Urteil des VG Münster vom 11.08.2006

VG Münster: öffentliche ausschreibung, hauptsache, vergabeverfahren, unterlassen, auflage, rechtsschutzinteresse, unterlassungsklage, einzelrichter, vollstreckung, rahmenvertrag

Verwaltungsgericht Münster, 5 K 3175/04
Datum:
11.08.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 3175/04
Tenor:
ohne mündliche Verhandlung
am 11. August 2006
für Recht erkannt:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten darüber gestritten
haben, ob das Vergabeverfahren vom 6. April 2004 durchgeführt werden
durfte.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens werden gegeneinander
aufgehoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des beizutreibenden Betrages
abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin zu 1. ist ein Zusammenschluss aller Spitzenverbände der Freien
Wohlfahrtspflege im Land Nordrhein-Westfalen, zu denen auch der Kläger zu 2. gehört.
2
Mit Wirkung zum 1. Januar 2002 schlossen die Klägerin zu 1., die in ihr
zusammengeschlossenen Spitzenverbände und der Beklagte einen Rahmenvertrag
nach § 93 d des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in der Fassung des Gesetzes zur
Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996, BGBl. I S. 1088 zu den Leistungs-,
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Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen nach § 93 Abs. 2 BSHG F. 1996 für den
ambulanten Bereich. Gegenstand war nach § 9 Abs. 5 des Vertrages das betreute
Wohnen für Menschen mit psychischen Behinderungen, geistigen und/oder Körper- und
Mehrfachbehinderungen, Sinnesbehinderungen und/oder Menschen mit
Abhängigkeitserkrankungen in Nordrhein-Westfalen.
Am 8. Oktober 2003 beschloss der Sozialausschuss des Beklagten, zum Abschluss von
Vereinbarungen nach §§ 93 ff. BSHG F. 1996 für das ambulant betreute Wohnen ein
Vergabeverfahren durchzuführen. Dem lag die Annahme zu Grunde, dass nach dem
Kartellvergaberecht und dem kommunalen Haushaltsrecht eine Verpflichtung bestehe,
vor dem Abschluss von Vereinbarungen nach §§ 93 ff. BSHG eine öffentliche
Ausschreibung durchzuführen. Mit Schreiben vom 16. Februar 2004 wurde die Klägerin
zu 1. darüber unterrichtet.
4
Mit Bekanntmachung vom 6. April 2004 leitete der Beklagte die öffentliche, nationale
Ausschreibung ein. Ausgeschrieben wurden Leistungen des ambulant betreuten
Wohnens. An der Ausschreibung war u. a. ein Mitglied des Klägers zu 2. beteiligt
(Kläger bzw. Antragsteller der Verfahren VG Münster 5 K 3193/04, 5 L 756/04 und 5 L
1263/04). In dem von diesem Mitglied des Klägers zu 2. beantragten
Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer Münster wurde eine Zwischenregelung
gemäß § 115 Abs. 3 GWB getroffen, wonach dem Beklagten bis zu einer
abschließenden rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache untersagt wurde, die
Angebote entgegenzunehmen und zu öffnen. Mit Beschluss vom 28. Mai 2004 wies die
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster den Nachprüfungsantrag als
unbegründet zurück.
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Die Kläger zu 1. und 2. machten mit einem am 21. Mai 2004 eingegangenen Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem erkennenden Gericht die Verletzung ihrer
Rechte aus dem Rahmenvertrag geltend und trugen vor, dass das vom Beklagten
eingeleitete Vergabeverfahren gegen die dort getroffenen Bestimmungen und gegen
elementare Grundsätze des Bundessozialhilfegesetzes verstoße.
6
Durch Beschluss vom 22. Juni 2004 - 5 L 728/04 - verpflichtete das Gericht den
Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung, den Zuschlag von
Vereinbarungsabschlüssen nach §§ 93 ff. BSHG über Leistungen des ambulant
betreuten Wohnens für behinderte und suchtkranke Menschen auf der Grundlage des
vom Beklagten am 6. April 2004 bekannt gemachten Vergabeverfahrens zu unterlassen,
bis das erstinstanzliche Verfahren der binnen eines Monats nach rechtskräftigem
Abschluss des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu erhebenden Klage in der
Hauptsache abgeschlossen war. Die Beschwerde des Beklagten gegen diesen
Beschluss wies das OVG NRW durch Beschluss vom 27. September 2004 - 12 B
1397/04 - zurück.
7
Die Kläger haben am 20. Oktober 2004 Klage erhoben und geltend gemacht, dass die
Ausschreiben vom 6. April 2004 aus den im vorläufigen Rechtsschutzverfahren
angeführten Gründen des Gerichts rechtswidrig sei und aufgehoben werden müsse;
auch künftige Ausschreibungen gleichen Inhaltes seien rechtlich unzulässig.
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Die Kläger haben beantragt,
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1. den Beklagten zu verpflichten, die Durchführung von Vergabeverfahren über
10
Vereinbarungsabschlüsse nach §§ 93 ff. BSHG über Leistungen des ambulant
betreuten Wohnens für behinderte und suchtkranke Menschen auf der Grundlage des
vom Beklagten am 6. April 2004 bekannt gemachten Vergabeverfahrens einschließlich
der Einholung und Öffnung von Angeboten und Erteilung von Zuschlägen zu
unterlassen und
2.
11
3. den Beklagten darüber hinaus zu verpflichten, die Durchführung von
Vergabeverfahren zu Vereinbarungsabschlüssen nach §§ 93 ff. BSHG zu unterlassen.
12
4.
13
Der Beklagte hat unter Bezugnahme auf sein Vorbringen in dem Verfahren VG Münster
5 L 728/04 beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2004 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass die
Ausschreibung vom 6. April 2004 mit Rücksicht auf die zwischenzeitlich ergangenen
Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben
werde.
16
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 16. September 2005 im vorliegenden Verfahren
mitgeteilt, dass er beabsichtige, Vergabeverfahren über Vereinbarungen über
Leistungen des ambulant betreuten Wohnens für suchtkranke Menschen erneut wieder
aufzunehmen, sobald dieses Klageverfahren beendet sei und sofern ihn ein
gerichtliches Urteil nicht an der Fortsetzung hindere.
17
Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 25. Januar 2006 das Verfahren bezüglich des
ersten Klageantrages in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dieser Schriftsatz ist dem
Beklagten unter Hinweis auf § 161 Abs. 2 Satz 2 VwGO am 1. März 2006 zugestellt
worden.
18
Das Gericht hat den Beklagten auf Antrag eines Mitgliedes des Klägers zu 2. durch
Beschluss vom 22. Juni 2004 - 5 L 756/04 - im Wege der einstweiligen Anordnung
verpflichtet, den Zuschlag von Vereinbarungsabschlüssen nach §§ 93 ff. BSHG über
Leistungen des ambulant betreuten Wohnens für suchtkranke Menschen im Kreis
Warendorf auf der Grundlage des von ihm am 6. April 2004 bekannt gemachten
Vergabeverfahrens zu unterlassen, bis das erstinstanzliche Verfahren der binnen eines
Monats nach rechtskräftigem Abschluss des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu
erhebenden Klage in der Hauptsache abgeschlossen ist. Durch weiteren Beschluss
vom 8. September 2004 hat das Gericht im Verfahren 5 L 1263/04 auf Antrag eines
Mitgliedes des Klägers zu 2. im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt,
dass die Fortführung des Vergabeverfahrens durch Einholung und Öffnung von
Angeboten in sämtlichen Losgebieten unzulässig ist. Das OVG NRW hat die gegen
beide Beschlüsse gerichteten Beschwerden des Beklagten mit Beschlüssen vom 27.
September 2004 (12 B 1390/04) und vom 25. Oktober 2004 (16 B 2000/04)
zurückgewiesen.
19
Das Gericht hat durch Urteil vom 24. November 2005 5 K 3193/04 in dem zugehörigen
20
Klageverfahren festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, dass über die Klage ohne
mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden als Einzelrichter entschieden wird.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten.
22
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
23
Über die Klage wird mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
durch den Vorsitzenden als Einzelrichter entschieden (§ 101 Abs. 2 i. V. m. § 87 a Abs.
2 VwGO).
24
Bezüglich des ersten Klageantrages hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache
dadurch erledigt, dass der Beklagte den Klägern mit Schreiben vom 26. Oktober 2004
die Aufhebung der Ausschreibung vom 6. April 2004 mitgeteilt hat. Dem entsprechend
haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die
Erledigungserklärung des Beklagten ist gemäß § 161 Abs. 2 Satz 2 VwGO dadurch
erfolgt, dass der Beklagte nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der
Erledigungserklärung der Kläger widersprochen hat. Das Verfahren ist im Umfang der
Hauptsachenerledigung zur Klarstellung in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3
Satz 1 VwGO eingestellt worden. Soweit sich der Rechtsstreit in der Hauptsache
erledigt hat, trägt der Beklagte gemäß § 161 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO
die Kosten des Verfahrens, weil er aus den Gründen des Beschlusses des Gerichts vom
22. Juni 2004 - 5 L 728/04 - und des Beschlusses des OVG NRW vom 27. September
2004 - 12 B 1397/04 -, die durch das Vorbringen des Beklagten im vorliegenden
Verfahren nicht entkräftet worden sind, unterlegen gewesen wäre.
25
Die Klage ist mit ihrem zweiten Klageantrag unzulässig. Zwar ist für dieses
Klagebegehren die Leistungsklage in Form der vorbeugenden Unterlassungsklage die
statthafte Klageart. Für diese Klage fehlt den Klägern jedoch das
Rechtsschutzinteresse.
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Bei vorbeugenden Unterlassungsklagen fehlt das Rechtsschutzinteresse, wenn der
Rechtsschutzsuchende zumutbarerweise auf die Inanspruchnahme von vorläufigem
Rechtsschutz verwiesen werden kann (BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1986 - 8 C 5.85 -,
NVwZ 1986, 1011, 1012 - linke Spalte -; zustimmend von Albedyll,
Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar anhand der höchstrichterlichen
Rechtsprechung, 3. Auflage 2005, § 42 Randziffer 123; Happ in Eyermann,
Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 11. Auflage 2000, § 42 Randziffer 67;
Pietzner in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung,
Kommentar - Stand: April 2006 -, § 42 Randziffer 167 und Terhechte, Verwaltungsrecht,
VwVfG - VwGO, Handkommentar, 1. Auflage 2006, § 43 VwGO Randziffer 83, jeweils
mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung).
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Hieran anknüpfend fehlt den Klägern das Rechtsschutzinteresse für eine vorbeugende
Unterlassungsklage. Vielmehr ist es ihnen zuzumuten, abzuwarten, ob der Beklagte
sich erneut dafür entscheidet, ein Ausschreibungsverfahren durchzuführen. Sobald die
Kläger hiervon Kenntnis erhalten, bleibt es ihnen unbenommen, wie im vorliegenden
Verfahren, vorläufigen Rechtsschutz zu beantragen. Es ist dagegen nicht notwendig,
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vorbeugend die von den Klägern angestrebte Verpflichtung des Beklagten
auszusprechen, ohne dass ein konkretes Ausschreibungsverfahren in Aussicht steht.
Für das Abwarten eines weiteren Ausschreibungsverfahrens spricht auch, dass sich die
Rechtsgrundlagen für die Vereinbarung von Leistungen in Einrichtungen geändert
haben, indem das Bundessozialhilfegesetz mit Wirkung vom 1. Januar 2005 durch das
Zwölfte Buch des Sozialgesetzbuches ersetzt worden ist und sich zugleich für
Gerichtsstreitigkeiten die Zuständigkeit von den Verwaltungsgerichten auf die
Sozialgerichte verlagert hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO, ihre vorläufige
Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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