Urteil des VG Minden vom 22.11.2006
VG Minden: besoldung, beamter, nachzahlung, verfassung, vollstreckung, deckung, eltern, vollstreckbarkeit, abgeltung, nettoeinkommen
Verwaltungsgericht Minden, 4 K 2897/05
Datum:
22.11.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 2897/05
Tenor:
Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des
Landesamtes für Besoldung und Versorgung (LBV) vom 15.12.2004 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2005 verpflichtet,
dem Kläger für die Jahre 2002 bis 2004 einen Betrag von 769,32 EUR
zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 1/4 und der Beklagte zu
3/4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Schuldner darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von
110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Q. der Besoldungsgruppe A 11 BBesO und hat 3 zwischen 1986 und
1993 geborene Kinder, bezüglich deren er kindergeldberechtigt ist.
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Unter dem 15.12.2004 teilte das LBV dem Kläger mit, dass der Familienzuschlag für
dritte und weitere Kinder seit dem 1.1.1999 den verfassungsrechtlichen Anforderungen
genüge und der Kläger daher keinen Anspruch auf weitere Zahlungen habe. Gegen
diesen Bescheid erhob der Kläger am 06.01.2005 Widerspruch und beantragte, ihm für
sein drittes Kind familienbezogene Besoldungsanteile in Höhe von 115 v.H. des
durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes zu zahlen. Mit
Widerspruchsbescheid vom 15.11.2005 zahlte das LBV dem Kläger daraufhin für die
Zeit vom 1.1.2000 bis 31.12.2001 einen erhöhten Familienzuschlag mit einem Betrag
von 586,68 EUR (589,56 + 557,88 DM) nach, lehnte aber im Übrigen für die Zeit vom
1.1. bis 31.12.1999 und vom 1.1.2002 bis zum 31.12.2004 eine Nachzahlung ab. Zur
Begründung hieß es u.a., im Beschluss vom 24.11.1998 - 2 BvL 26/91 u.a. - habe das
Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die für dritte und weitere Kinder
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gewährten Kinderanteile im Familienzuschlag keine ausreichende Alimentation
gewährleisteten, und bestimmt, dass die als verfassungswidrig beurteilte Rechtslage bis
zum 31.12.1999 mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen sei. Diese vom
Bundesverfassungsgericht für das Jahr 1999 festgelegte Anpassungsfrist biete den
Dienstherren keinen Gestaltungsspielraum. Die für das Jahr 1999 gezahlten
Familienzuschläge könnten daher nicht weiter erhöht werden. Für die Jahre 2000 und
2001 werde der Betrag von 586,68 EUR nachgezahlt, für die Jahre 2002 bis 2004 könne
keine Nachzahlung erfolgen, da die Höhe der gezahlten Familienzuschläge ab dem
dritten Kind in diesen Jahren bereits die Vorgaben des Beschlusses des
Bundesverfassungsgerichts vom 24.11.1998 erfüllten. Die Summe aus
kinderbezogenen Besoldungsanteilen, dem Kindergeld und steuerlichen Entlastungen
sei für diese Jahre so bemessen, dass der Nettoabstand von Kind zu Kind ab dem
dritten unterhaltsberechtigten Kind im Durchschnitt den vom Bundesverfassungsgericht
vorgegebenen Richtwert von 115 v.H. des sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs für ein
Kind erreiche.
Der Kläger hat daraufhin am 15.12.2005 die vorliegende Klage erhoben. Er trägt u.a.
vor, die für die Jahre 1999 bis 2004 erfolgten Zahlungen für sein drittes Kind erreichten
nicht 115 v. H. des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines
Kindes.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15.12.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 15.11.2005 zu verpflichten, dem Kläger für sein drittes
Kind für die Zeiträume vom 01.01.1999 bis zum 31.12.1999 und vom 01.01.2002 bis
zum 31.12.2004 familienbezogene Gehaltsanteile in Höhe der Differenz zwischen 115
v.H. des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes und dem
ihm tatsächlich für sein drittes Kind bezahlten Familienzuschlag zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akten und
die Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
11
Der Kläger hat für die Jahre 2002 bis 2004 einen Anspruch auf Nachzahlung von
höherer kinderbezogener Besoldung in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang.
12
Der diese höhere Besoldung ablehnende Bescheid vom 15.12.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 15.11.2005 ist rechtswidrig und daher insoweit
aufzuheben.
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Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist Artikel 33 Abs. 5 des
Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit der Vollstreckungsanordnung in Nr. 2 des
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Tenors des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 24.11.1998 - 2 BvL 26/91
u.a. - , BVerfGE 99, 300 ff. In diesem Beschluss stellt das Bundesverfassungsgericht
fest, dass die Einkommensverhältnisse einer Beamtenfamilie mit 2 Kindern bezogen auf
das Nettoeinkommen - wie von Artikel 33 Abs. 5 GG gefordert - im Wesentlichen
amtsangemessen sind. Anders verhalte es sich bei einer Beamtenfamilie mit 3 und mehr
Kindern. Für solche Familien bestehe ein Mehrbedarf, der durch zusätzliche Leistungen
zu decken sei, wobei es dem Gesetzgeber frei stehe, das von der Verfassung
vorgegebene Ziel durch eine entsprechende Bemessung der Bruttobezüge, durch die
Höhe des allgemein gewährten Kindergeldes oder durch steuerliche Entlastungen zu
gewährleisten. Diesen Mehrbedarf beziffert das Bundesverfassungsgericht auf 115 %
des sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes. Kommt der Dienstherr seiner
Verpflichtung zur Deckung dieses Mehrbedarfs bei Beamtenfamilien mit 3 und mehr
Kindern nicht nach, so sind die Fachgerichte auf der Grundlage der
Vollstreckungsanordnung in dem o.a. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
verpflichtet, diesen von sich aus zuzusprechen.
Diese Vollstreckungsanordnung gilt, solange der Gesetzgeber nicht Maßnahmen trifft,
die sicherstellen, dass der vom Bundesverfassungsgericht bestimmte Mehrbedarf der
Beamtenfamilien mit drei und mehr Kindern gedeckt ist.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6.10.2006 - 1 A 1972/05 -.
16
Im Jahr 2002 erhielt der Kläger nach den Berechnungen des LBV auf Blatt 43 d.A. mit
seinen drei Kindern monatlich 330,03 EUR mehr an Besoldung als ein vergleichbarer
Beamter mit 2 Kindern. Nach dem zutreffenden Zahlenwerk im Urteil des VG Karlsruhe
vom 28.1.2005 - 11 K 3674/04 -, dessen Richtigkeit auch von dem Beklagten anerkannt
wird, betrug 2002 der bundes- und jahresdurchschnittliche Regelsatz für bei den Eltern
lebende Minderjährige 187,32 EUR. Hinzuzurechnen ist nach den Grundsätzen des
Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 17.6.2004 - 2 C 34.02 - , DVBl 2004, 1416, als
Abgeltung für einmalige Leistungen ein Zuschlag von 20 v.H. von diesem Betrag in
Höhe von 37,46 EUR, die Kaltmiete in Höhe von 66,99 EUR (6,09 EUR x 11 qm) und
die Bruttowarmmiete (20 v. H. der Kaltmiete) mit 13,40 EUR, so dass sich ein
durchschnittlicher sozialhilferechtlicher Bedarf von 305,17 EUR im Monat ergibt. Auf 115
v.H. dieses Betrages, also auf 350,95 EUR , hatte der Kläger in seinen
kinderbezogenen Gehaltsanteilen monatlich jeweils Anspruch für sein drittes Kind. Die
monatliche Differenz zwischen 350,95 EUR und 330,03 EUR in Höhe von 20,92 EUR x
12 ergibt einen Nachzahlungsanspruch des Klägers für das Jahr 2002 in Höhe von
251,04 EUR.
17
Im Jahr 2003 erhielt der Kläger nach den Berechnungen des LBV auf Blatt 44 d.A. mit
seinen drei Kindern monatlich 330,91 EUR mehr an Besoldung als ein vergleichbarer
Beamter mit 2 Kindern. In diesem Jahr beliefen sich nach den Zahlen im Urteil des VG
Karlsruhe vom 28.1.2005 - 11 K 3674/04 - 115 v.H. des durchschnittlichen
sozialhilferechtlichen Bedarfs für ein Kind im Monat auf 355,82 EUR. Die monatliche
Differenz von 24,91 EUR x 12 ergibt einen Nachzahlungsanspruch des Klägers für das
Jahr 2003 in Höhe von 298,92 EUR.
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Im Jahr 2004 erhielt der Kläger nach den Berechungen des LBV auf Blatt 44 d.A. mit
seinen drei Kindern monatlich 339,62 EUR mehr an Besoldung als ein vergleichbarer
Beamter mit 2 Kindern. In diesem Jahr beliefen sich nach den Zahlen im Urteil des VG
Karlsruhe vom 28.1.2005 - 11 K 3674/04 - 115 v.H. des durchschnittlichen
19
sozialhilferechtlichen Bedarfs für ein Kind im Monat auf 357,90 EUR. Die monatliche
Differenz von 18,28 EUR x 12 ergibt einen Nachzahlungsanspruch des Klägers für das
Jahr 2004 in Höhe von 219,36 EUR.
Insgesamt folgt daraus ein Nachzahlungsanspruch des Klägers für die Jahre 2002 bis
2004 in Höhe von 769,32 EUR (251,04 EUR + 298,92 EUR + 219,36 EUR).
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Für das Jahr 1999 hat der Kläger dagegen keinen Anspruch darauf, dass ihm auf der
Grundlage des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts ohne gesetzliche
Grundlage Erhöhungsbeträge und damit Nachzahlungen zugesprochen werden, denn
die Vollstreckungsanordnung in diesem Beschluss begründet nur Ansprüche auf
Zahlung ergänzender kinderbezogener Gehaltsbestandteile für den Zeitraum ab dem
1.1.2000.
21
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.1.2006 - 2 B 36.05 - , NVwZ 2006, 605-
606.
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Für die Jahre 2000 und 2001 hat der Kläger nach seinem Klageantrag ausdrücklich
keinen Nachzahlungsanspruch geltend gemacht. Der Bescheid vom 15.12.2004 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2005 ist daher insoweit
bestandskräftig und kann von der Kammer nicht mehr auf seine Rechtmäßigkeit
überprüft werden. Aus den vom Beklagten nachträglich vorgelegten und dem Kläger
übersandten Berechnungen für die Jahre 2000 und 2001 ergibt sich aber, dass der
Kläger mit den Nachzahlungen im Widerspruchsbescheid vom 15.11.2005 in diesen
Jahren amtsangemessen besoldet wurde.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Bei der Kostenentscheidung hat
die Kammer berücksichtigt, dass der Kläger wegen eines nicht gegebenen
Nachzahlungsanspruchs für das Jahr 1999 im Umfang von etwa 1/4 unterlegen ist.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus § 167
Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
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