Urteil des VG Minden vom 29.05.2002
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Verwaltungsgericht Minden, 4 K 3388/00
Datum:
29.05.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 3388/00
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des
Verfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn
nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Tatbestand:
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Die Klägerin steht als Beamtin im Schuldienst des beklagten Landes.
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Unter dem 27.6.2000 beantragte sie beim Beklagten die Gewährung von Beihilfe u.a. zu
den Aufwendungen, die ihr anlässlich der Behandlung ihrer Söhne L. und M. durch die
Ärzte für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Prof. Dr. M. und Dr. W. gemäß den
Rechnungen vom 3.4.2000 i.H.v. 283,57 DM und 218,27 DM entstanden waren.
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Auf diesen Antrag gewährte der Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 24.7.2000
Beihilfe. Dabei lehnte er jedoch die Bewilligung von Leistungen bezüglich desjenigen
Honorars ab, das die genannten Ärzte in ihren Rechnungen vom 3.4.2000 für mittels
eines digitalen Kamerasystems durchgeführte Epilumineszenzmikroskopien (155,34 DM
pro Kind) in Ansatz gebracht hatten.
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Hiergegen legte die Klägerin am 17.8.2000 Widerspruch ein, den der Beklagte durch
Widerspruchsbescheid vom 24.8.2000 zurückwies.
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Am 20.9.2000 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht geltend, die
Epilumineszenzmikroskopie sei wissenschaftlich anerkannt. Mit Hilfe dieser
Untersuchungsmethode habe Prof. Dr. M. nach einem Abgleich mit Aufzeichnungen der
Datenbank der Universitätsklinik M. bei ihrem Sohn M. einen dysplastischen Naevus
diagnostiziert, der im August 2000 rechtzeitig habe entfernt werden können. Die
Epilumineszenzmikroskopie ermögliche es dem Arzt, ein Melanom viel früher als mit
dem bloßen Auge zu erkennen. Sie sei im Gebührenkatalog der GOÄ noch nicht
enthalten; die von Prof. Dr. M. vorgenommene Berechnung der Leistung analog Ziffer
612 GOÄ erscheine angemessen.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid der Bezirksregierung D. vom 24.7.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24.8.2000 dahingehend abzuändern, dass das beklagte
Land verpflichtet wird, der Klägerin auf ihren Antrag vom 27.6.2000 Beihilfe in
gesetzlicher Höhe zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor, die digitale Epilumineszenzmikroskopie von Muttermalen sei
wissenschaftlich nicht anerkannt. Es lägen keine Berichte oder Ergebnisse vor, die den
wissenschaftlichen Nutzen nachwiesen.
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Die Kammer hat ein fachärztliches Gutachten des Direktors der Dermatologischen Klinik
des Universitätsklinikums M. , Prof. Dr. L. , eingeholt, das unter dem 28.11.2001 erstellt
worden ist und sich mit Fragen der Epilumineszenzmikroskopie befasst.
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Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten des Sach-
und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge
des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Beklagte hat es durch seinen Bescheid vom 24.7.2000 und den
Widerspruchsbescheid vom 24.8.2000 zu Recht abgelehnt, der Klägerin Beihilfe zu
denjenigen Aufwendungen zu gewähren, die ihr gemäß den Rechnungen der Ärzte für
Dermatologie, Venerologie und Allergologie Prof. Dr. M. und Dr. W. vom 3.4.2000 für
Epilumineszenzmikroskopien ihrer Söhne M. und L. entstanden sind. Denn für diese
Aufwendungen steht ihr kein Beihilfeanspruch zu.
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Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Beihilfenverordnung (BVO) sind die notwendigen
Aufwendungen in angemessenem Umfang u.a. in Krankheitsfällen zur Wiedererlangung
der Gesundheit und zur Besserung oder Linderung von Leiden beihilfefähig.
Aufwendungen für eine wissenschaftlich nicht anerkannte Heilbehandlung sind nach §
4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BVO von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen.
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Ob es sich bei der hier betroffenen Epilumineszenzmikroskopie mittels eines digitalen
Kamerasystems um eine wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlung im obigen Sinne
handelt, erscheint zumindest fraglich. Hierzu wird in dem von der Kammer eingeholten
fachärztlichen Gutachten des Direktors der Dermatologischen Klinik des
Universitätsklinikums M. , Prof. Dr. L. , vom 28.11.2001 im Anschluss an die
Beschreibung der herkömmlichen Auflichtmikroskopie u.a. folgendes ausgeführt: "Die
Auflichtmikroskopie mittels Teledermatoskopie oder digitaler Kamerasysteme, wie dem
Mole Scan System, das von Herrn Prof. Dr. M. eingesetzt worden ist, mag
wissenschaftlich noch nicht gleichermaßen anerkannt oder verbreitet sein, insofern die
Geräte kostentechnisch sehr aufwendig sind." Der Gebührenordnungsausschuss der
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Bundesärztekammer hat in seiner 16. Sitzung vom 29.9.1999 bezüglich der digitalen
Epilumineszenzmikroskopie unter dem Stichwort "Videodokumentation von
Muttermalen" beschlossen, "angesichts der noch nicht abschließend diskutierten
wissenschaftlichen Wertigkeit und Notwendigkeit des Verfahrens" werde "die Leistung
nicht in das Verzeichnis der Analogen Bewertungen der Bundesärztekammer oder in
die Abrechnungsempfehlungen der Bundesärztekammer aufgenommen". Die somit
problematische Frage, ob bezüglich der digitalen Epilumineszenzmikroskopie die
Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BVO erfüllt sind, kann jedoch offen
bleiben; denn die Klage hat unabhängig hiervon keinen Erfolg, weil die streitigen
Aufwendungen jedenfalls nicht notwendig im Sinne des § 3 Abs. 1 BVO waren.
Als "notwendig" sind Maßnahmen anzusehen, die eine Not abwenden und darum
unerlässlich bzw. unentbehrlich, unvermeidlich und zwangsläufig sind. Kosten lediglich
nützlicher, aber nicht notwendiger Maßnahmen muss der Beihilfeberechtigte selbst
tragen.
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So Mohr/Sabolewski, Beihilfenrecht, B. I. § 3 Anmerkung 1.
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Prof. Dr. M. hat bei den Söhnen M. und L. der Klägerin digitale
Epilumineszenzmikroskopien durchgeführt, um das Risiko der Entstehung von
Melanomen beurteilen zu können. Zu diesem Zweck hätte auch die herkömmliche
Auflichtmikroskopie (Dermatoskopie), die wissenschaftlich anerkannt und gemäß Ziffer
750 GOÄ abrechenbar ist, zur Verfügung gestanden. Die letztgenannte
Untersuchungsmethode ist nach dem Gutachten vom 28.11.2001 geeignet, atypische
Naevi von Melanomen zu unterscheiden und ein Melanom viel frühzeitiger als durch
eine klinische Diagnosestellung mit dem bloßen Auge zu erkennen. Deshalb ist sie
nach den Ausführungen des Gutachters bei der Untersuchung von Naevi prinzipiell
unerlässlich und speziell auch in den Fällen der Kinder M. und L. unter deren
spezifischen Risikobelastungen als adäquate Untersuchung anzusehen. In der
Einladung zur oben bereits erwähnten 16. Sitzung des Gebührenordnungsausschusses
der Bundesärztekammer ist dargelegt worden, dass ein erfahrener Dermatologe in über
90 % der Fälle schon makroskopisch die Indikation zur Excision eines suspekten
Muttermales stellen könne; in Zweifelsfällen sei zusätzlich die (herkömmliche)
Dermatoskopie verfügbar, sodass sich aus der Video-Dermatoskopie keine zusätzliche
klinische Entscheidungshilfe ergebe.
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Hiernach geht die Kammer davon aus, dass für eine Epilumineszenzmikroskopie mittels
eines digitalen Kamerasystems in der Regel keine Notwendigkeit besteht.
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Die spezifischen Vorzüge der digitalen Dermatoskopie, Bilddokumente archivieren und
bei späteren Kontrolluntersuchungen mit früheren Aufnahmen vergleichen sowie auch
versenden zu können, rechtfertigen für den vorliegenden Fall schon deshalb keine
andere Entscheidung, weil nicht feststellbar ist, dass diese Möglichkeiten hier
tatsächlich genutzt worden sind.
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Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Söhne M. und L. der Klägerin jeweils am
26.10.1999 im Wege der digitalen Epilumineszenzmikroskopie untersucht worden sind,
wodurch die streitigen Aufwendungen entstanden sind. Es ist nicht ersichtlich, dass in
der Folgezeit weitere Videodokumentationen bei den Söhnen der Klägerin durchgeführt
wurden; den von der Klägerin vorgelegten hautärztlichen Liquidationen vom 19.12.2000,
8.8.2001 und 13.2.2002, die allesamt die Söhne M. und L. der Klägerin betreffen, ist
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jedenfalls kein entsprechender Hinweis zu entnehmen. Demgemäß ist anzunehmen,
dass ein Vergleich der am 26.10.1999 aufgenommenen Bilddokumente mit
nachfolgenden Videoaufnahmen der Söhne der Klägerin nicht stattgefunden hat.
Es ist ferner nicht erkennbar, dass der behandelnde Hautarzt die Videodokumentationen
vom 26.10.1999 - etwa zur Mitbeurteilung durch einen Fachkollegen - versandt hat.
Gemäß der Einlassung der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 28.2.2002 ist die
Videodokumentation ihres Sohnes M. nach ihrer Erinnerung zur Abklärung eines
Karzinomverdachts mit Aufzeichnungen der Datenbank der Universitätsklinik M.
abgeglichen worden. Hieraus ist allenfalls zu schließen, das der behandelnde Arzt
Daten der Klinik hinzugezogen hat, um sie mit den von ihm gewonnenen Daten zu
vergleichen; keineswegs ist auf Grund dessen jedoch die Annahme gerechtfertigt, die
am 26.10.1999 erstellten Dokumente seien an die Universitätsklinik M. geschickt
worden. Diese Einschätzung steht mit dem Umstand im Einklang, dass der Klägerin
nach ihren eigenen Bekundungen Rechnungen und Arztberichte der Universitätsklinik
M. , die mit der hautärztlichen Behandlung ihrer Söhne im Zusammenhang stehen, nicht
vorliegen. Wären der Universitätsklinik M. die Videoaufzeichnungen des behandelnden
Arztes vom 26.10.1999 zum Zwecke einer Begutachtung bzw. Mitbeurteilung zugesandt
worden, wäre zu erwarten gewesen, dass die Klinik der Klägerin einen ärztlichen
Bericht zugeleitet und ihre Tätigkeit in Rechnung gestellt hätte.
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Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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