtfertigen auch die Zielsetzungen des
Waffengesetzes nicht die Annahme, dass der Kläger durch den Strafbefehl vom 19. April
2004 wegen einer vorsätzlichen Straftat bestraft worden ist. Nach dem eindeutigen
Wortlaut der §§ 45 Abs. 2 Satz 1, 5 Abs. Abs. 2 Nr. 2 a) WaffG 2002 knüpft der Widerruf
waffenrechtlicher Erlaubnisse allein an die Bestrafung wegen einer vorsätzlichen
Straftat an. Eine solche Bestrafung steht indes im Fall des Klägers, wie dargelegt, nicht
fest.
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Fehlt es mithin an den gesetzlichen Voraussetzungen für den Widerruf der dem Kläger
erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse, erweist sich auch die Aufforderung an den
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Kläger als rechtswidrig, seine Waffen und ggf. vorhandene Munition binnen eines
Monats einem Berechtigten zu überlassen oder unbrauchbar zu machen und hierüber
den Nachweis zu führen. Der Beklagte hat nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des
Verfahrens zu tragen, weil er unterlegen ist. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11,
711 der Zivilprozessordnung.
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