Urteil des VG Minden vom 03.03.2004

VG Minden: anwohner, verordnung, höchstgeschwindigkeit, lärmschutz, körperliche unversehrtheit, zukünftige nutzung, fahrstreifen, widmung, stadt, ermessen

Verwaltungsgericht Minden, 3 K 3166/01
Datum:
03.03.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 3166/01
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des
Verfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages
abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit
in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die Klägerin wohnt seit 1964 im Erdgeschoss des Wohnhauses E. Straße 120 a, das
zwischen der Einmündung der N. straße und der E. straße in die E. Straße gelegen ist.
Die Wohnung ist mit Thermopenfenstern ausgestattet. Das Grundstück, auf dem sich
das Wohnhaus befindet, liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. III/4/11.01
der Stadt C. , der für den fraglichen Bereich ein Mischgebiet festsetzt. Bei der E. Straße
handelt es sich um die Bundesstraße C. 7, die im Flächennutzungsplan als
Hauptverkehrsstraße ausgewiesen und in beide Fahrtrichtungen mit je zwei Fahrstreifen
ausgebaut ist. Auf den inneren Fahrstreifen sind Schienen verlegt, auf denen
regelmäßig Straßenbahnen verkehren.
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Unter dem 22. März 2001 stellten die Klägerin und ihr Ehemann bei dem Beklagten den
Antrag, gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Straßenverkehrsordnung (StVO) geeignete
Maßnahmen zur Reduzierung der verkehrsbedingten Lärm- und Luftschadstoffbelastung
zu ergreifen: Vorliegend bestehe der Verdacht, dass der Kraftfahrzeugverkehr auf der E.
Straße einen Lärmpegel sowie eine Schadstoffbelastung in der Außenluft verursache,
der ihre Gesundheit gefährden könne. Dies gelte vor allem für die dabei erzeugten
Schadstoffe wie Stickoxide, Kohlenmonoxid, Benzol, Dieselruß und Ozon.
Verkehrslenkende beziehungsweise verkehrsbeschränkende Maßnahmen seien
geeignet, diese Lärm- und Luftschadstoffbelastung zu verringern.
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Mit Bescheid vom 30. Januar 2002 lehnte der Beklagte den Antrag ab: Sein
pflichtgemäßes Ermessen übe er dahingehend aus, dass er unter Berücksichtigung der
Belange der Anwohner und der Interessen des Straßenverkehrs, der
Verkehrsteilnehmer insgesamt sowie des öffentlichen Personennahverkehrs keine
verkehrsrechtlichen Regelungen nach § 45 Abs. 1 StVO zur Reduzierung der Lärm- und
Luftschadstoffbelastung anordne. Die E. Straße sei im Flächennutzungsplan als Straße
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erster und zweiter Ordnung (überörtliche und örtliche Hauptverkehrsstraße)
ausgewiesen. Entsprechend hoch sei die Verkehrsbelastung dort, die durch die
Stadtbahn in Mittellage (ohne eigenen Gleiskörper) noch erhöht werde. Es sei daher
durchaus nachvollziehbar, dass eine solche Verkehrsbelastung zu erheblichen
Immissionen führen könne. Von Oktober 1998 bis Oktober 1999 seien an der E. Straße
verkehrsbedingte Luftschadstoffe gemessen worden. Dabei habe sich herausgestellt,
dass diese die Grenzwerte der 23. Verordnung zur Durchführung des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes nicht überschritten. Für die Lärmimmission lägen keine
konkreten Messergebnisse vor, es gebe aber Anhaltswerte aus einer überschlägigen
Immissionsanalyse (Stichtag der Datenerfassung: 1. Juli 1994). Nach denen betrage der
Immissionspegel für das Teilstück Landgericht bis T. -Endstation rund 75 dB(A) tags und
68 dB(A) nachts. Eine relevante Verringerung dieser Lärmbelastung könne nicht allein
durch eine Reduzierung der Geschwindigkeit auf 30 km/h erreicht werden, da erst eine
Reduzierung der Verkehrsmenge um die Hälfte eine spürbare/hörbare
Lärmpegelminderung von 3 dB(A) hervorrufe. Außerdem liefe eine
Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h den Interessen des öffentlichen
Personennahverkehrs zuwider, denn die Stadtbahn müsste sich, selbst wenn die
reduzierte Höchstgeschwindigkeit nur für den motorisierten Individualverkehr gelten
sollte, an dessen Geschwindigkeit orientieren. Darüber hinaus scheide eine nur
einspurige Verkehrsführung aus, weil auch dies zu einer erheblichen Verdrängung und
Verlagerung des Verkehrsaufkommens in die Nachbarwohngebiete der E. Straße führte.
Ohnehin seien im näheren Umfeld der E. Straße keine geeigneten Ausweichstrecken
vorhanden. Insbesondere der P. Straße und der ×. straße, die überwiegend nur
einspurig in jeder Richtung befahrbar seien, fehle es an Kapazitäten, um größere
Verkehrsmengen von der E. Straße aufzunehmen. Auch die Straßen oberhalb der E.
Straße, in denen Tempo 30-Zonen herrschten, eigneten sich auf Grund der
Fahrbahnbreite, des Parkdrucks und der teilweise unübersichtlichen Straßenführung
nicht für die Aufnahme größerer Verkehrsmengen. Schon heute beschwerten sich die
Anwohner dieser Gebiete über die zunehmende Verkehrsbelastung in den
Hauptverkehrszeiten, wenn Kraftfahrer versuchten, die E. Straße über diese
Wohngebiete zu umgehen. Des Weiteren dürfe auch die Verkehrsfunktion der E. Straße
nicht außer Acht gelassen werden, die im Flächennutzungsplan als
Hauptverkehrsstraße ausgewiesen sei und den Verkehr flüssig abwickeln solle. Weitere
verkehrsbeschränkende oder -regelnde Anordnungen widersprächen daher den
Darstellungen des Flächennutzungsplans, weil die Leichtigkeit des Verkehrs nicht mehr
gewährleistet wäre. Eine Verlagerung und Verdrängung des Fahrverkehrs von einer an
sich geeigneten und in ihrer Verkehrsbedeutung gewachsenen Straße auf andere
Straßen mit untergeordneter Bedeutung sei deshalb weder vertretbar noch durchführbar.
Eine Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h, eine
Fahrstreifenreduzierung oder eine Beschränkung der Verkehrsarten schieden somit aus.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2002 erhoben die Klägerin sowie ihr Ehemann
hiergegen Widerspruch.
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Bereits am 14. Dezember 2001 haben die Klägerin sowie ihr am 28. Juli 2002
verstorbener Ehemann Klage erhoben: Den Beklagten treffe unter anderem gemäß § 45
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO die Verpflichtung, den Verkehr zu beschränken, zu verbieten
oder umzuleiten, wenn der Wohnbevölkerung Gefahren durch Lärm oder Abgase
drohten. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Vor ihrem Wohnhaus befinde
sich eine Straßenbahnhaltestelle sowie eine Fußgängerampel. Sämtliche Räume ihrer
Wohnung, auch das seitlich gelegene Wohn- und Schlafzimmer, seien einer
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erheblichen Lärmbelastung ausgesetzt, da sich in den beiden Gassen links und rechts
neben dem Haus Schalltrichter bildeten. Bei gekipptem Fenster sei ein Gespräch oder
Fernsehen nicht möglich. Auch bei geschlossenem Fenster seien die
Lärmeinwirkungen noch so gravierend, dass die zur Straße gelegenen Räume bereits
nicht mehr oder nur als Abstellräume genutzt werden könnten. Nach hinten lägen das
Bad und auch die Küche, so dass eine Nutzung als Schlafraum ausscheide. Sie leide
unter einer Taubheit rechts und einer Schallempfindungsschwerhörigkeit links. Laut
Attest des Hals-Nasen-Ohren-Arztes Dr. med. N. X. vom 8. März 2002 solle eine
chronische Lärmeinwirkung bei ihr vermieden werden. Es könne auch nicht
ausgeschlossen werden, dass gerade die Lärm- und Abgasbelastung an der E. Straße
zu der Krebserkrankung ihres Ehemannes und zu der Verschlechterung seines
Gesundheitszustandes beigetragen habe. Lärm ab einem Dauerschallpegel von 65
dB(A) tags und 55 - 60 dB(A) nachts werde nämlich als gesundheitsschädigend
beziehungsweise gesundheitsgefährdend eingestuft. Nach einer Antwort der
Bezirksvertretung Mitte zur Frage der Lärmbelastung der E. Straße vom 19. Oktober
2000 sei dort ohne Berücksichtigung der Lärmimmission durch die Straßenbahn von
einem Lärmpegel von 78 - 80 dB(A) tags und 72 - 74 dB(A) nachts auszugehen. Diese
Werte lägen deutlich über den im Bescheid des Beklagten vom 30. Januar 2002
angeführten Werten von 75 dB(A) tags und 68 dB(A) nachts. Aber selbst letztere
überschritten die in der 16. Verordnung zur Durchführung des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes enthaltenen Grenzwerte noch erheblich.
Der Beklagte habe von dem ihm eingeräumten Ermessen nicht rechtsfehlerfrei
Gebrauch gemacht. Im Rahmen der Ermessenserwägungen sei die Pflicht zur
Einleitung verkehrsbeschränkender Maßnahmen seitens der Straßenverkehrsbehörde
umso höher anzusetzen, je größer die Gesundheitsgefährdung eingestuft werde. Eine
Gesundheitsgefährdung sei in jedem Fall in dem nunmehr bei schalltechnischen
Untersuchungen festgestellten Lärmpegel von 77 dB(A) tags und 70 dB(A) nachts zu
sehen. Vorliegend habe der Beklagte den Grad der hierdurch für die Anwohner
gegebenen Gesundheitsgefährdung nicht festgestellt. Auch habe er mit Blick auf die
Belastung durch inhalierbaren Feinstaub (PM 10) seine Messverpflichtung aus der 22.
Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes umgangen.
Ebenso wenig habe er Auskünfte zur Körperschallproblematik eingeholt. Das von der
BürgerInneninitiative Sichere E. Straße e.V. in Auftrag gegebene und im März 2003
erstellte Gutachten des Dr.-Ing. K. C. habe durch eine Analyse der allgemeinen
Verkehrsentwicklung in C. sowie eine Prüfung der Verkehrssituation vor Ort ergeben,
dass mit verkehrsbeschränkenden Maßnahmen nach § 45 StVO erhebliche
immissionsmindernde Wirkungen für die Anwohner erzielt werden könnten. Überdies
sei die Lärmbelastung an der E. Straße so gravierend, dass hier schon eine
Pegelminderung von 2 bis 3 dB(A) wahrnehmbar und damit relevant sei. Der Beklagte
könne sich bei seiner ablehnenden Entscheidung auch nicht auf die negative
Stellungnahme des Polizeipräsidiums C. berufen, da diese insbesondere nicht in der
erforderlichen Weise auf die Möglichkeit einer Geschwindigkeitsreduzierung auf 30
km/h ohne Fahrstreifenreduzierung, aber mit gleichzeitiger Anpassung der
Lichtsignalschaltungen eingehe. Gerade Letzteres führte aber, weil die Fahrzeuge sich
auf die weit sichtbaren Ampelgrünschaltungen einstellen könnten, dazu, dass eine
Geschwindigkeitskontrolle nur in der Anfangszeit und später allenfalls noch
stichprobenartig erforderlich wäre. Dass die Einführung einer
Geschwindigkeitsbegrenzung auf der E. Straße auf 30 km/h möglich sei, belege zudem
ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1993, wonach in der Zeit von November 1992 bis Mai
1993 bei Nässe für Kraftfahrer Tempo 30 km/h angeordnet worden, von
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Verkehrsbehinderungen jedoch nichts berichtet worden sei. Darüber hinaus sei die
durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke (DTV) auf der E. Straße seit Jahren rückläufig,
was gegen einen Ausbau der E. Straße zu einer leistungsfähigeren und lauteren Straße
spreche. Durch den geplanten Ausbau der C. 7. würde sich die Situation im Übrigen
nicht verbessern, da hierdurch noch mehr Verkehr angezogen würde. Es bedürfe
deshalb keines Ausbaus, sondern eines Rückbaus der Straße. Darüber hinaus sei der
Umbau aus Kostengründen auf das Jahr 2006 verschoben worden, so dass -
unabhängig von der Frage, ob dieser eine gesundheitsrelevante Verbesserung mit sich
bringe - der Beklagte die Anwohner der Straße nicht weitere Jahre in einer
gesundheitsgefährdenden Situation belassen dürfe. In der mündlichen Verhandlung hat
die Klägerin zusätzlich angeführt: Der Einbau von Lärmschutzfenstern komme nicht in
Betracht, da diese nicht in der Lage seien, Abgase und Feinstäube fern zu halten. Es
ergebe sich dadurch zusätzlich das Problem der Lüftung. Ferner befinde sich auf der
jeweils linken Spur der E. Straße Kopfsteinpflaster. Das Nichtüberfahren dieses
Kopfsteinpflasters minderte die Lärmbelästigung um bis zu 5 dB(A) . Des Weiteren
sollten sich die von ihr vorgeschlagenen Linksabbiegerspuren in Übereinstimmung mit
dem Gutachten des Dr.-Ing. C. im Bereich der Straßenbahngleise befinden. Die Klägerin
beantragt,
ihren Antrag vom 22. März 2001 auf verkehrsbeschränkende Maßnahmen unter
Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 30. Januar 2002 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, wobei zu prüfen ist, ob auf der E.
Straße zwischen O. wall und P. -C. - Straße die Straßenbahntrasse und die Kfz-
Fahrspur durch Fahrbahnmarkierungen zu trennen und die gepflasterte Gleistrasse für
den durchfahrenden Kfz-Verkehr zu sperren ist mit Ausnahme von Knotenpunkten, an
denen die bestehenden Linksabbiegerspuren für Kfz bestehen bleiben und der
Straßenbahnverkehr für Lichtsignalschaltungsbevorrechtigungen dynamisch vom Kfz-
Verkehr getrennt wird bzw. ein Lkw-Durchfahrverbot mit Ausnahme des
Anliegerverkehrs ganztags bzw. nachts auf dem Abschnitt der E. Straße zwischen O.
wall und P. -C. -Straße anzuordnen ist bzw. Tempo 30 ganztags bzw. nachts auf dem
Abschnitt der E. Straße zwischen O. wall und P. -C. -Straße unter gleichzeitiger
Anpassung der Lichtsignalschaltungen (grüne Welle) anzuordnen ist, und die
Stellungnahme des Gesundheitsamtes C. zu den Gesundheitsgefahren der Klägerin an
der E. Straße einzuholen ist;
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hilfsweise ihren Antrag vom 22. März 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts neu zu bescheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er vertieft sein früheres Vorbringen und trägt ergänzend vor: Die schalltechnische
Untersuchung des Planungsbüros für Lärmschutz B. Sitz N. GmbH von Juli 2002 - bei
dieser sei festgestellt worden, dass für das Haus E. Straße 120 a (EG) ein Wert von 77
dB(A) tagsüber und 70 dB(A) nachts erreicht werde - gelange zu dem Ergebnis, dass
vorliegend allein durch eine Reduzierung der Geschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h
keine Mindestpegelregulierung von 3 dB(A) , sondern lediglich eine Verringerung der
Lärmbelastung von 2, 7 dB(A) erreicht werden könne und die Lärmbelastung weiterhin
die Grenzwerte überschreite. Des Weiteren habe er mit Blick auf die von der Klägerin im
Rahmen des Klageverfahrens präzisierten Maßnahmen nochmals die entsprechenden
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Fachdienststellen und das Polizeipräsidium C. beteiligt. Auch diese seien wiederum zu
dem Ergebnis gelangt, dass eine Geschwindigkeitsreduzierung von 50 km/h auf 30 km/h
nicht in Betracht komme. Gegenwärtig könne der gesamte Verkehr auf der E. Straße
zweispurig in beide Richtungen abfließen. Verliefe der Straßenbahnverkehr gesondert,
bedeutete dies eine gleichzeitige Reduzierung der Fahrstreifen. Bei dem gegenwärtigen
Ausbauzustand und der vorhandenen Verkehrsbelastung auf der E. Straße hätte dies
erhebliche Verkehrsprobleme und Verkehrssicherheitsprobleme und damit verbunden
die weitere Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Straße zur Folge. Der zu
erwartende Rückstau im Einfädelungsbereich und an den Knotenpunkten würde durch
Abbremsvorgänge sogar zu einer Erhöhung und nicht etwa zu einer Verringerung der
Lärmbelastung beitragen. Eine dauerhafte Sicherstellung der Temporeduzierung auf 30
km/h sei zudem nach Auffassung des Polizeipräsidenten nicht umsetzbar. Darüber
hinaus seien bauliche Umstrukturierungen der E. Straße, insbesondere die
Asphaltierung des Kopfsteinpflasters, im Zuge des geplanten Umbaus beabsichtigt.
Weiter sei zu berücksichtigen, dass ein Durchfahrverbot für LKW sowie eine
Reduzierung des gesamten anderen Verkehrs auf der E. Straße deshalb nicht
praktikabel sei, da es keine geeigneten Ausweichstrecken gebe. Auch dürfe die
Verkehrsfunktion der E. Straße als Bundes- und Hauptverkehrsstraße, die zur Aufnahme
des überörtlichen Verkehrs bestimmt sei, nicht außer Betracht bleiben. In der
Gesamtabwägung der Interessen der Anwohner der E. Straße und der Öffentlichkeit
unter Berücksichtigung des nahen Wohnumfeldes, der Auslastung benachbarter
Straßen sowie des Widmungszwecks komme er daher nach wie vor zu dem Ergebnis,
dass sowohl die Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h als
auch eine Fahrstreifenreduzierung sowie eine Beschränkung der Verkehrsarten nicht
angemessen sei. Im Rahmen des Umbaus der E. Straße würden für die Anwohner
vielmehr passive Lärmschutzmaßnahmen ergriffen. In der mündlichen Verhandlung
haben die Vertreter des Beklagten ergänzend vorgetragen: Im Jahre 1993 habe es
bereits ein Lärmschutzfensterprogramm für die Anwohner der E. Straße gegeben.
Damals seien die Bewohner anspruchsberechtigt gewesen, deren Häuser vor dem Jahr
1974 errichtet worden seien und sich in der ersten Baureihe befunden hätten. Der
Eigentümer des Hauses, in dem die Klägerin wohne, sei im Hinblick auf dieses
Lärmschutzfensterprogramm angeschrieben worden, habe damals aber kein Interesse
daran bekundet. Ferner sei bei Zählungen festgestellt worden, dass die rechte Spur der
E. Straße von 70 % der Fahrzeuge, die linke innere Spur von 30 % der Fahrzeuge
genutzt werde. Die jeweils linke Spur sei besser zu befahren als die rechte Spur,
nachdem der ursprüngliche Belag aus Kupferschlackestein in der Zeit von November
1992 bis Mai 1993 durch Betonstein ersetzt worden sei. Da der Kupferschlackestein bei
Nässe rutschig gewesen sei, habe es bis zum Abschluss der Straßenbauarbeiten
zeitweilig eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bei Nässe von 50
auf 30 km/h gegeben. Es habe zwar keine Messungen dazu gegeben, dass die inneren
Fahrstreifen wegen des dort vorhandenen Belages leiser seien, dies sei jedoch
Äußerungen von Anliegern zu entnehmen, wonach in erster Linie Lärmereignisse in der
Nacht als störend empfunden würden, die durch das Überfahren der auf der rechten
Fahrbahnseite vorhandenen Querrillen durch Lastkraftwagen hervorgerufen würden.
Der Zustand des Fahrbahnbelages müsse bei der Berechnung des entstehenden
Verkehrslärms allerdings außer Betracht bleiben. Würde dieser zusätzlich
berücksichtigt, käme man zu dem Ergebnis, dass eine Verlagerung des
Kraftfahrzeugverkehrs von der linken auf die rechte Spur sogar zu einer Verstärkung des
Verkehrslärms führte. Da Linksabbiegespuren eine bestimmte Länge aufweisen
müssten, würde das Befahren des Gleiskörpers im Hinblick auf die Linksabbieger in
weiten Bereichen auch nicht beschränkt werden können. Des Weiteren bestehe auf der
E. Straße Knotenpunkt U. Straße eine Belastung von 28.000 bis 29.000 PKW-Einheiten.
Allein schon die Verdrängung des Verkehrs auf der E. Straße in einer Größenordnung
von 30 %, d.h. von etwa 10.000 Fahrzeugen, würde den Neubau einer Straße in der
Größenordnung der ×. straße erfordern. Letztere weise zwar lediglich 15.000 Pkw-
Einheiten auf, verfüge jedoch über keine Kapazitätsreserven. Auch die anderen
Straßen, die nach Auffassung der Klägerin als Ausweichstrecken in Betracht kämen,
seien insbesondere in den Morgen- und Nachmittagsstunden schon bis an die Grenze
ihrer Kapazität ausgelastet. Mit den bereits beschlossenen, derzeit aber noch nicht
angebrachten Hinweisen an der Autobahnabfahrt C. -Mitte für den
Lastkraftwagenverkehr auf den P. ring könne man nur die Lastkraftwagen erreichen, die
diese Ausfahrt benutzten, nicht aber diejenigen, die von Westen über die P. straße
Richtung E. Straße führen. Ein Hinweis an der Autobahnabfahrt C. -T. auf C. -Zentrum
sei nicht möglich, weil schon die Ausfahrt C. -Zentrum bestehe. Einer solchen
Kennzeichnung würde sich der Straßenbaulastträger widersetzen. Überdies befänden
sich im Bereich südöstlich der E. Straße Krankenhäuser viele Gewerbetreibende und
große Kaufhäuser, welche von Lastkraftwagen angefahren würden, die - ohne
Ausweichmöglichkeiten - zwingend über die E. Straße fahren müssten. Darüber hinaus
nehme bei Einführung einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h auf der E. Straße für
viele Verkehrsteilnehmer der Anreiz zu, so genannte Schleichwege zu benutzen, auf
denen die gleiche Höchstgeschwindigkeit gelte, so dass es auch aus diesem Grunde zu
einer Verdrängung des Verkehrs auf Nebenstraßen kommen würde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte,
die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (2 Hefte) sowie auf den von ihm eingereichten
Erläuterungsbericht zur schalltechnischen Untersuchung - Baumaßnahme E. Straße C.
7. - des Planungsbüro für Lärmschutz B. Sitz N. GmbH vom 3. Juli 2003 und auf das von
der Klägerin eingereichte Gutachten zur Beurteilung verkehrlicher Maßnahmen zur
Reduzierung der Emissionsbelastungen auf der E. Straße in C. des Dr.-Ing. K. C. von
März 2003 Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klageanträge bedürfen der Auslegung (§ 88 VwGO). Da allein der Beklagte die von
der Klägerin begehrte Neubescheidung ihres unter dem 22. März 2001 gestellten
Antrags vornehmen kann, ist davon auszugehen, dass sie beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 30. Januar 2002 zu
verpflichten, ihren unter dem 22. März 2001 gestellten Antrag auf
verkehrsbeschränkende Maßnahmen mit den in ihrem Klageantrag genannten
Maßgaben beziehungsweise entsprechend dem gestellten Hilfsantrag unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Die so verstandene Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig.
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Der Durchführung eines Vorverfahrens gemäß § 68 Abs. 1 VwGO bedurfte es
vorliegend nicht, da der Beklagte über den Antrag der Klägerin ohne zureichenden
Grund binnen einer Frist von 3 Monaten nicht entschieden hatte (§ 75 VwGO).
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Die Klägerin ist klagebefugt. Es besteht die Möglichkeit, dass sie auf Grund von Lärm-
und Abgasimmissionen, denen sie als Mieterin in dem Wohnhaus E. Straße 120 a
infolge des Straßenverkehrs ausgesetzt ist, einen Anspruch auf ordnungsbehördliches
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Einschreiten nach § 45 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 StVO hat. Das Schutzgut der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 45 Abs. 1 StVO umfasst dabei,
insbesondere soweit Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 dieser Vorschrift den Schutz der
Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen herausstellt, nicht nur die Grundrechte - hier
das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG -, sondern schon
im Vorfeld der Grundrechte den Schutz vor Einwirkungen des Straßenverkehrs, die das
nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigen. § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
StVO dient deshalb auch dem Schutz des Anwohners, der - wie die Klägerin - nicht
Grundstückseigentümer ist
- vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, BVerwGE 74, 234 ,
20
Gegen die Zulässigkeit des Hilfsantrages spricht ferner nicht, dass die Klägerin in
diesem - anders als im Hauptantrag - keine bestimmten (weiteren)
straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen, über deren Ergreifen sie vom Beklagten eine
fehlerfreie Ermessensentscheidung begehrt, benannt hat. Zwar soll nach § 82 Abs. 1
Satz 2 VwGO ein bestimmter Antrag gestellt werden. In Fällen, in denen der Bürger zwar
das Erreichen eines konkreten Ziels begehrt, letztlich gegenüber dem Weg zur
Erreichung dieses Ziels entweder indifferent oder gegebenenfalls auf Grund der ihm nur
eingeschränkt zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auch nicht hinreichend
sachkundig ist, kann von ihm aber nicht verlangt werden, dass er der Behörde konkrete
Maßnahmen zur Erreichung des Ziels mit der Antragstellung vorgibt. Vielmehr genügt es
gerade in einem Bereich, in dem der Behörde auch bei Vorliegen der
Einschreitensvoraussetzungen ein Auswahlermessen hinsichtlich der zu treffenden
Maßnahmen verbleibt, dass der Bürger mit der Antragstellung deutlich macht, welches
Ziel er anstrebt und gegebenenfalls welche Art des Einschreitens
(straßenverkehrsrechtliche, straßenrechtliche oder planungsrechtliche Maßnahmen) er
begehrt
21
- vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Dezember 1997 - 25 C.. 4997/96 -, NVwZ-RR 1998, 627 ,
22
Die Klage ist jedoch sowohl mit dem Haupt- als auch mit dem Hilfsantrag unbegründet.
23
Der angefochtene Bescheid ist rechtsmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren
Rechten; sie hat keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres unter dem 22. März 2001
gestellten Antrages auf Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Reduzierung der
verkehrsbedingten Lärm- und Luftschadstoffbelastung (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
24
Allein in Betracht kommende Grundlage für den geltend gemachten Anspruch - soweit
er sich auf eine Verminderung der Lärmbelastung bezieht - ist § 45 Abs. 1 Satz 1, Satz 2
Nr. 3 StVO in der Fassung der Verordnung vom 16. November 1970 (BGBl. I, 1565),
zuletzt geändert durch Verordnung vom 7. Mai 2002 (BGBl. I, 1529).
25
Nach § 45 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die
Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der
Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken oder verbieten oder den Verkehr
umleiten.
26
Nach § 45 Abs. 1 StVO hat auch der Einzelne einen auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung der Behörde gerichteten Anspruch auf verkehrsregelndes Einschreiten,
wenn eine Verletzung seiner geschützten Individualinteressen in Betracht kommt. Dazu
27
gehört auch der Schutz der Anwohner vor Einwirkungen des Straßenverkehrs, die das
nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigen. An diesen Grundsätze hat
sich durch die Einfügung des § 45 Abs. 9 StVO nichts geändert
- vgl. BVerwG, Urteil vom 5. April 2001 - 3 C 23.00 -, NJW 2001, 3139 ,
28
Voraussetzung für ein Einschreiten zum Schutz vor Verkehrslärm nach § 45 Abs. 1 Satz
2 Nr. 3 StVO ist nicht, dass ein bestimmter Schallpegel überschritten wird. Ebenso
wenig existieren Grenzwerte, bei deren Überschreitung die Schutzbedürftigkeit des
Anwohners anzunehmen ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Lärm Beeinträchtigungen
mit sich bringt, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des
Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden
muss
29
- vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, BVerwGE 74, 234 , Die Vorschriften
der 16. Verordnung zur Durchführung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes
(Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BImSchV) vom 12. Juni 1990 (BGBl. I, 1036)
finden bei der Beurteilung der zumutbaren Lärmbelästigung im Sinne von § 45 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 StVO zwar nicht unmittelbar Anwendung. Diese Verordnung bestimmt an
sich die Schwelle der Zumutbarkeit von Verkehrslärm nur für den Bau und die
wesentliche Änderung unter anderem von öffentlichen Straßen. Die
Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs. 1 der 16. BImSchV können aber im
Anwendungsbereich des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO als Orientierungshilfe
herangezogen werden, weil sie ganz allgemein die Wertung des Normgebers zum
Ausdruck bringen, von welcher Schwelle an eine nicht mehr hinzunehmende
Beeinträchtigung der jeweiligen Gebietsfunktion anzunehmen ist
30
- vgl. Bay. VGH, Urteil vom 18. Februar 2002 - 11 C. 00.1769 -, BayVBl 2003, 80 ,
31
Für den Einzelnen folgt aus § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO aber im Regelfall auch dann
nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, wenn die
Lärmbeeinträchtigungen so intensiv sind, dass sie im Rahmen einer Planfeststellung
Schutzauflagen auslösen würden. Denn bei straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen ist
eine Gesamtbilanz zu ziehen. Die Verhältnisse im konkreten Gefahrenbereich dürfen
nicht um den Preis gebessert werden, dass an anderer Stelle neue Unzuträglichkeiten
auftreten. Im Ergebnis würde sich die Gesamtsituation verschlechtern, wenn die
vorgesehene Maßnahme die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs in nicht
hinnehmbarer Weise beeinträchtigt oder wenn wegen Änderungen von
Verkehrsströmen noch gravierendere Lärmbeeinträchtigungen von Anliegern anderer
Straßen drohen. Die Straßenverkehrsbehörde darf deshalb von Maßnahmen umso eher
absehen, je geringer der Grad der Lärmbeeinträchtigung ist, dem entgegengewirkt
werden soll. Umgekehrt müssen bei erheblichen Lärmbeeinträchtigungen
entgegenstehende Verkehrsbedürfnisse und Anliegerinteressen von einigem Gewicht
sein, wenn mit Rücksicht auf diese verkehrsberuhigende oder verkehrslenkende
Maßnahmen unterbleiben
32
- vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 C.. 4230/01 -, juris ,
33
Bei der Prüfung, ob und gegebenenfalls welcher Verkehrslärmschutz im Einzelfall
geboten ist, ist zunächst auf die gebietsbezogene Schutzwürdigkeit und
Schutzbedürftigkeit sowie auf das Vorhandensein beziehungsweise das Fehlen einer
34
bereits gegebenen Lärmvorbelastung abzustellen. Maßgeblich sind auch andere
Besonderheiten des Einzelfalles. Von Bedeutung für die Bewertung der Zumutbarkeit
des Lärms ist insbesondere, ob der ihn auslösende Verkehr die betroffenen Straßen
funktionsgerecht oder funktionswidrig in Anspruch nimmt. Des Weiteren ist zu beachten,
dass Verkehrslärm, der von den Anliegern einer Bundesfernstraße (einschließlich
Ortsdurchfahrt) oder auch einer Landesstraße beziehungsweise einer Kreisstraße
wegen ihrer der Widmung entsprechenden Verkehrsbedeutung ertragen werden muss,
den Anliegern einer Ortserschließungsstraße nicht ohne weiteres in gleicher Weise
zumutbar ist - vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, BVerwGE 74, 234 ,
Ferner hat eine im Rahmen der Ermessensabwägungen unter anderem in Aussicht
genommene Geschwindigkeitsbeschränkung zum Schutz der Wohnbevölkerung vor
Verkehrslärm umso geringeres Gewicht, je geringfügiger die rechnerische Reduzierung
des Beurteilungspegels durch die Maßnahme sein würde. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass eine Schallpegelminderung von 2 dB(A) nach allgemeinen Erkenntnissen der
Akustik für das menschliche Ohr kaum wahrnehmbar ist und erst eine Verringerung von
mindestens 3 dB(A) bemerkt werden kann
35
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. November 1996 - 11 C. 65.96 -, NVwZ 1997, 394 -;
BVerwG, Urteil vom 19. August 1988 - 8 C 51.87 -, BVerwGE 80, 99 ,
36
Allerdings kann sich bei Lärmpegeln, welche die in den vorläufigen Richtlinien für
straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm
(Lärmschutz- Richtlinien-StV) vom 6. November 1981 (VkBl. 1981, 428) aufgeführten
Richtwerte überschreiten, das Ermessen der Behörde zur Pflicht zum Einschreiten
verdichten; eine Ermessensreduzierung auf Null ist aber auch dann nicht zwangsläufig
gegeben
37
- vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, BVerwGE 74, 234 ,
38
Gemessen daran war zunächst ein Anspruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung wegen der vom Straßenverkehr auf der E. Straße verursachten
Lärmbelastung entstanden. Denn bei Zugrundelegung der im Rahmen der
schalltechnischen Untersuchung des Planungsbüros für Lärmschutz B. Sitz N. GmbH für
die Wohnung der Klägerin ermittelten Werte von 77 dB (A) tags/70 dB (A) nachts -
hiergegen hat die Klägerin keine Einwände erhoben - überschreitet der Verkehrslärm
die gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 der 16. BImSchV festgelegten Grenzwerte von 64 dB (A)
tags/54 dB (A) nachts für Kern-, Dorf und Mischgebiete. Auf Grund der Mitteilung des
Beklagten vom 26. Februar 2004 ist davon auszugehen, dass das Grundstück E. Straße
120 a im Bebauungsplan als Mischgebiet ausgewiesen ist.
39
Dem Anspruch der Klägerin ist der Beklagte dadurch nachgekommen, dass er ihren
Antrag auf Durchführung straßenverkehrsrechtlicher Maßnahmen ermessensfehlerfrei
abgelehnt hat.
40
Obwohl vorliegend die in den Lärmschutz-Richtlinien-StV vom 6. November 1981
aufgeführten Richtwerte - in Mischgebieten 75 dB (A) tags/65 dB (A) nachts -
überschritten werden, liegt keine Ermessensreduzierung auf Null vor. Der vorliegende
Fall ist nämlich nicht durch ein besonderes Ausmaß an Gefahr für wichtige Rechtsgüter
gekennzeichnet, so dass ohne weitere Güterabwägung nur eine einzige Entscheidung
ermessensfehlerfrei sein könnte.
41
Eine Ermessensentscheidung kann das Gericht nur eingeschränkt daraufhin überprüfen,
ob die Behörde den richtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt, die gesetzlichen Grenzen
ihres Ermessens eingehalten und ob sie von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der
Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO). Unter
Berücksichtigung dieser und der oben näher dargelegten Maßstäbe ist die
Entscheidung des Beklagten, das ihm in § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO eingeräumte
Ermessen in der Weise auszuüben, keine Maßnahmen zu Gunsten der Klägerin zu
ergreifen, rechtlich nicht zu beanstanden.
42
Der Beklagte ist auf Grund der funktionsgerechten Inanspruchnahme der E. Straße
durch den Straßenverkehr zu Recht von einer erhöhten Schwelle der Zumutbarkeit
hinsichtlich der hierdurch hervorgerufenen Lärmbelastung ausgegangen. Die E. Straße
ist als Bundesstraße C. 7. nach Ausweisung, Widmung und nach dem gesamten
realisierten Verkehrskonzept der Stadt C. vor allem auch darauf ausgerichtet, den
Durchgangsverkehr zwischen der Autobahn A2 und der Innenstadt aufzunehmen. Sie
wird im Übrigen bereits seit den 30iger Jahren des vorherigen Jahrhunderts als
Hauptverkehrsstraße genutzt. Als die Klägerin im Jahre 1964 die Wohnung an der E.
Straße bezog, war somit schon eine erhebliche Lärmvorbelastung gegeben.
43
Die vom Beklagten angestellte Ermessenserwägung, dass es insbesondere durch die
Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h zu einer Verlagerung
eines Teils des Verkehrs käme und dadurch die Mehrbelastung für Anwohner anderer
Straßen erheblich, die Entlastung im Bereich der E. Straße wegen der hohen
Vorbelastung dagegen kaum spürbar wäre, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Gleiches gilt für die Entscheidung, eine Straße, die nach allen planungsrechtlichen und
verkehrsrechtlichen Vorgaben dem Durchgangsverkehr dient, nicht zum Nachteil von
Straßen, die als Tempo 30-Zonen bislang nicht dem Durchgangs-verkehr zur Verfügung
gestanden haben, zu entlasten, und zwar auf Grund der Überzeugung, dass
umweltverträgliche verkehrslenkende Maßnahmen nicht darauf gerichtet sein sollten,
den vorhandenen Verkehr möglichst gleichmäßig auf alle Straßen zu verteilen, derartige
Maßnahmen vielmehr darauf auszurichten seien, möglichst viele verhältnismäßig ruhige
Bereiche zu schaffen oder jedenfalls zu bewahren und im Übrigen den Verkehr zu
bündeln. Denn unter Berücksichtigung der Gesetze der Akustik ist es sinnvoll, den
Verkehr auf wenige "laute" Straßen zu konzentrieren, weil sich dort auch eine Zunahme
des Verkehrs nicht mehr spürbar auswirkt
44
- vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Dezember 1997 - 25 C.. 4997/96 -, NVwZ-RR 1998, 627 -
; auch Ziff. 3.2 der Lärmschutz-Richtlinien-StV vom 6. November 1981 ,
45
Eine Geschwindigkeitsreduzierung von 50 km/h auf 30 km/h ohne zumindest teilweise
Verlagerung des Verkehrs würde ausweislich der Stellungnahme des Planungsbüros
für Lärmschutz B. Sitz N. GmbH vom 3. Juli 2002, die das erkennende Gericht für
zutreffend hält, vorliegend lediglich eine Reduzierung der Lärmbelastung um 2,7 dB(A)
bewirken, während eine effektive, d.h. hörbare Lärmreduzierung erst bei einer
Minderung des Mittelungspegels um 3 dB(A) eintritt. Ob eine Begrenzung der
Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h bei sehr hohen Lärmimmissionen, wie sie hier
auftreten, auch bei einer Lärmreduzierung von weniger als 3 dB(A) an sich möglich
wäre, kann hier offen bleiben, da der Beklagte dies mit Rücksicht auf die tatsächlich zu
erwartende Verdrängung des Verkehrs in bisher ruhigere Nebenstraßen jedenfalls
ermessensfehlerfrei abgelehnt hat.
46
Gründe für ihre Behauptung, dass es bei einer Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit
auf der E. Straße von 50 auf 30 km/h insbesondere wegen der nach ihrer Auffassung
dann zu erwartenden Verbesserung des Verkehrsflusses zu einer deutlich über 2,7 dB
(A) hinausgehenden Lärmminderung kommen werde, hat die Klägerin nicht
nachvollziehbar dargelegt und sind auch sonst nicht erkennbar. Anders etwa als eine
Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen würde die Einführung von Tempo 30 auf der E.
Straße nicht zu einer stärkeren Vereinheitlichung der gefahrenen Geschwindigkeit
führen, da den Autofahrern vor allem bei dem dort häufig anzutreffenden,
Überholvorgänge weitgehend ausschließenden sogenannten Kolonnenverkehr schon
bei dem derzeitigen Zustand nichts anderes übrig bleibt, als sich der allgemein
gefahrenen Geschwindigkeit anzupassen und im Verkehrsstrom "mitzuschwimmen".
Weitere den Verkehrsfluss behindernde Gegebenheiten blieben auch bei einer
Verringerung der Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h notwendigerweise unverändert.
Hierzu sind etwa die relativ zahlreichen Lichtzeichenanlagen zu rechnen, die
Fußgängern und Autofahrern eine gefahrlose Querung der E. Straße ermöglichen.
Insoweit ist eine Verbesserung des Verkehrsflusses nicht denkbar, insbesondere auch
nicht durch die Einführung einer sogenannten grünen Welle, denn die
Lichtzeichenanlagen sind schon bisher in dieser Weise programmiert, wenn auch -
wechselnd zwischen dem Vormittag und dem Nachmittag - immer nur in der
Hauptverkehrsrichtung. Dies ist aber allein darauf zurückzuführen, dass eine
gleichzeitige grüne Welle in beiden Fahrtrichtungen nicht möglich ist: Würden nämlich
die Lichtzeichenanlagen in beiden Richtungen nach dem Prinzip der grünen Welle
optimiert, so könnten die Grünphasen jedenfalls an den meisten Kreuzungen mit der E.
Straße in den beiden Fahrtrichtungen nicht mehr zeitlich zusammenfallen, was dem Ziel
dieser Anlagen, die gefahrlose Querung einer vielbefahrenen Straße zu ermöglichen,
entgegensteht.
47
Hinzu käme weiterhin die ständige Unterbrechung des Verkehrsflusses durch haltende
Straßenbahnen, wobei die einsteigenden Fahrgäste, da der Zuschnitt der E. Straße für
den Bau eines Bahnsteigs für die Straßenbahn nicht ausreichend Platz bietet, nur auf
den Fußwegen auf das Eintreffen der Bahn warten und erst dann die Fahrbahn
überqueren können, während die aussteigenden Fahrgäste sofort danach den Fußweg
erreichen müssen. Die ein- und aussteigenden Fahrgäste werden im Bereich der E.
Straße außerdem regelmäßig durch Lichtzeichenanlagen gesichert, die dem der
Straßenbahn nachfolgenden Kraftfahrzeugverkehr die Durchfahrt für die Dauer des
Haltevorgangs untersagen. Die Einrichtung von Linksabbiegespuren im Bereich der
Straßenbahnschienen bei gleichzeitigem Verzicht auf die jeweils zur Mitte hin gelegene,
linke Fahrspur kann nicht vermeiden, dass ein Kraftfahrzeug, das sich zum Zwecke des
Linksabbiegens auf die Linksabbiegespur einordnen will, wegen einer dort bereits
stehenden oder - möglicherweise sogar mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h sich von
hinten nähernden - Straßenbahn auf dem rechten und dann einzigen Fahrstreifen
warten muss und damit den gesamten Verkehr in seiner Fahrtrichtung jedenfalls
kurzfristig zum Erliegen bringt.
48
Durch eine Verringerung der Fahrstreifen je Richtung von zwei auf einen lässt sich,
einmal abgesehen von einer damit verbundenen Verdrängung von Teilen des Verkehrs
auf andere Straßen und in andere Bereiche der Stadt C. , auf die noch gesondert
einzugehen ist, das heißt bei gleichbleibender Verkehrsstärke, eine hörbare
Verringerung der verkehrsbedingten Lärmimmissionen nicht erzielen. Insoweit kann
nach den Angaben, die der Stadtbauamtmann X. dazu als Vertreter des Beklagten in der
49
mündlichen Verhandlung gemacht hat und denen die Klägerin nicht substantiiert
entgegengetreten ist, insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass eine
zukünftige Nutzung der mittleren Fahrspuren nur noch als Linksabbiegespuren zu einer
Reduzierung des Verkehrslärms führt, weil der dortige Straßenbelag aus Betonplatten -
nicht aus Kopfsteinpflaster - entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung nicht
zu höheren, sondern eher zu niedrigeren Lärmimmissionen führt als der auf den jeweils
rechten Fahrspuren vorhandene schadhafte, mit Querrillen versehene Straßenbelag aus
Asphalt, dass die Lärmimmissionen auf den unterschiedlichen Belägen hiernach
allenfalls gleich hoch sind.
Weiter zum Nachteil der Klägerin und/oder anderer Anlieger der E. Straße auswirken
würden sich - auch hinsichtlich der Belastung durch Verkehrslärm - die zu erwartenden
Staus und sonstigen Verkehrsbehinderungen an der Stelle, an der der Tempo-30-
Bereich beginnt und die Reduzierung von zwei Fahrspuren auf eine vorgenommen wird.
50
Eine Beschränkung des Personenkraftwagen- und/oder Lastkraftwagen-Verkehrs führt
unter sonst gleichen Bedingungen erst bei einer Halbierung der Verkehrsstärke zu einer
effektiven, das heißt hörbaren, Minderung des Mittelungspegels um 3 dB(A) (vgl. dazu
Nr. 3.2 Lärmschutz-Richtlinien-StV vom 6. November 1981). Da Bundesfernstraßen eine
hohe Verkehrsbedeutung haben, weil es sich vielfach um Hauptverkehrsverbindungen
handelt, ist auch die Verkehrsbelastung auf der E. Straße entsprechend hoch und
beträgt ausweislich der seitens des Beklagten durchgeführten Zählungen am
Knotenpunkt P. -C. - Straße mindestens 28.000 Pkw-Einheiten. Hiervon ausgehend
müsste für eine Reduzierung des Mittelungspegels um 3 dB(A) bei im Übrigen gleich
bleibender Trassenführung eine Verlagerung von mindestens 14.000 Pkw-Einheiten
täglich von der E. Straße auf andere Straßen erfolgen. Es sind in der Stadt C. jedoch
keine Straßen vorhanden, die ein entsprechendes Verkehrsaufkommen von der E.
Straße zusätzlich aufnehmen könnten. Die Vertreter des Beklagten haben in der
mündlichen Verhandlung - insbesondere durch die Vorlage eines Plans-, der sich zu der
Auslastung der Knotenpunkte, die durch Ausweichverkehre verstärkt beansprucht
würden, verhält - schlüssig und nachvollziehbar dargetan, dass es der Stadt C. an
Straßen fehlt, die über genügend Kapazitätsreserven verfügten, um in dieser
Größenordnung Kraftfahrzeuge von der E. Straße aufnehmen und abwickeln zu können.
Es bestand für die Kammer auch nicht die Notwendigkeit, zu der Frage der Auslastung
der Straßen, die als Ausweichstrecken theoretisch in Betracht zu ziehen wären, ein
Sachverständigengutachten einzuholen. Das Gebot des § 86 Abs. 1 VwGO, den
Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, verwehrt es dem Gericht nicht, für seine
tatsächlichen Feststellungen auch das Vorbringen der Beteiligten zu verwerten, soweit
es ihm überzeugend erscheint und nicht durch anderweitiges Parteivorbringen schlüssig
in Frage gestellt wird
51
- vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2003 - 4 C.. 70/01 -, NVwZ 2004, 100 ,
52
So liegt es hier. Das Gericht hat keine Anhaltspunkte, an der Richtigkeit des
diesbezüglichen Vortrages der Beklagtenvertreter und insbesondere der Ergebnisse der
hinsichtlich der Verkehrsbelastung der Hauptverkehrsstraßen in der Stadt C.
durchgeführten Zählungen zu zweifeln, zumal diese seitens der Klägerin nicht
substantiiert angegriffen worden sind.
53
Darüber hinaus ist es auch nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte davon ausgeht,
dass eine Geschwindigkeitsreduzierung von 50 km/h auf 30 km/h und/oder eine
54
Trennung des Kraftfahrzeugverkehrs von der Straßenbahntrasse zu einer Verdrängung
des Verkehrs auf ungeeignete Nebenstraßen führe. Die Sperrung der
Straßenbahntrasse für den Kraftfahrzeugverkehr würde als Fahrstreifenreduzierung die
Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs erheblich beeinträchtigen, denn über den
rechten Fahrstreifen müsste - ebenfalls unter Zugrundelegung der dazu von den
Vertretern des Beklagten in der mündlichen Verhandlung genannten Zahlen - bis zu 30
% des Kraftfahrzeugverkehrs zusätzlich abgewickelt werden. Zu berücksichtigen ist
weiter, dass selbst dann, wenn durch eine Verlagerung des Verkehrs auf andere
Straßen der Mittelungspegel um 3 dB(A) gemindert würde, weiterhin eine erhebliche
Überschreitung der in der 16. BImSchV für Mischgebiete aufgeführten Richtwerte von 64
dB(A) tags/54 dB(A) vorläge. Eine wesentliche Verbesserung der Situation der Klägerin
würde hierdurch nicht eintreten, Anwohner anderer Straßen jedoch auf Grund des
erhöhten Verkehrsaufkommens belastet. Dass - wie von der Klägerin vorgetragen -
wegen der Intensität der Lärmbeeinträchtigungen an der E. Straße schon eine
Verringerung des Mittelungspegels oberhalb der Grenzwerte der 16. BImSchV eine
deutliche Reduzierung der Gesundheitsgefahren hervorrufe, die die Interessen der
Anwohner anderer Straßen überwiege, ist durch nichts belegt.
Schließlich ist die Erwägung des Beklagten, dass die von der Klägerin angeführten
straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen im Hinblick auf die Widmung der E. Straße
unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht zulässig
seien, ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar können grundsätzlich nur äußerst weit
reichende verkehrsregelnde Anordnungen wie etwa die Sperrung einer Straße eine
Kollision mit der Widmung begründen. Vorliegend müsste jedoch - wie dargetan - bei im
Übrigen gleich bleibender Trassenführung für eine effektive Lärmreduzierung eine
Verlagerung von rund 14.000 Kraftfahrzeugen täglich auf andere Straßen erfolgen.
Dabei ist zu beachten, dass Beschränkungen der widmungsgemäßen Nutzung einer
Bundesstraße durch Landesstraßenverkehrsbehörden gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
StVO eine besonders schwer wiegende Lärmbelästigung voraussetzen. Aber selbst
wenn man von dem Vorliegen einer solchen Voraussetzung ausgeht, ist der
Gesichtspunkt, dass bei einem Fehlen leistungsfähiger Umleitungsmöglichkeiten die
Verdrängung von mehreren tausend Kraftfahrzeugen täglich von einer vom Träger der
Straßenbaulast vierspurig ausgebauten, leistungsfähigen Bundesstraße gegebenenfalls
auf insoweit ungeeignete Nebenstraßen im Bereich einer Ortsdurchfahrt auch unter dem
Gesichtspunkt der straßenrechtlichen Widmung Bedenken unterliegt, offenkundig,
zumal auch die Straßenverkehrsbehörden gehalten sind, nicht
straßenverkehrsrechtliche Regelungen zu treffen, die mit der widmungsgemäßen
Nutzung der Straße kollidieren
55
- vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 28. Juli 1989 - 7 C 65.88 -, BVerwGE 82, 266; OVG
NRW, Urteil vom 2. Dezember 1997 - 25 C.. 4997/96 -, NVwZ-RR 1998, 627 ,
56
Auch ein Verkehrsverbot für Lastkraftwagen tagsüber beziehungsweise in den
Nachtstunden mit Ausnahme des Anliegerverkehrs kollidierte mit der Verkehrsfunktion,
die einer Bundesstraße nach ihrer Widmung zugedacht ist
57
- vgl. Steiner, Zulässigkeit und Grenzen der verkehrsrechtlichen Anordnung von
Nachtfahrverboten zu Lasten des Lastkraftwagenverkehrs auf Bundesstraßen, DAR
1994, 341 (346) ,
58
Straßen, die von ihrem Ausbau und ihrer Verkehrsbedeutung zur Aufnahme des
59
Lastkraftwagen-Aufkommens geeignet und unter Lärmschutzgesichtspunkten weniger
schutzbedürftig sind als die E. Straße, stehen - wie bereits dargetan - nicht zur
Verfügung. Zudem wäre wegen der Vielzahl der an und in der Nähe der E. Straße
vorhandenen Einrichtungen und Gewerbetreibenden, die auf Lieferungen durch
Lastkraftwagen angewiesen sind, eine effektive Kontrolle, ob es sich tatsächlich um
Anliegerverkehr handelte, kaum möglich.
Demgegenüber hat der Beklagte die Klägerin zu Recht auf passive
Lärmschutzmaßnahmen, insbesondere den Einbau von Lärmschutzfenstern, die ihr
kurzfristig und - im Gegensatz zu den von ihr geforderten Maßnahmen - effektiv helfen
würden, verwiesen.
60
Scheidet ein Neubescheidungsanspruch nach der ordnungsrechtlich geprägten
Vorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO aus, so hat der Anwohner auch keinen
Neubescheidungsanspruch nach der - planungsrechtlich geprägten - Vorschrift des § 45
Abs. 1 b Nr. 5 StVO
61
- vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994 - 11 C 25.93 -, NJW 1995, 1371 ,
62
Der Klägerin steht gegen den Beklagten ebenfalls kein Anspruch auf Neubescheidung
ihres Antrages im Hinblick auf Abgasimmissionen zu.
63
Als Rechtsgrundlagen hierfür kommen nur § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO und § 40 Abs.
2 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) vom 14. Mai 1990 (BGBl. I,
880), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. September 2002 (BGBl. I, 3622) in
Betracht. Beide Vorschriften bieten grundsätzlich nebeneinander denkbare
Eingriffsmöglichkeiten, zumal durch die Einführung des § 40 Abs. 2 Satz 1 BImSchG
keine Verdrängung der Eingriffsmöglichkeiten nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO
bezogen auf Abgasimmissionen erfolgen sollte
64
- vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 8. Oktober 1993 - 11 C. 93. 1408 -, NZV 1994, 87; VG
Berlin, Urteil vom 19. Juni 1995 - 11 C.. 568/93 -, NVwZ-RR 1996, 257 ,
65
Nach der auch insoweit maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung ist die angefochtene Entscheidung des Beklagten, zur
Verringerung der Luftschadstoffbelastung an der E. Straße keine
straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen zu ergreifen, ebenfalls nicht zu beanstanden.
Denn vorliegend sind schon die Einschreitensvoraussetzungen bezogen auf die
Luftschadstoffbelastung zu verneinen.
66
Maßgebliche Grundlage für die Beurteilung der Einschreitensvoraussetzungen nach §
45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO und mithin für das Vorliegen einer Gefahr hinsichtlich
Abgasimmissionen ist die 23. Verordnung zur Durchführung des
Bundesimmissionsschutzgesetzes (Verordnung über die Festlegung von
Konzentrationswerten - 23. BImSchV) vom 16. Dezember 1996 (BGBl. I, 1962). Dies
folgt zum einen daraus, dass hierin konkret, bezogen auf Immissionen, die
typischerweise vom Straßenverkehr ausgehen, Konzentrationswerte verbindlich
festgesetzt sind, und zum anderen, dass sich die Regelungsbereiche des § 45 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 StVO und des § 40 Abs. 2 Satz 1 BImSchG in Fällen der vorliegenden Art,
bezogen auf Abgasbelastungen, teilweise überschneiden. Namentlich gebietet der
Wortlaut des § 40 Abs. 2 Satz 1 BImSchG, der nicht ausdrücklich auf den Schutz der
67
Wohnbevölkerung abstellt, sondern sich auf alle in § 1 BImSchG genannten Schutzgüter
bezieht, keine unterschiedliche Beurteilung. Denn jedenfalls sind die in der 23.
BImSchV genannten Vorgaben auch geeignet, dem Schutz der Wohnbevölkerung vor
übermäßigen Straßenverkehrsabgasimmissionen zu dienen. Dabei ist allerdings zu
berücksichtigen, dass es sich bei den in der 23. BImSchV festgelegten
Konzentrationswerten um Werte handelt, die die Prüf- und nicht die Eingriffsschwelle
markieren. Dies mindert jedoch auch im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO
nicht deren Tauglichkeit als Orientierungshilfe, denn es ist davon auszugehen, dass die
in der 23. BImSchV genannten Luftschadstoffe Stickstoffdioxid, Benzol und Ruß
signifikant die durch den Straßenverkehr erzeugte Luftverschmutzung kennzeichnen, so
dass zu erwarten ist, dass, wenn keiner der dort genannten Konzentrationswerte
überschritten wird, auch keine durch den Straßenverkehr erzeugte
gesundheitsgefährdende Luftverschmutzung bezogen auf andere Schadstoffe vorliegt.
Namentlich dürfte der Luftschadstoff Blei angesichts des ganz überwiegenden
Verbrauchs von bleifreiem Benzin keine nennenswerte Rolle mehr spielen
- vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Dezember 1997, 1997 - 25 C.. 4997/96 -, NVwZ-RR
1998, 627 ,
68
Darüber hinaus stellen auch die in der 22. Verordnung zur Durchführung des
Bundesimmissionsschutzgesetzes (Verordnung für Immissionswerte für Schadstoffe in
der Luft - 22. BImSchV) vom 11. September 2002 (BGBl. I, 3626) aufgeführten
Immissionsgrenzwerte eine geeignete, aber auch hinreichende Orientierungshilfe für die
ermessensgerechte Bewertung des Ausmaßes der Gefahr für die Wohnbevölkerung
bezogen auf straßenverkehrsbedingte Abgasbelastungen im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz
2 Nr. 3 StVO dar. Denn in der 22. BImSchV sind diverse Richtlinien des Europäischen
Parlamentes und des Europäischen Rates umgesetzt und Immissionsgrenzwerte,
Toleranzmargen und Alarmschwellen für Schwefeloxid, Stickstoffdioxid und
Stickstoffoxide, Schwebstaub und Partikel (PM 10), Blei, Benzol und Kohlenmonoxid
festgelegt worden, die - soweit dort aufgeführt - deutlich unter denen der 23. BImSchV
liegen und damit eine für die Anwohner günstigere Beurteilungsgrundlage sind
69
- vgl. zu § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG: BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2003 - 4 C.. 70/01 -,
NVwZ 2004, 100 ,
70
Ausgehend hiervon, sind, bezogen auf die Abgasimmissionen, die Voraussetzungen für
ein Einschreiten nicht erfüllt. In den Jahren 1998/99 ist bereits keiner der in der 22. und
23. BImSchV aufgeführten Grenzwerte überschritten worden. Im Rahmen der von
Oktober 1998 bis Oktober 1999 durchgeführten einjährigen Messung der Luftbelastung
an der E. Straße sind im Jahresmittel die Schadstoffe Benzol (Feinscreening 7, 3
Mikrogramm/Kubikmeter), Ruß (Feinscreening 7, 0 Mikrogramm/Kubikmeter),
Stickstoffdioxid (Feinscreening 131 Mikrogramm/Kubikmeter) sowie PM 10 (Messung 44
Mikrogramm/Kubikmeter) festgestellt worden. In der 22. BImSchV ist hingegen der
Grenzwert für Stickstoffdioxid bis zum 31. Dezember 2009 auf 200
Mikrogramm/Kubikmeter (§ 3 Abs. 1), für Schwebstaub und Partikel (PM 10) bis zum 31.
Dezember 2004 auf 150 Mikrogramm/Kubikmeter (§ 4 Abs. 1) und für Benzol ab dem 1.
Januar 2010 auf 5 Mikrogramm/Kubikmeter zuzüglich einer Toleranzmarge von 5
Mikrogramm/Kubikmeter, die sich ab dem 1. Januar 2006 um 1 Mikrogramm/Kubikmeter
jährlich verringert (§ 6 Abs. 1 und Abs. 2), festgesetzt worden.
71
Nach der 23. BImSchV beträgt der Grenzwert für Stickstoffdioxid 160 Mikrogramm/
72
Kubikmeter (§ 2 Nr. 1), für Ruß 8 Mikrogramm/Kubikmeter (§ 2 Nr. 2) und für Benzol 10
Mikrogramm/Kubikmeter (§ 2 Nr. 3).
Der Beklagte durfte seine Entscheidung auf die Ergebnisse der Messungen aus den
Jahren 1998 und 1999 stützen und hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die
Voraussetzungen für ein Einschreiten wegen Abgasimmissionen abgelehnt. Dafür, dass
sich an der vorgenommenen Bewertung etwas zum Zeitpunkt der Entscheidung des
Beklagten und/oder der mündlichen Verhandlung geändert haben und es zu einer
Überschreitung der Grenzwerte gekommen sein könnte, liegen keine konkreten
Anhaltspunkte vor. Die E. Straße wies bereits zum Zeitpunkt der Messungen als
Hauptverkehrsstraße ein hohes Verkehrsaufkommen auf. Dass dieses eine Steigerung
in erheblichem Umfang erfahren haben könnte, ist weder vorgetragen noch sonst
ersichtlich. Vielmehr hat sich die Klägerin im Schriftsatz vom 24. Februar 2004 sogar auf
einen Rückgang des Fahrzeugverkehrs berufen.
73
Unabhängig davon hat der Beklagte die von ihm angestellten zutreffenden
Ermessenserwägungen nicht auf ein Einschreiten zur Verringerung von Verkehrslärm
beschränkt, sondern diese auch hinsichtlich der Reduzierung von Luftschadstoffen
angeführt, so dass - selbst wenn die Voraussetzungen für ein Einschreiten bezogen auf
Abgasimmissionen gegeben wären - der Beklagte den Anspruch der Klägerin auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung bereits erfüllt hätte.
74
Da ein auf § 40 Abs. 2 Satz 1 BImSchG gestützter Anspruch nicht weiter als der allein
auf Gefahrenabwehr gerichtete Anspruch nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO geht
75
- vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Dezember 1997 - 25 C.. 4997/96 -, NVwZ- RR 1998, 627
-,
76
kann die Klägerin schon deshalb aus § 40 Abs. 2 Satz 1 BImSchG nichts für sich
herleiten.
77
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
78