Urteil des VG Münster vom 23.02.2007

VG Münster: anstaltsleitung, disziplinarverfahren, abrechnung, nummer, genehmigung, leiter, verfügung, datum, arztpraxis, klagefrist

Verwaltungsgericht Münster, 20 K 1538/06.O
Datum:
23.02.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
Disziplinarkammer Bund
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 K 1538/06.O
Tenor:
Unter Aufhebung der Disziplinarverfügung des Leiters der
Justizvollzugsanstalt C1. -C2. I vom 00.00.0000 und des
Widerspruchsbescheides des Präsidenten des
Landesjustizvollzugsamtes O. - Westfalen vom 00.00.0000 wird das
Disziplinarverfahren eingestellt.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Das
beklagte Land kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin wurde am 00.00.0000 in G. am N. geboren. Sie ist verheiratet und hat zwei
mittlerweile erwachsene Töchter. Im Jahr 1984 erhielt sie die Approbation als Ärztin. Am
00.00.0000 trat sie in den Vollzugsdienst des Landes NRW ein als S. z. A. Zuletzt wurde
sie mit Wirkung vom 00.00.0000 zur S1. befördert. Sie wird besoldet nach A 15 in der
10. Dienstaltersstufe. Ihr monatliches Nettoeinkommen beträgt ca. 4.000,00 Euro. Unter
dem 00.00.0000 wurden die dienstlichen Leistungen der Klägerin durch den
Präsidenten des Justizvollzugsamtes mit „gut (untere Grenze)" beurteilt. Nachdem es
zwischen der Klägerin und dem Leiter der JVA erhebliche Differenzen über die
Anrechnung von Arbeitszeit für eine medizinische Rufbereitschaft gegeben hatte und
die Klägerin eine Vereinbarung aus dem Jahr 2000 im Mai 2005 kündigte, beurteilte der
Leiter der JVA ihre dienstlichen Leistungen am 00.00.0000 mit „befriedigend (obere
Grenze)" unter anderem mit der Begründung, dass eine „zuverlässige zeitliche
Erreichbarkeit (der Klägerin) nicht gegeben" sei. Unter Berücksichtigung dieser
Stellungnahme wurden die dienstlichen Leistungen der Klägerin zuletzt unter dem
00.00.0000 vom Präsidenten des Justizvollzugsamtes mit „vollbefriedigend (untere
Grenze)" bewertet.
2
Die Klägerin ist vor den hier zur Entscheidung stehenden Vorfällen straf- und
disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
3
Mit Verfügung vom 00.00.0000 wurde gegen die Klägerin ein Disziplinarverfahren
eingeleitet. Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Anfang des Jahres 2005 soll den
„Mitarbeitern der Haushaltsabteilung" aufgefallen sein, dass die Klägerin auf den
monatlichen Abrechnungen des Diensthandys einzelne Telefonnummern, die mehrfach
angewählt wurden, teilweise als privat gekennzeichnet, teilweise aber ohne
Kennzeichnung als dienstlich belassen habe. Es erfolgten umfangreiche Ermittlungen,
sowohl hinsichtlich des Diensthandys als auch bezüglich des dienstlichen
Festnetzanschlusses, ob die von der Klägerin nicht als privat gekennzeichneten
Telefonate tatsächlich dienstlichen Hintergrund haben konnten. Es wurde eine Reihe
von Privatanschlüssen ermittelt, die aus Sicht des Dienstherrn keinen dienstlichen
Bezug aufwiesen. Unter dem 00.00.0000 wurde das Disziplinarverfahren ausgesetzt im
Hinblick auf ein Strafverfahren, welches der Dienstherr durch eine Strafanzeige in die
Wege geleitet hatte. Am 00.00.0000 wurde das Strafverfahren durch die
Staatsanwaltschaft gemäß § 153 Abs. 1 StPO mit der Begründung eingestellt, es
handele sich um eine straflose Unachtsamkeit bei der Abrechnung und der Schaden
bewege sich teilweise im Centbereich. Unter dem 00.00.0000 wurde das
Disziplinarverfahren fortgesetzt und der Klägerin die Möglichkeit zur Stellungnahme
gegeben.
4
Unter dem 00.00.0000 erließ der Leiter der JVA eine Disziplinarverfügung gegen die
Klägerin und verhängte eine Geldbuße in Höhe von 1.000,00 Euro. Der
Disziplinarverfügung lagen folgende Tatvorwürfe zu Grunde:
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1. Komplex: Diensthandy
6
Die Klägerin bekam im Jahr 2003 auf Grund der Inanspruchnahme in Notfällen
außerhalb der regulären Dienstzeiten seitens der JVA ein Diensthandy zur Verfügung
gestellt. Auf diesem Diensthandy durfte die Klägerin auch Privatgespräche führen, die
gegenüber der Haushaltsabteilung auf der Rechnung gesondert auszuweisen und
entsprechend zu erstatten waren. Der Klägerin wird vorgeworfen, in der Zeit von
September 2003 bis März 2005 in 33 Fällen Privattelefonate nicht als solche in der
Abrechnung gekennzeichnet zu haben. Im Hinblick auf die Vorwürfe im einzelnen wird
auf die Auflistung der Telefonate nach Datum, Zielnummer und Kosten im
Disziplinarbescheid verwiesen.
7
2. Komplex: Dienstlicher Festnetzanschluss
8
Die Klägerin hatte des Weiteren einen dienstlichen Festnetzanschluss zur (auch
privaten) Nutzung. Private Gespräche waren über die Vorwahl einer PIN-Nummer zu
kennzeichnen, die sodann einzeln abgerechnet wurden. Im Zeitraum von August 2003
bis November 2004 soll die Klägerin 83 Telefonate privater Natur geführt haben, die sie
nicht durch Vorwahl der PIN-Nummer als solche kennzeichnete. Im Hinblick auf die
Vorwürfe im einzelnen wird auf die Auflistung der Telefonate nach Datum, Zielnummer
und Kosten im Disziplinarbescheid verwiesen.
9
3. Komplex: Mitführen des Diensthandys innerhalb der Anstalt
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In der JVA C1. -C2. I gilt seit über 10 Jahren die behördliche Anordnung sowohl
gegenüber Besuchern, als auch Bediensteten der Anstalt, dass Handys nicht mit in die
Justizvollzugsanstalt genommen werden dürfen. Diese Anordnung ist auch in Form
eines Hinweisschildes an der Außenforte der Anstalt textlich fixiert: „Handys sind an der
Außenforte abzugeben". Die Klägerin soll an 39 Tagen des Jahres 2004 gegen diese
Anordnung ihres Dienstherrn verstoßen haben und das Diensthandy innerhalb der
Anstalt mit sich geführt und damit Telefonate aus der Anstalt heraus geführt haben. Im
Hinblick auf die Vorwürfe im einzelnen wird auf die Auflistung der Tage des Jahres 2004
im Disziplinarbescheid verwiesen.
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4. Komplex: Verletzung von Kernarbeitszeiten
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Gemäß § 4 Ziffer 2 der Dienstvereinbarung „Gleitzeit" der Justizvollzugsanstalt vom 22.
August 2003 umfasst die Kernarbeitszeit, d. h. die Mindestanwesenheitszeit, montags
und dienstags die Zeit von 8.30 Uhr bis 15.00 Uhr und mittwochs bis freitags die Zeit
von 8.30 Uhr bis 14.30 Uhr. Gemäß § 6 Ziffer 2 darf die Kernarbeitszeit viermal im Monat
bis zu einem halben Tag für einen Ausgleich in Anspruch genommen werden. Diese
sog. Verletzung der Kernarbeitszeit muss jedoch vorher durch Einreichung eines
Zeitkorrekturbeleges beantragt werden. Entgegen dieser Regelungen hat die Klägerin
im Jahr 2004 an 39 Tagen die Kernarbeitszeit verletzt, ohne zuvor entsprechende
Zeitkorrekturbelege einzureichen. Im Hinblick auf die Vorwürfe im einzelnen wird auf die
Auflistung der jeweiligen Tage im Disziplinarbescheid verwiesen.
13
5. Komplex: Verletzung der Regelarbeitszeit
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Gemäß § 4 Ziffer 3 der oben genannten Dienstvereinbarung umfasst die Gleitzeit die
Zeiten von 6.30 Uhr bis 19.30 Uhr. Im Jahr 2004 ist die Klägerin an 22 Tagen außerhalb
dieser Zeiten in der Anstalt tätig gewesen, wobei in keinem dieser Fälle die ärztliche
Notversorgung eines Gefangenen erforderlich gewesen sein soll. Im Hinblick auf die
Vorwürfe im einzelnen wird auf die Auflistung der jeweiligen Zeiten im
Disziplinarbescheid verwiesen.
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6. Komplex: Dienstreisen ohne vorherige Genehmigung
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Im Jahr 2004 hat die Klägerin in sieben Fällen Dienstreisen unternommen, ohne die
erforderliche schriftliche Genehmigung des Dienstvorgesetzten einzuholen. Im Hinblick
auf die Vorwürfe im einzelnen wird auf die Auflistung der jeweiligen Tage und
Dienstreisen im Disziplinarbescheid verwiesen.
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Mit Schreiben vom 00.00.0000 legte die Klägerin Widerspruch gegen die
Disziplinarverfügung ein, die mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000
zurückgewiesen wurde. Unter dem 00.00.0000 hat die Klägerin Klage erhoben beim
Verwaltungsgericht Minden. Durch Verweisungsbeschluss vom 17. August 2006 wurde
das Verfahren an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Münster abgegeben.
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Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Auswertung ihrer privaten Telefonate und der
Abgleich mit den dienstlich gewählten Nummern sei rechtswidrig. Daraus erlangte
Erkenntnisse dürften folglich in diesem Verfahren nicht verwertet werden. Im Übrigen
versichert sie, sich Mühe bei der Kennzeichnung bzw. der Eingabe der PIN- Nummer
gegeben zu haben und höchstens versehentlich ein privates Telefonat nicht als solches
gekennzeichnet zu haben. Telefonate mit ihrem Ehemann, der ebenfalls Arzt sei, hätten
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medizinische Erörterungen zu Grunde gelegen oder Terminsverschiebungen wegen
ihrer dienstlichen Beanspruchung. Von den als privat vorgeworfenen Telefonaten vom
dienstlichen Festnetzanschluss sei insbesondere das Telefonat in August 2003 nach
Indien, welches alleine 35,00 Euro Kosten verursacht habe, dienstlich veranlasst
gewesen. Die Verletzung der Kern- bzw. Regelarbeitszeit sei nicht schuldhaft gewesen.
Im Jahr 2001 sei die Gleitzeitanlage für Anstaltsärzte freigeschaltet worden, um
zahlreiche Korrekturbelege zu vermeiden. Ihre Praxis der Handhabung sei der
Anstaltsleitung darüber hinaus seit Jahren bekannt gewesen.
Regelarbeitszeitverletzungen seien in der Regel notwendig gewesen im Rahmen der
medizinischen Versorgung von Gefangenen, Kernarbeitszeitverletzungen darüber
hinaus notwendig, um das Überstundenkontingent von regelmäßig 60 bis 90 Stunden
nicht noch weiter anlaufen zu lassen. Es habe auch niemals Einwände von der
Anstaltsleitung gegeben. Die vorgeworfenen Dienstreisen ohne vorherige
Genehmigung seien nur bis Ende 2004 vorgekommen. Bis dahin sei es nach Ansicht
der Klägerin nur mündlich anzeigepflichtig gewesen, mit anschließender schriftlicher
Beantragung eines Korrekturbeleges. Erst im Januar 2005 sei sie durch eine Rundmail
auf das Erfordernis einer schriftlichen Beantragung der Genehmigung hingewiesen
worden, woran sie sich von da an gehalten habe. Im Übrigen seien die Termine als
solche sämtlichst mit der Anstaltsleitung abgesprochen bzw. laut Verfügung vom
Landesjustizvollzugsamt O1. ausdrücklich erwünscht gewesen.
Die Klägerin beantragt,
20
die Disziplinarverfügung vom 00.00.0000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
00.00.0000 aufzuheben.
21
Das beklagte Land beantragt,
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die Disziplinarverfügung vom 00.00.0000 aufrecht zu erhalten.
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Das beklagte Land ist der Ansicht, die Klage sei schon unzulässig, da die Klageschrift
an die Disziplinargerichtsbarkeit gerichtet sein sollte und an das unzuständige
Verwaltungsgericht Minden gegangen sei. So sei die Klagefrist gemäß § 74 VwGO nicht
eingehalten.
24
Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Die verhängte Maßnahme sei der Höhe nach
vertretbar. Das Vertrauensverhältnis zu der Beamtin sei nicht unerheblich beeinträchtigt
worden. Der Missbrauch dienstlicher Kommunikationsmittel und die Einhaltung
dienstzeitlicher Vorgaben sei grundsätzlich nicht ohne Reaktion einfach zu tolerieren.
Angesichts der im vorliegenden Fall deutlich vielschichtigeren Verfehlungen erscheine
eine empfindliche Geldbuße vertretbar.
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Im Hinblick auf die Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der Disziplinarakte und der Personalakte Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
27
Die zulässige Klage ist begründet. Die Disziplinarverfügung vom 00.00.0000 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 ist rechtswidrig und verletzt die
Klägerin in ihren Rechten (§ 3 Landesdisziplinargesetz O1. - LDG -, § 113 Abs. 1 Satz 1
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Ein - einheitlich zu beurteilendes -
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Dienstvergehen der Klägerin war zwar festzustellen, die Verhängung einer
Disziplinarmaßnahme schien jedoch nicht angezeigt (§ 59 Abs. 3 LDG).
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie - entgegen der Ansicht des beklagten
Landes - fristgerecht erhoben worden mit Klageeinreichung bei dem örtlich
unzuständigen Verwaltungsgericht Minden. Nach allgemeiner Meinung wird die
Klagefrist im Verwaltungsrechtsstreit auch dann gewahrt, wenn die Klage bei einem
unzuständigen Gericht eingereicht wird, wenn sie dort auch eingereicht werden sollte
(vgl. z.B. Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung 13. Auf. § 74
VwGO Anm. 8 m.w.N.). Ausweislich der Klageschrift sollte die Klage an das
Verwaltungsgericht Minden gerichtet werden. Dabei ist unbeachtlich, ob die Klägerin die
Klage an das Verwaltungsgericht Minden als (vermeintlich) zuständiges
Disziplinargericht richten wollte.
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Die Klage ist auch begründet. In Hinsicht auf die sechs Vorwurfskomplexe lässt sich
lediglich im Hinblick auf den Vorwurf, dass die Klägerin an 39 Tagen im Jahr 2004 ihr
Diensthandy entgegen der Weisung des Dienstvorgesetzten in der Justizvollzugsanstalt
mit sich führte, ein - einheitlich zu beurteilendes - Dienstvergehen feststellen.
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Zum 1. und 2. Komplex: Telefonate mit Diensthandy und vom dienstlichen
Festnetzanschluss:
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In der vorgeworfenen fahrlässigen Nichtkennzeichnung einzelner Gespräche als privat,
obwohl sie möglicherweise privater Natur waren, liegt kein Dienstvergehen. Zwar ist es
dienstliche Pflicht, bei der Benutzung eines dienstlichen Anschlusses diejenigen
Telefonate, die - erlaubterweise - privater Natur sind, durch Eingabe der vorgegebenen
PIN-Nummer oder - hinsichtlich des Diensthandys - durch Markierung bei der Vorlage
der Abrechnung als Privatgespräche zu kennzeichnen. Jedoch stellt nicht jeder Verstoß
gegen Dienstpflichten zugleich auch ein Dienstvergehen im Sinne des Disziplinarrechts
dar. Fehler können auch dem besten Beamten unterlaufen. Disziplinare Relevanz erhält
ein Fehlverhalten eines Beamten erst dann, wenn eine gewisse Schwelle überschritten
ist. Diese Schwelle ist im vorliegenden Fall jedenfalls nicht überschritten, auch nicht
unter Berücksichtigung der anderen vorgeworfenen disziplinaren Vorwürfe. In Bezug auf
das überlassene Diensthandy werden der Klägerin 33 Verstöße im Zeitraum vom
04.09.2003 bis 05.03.2005, also im Zeitraum von 1 ½ Jahren vorgeworfen.
Unwiderleglich und auch durchaus lebensnah hat die Klägerin sich dahingehend
eingelassen, dass den Anrufen in der Arztpraxis bei ihrem Ehemann zumindest
teilweise medizinische kollegiale Erörterungen zu Grunde lagen bzw.
Terminsverschiebungen, die auf Grund unvorhersehbar geänderter Dienstzeiten
erforderlich wurden. Lässt man die Gespräche mit der Arztpraxis des Ehemanns in
diesen 1 ½ Jahren außen vor (Kostenvolumen 5,07 Euro), so verbleiben Telefonate im
Abrechnungswert von 9,22 Euro. Die Klägerin hat versichert, sich bei der Abrechnung
Mühe gegeben zu haben. Wenn dies bei einer Abrechnung über den Zeitraum von 1 ½
Jahren in einzelnen Fällen in einer Gesamtsumme von 9,22 Euro fehlerhaft gewesen
sein sollte, stellt dies einen fahrlässigen Bagatellverstoß ohne disziplinare Relevanz
dar.
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Dasselbe gilt für die vorgeworfenen Telefonate vom dienstlichen Festnetzanschluss.
Die Klägerin hat sich hinsichtlich der Telefonate im August 2003 nach Indien
dahingehend eingelassen, dass es sich um dienstlich veranlasste Gespräche wegen
der suizidalen Gefährdung eines Gefangenen indischer Abstammung handelte.
33
Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass diese Einlassung unzutreffend sein könnte, gibt
es nicht. Lässt man diese Telefonate und diejenigen zur Arztpraxis des Ehemannes
außen vor, verbleiben knapp 40 Telefonate in einem Zeitraum von über 20 Monaten im
Gebührenwert von knapp über 10 Euro. Auch hier erübrigt sich jede Ermittlung, welches
Telefonat möglicherweise tatsächlich fahrlässig ein privates Telefonat unter
Nichtverwendung der Pin-Nummer gewesen sein könnte, da die Bagatellgrenze
jedenfalls bei weitem nicht überschritten wurde. Die Klägerin hat im Verhandlungstermin
ihre persönliche Abrechnung unter Verwendung der PIN- Nummer mitgebracht, woraus
deutlich wurde, dass sie eine große Anzahl von Telefonaten unter Nutzung ihrer
persönlichen PIN-Nummer geführt und damit als privat gekennzeichnet hat. Unter
diesen Umständen konnte an dieser Stelle auch dahinstehen, ob die Speicherung und
Auswertung der Telefonverbindungsdaten und deren Verwertung im
Disziplinarverfahren zulässig waren.
Zum Komplex 4. und 5.: Verletzung der Kern- und Regelarbeitszeitregelungen:
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Auch in den vorgeworfenen Verstößen gegen die Gleitzeitregelungen durch Verletzung
von Kernarbeitszeiten bzw. Regelarbeitszeiten ist eine disziplinarrechtlich relevante
Dienstpflichtverletzung nicht zu sehen. Die Klägerin hat ihre Arbeitszeit auf Grund der
Tatsache, dass die Gleitzeitanlage seit 2001 für die Anstaltsärzte freigeschaltet war,
unter Berücksichtigung der dienstlichen Belange und nach Absprache mit dem anderen
Anstaltsarzt eingeteilt. Ob es sich in den einzelnen Fällen um formelle Verstöße gegen
die Gleitzeitregelungen handelt oder nicht, kann dahingestellt bleiben. Denn disziplinare
Relevanz kann ihnen nur zukommen, wenn damit die organisatorischen Abläufe
während des Dienstbetriebes gestört worden wären. Offensichtlich ist es zu Problemen
im Dienstablauf selbst nicht gekommen. Ansonsten wäre es Pflicht des Dienstherrn
gewesen, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass die von ihr jahrelang durchgeführte
Praxis als pflichtwidrig angesehen wird. Die Klägerin konnte aber, da ihr in den ganzen
Jahren niemals ein entsprechender Hinweis gegeben wurde, davon ausgehen, dass die
Anstaltsleitung ihre Vorgehensweise billigt.
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Zum Komplex Dienstreisen bzw. Dienstgänge ohne vorherige schriftliche
Genehmigung:
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Auch hier handelt es sich um reine Formalverstöße gegen Regelung ohne disziplinare
Relevanz. Sämtliche Dienstgänge, Dienstreisen bzw. Fortbildungen waren
genehmigungsfähig, wie der Beklagtenvertreter auf ausdrückliche Fragen im
Verhandlungstermin bestätigt hat. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass
die Termine mit der Anstaltsleitung abgesprochen gewesen waren. Unter diesen
Umständen konnte die Klägerin davon ausgehen, dass die Anstaltsleitung auf die
Einholung einer vorherigen schriftlichen Genehmigung verzichtet. Die Klägerin hat ihre
Handhabung auch seit Anfang 2005, dem Erhalt einer allgemeinen Rund- Mail unter
Hinweis auf das Erfordernis einer schriftlichen Beantragung, sofort geändert und von da
an stets schriftliche vorherige Genehmigungen beantragt.
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Zum Komplex Mitführen des Diensthandys in der Anstalt:
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In dem Mitführen des Diensthandys ist der Justizvollzugsanstalt an 39 Tagen hat die
Klägerin gegen ihre Dienstpflicht verstoßen, das Handy nicht mit in die Anstalt zu
nehmen. Dass die Klägerin das Diensthandy mit sich geführt hat, ergibt sich nach der
Überzeugung des Gerichts daraus, dass an diesen 39 Tagen Telefonate vom Handy
39
während ihrer im Gleitzeitsystem erfassten Anwesenheit in der Anstalt geführt wurden.
Die Klägerin hat dies auch nicht in Abrede gestellt.
Es bestehen auch keine rechtlichen Bedenken, die Abrechnungsdaten im
Disziplinarverfahren zu nutzen, um Feststellungen dahingehend zu treffen, dass die
Beklagte das Diensthandy in der JVA mit sich geführt hat. Die von dem beklagten Land
angeregte "Klärung" durch die Landesbeauftragte für Datenschutz hat das Gericht nicht
abgewartet, da die Frage der Verwertbarkeit der Erkenntnisse ausschließlich anhand
der Gesetzeslage zu entscheiden ist. Ob die Speicherung und Auswertung der
Telefonverbindungsdaten gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstößt, kann in
diesem Verfahren dahinstehen. Denn selbst wenn die Erkenntnisse rechtswidrig erlangt
wären, könnten sie im Disziplinarverfahren verwertet werden, da sie keinem
Beweisverbot unterliegen. Zwar stellen sich Beweisverbote als Einschränkungen des
Untersuchungsgrundsatzes dar, im Disziplinarrecht ist jedoch davon auszugehen, dass
ein Verstoß gegen Beweiserhebungsregeln nicht in jedem Fall die Unverwertbarkeit zur
Folge hat. Vielmehr ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob nach Sachlage und Art der
Rechtsverletzung die Beweiserhebung verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist oder
nicht (GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder K § 21 Rdn. 113 ff.). Ob der
Untersuchungsgrundsatz beweisrechtlichen Einschränkungen im Einzelfall unterliegt,
bemisst sich nach dem Ergebnis der Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre
des Beamten (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG) und dem dienstlichen Interesse an der
disziplinaren Verfolgung (Art. 33 Abs. 5 GG ), mithin nach dem Maßstab der
Verhältnismäßigkeit (GKÖD aaO. Rdn. 85). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist
nur dann verletzt, wenn die Abwägung im Einzelfall zu dem Ergebnis führt, dass ein
Eingriff in die Interessen des Betroffenen im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegt,
als diejenigen Belange, deren Wahrung die staatliche Maßnahme dienen soll (OVG
Mecklenburg-Vorpommern Beschluss v. 21.12.2000 2 M 64/00; vergleichbar in der
strafrechtlichen Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 18.11.2003 1 StR 455/03). Hier ist der
Beamtin vom Dienstherrn ein dienstliches Handy zur Verfügung gestellt worden. Auch
wenn ihr private Gespräche - gegen Abrechnung - erlaubt wurden, steht der dienstliche
Zweck eindeutig im Vordergrund. Die Speicherung der Daten war der Beamtin bekannt
und auch zwingend für die Abrechnung bzw. für eine Kontrolle der absprachegemäßen
Nutzung erforderlich. Ein schützenswertes Interesse der Klägerin, weisungswidrig
innerhalb der JVA mit dem Diensthandy geführte Telefonate vor dem Dienstherrn
geheim zu halten, ist nicht ersichtlich.
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Das Mitführen eines Handys in einer Justizvollzugsanstalt kann auch keinesfalls als
Bagatelle angesehen werden, sondern stellt ein Dienstvergehen mit disziplinarer
Relevanz dar. Im Hinblick auf dieses Dienstvergehen erscheint die Verhängung einer
Disziplinarmaßnahme jedoch nicht angezeigt (vgl. § 59 Abs. 3 LDG). Die Klägerin hat
sich im Hinblick auf diesen Tatvorwurf nicht eingelassen. Zu Ihren Gunsten muss daher
davon ausgegangen werden, dass sie sich nicht bewusst über die Weisung des
Dienstherrn hinweggesetzt hat, sondern das Diensthandy aus reiner Gedankenlosigkeit
in der Justizvollzugsanstalt mit sich führte, oder um z.B. bei Notfällen für
Justizbedienstete erreichbar zu sein, wenn sie innerhalb der Anstalt unterwegs war. In
Anbetracht der Tatsache, dass die Klägerin seit Jahren unbeanstandet ihren Dienst
versieht und unter Berücksichtigung ihrer Persönlichkeitsstruktur, ist davon auszugehen,
dass ein schlichter Hinweis der Anstaltsleitung, sie möge bitte darauf achten die
entsprechende Regelungen bzgl. des Handys einzuhalten, ausgereicht hätte, die
Klägerin zur zuverlässigen Einhaltung dieser Regelung zu veranlassen. Sowohl aus
den Disziplinarakten, wie auch den Personalakten der Klägerin ergibt sich, dass diese
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dem Grunde nach eine pflichtbewusste und bemühte Beamten ist. Dies spiegelt sich
auch in ihren dienstlichen Beurteilung bis zum Jahr 2002 wieder, wo sie unter dem
02.07.2002 mit „gut (untere Grenze)" beurteilt wurde. Zwar ist die letzte Beurteilung der
Klägerin unter dem 21.06.2005 mit „vollbefriedigend (untere Grenze)" deutlich
schlechter ausgefallen. Das Gericht verkennt aber nicht, dass diese - schlechtere -
Beurteilung offensichtlich darauf beruht, dass der Leiter der JVA unter dem 31.05.2005
die Beamtin nur mit „befriedigend (obere Grenze)" vorbeurteilt hat, u.a. mit der
Begründung, dass sie „ihre Rechte bzw. vermeintlichen Rechte immer konsequent im
Auge behält und beharrlich verfolgt", und „eine zuverlässige zeitliche Erreichbarkeit (der
Beamtin) ... damit nicht gegeben" sei. Diese Beurteilung beruht ganz offensichtlich
darauf, dass die Klägerin zu Beginn des Monats Mai, in dem diese Beurteilung erstellt
wurde, eine Vereinbarung mit der Anstaltsleitung aus dem Jahre 2002 gekündigt hatte.
In dieser Vereinbarung waren Anrechnungszeiten für eine dienstliche Rufbereitschaft
außerhalb der Dienstzeiten, auch am Wochenende, vereinbart worden. Die
Anstaltsleitung und die Klägerin waren nicht in der Lage, sich im Hinblick auf eine
angemessene Berücksichtigung dieser Rufbereitschaft zu verständigen. Aus diesem
Zusammenhang wird deutlich, dass die Anstaltsleitung die Beurteilung und letztlich
auch das in diesem Zeitraum eingeleitete Disziplinarverfahren nicht zu dem Zweck
nutzen wollten, die Klägerin zur ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Dienstpflichten
anzuhalten, sondern um sie unter Druck zu setzen, damit sie weiterhin die Bereitschaft
zeigt, eine Rufbereitschaft zu den bisherigen Bedingungen fortzuführen. Auf der
anderen Seite war die Anstaltsleitung offensichtlich auch nicht bereit, eine zulässige
beamtenrechtliche Regelung hinsichtlich der Rufbereitschaft zu treffen, die hinsichtlich
Umfang und Anrechnung auf die Arbeitszeit verwaltungsgerichtlich überprüfbar
gewesen wäre. Das Disziplinarverfahren hat nach der gesetzgeberischen Intention
jedoch ausschließlich den Zweck, den Beamten zur Einhaltung seiner dienstlichen
Pflichten anzuhalten und nicht ihn unter Druck zu setzen, um sich mit seinem
Dienstvorgesetzten über die Ausgestaltung von Arbeitszeiten und Umfang
privatrechtlich zu einigen. Der Einschätzung des Gerichts über den Hintergrund des
Disziplinarverfahrens, die sich aus der Aktenlage ergab, ist der Beklagtenvertreter bei
den Erörterungen im Verhandlungstermin nicht entgegengetreten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 4 LDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Von der
Möglichkeit des § 74 Abs. 2 LDG hat das Gericht keinen Gebrauch gemacht. Die
Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 3 LDG NW
i.V.m. § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO analog.
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