Urteil des VG Minden vom 10.11.2004
VG Minden: grundsteuer, stadt, grundstück, satzung, datum, personalausschuss, gewerbesteuer, vollstreckung, bekanntmachung, veröffentlichung
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Minden, 11 K 5746/03
10.11.2004
Verwaltungsgericht Minden
11. Kammer
Urteil
11 K 5746/03
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine nachträgliche Erhöhung der von ihm erhobenen
Grundsteuer. Nachdem er mit Grundbesitzabgabenbescheid vom 13.1.2003 zu einer
Grundsteuer für das Grundstück R. in M1. -I1. und das Jahr 2003 in Höhe von 362,66 EUR
nach dem früheren Hebesatz in Höhe von 320 % herangezogen worden war, erhob der
Beklagte mit Grundbesitzabgabenbescheid vom 30.5.2003 für denselben Zeitraum und
dasselbe Grundstück eine weitere Grundsteuer in Höhe von 69,13 EUR nach, weil der
Hebesatz für Grundstücke in der Haushaltssatzung der Stadt M1. für das Haushaltsjahr
2003 vom 12.5.2003 auf 381 % erhöht worden war.
Gegen den Bescheid vom 30.5.2003 erhob der Kläger Widerspruch. Er beanstandete die
Wirksamkeit der Hebesatzerhöhung durch den Rat der Stadt M1. sowie das Fehlen einer
Rechtsgrundlage für eine Änderung des bereits bestandskräftig gewordenen
Grundsteuerbescheids für das Jahr 2003. Desweiteren hielt er den gesamten
Haushaltsplan 2003 für unwirksam, weil in ihm unter anderem ein vorsorglicher Ansatz von
12.750,- EUR an Vorlaufkosten für das Homöopathische Gesundheitszentrum M1. -I1. (I. )
erscheine, obwohl es sich hierbei nicht um eine Angelegenheit der Gemeinde handele, die
zu Lasten der Steuerzahler finanziert werden dürfe. Dieser Ansatz sei ein Teilgrund für die
beschlossene Grundsteuererhöhung. Selbst wenn die Gemeinde gesetzlich nicht gestattete
Aufgaben erfüllen dürfe, sei dies nur im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit
zulässig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.8.2003, dem Kläger zugestellt am 13.8.2003, wies der
Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Er führte aus, die Hebesätze hätten gemäß
§ 25 GrStG mit Rückwirkung vom Beginn des Jahres 2003 geändert werden können, weil
der Beschluss über die Festsetzung des Hebesatzes vor dem 30.6.2003 gefasst worden
sei. Die rückwirkende Erhöhung der Grundsteuer sei nach § 172 Abs. 1 AO in Verbindung
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sei. Die rückwirkende Erhöhung der Grundsteuer sei nach § 172 Abs. 1 AO in Verbindung
mit § 27 Abs. 2 GrStG zulässig gewesen, obwohl der ursprüngliche Grundsteuerbescheid
nicht als vorläufig gekennzeichnet gewesen sei. Der Haushaltsplan und die
Haushaltssatzung seien rechtmäßig, insbesondere auch hinsichtlich des Kostenansatzes
für das I. , der zur Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen veranschlagt worden sei. Die
Erhöhung des Hebesatzes sei letztlich auf die verschlechterten finanziellen
Rahmenbedingungen zurückzuführen. Maßgeblich sei vor allem gewesen, dass im
Gemeindefinanzierungsgesetz 2003 die angesetzten fiktiven Hebesätze drastisch auf 192
% (Grundsteuer A), 381 % (Grundsteuer B) und 403 % (Gewerbesteuer) angehoben worden
seien, weshalb die der Kommune unterstellten Steuereinnahmen auch tatsächlich hätten
realisiert werden sollen.
Am 8.9.2003 hat der Kläger Klage erhoben. Er vertieft seine Einwände aus dem
Widerspruchsverfahren und rügt zusätzlich insbesondere, die Haushaltssatzung sei
fehlerhaft beschlossen worden, weil den Ratsmitgliedern nicht gesondert verdeutlicht
worden sei, dass in der Haushaltssatzung auch die Realsteuerhebesätze angehoben
werden sollten; der Entwurf sowie die beschlossene Fassung der Satzung seien nicht
ordnungsgemäß ausgelegt worden; der Ratsbeschluss sei missverständlich, weil er auf
vom Finanz- und Personalausschuss empfohlene Änderungen Bezug nehme, ohne dass
deren genauer Inhalt erkennbar sei. Zudem beanstandet der Kläger, die Haushaltssatzung
sei nicht ordnungsgemäß und verfrüht veröffentlicht worden. In materieller Hinsicht rügt der
Kläger einen Verstoß des angefochtenen Steuerbescheides gegen das
Rückwirkungsverbot und Vertrauensschutzgesichtspunkte. Der ursprüngliche
Grundsteuerbescheid sei rechtmäßig und endgültig gewesen, obwohl zur Zeit seines
Erlasses die Erhöhung der Hebesätze bereits absehbar gewesen sei und sich deshalb
eine vorläufige Steuererhebung angeboten hätte.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Grundbesitzabgabenbescheid des Beklagten vom 30.5.2003 für das Grundstück R.
über die Nacherhebung einer Grundsteuer in Höhe von 69,13 EUR in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11.8.2003 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Beschlussfassung des Rates der Stadt M1. für wirksam, den Satzungsentwurf für
ordnungsgemäß ausgelegt sowie die Satzung für ordnungsgemäß angezeigt und
bekanntgemacht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (sieben Hefter) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO in der Sache entscheiden, obwohl für den
Kläger niemand erschienen ist. Der im Termin erschienene Rechtsanwalt ist in diesem
Verfahren unter Hinweis auf das Vertretungsverbot des § 32 Abs. 1 Satz 2 GO NRW nicht
aufgetreten, weil er kürzlich in den Rat der Stadt M1. gewählt worden ist.
Das Gericht hat davon abgesehen, den Rechtsanwalt wegen dieses Vertretungsverbots als
Prozessbevollmächtigten zurückzuweisen, weil er bereits von sich aus nach seiner Wahl
zum Ratsmitglied für den Kläger nicht mehr aufgetreten ist und sich das Vertretungsverbot
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nicht auch auf die ebenfalls bevollmächtigten anderen Sozien seiner Kanzlei erstreckt.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.4.1981 - 15 B 1158/80 -, NJW 1981, 2210; BVerfG,
Beschluss vom 20.1.1981 - 2 BvR 632/78 -, DVBl. 1981, 489 = NJW 1981, 1599.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Bescheid vom 30.5.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.8.2003 ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die hier streitige Änderung einer festgesetzten Grundsteuer ist § 27
Abs. 2 Grundsteuergesetz - GrStG -. Danach ist eine Grundsteuerfestsetzung zu ändern,
wenn der Hebesatz geändert wird. Der hier maßgebliche Hebesatz für die Grundsteuer B
ist durch die Haushaltssatzung 2003 wegen § 77 Abs. 3 GO NRW mit Wirkung ab dem
1.1.2003 gegenüber dem Vorjahr geändert worden. Eine Änderung im Sinne von § 27 Abs.
2 i.V.m. § 25 Abs. 3 GrStG liegt auch dann vor, wenn bei Festsetzung des Hebesatzes
jeweils für ein Jahr, die § 25 Abs. 2 GrStG ausdrücklich vorsieht, der Hebesatz gegenüber
dem Vorjahr geändert wird. Darin liegt insbesondere keine erstmalige Festsetzung im
Sinne von § 25 Abs. 3 GrStG, für die § 27 Abs. 2 GrStG nicht gilt.
Vgl. zur Terminologie BVerwG, Beschluss vom 13.7.1979 - 7 B 143.79 -, BayVBl. 1979,
730 = Buchholz 401.5 § 25 GewStG Nr. 1 m.w.N.
Der klare Wortlaut des § 27 Abs. 2 GrStG verlangt zwingend eine Änderung der
Festsetzung - unabhängig davon, ob sie vorläufig ist - bei einem gemäß § 25 Abs. 3 GrStG
geänderten Hebesatz - unabhängig davon, ob sie rückwirkend erfolgt -, so dass
Hebesatzänderungen, auch rückwirkende, zwingend zu entsprechenden Festsetzungen
führen sollen. Hätte der Gesetzgeber nur eine Änderung für die Zukunft für zulässig
erklären wollen, hätte dies ausdrücklich in § 27 Abs. 2 GrStG aufgenommen werden
müssen, zumal der Gesetzgeber mit einem Klammerzusatz, der auf § 25 Abs. 3 GrStG
Bezug nimmt, deutlich gemacht hat, dass die geänderte Festsetzung entsprechend der dort
geregelten Hebesatzänderung erfolgen soll und § 25 Abs. 3 Satz 1 GrStG einen Beschluss
über die Änderung des Hebesatzes bis zum 30.6.2003 auch noch mit Wirkung vom Beginn
des Jahres an ausdrücklich zulässt.
Der Beschluss über die Festsetzung des Hebesatzes für das Jahr 2003 durfte gemäß § 25
Abs. 3 Satz 1 GrStG bis zum 30.6.2003 auch noch mit Wirkung vom Beginn des Jahres
2003 an gefasst werden. Er erging am 3.4.2003 und damit vor dem hierfür spätest
zulässigen Zeitpunkt. Maßgeblich ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut insoweit der
Zeitpunkt der Beschlussfassung und nicht der der Bekanntmachung.
Eine verbotene Rückwirkung war damit nicht verbunden. Bis zur Beschlussfassung über
die Festsetzung des Hebesatzes spätestens am 30. Juni eines Kalenderjahres und der
daran anknüpfenden Veröffentlichung der Festsetzung besteht nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung ein rechtlicher Schwebezustand, den der Betroffene
bei seinen Kalkulationen angesichts der klaren gesetzlichen Regelung berücksichtigen
muss. Vor dem Beschluss der Gemeindevertretung über die Haushaltssatzung kann er
nicht darauf vertrauen, dass der Ortsgesetzgeber von einer ihm gesetzlich zustehenden
Möglichkeit zur Festsetzung oder Änderung des Hebesatzes nicht Gebrauch macht.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.7.1979, a.a.O.; BVerfG, Urteil vom 19.12.1961 - 2 BvR
2/60 -, BVerfGE 13, 279.
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Die Erhöhung des Hebesatzes durch die Haushaltssatzung der Stadt M1. für das Jahr 2003
ist auch wirksam. Insbesondere leidet die Satzung nicht unter formellen Mängeln, die zu
ihrer Nichtigkeit führen würden. Der Entwurf der Haushaltssatzung mit ihren Anlagen ist
zunächst gemäß § 79 Abs. 1 GO NRW vom Kämmerer aufgestellt, vom Bürgermeister
festgestellt und gemäß § 79 Abs. 2 GO NRW dem Rat zugeleitet worden, bevor er gemäß §
79 Abs. 3 GO NRW nach vorheriger öffentlicher Bekanntgabe im Kreisblatt an sieben
Tagen öffentlich ausgelegen hat. Einwendungen hiergegen wurden nicht erhoben.
Nachdem die Verwaltung eine Liste vorgelegt hat, nach der einzelne Ausgabenansätze
verringert werden sollten, um Fehlbeträge zu reduzieren, der der Finanz- und
Personalausschuss in seiner Sitzung vom 31.3.2003 zugestimmt hat, hat der Rat der Stadt
den Entwurf der Haushaltssatzung unter Einbeziehung der vom Finanz- und
Personalausschuss empfohlenen Änderungen in seiner Sitzung am 3.4.2003 als
Haushaltssatzung für das Haushaltsjahr 2003 beschlossen. Es ist auch nicht zweifelhaft,
auf welche konkreten Empfehlungen sich der Beschluss des Rates bezog. Denn in der
Beschlussvorlage sind diese durch den Klammerzusatz: "(Anlage 1)" und die als Anlage 1
beigefügte Aufstellung genau bezeichnet worden. Zweifel über den genauen
Beschlussgegenstand konnten damit nicht aufkommen.
Aus der Beschlussvorlage und ihren Anlagen war für alle Ratsmitglieder ersichtlich, dass
unter anderem die Hebesätze für die Grundsteuer und die Gewerbesteuer geändert werden
sollten, ohne dass es insoweit einer gesonderten Vorlage bedurft hätte. Zudem hat der
Kämmerer noch in der Sitzung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Hebesätze
geändert werden sollten, weil das Gemeindefinanzierungsgesetz 2003 den Kommunen
fiktive Hebesätze in entsprechender Höhe unterstelle, die tatsächlich realisiert werden
sollten.
Auch die Veröffentlichung der Haushaltssatzung ist ordnungsgemäß gemäß § 2 der
Bekanntmachungsverordnung erfolgt. Insbesondere ist in der Überschrift das Datum
angegeben, an dem die Bekanntmachungsanordnung vom 1. Beigeordneten als Vertreter
des Bürgermeisters unterzeichnet worden ist; auch ist in der Präambel das Datum des
Ratsbeschlusses angegeben. Schließlich ist die Bekanntmachung erst nach Ablauf der
Monatsfrist nach § 79 Abs. 5 Satz 3 GO NRW erfolgt. Denn die Haushaltssatzung wurde
erst am 26.5.2003 im Amtsblatt veröffentlicht, während sie bereits am 23.4.2003 der
Aufsichtsbehörde angezeigt worden war.
Die Festsetzung des Hebesatzes für die Grundsteuer B in der Haushaltssatzung der Stadt
M1. für das Jahr 2003 ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Sie hält sich im
Rahmen des dem Rat als Satzungsgeber eingeräumten, im Wesentlichen nur durch das
Willkürverbot des § 3 Abs. 1 GG beschränkten Ermessens. Die Festlegung eines höheren
Hebesatzes als im Vorjahr ist bereits deshalb sachlich gerechtfertigt, weil sie lediglich den
den Gemeinden für die Ermittlung der Höhe der Finanzzuweisungen in § 9 Abs. 2 Nr. 2
Gemeindefinanzierungsgesetz 2003 vom 18.12.2002 (GVBl. NRW, 671) unterstellten
fiktiven Hebesatz nachvollzieht, um entsprechende Einnahmen auch tatsächlich zu
erzielen. Schon deshalb kann die Erhöhung des Hebesatzes nicht als willkürlich
angesehen werden. Die damit verbundenen Einnahmeverbesserungen in Höhe von
590.000,- EUR (Haushaltsstelle 1.900.0010.9) und der Umstand, dass der Etat gleichwohl
nach den Angaben des Vorsitzenden des Finanz- und Planungsausschusses in der
Ratssitzung vom 3.4.2003 nur unter größten Mühen rechnerisch ausgeglichen werden
konnte - worauf sich der Sache nach auch der Kläger beruft - , lassen im Übrigen nicht im
Ansatz erkennen, dass der Rat von einer Erhöhung der Hebesätze abgesehen oder nur
eine geringere Erhöhung beschlossen hätte, wenn für das I. keine Vorlaufkosten in Höhe
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von 12.750,- EUR - etwas mehr als 2 % der durch den höheren Hebesatz erreichten
Einnahmeverbesserungen - angesetzt worden wären. Dagegen spricht bereits, dass allein
die Schlüsselzuweisungen des Landes, deren Absenkung Anlass für die Erhöhung der
Hebesätze war, um etwa 1.800.000,- EUR niedriger lagen als im Vorjahr (Haushaltsstelle
1.900.0410.4), was durch die Erhöhung der Grundsteuerhebesätze nur zu einem Drittel
kompensiert wurde. War der Ansatz für das I. aber für die Entscheidung über die Tatsache
und den Umfang der Erhöhung der Hebesätze offensichtlich ohne Einfluss und nicht
ursächlich, so kann er unter keinen Umständen zur Rechtswidrigkeit des hier
maßgeblichen Hebesatzes führen. Schon deshalb bedarf es für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit der Grundsteuererhebung keiner Klärung, ob für das I. entsprechende
Ausgaben im Haushaltsplan 2003 angesetzt werden durften.
Der Beklagte hat auf der Grundlage des maßgeblichen und zwischen den Beteiligten
unstrittigen Steuermessbetrags in Höhe von 113,33 EUR unter Anwendung des durch den
Rat der Stadt M1. am 3.4.2003 mit der Haushaltssatzung 2003 wirksam beschlossenen
Hebesatzes von 381 % mit dem angefochtenen Bescheid die noch nicht erhobene
Grundsteuer für das Jahr 2003 nacherhoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidungen über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1
ZPO.