Urteil des VG Münster vom 20.02.2007

VG Münster: serbien und montenegro, bundesamt für migration, politische verfolgung, kosovo, landrat, sicherheit, vertreter, asylverfahren, aufenthaltserlaubnis, unverzüglich

Verwaltungsgericht Münster, 6 K 1613/05.A
Datum:
20.02.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 1613/05.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen
dürfen die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerinnen sind am 2. Mai 2000 und am 28. Februar 2002 in der Bundesrepublik
Deutschland geboren. Ihre Eltern stammen aus dem Kosovo und betrieben erfolglos
Asylverfahren.
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Der Landrat des Kreises Steinfurt meldete die Klägerinnen mit Schreiben vom 16. März
2005 gemäß § 14 a AsylVfG dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(Bundesamt).
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Das Bundesamt lehnte den Asylantrag der Klägerinnen nach vorheriger Anhörung der
Mutter mit Bescheid vom 3. August 2005 als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest,
dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen und
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht bestehen. Zugleich forderte
es die Klägerinnen unter Androhung der Abschiebung nach Serbien und Montenegro
auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der
Entscheidung zu verlassen.
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Die Klägerinnen haben gegen den am 10. August 2005 als Einschreiben zur Post
aufgegebenen Bescheid am 18. August 2005 Klage erhoben und zugleich erfolgreich
um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht (Beschluss vom 19. August
2005 - 6 L 729/05. A -).
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Zur Begründung der Klage tragen sie vor: Sie seien Angehörige des Volkes der Roma.
Die Regelung in § 14 a Abs. 2 AsylVfG finde auf vor dem 1. Januar 2005 geborene
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Kinder von Asylbewerbern keine Anwendung. Die Regelung sei verfassungswidrig.
Die Klägerinnen beantragen,
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den Bescheid des Bundesamtes vom 3. August 2005 aufzuheben,
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hilfsweise sinngemäß
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die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 3. August 2005 zu
verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG
hinsichtlich Serbien (Kosovo) vorliegt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie führt aus, dass § 14 a AsylVfG Anwendung findet.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge
sowie auf die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig; insbesondere fehlt kein
beachtlicher Asylantrag der Klägerinnen. Zwar haben die gesetzlichen Vertreter der
Klägerinnen keinen Asylantrag im Sinne des § 13 AsylVfG gestellt. Die Stellung eines
Asylantrages wird jedoch nach § 14 a Abs. 2 S. 3 AsylVfG, der mit Verfassungsrecht im
Einklang steht und der auch auf vor dem 1. Januar 2005 geborene Kinder Anwendung
findet, fingiert.
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Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21. November 2006 - 1 C 10.06 -; OVG NRW, Urteil vom
11. August 2006 - 1 A 1437/06.A -.
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§ 14 a Abs. 2 AsylVfG verstößt insbesondere nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG. Zwar mag §
14 a Abs. 2 AsylVfG den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG begrenzen. Ein
rechtswidriger Eingriff ist hiermit jedoch nicht verbunden. § 14 a Abs. 2 AsylVfG liegt
innerhalb des dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich zukommenden
Gestaltungsspielraums für das Asylverfahren. Durch die Fiktion eines Asylantrages
werden die Betroffenen nicht zum bloßen Objekt eines - nicht gewollten -
Verwaltungsverfahrens gemacht, denn sie können, sofern sie keine politische
Verfolgung befürchten, die Durchführung des Asylverfahrens ohne weiteres durch eine
Verzichtserklärung abwenden. Die Folgen der Verzichtserklärung, so werden die
Betroffenen etwa wie Folgeantragsteller behandelt (vgl. § 71 Abs. 1 S. 2 AsylVfG), sind
vor dem Hintergrund des berechtigten Interesses des Gesetzgebers, verlängerte
Aufenthaltszeiten durch die Vermeidung sukzessiver Asylanträge einzelner
Familienmitglieder zu verhindern und des in asylrechtlicher Hinsicht nicht
schützenswerten Aufenthaltszwecks der Betroffenen verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
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Vgl. auch VG Münster, Urteil vom 12. Februar 2007 - 6 K 1810/05.A -.
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Die Voraussetzungen für den Eintritt der Antragsfiktion nach § 14 a Abs. 2 AsylVfG
liegen vor. Nach dieser Vorschrift ist es dem Bundesamt unverzüglich anzuzeigen,
wenn ein lediges, unter 16 Jahre altes Kind des Ausländers nach dessen
Asylantragstellung in das Bundesgebiet einreist oder hier geboren wird und wenn ein
Elternteil eine Aufenthaltsgestattung besitzt oder sich nach Abschluss seines
Asylverfahrens ohne Aufenthaltstitel oder mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs.
5 AufenthG im Bundesgebiet aufhält (Satz 1). Die Anzeigepflicht obliegt neben dem
Vertreter des Kindes im Sinne von § 12 Abs. 3 AsylVfG auch der Ausländerbehörde
(Satz 2). Eine solche Anzeige hat der Landrat des Kreises Steinfurt als für die
Klägerinnen zuständige Ausländerbehörde dem Bundesamt zugeleitet. Die Mutter der
Klägerinnen ist abgelehnte Asylbewerberin. Im Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige
über die Geburt der Klägerinnen beim Bundesamt war sie vollziehbar ausreisepflichtig,
ihr Aufenthalt war bzw. ist lediglich geduldet.
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Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes
ergeben sich auch nicht in der Sache selbst. Die Beurteilung des Asylbegehrens als
offensichtlich unbegründet lässt sich zwar nicht auf § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG stützen,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 2006 - 1 C 10.06 - ,
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sie ist jedoch nach Maßgabe des § 30 Abs. 1 AsylVfG gerechtfertigt. Das Gericht geht in
ständiger Rechtsprechung im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung davon
aus, dass Roma im Kosovo angesichts der generellen Schutzbereitschaft und -fähigkeit
von UNMIK und KFOR keiner Verfolgung durch die albanische Bevölkerungsmehrheit
ausgesetzt sind, die die Gewährung von Asyl oder Abschiebungsschutz gemäß § 60
Abs. 1 und 7 AufenthG rechtfertigen könnte.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Oktober 2005 - 5 A 3797/05.A -, vom 9. Januar
2006 - 14 A 863/05.A -, vom 21. Juni 2006 - 13 A 2314/06.A -, vom 24. August 2006 - 5 A
3067/05.A - und vom 30. Oktober 2006 - 5 A 3987/06.A -; VG Münster, Urteil vom 12.
Februar 2007 - 6 K 1330/05. A -.
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Die Klägerinnen haben diese Einschätzung im Klageverfahren nicht
entscheidungserheblich in Frage gestellt, sodass die Klage auch mit dem Hilfsantrag
keinen Erfolg hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf §
167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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