Urteil des VG Minden vom 15.04.2005

VG Minden: bundesamt für migration, anerkennung, ausländer, veranstaltung, rücknahme, leiter, ausnahme, gefahr, gerichtsakte, asylverfahren

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Minden, 8 K 1454/04.A
15.04.2005
Verwaltungsgericht Minden
8. Kammer
Urteil
8 K 1454/04.A
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
26.03.2004 wird insoweit aufgehoben, als dem Beigeladenen
Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG a.F. - jetzt § 60 Abs. 1
AufenthG - gewährt worden ist.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte und der Beigeladene
jeweils zur Hälfte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand:
Der Beigeladene ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste
bereits 1995 in das Bundesgebiet ein und beantragte anschließend bei dem Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (früher Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge) - Bundesamt - unter einem Aliasnamen seine Anerkennung als
Asylberechtigter. Zur Begründung trug er vor, er sei vor den Dorfschützern, den Soldaten
und der PKK weggelaufen. Er hätte seinen Wehrdienst ableisten sollen, was er nicht
gewollt habe. Er hätte auch Dorfschützer werden können, was er ebenfalls abgelehnt habe.
Dann habe noch die Möglichkeit bestanden, sich der PKK anzuschließen. Aber auch das
habe er nicht gewollt. Sicherheitskräfte hätten ihn und auch andere Dorfbewohner
festgenommen, weil man ihnen vorgeworfen habe, die PKK zu unterstützen.
Mit Bescheid vom 30.05.1996 lehnte das Bundesamt u.a. den Anerkennungsantrag des
Beigeladenen ab und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
a.F. noch die des § 53 AuslG a.F. vorliegen. Zugleich wurde der Beigeladene unter
Fristsetzung zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland aufgefordert und ihm für
den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung in die Türkei angedroht.
Die hiergegen gerichtete Klage wies das erkennende Gericht mit Urteil vom 13.11.1996 in
dem Verfahren 5 K 3077/96.A ab.
Am 28.08.1997 beantragte der Beigeladene nochmals bei dem Bundesamt seine
Anerkennung als Asylberechtigter und benannte als Zeugen für seine Verhaftungen einen
Cousin. Mit Bescheid vom 12.12.1997 lehnte das Bundesamt die Durchführung eines
weiteren Verfahrens ab.
Die hiergegen gerichtete Klage wies das erkennende Gericht mit Urteil vom 12.03.1998 in
dem Verfahren 5 K 165/98.A ab.
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Am 23.12.2003 beantragte der Beigeladene wiederum bei dem Bundesamt seine
Anerkennung als Asylberechtigter und wies darauf hin, er sei aktiv im Kurdischen
Friedenshaus Mesopotamien in C. . Am 22.06.2003 sei er zum Beisitzer in den Vorstand
gewählt worden. Er führe politische Schulungen für Jugendliche durch. Auch sei er
gegenüber dem Polizeipräsidium C. der verantwortliche Ansprechpartner für
Veranstaltungen.
Mit Bescheid vom 26.03.2004 lehnte daraufhin das Bundesamt den Antrag auf
Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte jedoch fest, dass die Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG a.F. hinsichtlich der Türkei vorliegen.
Daraufhin hat der Beigeladene fristgerecht am 13.04.2004 die vorliegende Klage erhoben
und darauf hingewiesen, dass es sich auch bei der Vorstandstätigkeit des Beigeladenen
um eine niedrig profilierte exilpolitische Tätigkeit handele, zumal der Vereinsvorstand im
Friedenshaus Mesopotamien in C. häufig wechsele. Im Übrigen könnten nach dem
Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes die exilpolitischen Betätigungen des Beigeladenen
schon deshalb nicht mehr zur Gewährung von Abschiebungsschutz führen, weil es sich
hierbei um selbstgeschaffene Nachfluchtgründe handele.
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes vom 26.03.2004 insoweit aufzuheben, als dem
Beigeladenen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG
a.F.) gewährt worden ist.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Der Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur weiteren Begründung verweist er auf ein Schreiben des Polizeipräsidiums C. vom
17.03.2004, in dem er als verantwortlicher Leiter einer Veranstaltung in C. unter dem Titel
"Protest gegen den Angriff in Qamishlo" benannt wird. Ferner legte er Auszüge der
Zeitschrift Özgür Politika vom 18.10.2004 und 19.10.2004 vor, in denen über den Kon-Kurd-
Kongress mit Bildern, auf denen er zu sehen ist, berichtet wird. Schließlich legte er noch
einen Vereinsregisterauszug des Amtsgerichts C. vom 25.10.2004 vor, aus dem ersichtlich
ist, dass der Beigeladene auch für das folgende Jahr noch in den Vorstand des Vereins
Kurdisches Friedenshaus Mesopotamien e.V. gewählt worden ist.
Als Vorstandsmitglied habe er auch im Februar 2005 an einer Veranstaltung in Hannover,
ausgerichtet durch die Yek Kom, teilgenommen, zu der Vorstandsmitglieder der jeweiligen
Vereine delegiert gewesen seien. Auch habe er zum Weltfrauentag am 08.03.2005 in Halle
eine Festhalle gemietet und sei bei dem Newrozfest 2005 in Essen als Ordner eingesetzt
gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug
genommen, außerdem auf die in der beigezogenen Generalakte enthaltenen Auskünfte
des Auswärtigen Amtes und anderer Stellen und Presseberichte, die einzusehen den
Beteiligten Gelegenheit geboten war.
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes vom 26.03.2004 ist, soweit darin dem Beigeladenen
Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG a.F. - seit dem 01.01.2005 § 60 Abs. 1
AufenthG - zuerkannt worden ist, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Gem. § 77 Abs. 1 AsylVfG hat das Gericht bei seinen Entscheidungen auf die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Insofern ist jetzt
§ 28 Abs. 2 AsylVfG zu berücksichtigen, der durch das Aufenthaltsgesetz mit Wirkung vom
01.01.2005 in das Asylverfahrensgesetz eingebracht worden ist. Nach dieser Vorschrift
kann in der Regel die Feststellung, dass dem Ausländer die in § 60 Abs. 1 AufenthG
bezeichneten Gefahren drohen, nicht mehr getroffen werden, wenn der Ausländer nach
Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen
Asylantrag stellt und sein Vorbringen auf Umstände i.S.d. § 28 Abs. 1 AsylVfG stützt, die
nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages entstanden
sind und im Übrigen die Voraussetzungen für die Durchführung eines Folgeverfahrens
vorliegen. Nach § 28 Abs. 1 AsylVfG wird ein Ausländer in der Regel nicht als
Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolung auf Umständen beruht,
die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es
sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar
betätigten Überzeugung.
Hiernach scheidet die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG für
den Beigeladenen aus. Denn seine exilpolitischen Aktivitäten hat er erst mit seinem
zweiten Folgeantrag vom 23.12.2003 vorgetragen. Am 22.06.2003 ist er erstmals in den
Vorstand des Kurdischen Friedenshauses Mesopotamien e.V. C. gewählt worden, also
nach Abschluss der beiden vorausgegangenen Asylverfahren. Auch als verantwortlicher
Leiter von Veranstaltungen ist er gegenüber dem Polizeipräsidium C. erst ab dem Jahre
2003 aufgetreten. Damit beruft er sich im Hinblick auf die Gefahr einer politischen
Verfolgung in der Türkei auf Umstände, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes und
nach Abschluss des ersten Asylverfahrens aus eigenem Entschluss geschaffen hat, also
auf Nachfluchttatbestände i.S.d. § 28 Abs. 1 AsylVfG. Eine Ausnahme von der Regel, dass
er wegen dieser Umstände weder als Asylberechtigter anerkannt werden kann noch gem. §
28 Abs. 2 AsylVfG i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG Abschiebungsschutz erhalten kann, ist
vorliegend nicht ersichtlich. Eine Ausnahme von dieser Regel liegt nach den gesetzlichen
Vorgaben nämlich nur dann vor, wenn der Entschluss zur Schaffung von
Nachfluchtgründen einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten
Überzeugung entspricht. Dies kann bei dem Beigeladenen nicht festgestellt werden. Denn
er ist nach seinen Angaben in der Türkei politisch nicht aktiv gewesen und nach seiner
Einlassung in der ersten mündlichen Verhandlung sowohl vor den Sicherheitskräften als
auch vor den Dorfschützern und der PKK geflohen. Für eine bereits in der Türkei erkennbar
betätigte prokurdische Überzeugung liegen deshalb keinerlei Anhaltspunkte vor.
Der dem Beigeladenen von der Beklagten noch nach dem alten Recht zugebilligte
Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG a.F. kann deshalb nach Inkrafttreten des § 28
Abs. 2 AsylVfG keinen Bestand mehr haben.
Der Klage war deshalb mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 VwGO und § 83 b
AsylVfG stattzugeben.