Urteil des VG Münster vom 30.06.2004

VG Münster: gebäude, vorbescheid, anbau, staatsarchiv, grundstück, bindungswirkung, vergleich, freifläche, geschosszahl, kritik

Verwaltungsgericht Münster, 2 K 3184/00
Datum:
30.06.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 3184/00
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten darüber, ob es baurechtlich zulässig gewesen wäre, das
Grundstück C.---weg 8 - 10 an der Ecke zur L.---straße , Gemarkung Münster, Flur X,
Flurstück X, gemäß einem früheren Entwurf der Klägerin mit einem Gebäude zu
bebauen, dass die Baumasse des inzwischen dort errichteten Gebäudes überschritten
hätte.
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Das Grundstück war früher auf seinem westlichen Teil am Straßenrand mit dem
eingeschossigen Wohn- und Gaststättengebäude C.---weg 8 und auf seinem östlichen
Teil mit dem quer zum C.---weg stehenden Gebäude C.---weg 10 bebaut, in dem eine
Kraftfahrzeug-Reparaturwerkstatt mit Tankstelle auf der Freifläche in der Straßenecke
betrieben wurde. Nach Beseitigung dieses Altbestandes stellte die Rechtsvorgängerin
der Klägerin im Jahre 1998 einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein
Wohn- und Geschäftshaus mit vier Geschäftseinheiten im Erdgeschoss und achtzehn
Wohnungen in vier Obergeschossen und mit Tiefgarage. Im Jahre 1999 änderte sie den
Bauantrag in eine Bauvoranfrage. Durch Vorbescheid X/99 vom 29. April 1999
entschied der Beklagte, das Vorhaben sei im dargestellten Umfang zulässig.
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Nachdem die Klägerin im Laufe des Jahres 1999 das Grundstück erworben hatte, stellte
sie unter ihrer damaligen Firma im Juli einen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides
für den Neubau eines Mehrfamilienhauses, das nach den Bauvorlagen in Haus I am C.--
-weg mit zehn Wohneinheiten in vier Vollgeschossen zuzüglich Staffelgeschoss und in
Haus II zur L.---straße hin mit fünfzehn Wohneinheiten in fünf Vollgeschossen zuzüglich
Staffelgeschoss aufgeteilt werden sollte. In der Zeit von September 1999 bis April 2000
reichte sie sechs Mal geänderte Bauvorlagen ein. Nachdem der Beklagte ihr durch
Anhörungsschreiben vom 17. November 1999 mitgeteilt hatte, dass er beabsichtige, den
Antrag für ein fünfgeschossiges Gebäude abzulehnen, weil das positiv vorbeschiedene
viergeschossige Gebäude mit Penthouse-Geschoss das maximal Verträgliche an
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überbauter Grundstücksfläche, Geschossfläche und Baumasse dargestellt habe und die
von der Klägerin geplante Errichtung eines vierten Obergeschosses über den gesamten
Baukörper hinweg (mit Ausnahme einer Teilfläche im westlichen Bereich) daher nicht
genehmigungsfähig sei, verzichtete die Klägerin unter anderem auf ein Geschoss,
kürzte den Baukörper am C.---weg von einer Länge von etwa 40 m auf 37 m und plante
an der L.---straße eine zweigeschossige Gebäudeerweiterung um 5 m in südlicher
Richtung. Daraufhin teilte ihr der Beklagte durch Schreiben vom 13. April 2000 und vom
6. Juni 2000 mit, dass aus den gleichen Gründen der rückwärtige Anbau an der L.---
straße auf ein Geschoss reduziert werden müsse. Zudem sei eine Zweigeschossigkeit
mit dem Gebot der Rücksichtnahme des § 15 BauNVO nicht vereinbar. Die frühere
positiv beschiedene Voranfrage habe eine Straßenrandbebauung zum C.---weg und im
südlichen Anbau eine Eingeschossigkeit dargestellt, wodurch auch die nachbarlichen
Belange hinreichend berücksichtigt worden seien.
In ihrer Antwort berief sich die Klägerin auf die Zweigeschossigkeit des direkt
angrenzenden Gebäudes und darauf, dass die nachbarlichen Belange grundsätzlich
durch die Einhaltung der vorgeschriebenen Abstandflächen zu wahren seien und dass
diese eingehalten werden.
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Am 21. Juni 2000 stellte die Klägerin einen Bauantrag für den Neubau eines Wohn- und
Geschäftshauses mit einem Büro, zwanzig Wohneinheiten und einer Tiefgarage mit
vierundzwanzig Stellplätzen, in dem der Baukörper im Bereich der L.-- -straße
eingeschossig dargestellt wurde, „so wie es die Verwaltung derzeit wünscht". Sie fügte
hinzu, ihre Bauvoranfrage möge beschieden werden und gelte nicht durch den
Bauantrag als aufgehoben.
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Den genannten Antrag auf Vorbescheid lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 23.
Juni 2000 (6195/99) ab. Zur Begründung führte er aus: Die nähere Umgebung werde,
mit Ausnahme des Staatsarchivs Ecke C.---weg /G1.----------straße , geprägt durch eine
zwei- bis dreigeschossige Bebauung. Das Gebäude C.---weg 3 habe drei
Vollgeschosse zuzüglich Staffelgeschoss. Das Staatsarchiv habe vier Geschosse, die
teilweise überhöht seien, und ein Dach mit einer Neigung von mehr als 45 Grad. Dieses
Gebäude könne jedoch, auch auf Grund seiner historischen Besonderheit, nicht als
prägend für die Eigenart der näheren Umgebung eingestuft werden. Obwohl das von der
Klägerin geplante Hauptgebäude mit vier Geschossen zuzüglich Staffelgeschoss die
vorhandenen Gebäudehöhen in der näheren Umgebung am C.-- -weg und an der L.---
straße um ein Geschoss überschreite, füge es sich auf Grund der Nähe zum
Staatsarchiv dennoch in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Der südliche
zweigeschossige Gebäudeteil füge sich jedoch nicht ein. Der frühere positiv
beschiedene Entwurf sei als Straßenrandbebauung zum C.---weg konzipiert gewesen
und habe im rückwärtigen Bereich einen für die Umgebung typischen eingeschossigen
Anbau aufgewiesen. Das damals beurteilte Gebäude stelle das für das Grundstück
maximal Verträgliche an überbauter Grundstücksfläche, Geschossfläche und
Baumasse, insbesondere auch im Hinblick auf die Baumassen zueinander, dar.
Außerdem sei die Höhenentwicklung ein maßgebliches Beurteilungskriterium.
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Die Klägerin erhob Widerspruch und trug vor: Wenn eine Bebauung untypisch sei für die
Umgebung, dann sei es die von der Bauverwaltung gewünschte Eingeschossigkeit und
nicht die geplante Zweigeschossigkeit des Gebäudes im Bereich der L.---straße . Auf
der L.---straße gebe es nirgendwo einen eingeschossigen Anbau.
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Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch durch Widerspruchsbscheid vom
14. September 2000, zugestellt am 18. September 2000, als unbegründet zurück. Sie
führte ergänzend aus: Die maßgebende nähere Umgebung werde durch das
Straßengeviert G.----------straße , C.---weg , L.---straße , H-Platz gebildet. Das geplante
Gebäude füge sich hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht in diese
Umgebung ein. Ein Gebäude dürfe im Hinblick auf die Anzahl der Vollgeschosse, die
Geschossflächenzahl, die Grundflächenzahl, die Grundfläche, die Baumasse sowie die
Kubatur nicht größer sein als die vorhandenen Gebäude in der Umgebung. Die
Gegenüberstellung der Baumassen von Gebäuden in der näheren Umgebung und des
geplanten Bauvorhabens habe ergeben, dass die Baumasse des Vorhabens der
Klägerin mit 6,91 (8942 m³ umbauter Raum, Grundstücksgröße 1295 m²) erheblich über
dem liege, was in der näheren Umgebung vorhanden sei (L.--- straße 41 - 51 Faktor
3,16; L.---straße 37 Faktor 1,10; C.---weg 3 Faktor 4,44; C.--- weg 26 Faktor 2,88). Das
Vorhaben füge sich somit nicht ein und sei daher nicht genehmigungsfähig.
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Am 13. Oktober 2000 hat die Klägerin Verpflichtungsklage auf Erteilung des begehrten
Vorbescheides erhoben.
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Zuvor hatte der Beklagte durch Baugenehmigung 1243/00 vom 8. September 2000 das
Bauvorhaben in dem angepassten Entwurf des Bauantrages vom 21. Juni 2000
genehmigt. Am 21. September 2000 war die Baugenehmigung ausgehändigt und der
Bau begonnen worden. Veränderte Ausführungen wurden durch
Nachtragsgenehmigungen vom 9. April 2001 (277/01) und vom 13. August 2001
(1486/01) genehmigt. Unter dem 14. August 2001 teilte die Klägerin die Fertigstellung
des Rohbaues mit.
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Nach Fertigstellung der gesamten Baumaßnahme und Veräußerung des Objektes
stellte die Klägerin durch Schriftsatz vom 17. April 2003 den Klageantrag um und
beantragt nunmehr,
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festzustellen, dass der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 23. Juni 2000 (X/99)
und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 14. September 2000
rechtswidrig gewesen sind und sie einen Anspruch auf Erteilung eines positiven
Vorbescheides gemäß ihrem Antrag vom 8. Juli 1999 in der Fassung vom 25. April 2000
und unter Einbeziehung ihres Schreibens vom 9. Juni 2000 gehabt hat.
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Zur Begründung der Fortsetzungsfeststellungsklage trägt sie vor, sie beabsichtige,
einen Amtshaftungsprozess vor dem Zivilgericht durchzuführen. Auf Grund der
Ablehnung der Bauvoranfrage sei es ihr nicht möglich gewesen, die ursprünglich im
Rahmen der Kalkulation des Objektes geplante Wohn- und Büronutzfläche zu
realisieren. Im Vergleich zum ursprünglich geplanten Objekt ergebe sich eine
Flächendifferenz von ca. 75 m2. Der im Einzelnen näher dargelegte Schaden beläuft
sich auf insgesamt 137.325 Euro. Dieser Schaden wäre nicht entstanden, wenn das
Gebäude, wie geplant, im Bereich der L.---straße einen zweigeschossigen Nebentrakt
erhalten hätte. Hierauf habe sie nur verzichtet, um eine Baugenehmigung zu erhalten
und mit der Baumaßnahme beginnen zu können. Mit dem Baubeginn weiter zu warten,
sei nicht möglich gewesen, weil sonst der Schaden auf Grund auflaufender Zinsen für
den Grundstücksankaufskredit sowie der Erwerbsnebenkosten zu groß gewesen wäre.
Die von ihrer Rechtsvorgängerin gestellte Bauvoranfrage habe dazu gedient, eine
verbindliche Auskunft über die Bebaubarkeit des Grundstücks zu erzielen. Das Ergebnis
dieser Bauvoranfrage habe der Klägerin zur Kaufpreisfindung wie auch der
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finanzierenden Bank als Grundlage zur Bewilligung der Finanzierung gedient. Durch
diese Bauvoranfrage seien wesentliche Positionen, die das Maß der baulichen Nutzung
betreffen, geklärt worden. Diese hätten auch für die Klägerin noch Gültigkeit gehabt.
Dass der der Bauvoranfrage zu Grunde liegende, vom Architekten ihrer
Rechtsvorgängerin gezeichnete Baukörper in seiner Architektur Grundlage oder gar
Bestandteil der Bauvoranfrage gewesen sei, sei in dem Bauvorbescheid nicht festgelegt
worden. Im Übrigen entspreche dies auch nicht dem Charakter eines
Bauvorbescheides.
Ein Vergleich des abgelehnten Entwurfs der Klägerin mit demjenigen, der der positiv
beschiedenen Bauvoranfrage ihrer Rechtsvorgängerin zugrundeliege, ergebe eine
Unstimmigkeit bei der Berechnung des Bruttorauminhaltes und damit auch der
Baumassenzahl. Letzterer berücksichtige nicht gemäß DIN 277 die oberirdischen
Bauteile wie Balkone und Terrassen, so dass die Baumassenzahl 6,67 betrage; bei
Berücksichtigung der Balkone und Dachterrassen betrage dessen Baumassenzahl
jedoch 6,96. Diese Werte seien durch den abgelehnten Entwurf der Klägerin mit 6,48
bzw. 6,91 unterschritten worden. Die Eingeschossigkeit im Bereich der L.---straße habe
im Übrigen lediglich eine Reduzierung der Kubatur um 225 m3 und der Baumassenzahl
auf 6,73 mit sich gebracht. Dies entspreche einem Prozentsatz von 2 %; dieser Wert sei
absolut nicht planungsrelevant.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Dazu trägt er ergänzend vor: Die Klägerin stelle augenscheinlich auf eine
Bindungswirkung aus dem Vorbescheid 6099/99 vom 28. April 1999 ab. Gegenstand
dieses Vorbescheides sei ein Baukörper mit halbrundem Bauteil zur Ecke C.---weg /L.---
straße und einem eingeschossigen Anbau zur L.---straße gewesen. Die hier strittige
Voranfrage X/99 beinhalte dagegen einen Baukörper mit rechteckigem Grundriss und
einem zweigeschossigen Anbau zur L.---straße . Der frühere Vorbescheid sei innerhalb
seiner Geltungsdauer nicht ausgenutzt worden und damit erloschen. Für die weitere
Betrachtung der hier strittigen Voranfrage sei er deshalb unbeachtlich.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakten Hefte 1 - 6) Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist zulässig. Die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage setzt in
analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
voraus, dass die ursprüngliche Verpflichtungsklage zulässig war. Dies war hier der Fall.
Das Sachbescheidungsinteresse für den Antrag und die Klage auf Erteilung des
Vorbescheides war im Zeitpunkt der Klageerhebung noch gegeben und ist erst danach
weggefallen, nämlich, wie die Klägerin zutreffend geltend macht, mit der Fertigstellung
des anderweitig (unter den Aktenzeichen 1243/00, 277/01 und 1486/01) genehmigten
Gebäudes.
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Die Klage ist aber nicht begründet. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 23.
Juni 2000 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 14.
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September 2000 waren rechtmäßig. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Erteilung
des begehrten Vorbescheides. Die Voraussetzungen, die § 34 Abs. 1 des
Baugesetzbuches (BauGB) für die Zulässigkeit eines Vorhabens im unbeplanten
Innenbereich aufstellt, waren nicht erfüllt. Denn das frühere Vorhaben der Klägerin fügte
sich hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren
Umgebung ein.
Die Umgebung ist einmal insoweit zu berücksichtigen, als sich die Ausführung des
Vorhabens auf sie auswirken kann, und zum anderen insoweit, als die Umgebung
ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch
beeinflusst. Die Begrenzung der Umgebung durch den Wortlaut des Gesetzes auf die
„nähere" Umgebung hebt hervor, dass in aller Regel die größere Nähe mit einer stärker
prägenden Wirkung Hand in Hand geht.
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So: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 26. Mai 1978 - 4 C 9.77 -,
Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, 406.11 § 34 Nr. 63 = BRS 33 Nr. 36.
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Da die Merkmale, nach denen sich ein Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB in
die Eigenart der näheren Umgebung einfügen muss - Nutzungsart, Nutzungsmaß,
Bauweise und Bauplatz -, jeweils unabhängig voneinander zu prüfen sind,
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so: BVerwG, Beschluss vom 6. November 1997 - 4 B 172.97 -, Buchholz 406.11 § 34 Nr.
188 = BRS 59 Nr. 79,
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ist auch die jeweils maßgebliche nähere Umgebung je nach Merkmal gesondert zu
ermitteln mit der Folge, dass sie je nach Merkmal unterschiedlich groß sein kann. Bei
der Bestimmung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung wird der Umkreis in der
Regel enger zu begrenzen sein als bei der Ermittlung des Gebietscharakters anhand
der Art der baulichen Nutzung.
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So: BVerwG, Urteil vom 19. September 1969 - IV C 18.67 -, BRS 22 Nr. 184 (S. 263).
Die nähere Umgebung des Baugrundstücks in der Ecke C.---weg /L.---straße wird
zunächst durch die Bebauung am C.---weg zwischen der Kreuzung G-/H-straße und
dem Beginn des Grundstücks des S-Gymnasiums, die Bebauung an der Straße B, an
der L.---straße vom C.---weg im Norden bis zum Ende des Parks I im Süden - aber nicht
darüber hinaus, d. h. auch nicht diejenige an der südlichen Q.---allee - und die
Bebauung an der X.------straße gebildet. Im Gegensatz zur Abgrenzung im
Widerspruchsbescheid ist auch die Bebauung am I Platz einzubeziehen, nicht aber die
am G-Platz und diejenige an den südlichen Teilen der L.---straße und der G.------ ----
straße , weil deren Entfernung zum Baugrundstück zu groß ist bzw. auch weil sie zu
sehr durch den Park abgeschirmt wird, als dass noch eine wechselseitige
Beeinflussung bezüglich des Nutzungsmaßes festzustellen wäre.
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In dieser näheren Umgebung befindet sich auch das herausragende alte Staatsarchiv
an der Ecke C.---weg /G.----------straße . In dem angefochtenen Bescheid wird aber
zutreffend ausgeführt, dass es nicht als prägend für die Eigenart dieser näheren
Umgebung eingestuft werden kann.
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Wenn der Gesetzgeber dort, wo es an einem Bebauungsplan fehlt, der bereits
vorhandenen Bebauung einen lenkenden Einfluss im Sinne einer normativen Kraft des
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Faktischen zuspricht, so bedeutet dies nicht, dass der Gesetzgeber alles Vorhandene
positiv bewerten und ihm eine Vorbildwirkung zubilligen will. Ähnlich wie in den Fällen
der Verweisung auf außerrechtliche Normen oder Verhaltenserwartungen wie z. B. die
guten Sitten (vgl. §§ 138 Abs. 1, 814, 819 Abs. 2, 826 BGB, § 1 UWG, § 13 Abs. 2
Kündigungsschutzgesetz, § 228 StGB) oder die im Handelsverkehr geltenden
Gewohnheiten und Gebräuche (vgl. § 346 HGB) geht es ihm vielmehr darum, die aus
einer gewachsenen (hier: städtebaulichen) Situation ablesbare konkrete Ordnung der
Wirklichkeit in das System von Gesetz und Recht einzubeziehen und die „Eigenart" (§
34 Abs. 1 BauGB), die Eigengesetzlichkeit der konkreten Ordnung zum Maßstab für
eine angemessene Fortentwicklung dieser konkreten Ordnung (hier: der tatsächlichen
Bebauung) zu machen. Diese Verweisung bedeutet, dass tatsächlich vorhandene
Gebäude nur dann als rahmenbildend und prägend zu berücksichtigen sind, wenn sie -
gemessen an der Eigenart und Eigengesetzlichkeit der konkreten Ordnung der
gewachsenen Siedlungsstruktur - nicht ihrerseits aus diesem konkret-normativen
Rahmen herausfallen. Erweist sich nach einer Prüfung anhand dieses Maßstabs ein
Gebäude im Einzelfall als singuläre Anlage, als Unikat oder als Fremdkörper in seiner
eigenen näheren Umgebung, weil es ihr wesensfremd ist und „aus der Art schlägt", so
ist es aus der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs.
1 BauGB auszuklammern. Dies kann nicht nur auf Grund besonderer quantitativer
Faktoren wie Einzahl, Erscheinungsbild, Höhe oder Ausdehnung, sondern auch auf
Grund besonderer qualitativer Faktoren anzunehmen sein, z. B. dann, wenn ein
auffälliger Kontrast zur übrigen Bebauung oder eine so starke Abweichung vom
Charakter der Umgebung besteht, dass es im wertenden Sinne isoliert dasteht. Je
einheitlicher der Charakter der näheren Umgebung im Übrigen ist, umso eher wird ein
Unikat vorliegen, das wegen seiner Einzigartigkeit und seiner Andersartigkeit als
Fremdkörper zu qualifizieren ist.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Mai 1986 - 4 B 83.86 -, Buchholz 406.11 § 34 Nr. 113;
Urteil vom 15. Februar 1990 - 4 C 23.86 -, Buchholz 406.11 § 34 Nr. 134 = BRS 50 Nr.
75. Nach diesen Grundsätzen kann kein Zweifel bestehen, dass das Staatsarchiv in
dem angefochtenen Bescheid unter Hinweis auf seine überhöhte Größenordnung und
seine historische Besonderheit zu Recht aus der Bestimmung der Eigenart der näheren
Umgebung ausgeklammert wurde. Es ist wegen seiner Einzigartigkeit und seiner
Andersartigkeit sowohl im tatsächlichräumlichen als auch im wertenden Sinne ein
isoliert stehendes Unikat, das aus der konkretnormativen Ordnung der Größe der
Gebäude in der näheren Umgebung so auffällig herausragt, dass es als Maßstab für
eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung nicht in Betracht kommt.
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Für das Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung kommt es nicht auf die
Feinheiten der Berechnungsregeln der Baunutzungsverordnung (BauNVO) an.
Entscheidend ist die konkrete, am tatsächlich Vorhandenen ausgerichtete Betrachtung.
Der aus der vorhandenen Bebauung zu gewinnende Maßstab kann im Vergleich zu
Maßfestsetzungen im Bebauungsplan relativ grob und ungenau sein. Denn es sprechen
Gründe einer praktisch handhabbaren Rechtsanwendung dafür, in erster Linie auf
solche Maßstäbe abzustellen, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und
anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in
Beziehung zueinander setzen lassen. Ihre (absolute) Größe nach Grundfläche,
Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur
umgebenden Freifläche, prägen das Bild der maßgeblichen Umgebung und bieten sich
deshalb vorrangig als Bezugsgrößen zur Ermittlung des zulässigen Maßes der
baulichen Nutzung an. Damit ist eine Berücksichtigung der anderen
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Maßbestimmungsfaktoren des § 16 Abs. 2 BauNVO zwar nicht ausgeschlossen. Soweit
sie eine prägende Wirkung auf das Baugrundstück haben, sind auch sie zur Beurteilung
der Frage, ob sich das Vorhaben einfügt, heranzuziehen. Die relativen Maßstäbe
werden allerdings vielfach nur eine untergeordnete Bedeutung oder, je nach den
Umständen des Einzelfalls, auch gar keine Bedeutung für die Frage des Einfügens
haben, weil sie in der Örtlichkeit häufig nur schwer ablesbar sind, vielmehr erst
errechnet werden müssen.
so: BVerwG, Urteil vom 23. März 1994 - 4 C 18.92 -, BVerwGE 95, 277 = BRS 56 Nr. 63
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Gemessen an diesen Grundsätzen sind die angefochtenen Bescheide im Ergebnis und
- richtig verstanden - auch im Kern ihrer Begründung nicht zu beanstanden. Die zentrale
Kritik der Klägerin an der Aussage in dem Ablehnungsbescheid, der südliche
zweigeschossige Gebäudeteil an der L.---straße füge sich nicht ein, ist vordergründig
und nur insoweit berechtigt, als eine richtige Beurteilung einen unvollkommenen
Ausdruck gefunden hat. Es liegt auf der Hand und wird auch vom Beklagten an keiner
Stelle bestritten, dass es in der L.---straße Zweigeschossigkeit gibt und sie in der
näheren Umgebung südlich des Baugrundstücks sogar prägend ist, so dass sich ein
zweigeschossiges Gebäude am nordwestlichen Ende der L.---straße ohne jeden
Zweifel einfügen würde. Die Kritik verschließt sich jedoch vor der Erkenntnis, dass es
nicht um ein zweigeschossiges Gebäude geht, sondern um den zweigeschossigen,
rechtwinklig angesetzten Appendix eines - wie es im Ablehnungsbescheid zutreffend
heißt - Hauptgebäudes mit vier Vollgeschossen zuzüglich Staffelgeschoss, das die
vorhandenen Gebäudehöhen in der näheren Umgebung am C.---weg und an der L.---
straße um ein Geschoss überschreitet und sich schon deshalb nicht im Rahmen der
prägenden näheren Umgebung hält. In diesem Zusammenhang ist die Aussage über
den südlichen zweigeschossigen Gebäudeteil an der L.---straße dahin zu verstehen,
dass sich an diesem Zwischenergebnis der Überschreitung des sich aus der näheren
Umgebung ergebenden Rahmens nicht dadurch etwas ändert, dass der Gebäudeteil an
der L.---straße (nur) zweigeschossig ist, und dass vielmehr dieser zweigeschossige
Gebäudeteil - anders als ein eingeschossiger Anbau - es sogar ausschließt, das
Gesamtgebäude trotz der Überschreitung des Rahmens auf Grund der Nähe zu dem
singulären Staatsarchiv noch als sich einfügend zu beurteilen. Dem liegt der plausible
Gedanke zu Grunde, dass ein bezüglich der Geschosszahl für sich gesehen zulässiger
Gebäudeteil als funktionaler Teil des Ganzen zu einem Umschlag der Quantität in eine
andere bauplanungsrechtliche Qualität führen kann. Mit anderen Worten: Der
zweigeschossige Anbau ist das kleine Gewicht, das die Waagschale zur anderen Seite
sinken lässt; seine Zweigeschossigkeit ist der Tropfen, der das Fass zum überlaufen
bringt. Die für sich gesehen unvollkommene Aussage über den Teil und seine
Unzulässigkeit, hier: „der südliche zweigeschossige Gebäudeteil fügt sich nicht ein", ist
in Wahrheit eine Aussage über das Gesamtvorhaben des Inhalts: durch den zwei- statt
eingeschossigen Anbau wird die Grenze zwischen der für die nähere Umgebung
maximal verträglichen Baumasse und der planungsrechtlichen Unzulässigkeit
überschritten.
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Diese Einschätzung erweist sich als rechtlich nicht zu beanstanden. Wenn man auf das
nach ständiger Rechtsprechung maßgebliche äußere Erscheinungsbild der
vorhandenen Bebauung abstellt und die konkreten Merkmale des Vorhabens wie
Baumasse, Größe, Höhe und das Verhältnis des Bauvolumens zur benachbarten
Freifläche und zum umgebenden Freiraum dazu in Beziehung setzt, so ergibt sich, dass
das strittige Vorhaben in der maßgeblichen näheren Umgebung kein Vorbild gefunden
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und den vorgefundenen Rahmen überschritten hätte. Es hätte dort durch seine Höhe
und sein Bauvolumen so wuchtig und so massig gewirkt wie kein anderes Gebäude. In
der Ecke von L.---straße und C.---weg wäre ein rechtwinkliger Riegel entstanden, der
den vorhandenen Freiraum in einem Maße verschlossen hätte, dass tendenziell der
Eindruck einer geschlossenen Bebauung entstanden wäre. Eine über Eck geführte
Blockbebauung der geplanten Größenordnung hätte nicht nur in der Vertikalen, sondern
auch in der sonst relativ offenen Horizontalen des nördlichen Teils der L.---straße die
Situation des Übergangs zum anschließenden Park durch Überdimensionierung noch
stärker belastet als das schließlich errichtete, ebenfalls sehr kompakte Gebäude.
Es spricht viel dafür, dass auch dieses Gebäude auf Grund seiner in der näheren
Umgebung außergewöhnlichen Höhe und Baumasse den maßgeblichen
vorgefundenen Rahmen überschritt und möglicherweise nur deshalb anders beurteilt
wurde und werden konnte, weil es weniger als wuchtige Bebauung an der kleinen L.- --
straße entlang der öffentlichen Grünfläche, sondern mehr als städtebaulicher Akzent am
C.---weg unter Orientierung am Staatsarchiv und zur Straßenkreuzung am Tor zur
Stadtmitte erscheinen kann. Weil es in dieser Akzentuierung in eine harmonische
Beziehung zur näheren Umgebung treten würde, konnte es gerechtfertigt erscheinen, es
trotz Überschreitung des Rahmens ausnahmsweise zuzulassen und damit zugleich den
vorgefundenen Rahmen angemessen fortzuentwickeln.
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Entsprechendes ließ sich jedoch von dem hier strittigen früheren Vorhaben der Klägerin
nicht sagen. Denn die stärkere Akzentuierung des Flügels an der L.---straße hätte die
dort vorgefundene harmonische Situation nicht angemessen fortentwickelt, sondern
gestört und bodenrechtlich in Bewegung bringen können.
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Das Ergebnis wird bestätigt durch den im Vorlagebericht des Beklagten an die
Widerspruchsbehörde vom 5. September 2000 und im Widerspruchsbescheid
vorgenommenen Vergleich der gemäß der BauNVO berechneten Baumassenzahlen.
Die nach dem strittigen Entwurf der Klägerin berechnete Baumassenzahl liegt mit 6,91
sogar noch deutlich über der von 5,02 für die Gebäude auf dem Grundstück des
Staatsarchivs.
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Aus den dargelegten Grundsätzen zum Einfügen des Nutzungsmaßes und der
Baumasse folgt schließlich, dass die Klägerin sich nicht mit Erfolg darauf berufen kann,
dass der Entwurf ihrer Rechtsvorgängerin mit einer Baumassenzahl, die - nach welcher
Berechnungsmethode auch immer - noch höher ist, durch den Vorbescheid X/99 vom
29. April 1999 positiv beschieden worden war. Allerdings ging der Vorlagebericht -
möglicherweise auf Grund ungleicher Berechnungsmethoden - davon aus, dass der
erteilte Vorbescheid einen um 302 m³ kleineren umbauten Raum und folglich eine mit
6,67 deutlich niedrigere Baumassenzahl betreffe. Der Beklagte hat aber im
Gerichtsverfahren wiederholt zutreffend darauf hingewiesen, dass Gegenstand dieses
Vorbescheides ein Baukörper mit einem halbrund-ovalen Abschluss an der
Straßenkreuzung, einem zurückweichenden Verlauf der Wand und einem
eingeschossigen, erneut vorspringenden Anbau zur L.---straße war, also ein ganz
anders gestaltetes Gebäude mit einem ganz anderen äußeren Erscheinungsbild und
ganz anderer architektonischer Wirkung und deshalb nur abstrakt vergleichbaren
Maßbestimmungsfaktoren.
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Einem Vorbescheid kommt Bindungswirkung nur für ein anschließenden
Baugenehmigungsverfahren zu, das einen im Wesentlichen identischen Entwurf betrifft
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und nicht einen, der auf Grund erheblicher Änderungen als aliud zu qualifizieren ist. Die
Bindungswirkung geht nicht dahin, aus einem positiv beschiedenen Entwurf einzelne
Maßbestimmungsfaktoren, wie z. B. die Grundflächenzahl, die Geschossflächenzahl
oder die Baumassenzahl, isoliert herauszugreifen und mit deren Gleichheit oder
Vergleichbarkeit einen ganz anderen Entwurf zu präjudizieren. Ein Vorbescheid
entscheidet - in der Regel und so auch hier - nicht bindend über einen einzelnen,
isolierbaren Maßfaktor, sondern über ein Vorhaben als ganze Einheit. Mit der Änderung
anderer, äußerlich in Erscheinung tretender und baurechtlich relevanter Merkmale in
einem neuen Entwurf entfällt die Bindungswirkung, so dass eine neue, nicht
präjudizierte Beurteilung geboten ist.
Dass der hier strittige Entwurf ein aliud war, hat die Klägerin im Übrigen selbst erkannt
und dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie einen neuen Antrag auf Erteilung eines
Vorbescheides für ihren wesentlich anderen Entwurf gestellt hat, statt diesen Entwurf
unter Berufung auf die Bindungswirkung des Vorbescheides X/99 zum Gegenstand
eines Baugenehmigungsverfahrens zu machen. Wenn aus der Sicht der Klägerin mit
Blick auf eine begehrte Baugenehmigung ein neues Vorbescheidsverfahren erforderlich
war, weil sie sich in einem Baugenehmigungsverfahren für ihren Entwurf nicht auf den
früheren Vorbescheid berufen konnte, so musste dies erst Recht für das neue
Vorbescheidsverfahren gelten. Mit der späteren Berufung auf den früheren Vorbescheid
setzt sie sich nur dann nicht zu ihrem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch, wenn
man darin ein isoliertes, topisches Argumentieren mit einem aus beiden Entwürfen
isolierten Maßbestimmungsfaktor sieht. Eine solche auf einen Topos isolierte
Betrachtung ist jedoch, wie dargelegt, für die rechtliche Beurteilung irrelevant. Sie liefe
auf eine Durchbrechung der dogmatischen Begrenzung der Bindungswirkung eines
Vorbescheides für ein anschließendes Baugenehmigungsverfahren hinaus.
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Das betriebswirtschaftliche Interesse eines Unternehmens an gesicherten Grundlagen
für Investitionsentscheidungen kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Die
Kalkulation der Finanzierung eines Immobilienprojektes ist von vornherein bedingt
durch das als bekannt vorauszusetzende Bauplanungsrecht. Wenn die Klägerin ein
anderes architektonisches Konzept verfolgen wollte als ihre Rechtsvorgängerin und
davon ausging, dass sie für ihren Entwurf neue bauaufsichtliche Beurteilungen
benötigte, konnte und durfte sie die absoluten und relativen architektonischen Daten des
aufgegebenen Entwurfs nicht als feste Größen in ihre Kalkulation der Finanzierung
einstellen. Denn es war, wie dargelegt, bauplanungsrechtlich nicht haltbar, die
Erwartung der Genehmigungsfähigkeit des neuen Entwurfs ungeachtet eines anderen
äußeren Erscheinungsbildes allein darauf zu stützen, dass die Daten der
Maßbestimmungsfaktoren aus dem früheren Entwurf nicht überschritten wurden.
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Etwas anderes könnte nur dann angenommen werden, wenn Inhalt des erteilten
Bauvorbescheides gewesen wäre, dass bestimmte Maßbestimmungsfaktoren, z. B. eine
bestimmte Baumassenzahl, unabhängig vom äußeren Erscheinungsbild des
Baukörpers voll ausgeschöpft werden können und bauplanungsrechtlich ein für alle Mal
verbindlich zugelassen werden. So scheint die Klägerin den ihrer Rechtsvorgängerin
erteilten Vorbescheid verstanden zu haben und nach wie vor verstehen zu wollen. Dies
mag vor dem Hintergrund ihres Interesses an verbindlichen Grundlagen für die
Kalkulation des Kaufpreises für das Grundstück und der weiteren Finanzierung ihres
Projektes aus ihrer Sicht wünschenswert gewesen sein. Mit einer objektiven Auslegung
des Inhalts des Vorbescheides aus der Sicht eines vernünftigen Erklärungsempfängers
hat ein solches Verständnis jedoch nichts mehr zu tun.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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