Urteil des VG Minden vom 17.03.2010

VG Minden (beurteilung, antragsteller, leistung, auswahl, bewertung, anordnung, antrag, berichtigung, unrichtigkeit, verwaltungsgericht)

Verwaltungsgericht Minden, 4 L 111/10
Datum:
17.03.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 L 111/10
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
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Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die dem M. als
L. N. -M1. für März 2010 zugewiesene Stelle der Besoldungsgruppe A 11 BBesO nicht
mit einem Mitbewerber zu besetzen, bevor nicht über die Bewerbung des Antragstellers
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist,
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ist zulässig, aber nicht begründet.
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Nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO kann eine einstweilige
Anordnung ergehen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein Anspruch auf
eine bestimmte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dieser Anspruch gefährdet
ist und durch vorläufige Maßnahmen gesichert werden muss (Anordnungsgrund).
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Ein Anordnungsgrund besteht im Hinblick auf die bereits getroffene Auswahl unter den
Bewerbern, nach der es dem Antragsteller zumindest wesentlich erschwert würde, seine
behaupteten Rechte geltend zu machen.
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Der Antragsteller hat jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
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Nach dem geltenden Dienstrecht hat ein Beamter keinen Rechtsanspruch auf die
Übertragung eines bestimmten Amtes. Der Dienstherr hat allerdings nach §§ 9,8 Abs. 1
BeamtStG, 15 Abs. 1 und 3 LBG Beförderungen auf Grund einer Auslese der Bewerber
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nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen. Dieses Gebot
(Leistungsgrundsatz) dient nicht nur dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen
Besetzung der Beamtenstellen, sondern auch den berechtigten Interessen der Beamten,
im Rahmen der dienstlichen, beamten- und haushaltsrechtlichen Möglichkeiten
angemessen beruflich aufzusteigen. Der Beamte hat einen Anspruch darauf, dass der
Dienstherr über seine Bewerbung eine am Leistungsgrundsatz ausgerichtete
ermessensfehlerfreie Entscheidung trifft. Dieser Anspruch kann gegebenenfalls durch
eine einstweilige Anordnung gesichert werden.
Ist die Auswahl unter den Bewerbern nach Leistungsgrundsätzen erfolgt, so setzt der
Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung des oben beschriebenen Rechts
die Feststellung voraus, dass eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung zu
Gunsten des Antragstellers nicht ausgeschlossen ist.
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Dies hat der Antragsteller vorliegend jedoch nicht glaubhaft gemacht.
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Maßgebend für die zu treffende Auswahlentscheidung sind zunächst die aktuellen
dienstlichen Beurteilungen der Bewerber, denn die dienstlichen Beurteilungen dienen
vornehmlich dem Zweck, Grundlage für die am Leistungsgrundsatz orientierte
Entscheidung über die Verwendung der Beamten, insbesondere auf
Beförderungsdienstposten, zu sein.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.1980 - 2 C 13.79 -, ZBR 1981, 197.
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Entscheidend für die Auswahl sind dabei vor allem die Gesamturteile der dienstlichen
Beurteilungen, die anhand ihrer weiteren textlichen Bestandteile allerdings auch so
genannte Binnendifferenzierungen zulassen. Es kommt hinzu, dass der
Dienstvorgesetzte bei seiner Auswahlentscheidung nicht nur befugt, sondern sogar
verpflichtet ist, Einzelaussagen aus den Beurteilungen (außerhalb der Gesamturteile) -
seien sie positiver oder negativer Art - heranzuziehen und sie für die Beantwortung der
Frage, wem nach dem Grundsatz der Bestenauslese der Vorzug zu geben sei, zu
verwerten.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.02.2004 - 6 B 2451/03 -.
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Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich dann darauf, ob der Dienstvorgesetzte in
diesem Zusammenhang den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in
dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob er von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder
sachfremde Erwägungen angestellt hat.
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Die Beurteilungsrichtlinien im Bereich der Polizei (BRL) schließen eine inhaltliche
Auswertung von Beurteilungen nicht aus. Auch im Anwendungsbereich dieser
Beurteilungsrichtlinien ermöglichen in erster Linie die Gesamturteile eine vergleichende
Betrachtung. Bei gleich lautenden Gesamturteilen kann wegen der Schematisierung des
Beurteilungssystems aber auch die Bewertung vor allem der Hauptmerkmale
aussagekräftig sein. Dabei geht es nicht um beschreibende Einzelaussagen, die
angesichts der Verwendung eines standardisierten "Beschreibungskatalogs" in den
Hintergrund treten können, sondern um in Notenstufen ausgedrückte Bewertungen, die
als solche bei vergleichender Betrachtung eine unmittelbare Reihung ermöglichen
können.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.02.2004 - 6 B 2451/03 -.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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- vgl. Urteil vom 27.02.2003 - 2 C 16.02 -, NVwZ 2003, 1397 -
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kann neben den aktuellen Beurteilungen auch die zusätzliche Berücksichtigung
vorangegangener dienstlicher Beurteilungen bei einer Auswahlentscheidung geboten
sein, wenn eine Stichentscheidung unter mehreren aktuell im Wesentlichen gleich
beurteilten Beamten zu treffen ist. Auch ältere dienstliche Beurteilungen können nämlich
Rückschlüsse und Prognosen über die zukünftige Bewährung auf einer höher
bewerteten Stelle ermöglichen. Sie können im Rahmen einer Gesamtwürdigung der
vorhandenen dienstlichen Beurteilungen positive oder negative Entwicklungstendenzen
aufzeigen. Dies gilt auch für in früheren Beurteilungen enthaltene Aussagen über
Charaktereigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten, Verwendungen und Leistungen.
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Ergibt sich nach Auswertung aktueller und gegebenenfalls älterer dienstlicher
Beurteilungen eine vergleichbare Qualifikation von Bewerbern, so ist der Dienstherr in
den Grenzen des Willkürverbots und des Leistungsprinzips darin frei, welchen
zusätzlichen Gesichtspunkten er bei der Auswahl größere Bedeutung beimisst. Dabei
ist er nicht an eine starre Reihenfolge der rechtlich bedenkenfrei in Betracht kommenden
Hilfskriterien wie z. B. Beförderungsdienstalter, Dienstalter und Lebensalter gebunden.
Es ist grundsätzlich ihm überlassen, welche sachlichen Hilfskriterien er bei seiner
Ermessensentscheidung heranzieht und wie er die Hilfskriterien zueinander gewichtet,
sofern nur das Prinzip der Bestenauslese beachtet wird.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.08.1988 - 2 C 51.86 -, NJW 1989, 538; OVG NRW,
Beschlüsse vom 11.11.1998 - 12 B 2101/98 - und vom 10.11.1999 - 6 B 595/99 -.
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Hiernach hat der Antragsgegner bei seiner Auswahlentscheidung zu Recht dem
Beigeladenen den Vorzug gegenüber dem Antragsteller gegeben.
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Bereits bei Zugrundelegung der Ergebnisse der aktuellen dienstlichen Beurteilungen
weist der Beigeladene im Verhältnis zum Antragsteller einen deutlichen
Qualifikationsvorsprung auf: Während der Antragsteller bei seiner letzten dienstlichen
Beurteilung für den Zeitraum vom 01.10.2005 bis zum 31.07.2008 ein Gesamturteil von
3 Punkten und Bewertungen aller Hauptmerkmale mit 3 Punkten erzielt hat, hat der
Beigeladene bei seiner dienstlichen Beurteilung für denselben Zeitraum ein
Gesamturteil von 3 Punkten und Bewertungen der Hauptmerkmale mit 3, 3 und 4
Punkten erhalten, womit er dem Antragsteller unter Leistungsgesichtspunkten vorgeht.
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Zwar hat der Antragsteller gegen seine aktuelle dienstliche Beurteilung beim
erkennenden Gericht Klage erhoben (4 K 3595/08). Es ist jedoch nicht anzunehmen,
dass die Einwendungen des Antragstellers gegen die genannte Beurteilung dazu führen
werden, dass sie aufgehoben und der Antragsgegner zur erneuten dienstlichen
Beurteilung des Antragstellers verpflichtet werden wird.
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Das Vorbringen des Antragstellers, das vom Endbeurteiler am 25.10.2007 festgesetzte
Beurteilungsergebnis sei am 01.11.2008 in unzulässiger Weise von 4 auf 3 Punkte
herabgesetzt worden, geht fehl.
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Aus den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners geht eindeutig hervor, dass zu
keinem Zeitpunkt beabsichtigt war, die Leistung und Befähigung des Antragstellers im
Rahmen der letzten dienstlichen Beurteilung mit 4 Punkten zu bewerten: Der
Erstbeurteiler hatte im Falle des Antragstellers eine Bewertung der Hauptmerkmale mit
jeweils 3 Punkten für angemessen gehalten und demgemäß einen
Beurteilungsvorschlag mit 3 Punkten erstellt. Der Endbeurteiler änderte die
Bewertungen des Erstbeurteilers bezüglich der Hauptmerkmale nicht ab, sodass als
Beurteilungsergebnis allein eine Bewertung mit 3 Punkten in Frage kam. Dennoch
findet sich in der Beurteilung des Antragstellers vom 25.10.2007 unter
"Beurteilungsergebnis" der Satz: "Die Leistung und Befähigung des POK E. I.
übertreffen die Anforderungen". Dieser Satz ist unter Berücksichtigung aller Umstände
erkennbar versehentlich in die Beurteilung geraten; gewollt war ein
Beurteilungsergebnis von 3 Punkten, wie im Übrigen auch daraus deutlich wird, dass
der Endbeurteiler keine Begründung für eine vom Beurteilungsvorschlag des
Erstbeurteilers etwa abweichende Beurteilung der Leistung und Befähigung des
Antragstellers in die dienstliche Beurteilung aufgenommen hat.
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Somit handelte es sich bei der Formulierung des Beurteilungsergebnisses in der
dienstlichen Beurteilung des Antragstellers um eine offensichtliche Unrichtigkeit. Ist ein
Verwaltungsakt oder eine andere öffentlich-rechtliche Handlung der Verwaltung mit
einer offensichtlichen Unrichtigkeit behaftet, so kann diese Unrichtigkeit von der
Behörde, deren Handlung den Fehler aufweist, jederzeit zum Anlass für eine
Berichtigung genommen werden. Für den Fall, dass es sich um einen Verwaltungsakt
handelt, ergibt sich die Befugnis zur Berichtigung aus der ausdrücklichen Regelung des
§ 42 VwVfG, in sonstigen Fällen aus dem allgemeinen Rechtsgedanken, dessen
Ausdruck die genannte Vorschrift sowie entsprechende Vorschriften in den im
gerichtlichen Verfahren anzuwendenden verschiedenen Prozessordnungen sind.
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Vgl. Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 10. Auflage, § 42
Randnummern 1, 3 und 4 m. w. N.
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Demgemäß war der Endbeurteiler im vorliegenden Falle berechtigt, die in der aktuellen
dienstlichen Beurteilung des Antragstellers enthaltene Formulierung des
Beurteilungsergebnisses im Wege der Berichtigung durch die - von Anfang an gewollte -
Formulierung "Die Leistung und Befähigung des POK E. I. entsprechen voll den
Anforderungen" zu ersetzen.
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Der Vortrag des Antragstellers, der Antragsgegner habe den Beurteilungsmaßstab
verkannt, weil bei der L. N. -M1. im Oktober 2008 keiner der der Vergleichsgruppe der
Beamten der Besoldungsgruppe A 10 BBesO zugehörigen Beamten ein
Beurteilungsergebnis von 5 Punkten erhalten habe, rechtfertigt keine andere
Entscheidung des Gerichts.
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Die in Nr. 8.2.2 BRL festgelegten Richtsätze geben lediglich Anhaltspunkte für eine
auch im Quervergleich innerhalb der Vergleichsgruppe möglichst gerechte Bewertung
der von den Beurteilten erbrachten Leistungen. Gemäß den Erläuterungen zu Nr. 8.2.2
BRL kann sich im Einzelfall ergeben, dass innerhalb einer Vergleichsgruppe unter den
leistungsstärksten Mitarbeitern nicht weiter differenziert werden kann. In solch einem
Falle könne es geboten sein, bis zu 30 v.H. der Mitarbeiter, die die Anforderungen
übertroffen hätten, mit einem Gesamtergebnis von 4 Punkten zu bewerten und keine
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Beurteilung im Fünfpunktebereich vorzunehmen, um zu einem gerechten Ergebnis zu
kommen.
Derartige Voraussetzungen sind bei der L. N. -M1. hinsichtlich der Vergleichsgruppe der
Beamten der Besoldungsgruppe A 10 BBesO im Oktober 2008 angenommen worden,
wie in der Antragserwiderung vom 04.03.2010 ausgeführt wurde. Dass und
gegebenenfalls aus welchem Grunde diese Einschätzung unzutreffend gewesen sein
sollte, hat der Antragsteller nicht dargelegt. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass und in
welcher Weise es sich auf die dienstliche Beurteilung des Antragstellers negativ
ausgewirkt haben kann, dass bei der L. N. -M1. im Oktober 2008 keine Beurteilungen
mit einem Beurteilungsergebnis von 5 Punkten vergeben wurden. Betroffen von jener
Verfahrensweise dürften allenfalls diejenigen Beamten gewesen sein, die seinerzeit zu
den qualifiziertesten Beamten der Vergleichsgruppe gehörten und folglich unter
Umständen die Beurteilung mit der Spitzennote erwarten konnten.
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Der Antrag war demgemäß mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO
abzulehnen.
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Die Kammer hat die Kosten des Beigeladenen für nicht erstattungsfähig angesehen.
Das entspricht der Billigkeit, weil der Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt und
sich somit dem Risiko der Auferlegung von Kosten gem. § 154 Abs. 3 VwGO nicht
ausgesetzt hat.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und
berücksichtigt die Vorläufigkeit des Verfahrens.
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