Urteil des VG Minden vom 18.04.2002
VG Minden: treu und glauben, verwaltungsakt, zustellung, verbandsklage, verwirkung, neubau, richteramt, rechtssicherheit, bekanntgabe, mitwirkungsrecht
Verwaltungsgericht Minden, 9 K 2718/01
Datum:
18.04.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 2718/01
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann
eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden-. wenn nicht der Beklagte zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger wendet sich als anerkannter Naturschutzverband gegen den
Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der L 614 als Teilortsumgehung Lügde
wegen Verletzung der Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes-. des
Landschaftsgesetzes sowie anderer Vorschriften-. die den Belangen des Naturschutzes
und der Landschaftspflege dienen.
2
Im Jahre 1994 begann das Planfeststellungsverfahren für den Neubau der L 614 von
Bau- km 0+917 bis Bau-km 3+214 als Teilortsumgehung M. in den Gemarkungen M.
und S. -. Kreis M. . Die anerkannten Naturschutzverbände wurden mit Schreiben vom
22.12.1994 am Verfahren beteiligt-. woraufhin der Kläger mit Schreiben vom 20.03.1995
zu dem Vorhaben Stellung nahm. Die Planunterlagen lagen in der Zeit vom 08.02.1995
bis zum 08.03.1995 im Rathaus der Stadt M. öffentlich aus. Die diesbezügliche
Bekanntmachung war am 25.01.1995 im Amtsblatt des Kreises M. erfolgt.
3
Am 09.12.1998 wurde der Plan zum Neubau der L 614 von Bau-km 0+917 bis Bau-km
3+214 als Teilortsumgehung M. beschlossen.
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Der Planfeststellungsbeschluss wurde dem Landesbüro der Naturschutzverbände NRW
per Postzustellungsurkunde am 17.12.1998 zugestellt.
5
Gegen den Planfeststellungsbeschluss wurden insgesamt sieben Klagen von Anliegern
vor dem Verwaltungsgericht Minden erhoben. Bis Februar 2000 waren sechs Verfahren
6
erledigt. In dem verbliebenden Verfahren 9 K 154/99 erklärte sich der Beklagte anläßlich
eines Erörterungstermins im März 2001 bereit-. den Bau einer zunächst nicht
vorgesehenen Lärmschutzwand zu planen-. um eine vergleichsweise Einigung zu
erreichen. Nachdem sich die Beteiligten hierauf geeinigt hatten-. wurde das Verfahren
nach Klagerücknahme am 13.12.2001 eingestellt.
Am 02.11.2001 hat der Kläger gegen den Planfeststellungsbeschluss Klage erhoben-.
deren Zulässigkeit er im Wesentlichen wie folgt begründet: Er sei ein anerkannter
Naturschutzverband gemäß § 12 b des Landschaftsgesetzes für das Land Nordrhein-
Westfalen - LG NRW - und sei durch den Planfeststellungsbeschluss in seinen
satzungsmäßigen Aufgaben im Sinne des § 12 b Abs. 2 LG NRW berührt. Er habe von
seinem Mitwirkungsrecht gemäß § 12 LG NRW Gebrauch gemacht. Auch seien die
Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des § 76 Abs. 2 LG NRW erfüllt-. da bei
Klageerhebung am 02.11.2001 der Planfeststellungsbeschluss durch die Klage im
Verfahren 9 K 154/99 noch nicht bestandskräftig gewesen sei. Er könne sich auf die
noch nicht eingetretene Bestandskraft auf Grund der Anfechtungsklage eines Dritten
berufen-. da der Wortlaut des § 76 Abs. 2 LG NRW eine Beschränkung auf ihm
gegenüber nicht bestandskräftige Verwaltungsakte nicht vorsehe. Dies entspreche auch
dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Den Naturschutzverbänden sei es vor Novellierung
des Landschaftsgesetzes gerade nicht möglich gewesen-. zu klagen. Erfasse § 76 Abs.
2 Satz 2 LG NRW aber nur solche Verfahrenssituationen-. in der gerade für die
Naturschutzverbände die Monatsfrist des § 74 VwGO noch nicht verstrichen sei-. so
wäre eine Übergangsvorschrift überflüssig. Die Klagemöglichkeit der Verbände ergebe
sich dann unmittelbar aus den Vorgaben der Verwaltungsgerichtsordnung. Die Klage
sei auch nicht außerhalb der Klagefristen der Verwaltungsgerichtsordnung erhoben
worden-. da § 58 Abs. 2 VwGO im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Die
Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses habe die Rechtsbehelfsfristen nicht in
Gang setzen können-. weil er zu diesem Zeitpunkt nicht Inhaber eines Klagerechtes
gewesen sei. Die Änderung des Landschaftsgesetzes löse auch keine Fristen aus-. da
die Regelung die Bekanntgabe der individuellen Entscheidung meine. Die
Übergangsvorschrift des § 76 Abs. 2 Satz 2 LG NRW sei sachgerecht-. da der Beklagte
wegen der noch rechtshängigen Klage nicht auf die Bestandskraft des
Planfeststellungsbeschlusses habe vertrauen dürfen. Der Umstand-. dass die
Beigeladenen gleichwohl Beträge in Millionenhöhe für den Grunderwerb und die
Errichtung eines Hochwasserpumpwerks verausgabt hätten-. sei daher unerheblich. Er
habe 16 Monate nach Einführung des Klagerechts Klage gegen den
Planfeststellungsbeschluss erhoben-. weil er erst durch einen Zeitungsartikel in der
Lokalpresse vom 25.08.2001 Kenntnis über die noch anhängigen Klagen Privater und
damit von der Option einer Verbandsklage erlangt habe. Ein landesweites Untersuchen
aller vor Einführung des Verbandsklagerechts in Kraft getretener Verwaltungsakte auf
etwaige noch anhängige Klagen Privater sei ihm nicht möglich gewesen- . da er jährlich
an ca. 1.000 neuen Verfahren offiziell beteiligt werde.
7
Der Kläger beantragt-.
8
den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten (erlassen durch den Rechtsvorgänger
des Beigeladenen zu 2.) vom 09.12.1998 (AZ.: 4000/0510- 6013/10/614.1/4110)
aufzuheben.
9
Der Beklagte beantragt-.
10
die Klage abzuweisen.
11
Zur Begründung führt er aus-. dass bei Klageerhebung der Planfeststellungsbeschluss
gegenüber dem Kläger bereits bestandskräftig gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei
dieser nur noch gegenüber einem privaten Dritten aufgrund seiner Klage nicht
bestandskräftig gewesen. Nach § 76 Abs. 2 LG NRW könnten aber nur solche
Verwaltungsakte angefochten werden-. die gegenüber dem jeweiligen Kläger nicht
bestandskräftig seien. Selbst wenn sich der Kläger auf die noch nicht eingetretene
Bestandskraft gegenüber einem Dritten berufen könne-. sei die Klage gleichwohl
verfristet. Das durch § 12 b LG NRW eingeführte Verbandsklagerecht ermögliche das
Klagerecht nicht in beliebigen Zeiträumen-. sondern nur innerhalb der Klagefristen der
VwGO. Das Gesetz sei am 15.06.2000 in Kraft getreten-. so dass damit die Jahresfrist
des § 58 Abs. 2 VwGO zu laufen begonnen habe-. da dem Kläger nach Inkrafttreten der
Novellierung keine neue Rechtsmittelbelehrung zugesandt worden sei.
12
Der Beigeladene zu 1. beantragt ebenfalls-.
13
die Klage abzuweisen.
14
Er begründet dies damit-. dass er in Zusammenarbeit mit dem Beigeladenen zu 2. im
Vertrauen auf die Rechts- und Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses Beträge
in Millionenhöhe verausgabt habe. Es seien u.a. Beträge für den Grunderwerb und die
Errichtung eines Hochwasserpumpwerkes gezahlt worden. Das Pumpwerk sei im Jahre
2001 errichtet worden-. da bereits zu diesem Zeitpunkt sowohl aus der Sicht des
Beklagten-. des Beigeladenen zu 2. und aus seiner Sicht die Bestandskraft gegenüber
dem Kläger gegeben sei. Im Verfahren 9 K 154/99 sei schon frühzeitig zu erkennen
gewesen-. dass mit den Klägern eine Einigung zu erzielen sei.
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Der Beigeladene zu 2. beantragt-.
16
die Klage abzuweisen.
17
Er vertritt die Ansicht-. dass sich der Kläger nicht auf die Übergangsvorschrift des § 76
Abs. 2 LG NRW berufen könne. Der Planfeststellungsbeschluss sei dem Kläger
gegenüber bereits bestandskräftig-. da mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung
des Landschaftsgesetzes die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO gelte. Unabhängig
vom Ausgang des Klageverfahrens eines Anliegers sei es beabsichtigt gewesen-. die
Ortsumgehung zu bauen-. da dieses nicht die Umgehungsstraße selbst-. sondern nur
den Zubringer zu K 64 betroffen habe. Falls keine Einigung hätte erzielt werden können-
. wäre eine Deckblattlösung zur Anwendung gekommen-. um gegebenenfalls die
Anbindung der K 64 anders zu regeln. Zurzeit werde die Ausschreibung der
Tunnelarbeiten mit dem Ziel vorbereitet-. den Bauauftrag Ende 2002 zu vergeben.
Anfang 2003 solle mit den Bauarbeiten begonnen werden. Die erforderlichen
Finanzmittel würden im Landesstraßenbauprogramm ab 2003 eingestellt werden. Durch
eine weiterhin fehlende Rechtskraft des Planfeststellungsbeschlusses werde somit die
eigene Bau- und Finanzdisposition gefährdet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der zugehörigen Beiakten Bezug genommen. Des Weiteren haben
dem Gericht die Akten der Verfahren 9 K 93/99-. 9 K 103/99 und 9 K 154/99 vorgelegen.
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Entscheidungsgründe:
20
Die Klage ist unzulässig.
21
Es bestehen bereits erhebliche Bedenken-. ob der Kläger überhaupt gemäß § 42 Abs. 2
der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - klagebefugt ist.
22
Da der Kläger durch den angefochtenen Planfeststellungsbeschluss nicht in eigenen
Rechten verletzt sein kann-. kann sich seine Klagebefugnis nur aus dem in § 12 b Abs.
1 des Landschaftsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - LG NRW - geregelten
altruistischen Verbandsklagerecht ergeben. Danach kann ein gemäß dem
Bundesnaturschutzgesetz anerkannter Verband-. ohne eine Verletzung eigener Rechte
darlegen zu müssen-. Rechtsbehelfe gegen einen Verwaltungsakt nach Maßgabe der
Verwaltungsgerichtsordnung einlegen-. wenn er geltend macht-. dass der
Verwaltungsakt den Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes-. dieses Gesetzes-.
den aufgrund dieser Gesetze erlassenen oder fortgeltenden Rechtsvorschriften oder
anderer Rechtsvorschriften einschließlich derjenigen der Europäischen Union
widerspricht-. die auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege
dienen.
23
Es ist jedoch fraglich-. ob § 12 b Abs. 1 LG NRW auf den bereits am 09.12.1998
ergangenen Planfeststellungsbeschluss anwendbar ist.
24
Diese Vorschrift wurde erst durch Art. I Nr. 8 des Gesetzes zur Änderung des
Landschaftsgesetzes vom 09.05.2000 (GV. NRW 2000-. S. 487-. 489)-. das am
15.06.2000 in Kraft getreten ist-. in das Gesetz eingefügt.
25
Die dazu erlassene Übergangsvorschrift bestimmt in § 76 Abs. 2 Satz 1 LG NRW (Art. I
Nr. 19 des Gesetzes zur Änderung des Landschaftsgesetzes vom 09.05.2000)-. dass §
12 b LG NRW uneingeschränkt nur auf Verwaltungsakte Anwendung findet-. die nach
Inkrafttreten dieses Gesetzes erlassen werden.
26
Neben diesem hier nicht vorliegenden Fall ist § 12 b LG NRW nach § 76 Abs. 2 Satz 2
LG NRW auf bei in Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht bestandskräftige Verwaltungsakte
anwendbar-. wenn im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren eine Mitwirkung der
anerkannten Verbände gesetzlich vorgeschrieben war.
27
Auch dieser Fall dürfte hier jedoch nicht vorliegen.
28
Soweit § 76 Abs. 2 Satz 2 LG NRW bestimmt-. dass das Verbandsklagerecht auf "nicht
bestandskräftige Verwaltungsakte" anwendbar ist-. bedarf diese Bestimmung der
Auslegung.
29
Nach allgemeiner Definition ist ein Verwaltungsakt bestandskräftig-. wenn er vom
Betroffenen durch ordentliche Rechtsbehelfe nicht mehr anzufechten ist (formelle
Bestandskraft). Zum anderen bedeutet die Bestandskraft-. dass die Behörde und die
Beteiligten grundsätzlich abschließend an die in dem Verwaltungsakt getroffenen
Regelungen gebunden sind (materielle Bestandskraft). Die Bestandskraft wirkt aber nur
jeweils zwischen der Behörde und dem jeweiligen durch den Verwaltungsakt
Betroffenen. So kann etwa die Behörde einem Widerspruchsführer nicht eine
Bestandskraft des Verwaltungsakts entgegenhalten-. die einem Dritten gegenüber
30
eingetreten ist-. während andererseits ein Rechtsbehelf nicht deshalb zulässig ist-. weil
der Verwaltungsakt von Dritten angefochten wurde. Sind etwa - wie in dem hier
vorliegenden Fall des Planfeststellungsbeschlusses - mehrere Beteiligte von dem
Verwaltungsakt betroffen-. so tritt die Bestandskraft jedem einzelnen gegenüber bereits
mit dem Zeitpunkt ein-. in dem der Verwaltungsakt jeweils ihm gegenüber unanfechtbar
wird-. nicht erst mit dem Zeitpunkt-. in dem er auch für den letzten Beteiligten
unanfechtbar wird.
Vgl. Knack-. VwVfG-. Kommentar-. 7. Aufl. 2000-. Vor § 43-. Rdnr. 31; Kopp/Ramsauer-.
VwVfG-. Kommentar-. 7. Aufl. 2000-. § 43-. Rdnr. 33.
31
Von daher liegt es nahe-. die Übergangsvorschrift des § 76 Abs. 2 Satz 2 LG NRW
dahingehend auszulegen-. dass auch hier die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes im
Sinne dieser Vorschrift nicht die Unanfechtbarkeit gegenüber allen Beteiligten meint-.
sondern ein vor Inkrafttreten des Gesetzes ergangener Verwaltungsakt nur dann von
einem Verband mit der Verbandsklage angegriffen werden kann-. wenn dieser ihm
selbst gegenüber noch nicht bestandskräftig geworden ist.
32
Für eine derartige Auslegung des § 76 Abs. 2 Satz 2 LG NRW spricht auch die
Entstehungsgeschichte der Norm.
33
In dem Gesetzentwurf der Landesregierung vom 30.11.1999
34
LT-Drucksache 12/4465
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war eine Übergangsregelung nicht vorgesehen. Vielmehr sollten die Änderungen des
Landschaftsgesetzes am Tag nach der Verkündung der Gesetzesnovelle in Kraft treten.
Erst durch den Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN vom 12.04.2000
36
LT-Drucksache 12/4895
37
ist § 76 LG NRW in der jetzigen Fassung in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt
worden. Anlass waren offensichtlich die damaligen Auseinandersetzungen in der
Regierungskoalition um den Rahmenbetriebsplan Garzweiler I/II. (Auch vom Kläger
wurde die Vorschrift des § 76 LG NRW in der mündliche Verhandlung als "lex
Garzweiler" bezeichnet.)
38
Vgl. das Plenarprotokoll 12/144-. S. 11972 ff..
39
Ein Naturschutzverband (nach Angabe in der mündlichen Verhandlung der Kläger) hatte
gegen die Zulassung des Rahmenbetriebsplans Garzweiler I/II vom 22.12.1997 u.a. mit
der Begründung-. das Verfahren sei fehlerhaft gewesen und er selbst deshalb nicht
ordnungsgemäß beteiligt worden-. Widerspruch eingelegt-. über den noch nicht
entschieden war.
40
Vgl. VG Aachen-. Urteil vom 10.12.2001 - 9 K 2800/00 -.
41
Es wurde offensichtlich befürchtet-. ohne Übergangsregelung könne der Verband nach
negativem Widerspruchsbescheid unter Berufung auf sein Verbandsklagerecht nach §
12 b LG NRW und mit den dort eingeräumten Rechten klagen. Deshalb sollte durch die
42
neue Übergangsregelung eine Klarstellung dahingehend erfolgen-. dass in laufenden
Verfahren eine Beteiligung nach neuem Recht nur bis zum Abschluss der Beteiligung
der Träger öffentlicher Belange (§ 76 Abs. 1 LG NRW) möglich sein sollte und das neue
Verbandsklagerecht gegen bei Inkrafttreten des Gesetzes nicht bestandskräftige
Verwaltungsakte nur anwendbar sein sollte-. wenn im vorausgegangenen
Verwaltungsverfahren eine Mitwirkung des Verbandes gesetzlich vorgeschrieben war (§
76 Abs. 2 S. 2 LG NRW). Ein solches Mitwirkungsrecht wurde im Fall "Garzweiler" von
der Verwaltung ausdrücklich verneint.
Vgl. VG Aachen-. Urteil vom 10.12.2001-. a.a.O..
43
Die Übergangsvorschrift des § 76 Abs. 2 S. 2 LG NRW sollte nach dem Willen des
Gesetzgebers nur "gegenwärtige" Verfahren-. also gerade dem Verband gegenüber
noch nicht bestandskräftige Verwaltungsakte-. betreffen.
44
Vgl. die Ausführungen der Abgeordneten E. (S. 11988) und T. (S. 11974) im
Plenarprotokoll 12/144.
45
Nur so wird auch die Begründung des Änderungsantrags vom 12.04.2000-.
46
LT-Drucksache 12/4895
47
die Übergangsvorschrift diene der Rechtssicherheit-. verständlich.
48
Gegen die mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht übereinstimmende Auslegung des §
76 Abs. 2 S. 2 LG NRW-. wonach die Vorschrift sich nur auf gerade dem Verband
gegenüber nicht bestandskräftige Bescheide bezieht-. lässt sich auch nicht einwenden-.
vor Einführung des Verbandsklagerechts könne mangels Klagerechts nicht von einer
"Bestandskraft" etwa eines Planfeststellungsbeschlusses gegenüber einem Verband
gesprochen werden. Auch vor Inkrafttreten des § 12 b LG NRW stand den Verbänden
nämlich ein Klagerecht gegen Verwaltungsakte zu-. die nach gesetzlichen Vorschriften
nur unter ihrer Mitwirkung ergehen durften. Sie hatten zwar nicht die weitgehenden
Möglichkeiten der altruistischen Verbandsklage gemäß § 12 b LG NRW-. konnten aber
eine Verletzung ihrer Beteiligungsrechte gemäß § 29 BNatSchG gerichtlich geltend
machen.
49
Vgl. BVerwG-. Urteil vom 31.10.1990 - 4 C 7.88 --. BVerwGE 87-. 62 ff..
50
Selbst wenn der Kläger das Verbandsklagerecht nach Einführung des § 12 b LG NRW
auch in solchen Fällen geltend machen kann-. in denen der Verwaltungsakt gegenüber
einem Dritten nicht bestandskräftig ist-. ist die vorliegende Klage unzulässig.
51
In diesem Fall ist § 58 Abs. 2 VwGO analog in der Weise anzuwenden-. dass der Kläger
eine Klage innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Verbandsklagerechts am
15.06.2000 hätte einreichen müssen-. so dass die am 02.11.2001 eingegangene Klage
verspätet ist.
52
Gemäß § 12 b LG NRW sollen einem Verband seine Klagerechte nur nach Maßgabe
der Verwaltungsgerichtsordnung zustehen. Nach der Verwaltungsgerichtsordnung kann
grundsätzlich eine Klage gemäß § 74 Abs. 1 VwGO nur innerhalb eines Monats nach
Zustellung bzw. Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes - wie sie hier ordnungsgemäß
53
erfolgt ist - oder gemäß § 58 Abs. 2 VwGO innerhalb eines Jahre erhoben werden.
Diese Vorschriften sind zwar nicht unmittelbar anwendbar-. da bei Zustellung des
Planfeststellungsbeschlusses am 17.12.1998 dem Kläger das Klagerecht gemäß § 12 b
LG NRW (noch) nicht zustand und die Ausschlussfrist des § 58 Abs. 2 VwGO an die
Bekanntgabe eines Verwaltungsakts-. nicht aber an die Verkündung eines Gesetzes
anknüpft. Es kann jedoch nicht angenommen werden-. dass der Gesetzgeber - wenn die
Übergangsvorschrift entsprechend auszulegen ist - das Klagerecht gemäß § 12 b LG
NRW ohne zeitliche Befristung und nur mit der Einschränkung der Bestandskraft des
Verwaltungsaktes gegenüber allen Planbetroffenen-. die u.U. auch erst nach mehreren
Jahren eintreten kann-. hätte gewähren wollen. Gemessen an den vom Gesetzgeber
verfolgten Absichten-. die Rechtssicherheit zu wahren-. ist eine solche Regelung
lückenhaft-. so dass sie im Wege der Analogie zu schließen ist.
Vgl. BVerfG-. Beschluss vom 03.04.1990 - 1 BvR 1186/89 --. BVerfGE 82-. 6 ff.;
BVerwG-. Urteil vom 26.10.1995 - 3 C 11.94 --. BVerwGE 99-. 362 ff..
54
Für eine zeitliche Beschränkung des Klagerechts gemäß § 12 b LG NRW liegt es nahe-.
die Vorschrift des § 58 Abs. 2 VwGO analog anzuwenden. Denn in der Jahresfrist des §
58 Abs. 2 VwGO kommt eine gesetzgeberische Grundentscheidung des Prozessrechts
zum Ausruck-. nach der dem Interesse der Rechtssicherheit nach einem Jahr in aller
Regel der Vorrang gegenüber dem Vertrauensschutz des Betroffenen einzuräumen ist.
55
Vgl. BVerwG-. Urteil vom 10.11.1966 - II C 99.64 --. NJW 1967-. 591 ff.; Czybulka in:
Sodan/Ziekow-. Kommentar zur VwGO-. Loseblatt-. Stand Februar 2002-. § 58 Rdnr. 81;
so auch die Fristenlösung in § 73 Abs. 3 Nds. NaturschutzG.
56
Ebenso wie im Falle einer unterbliebenen oder unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung
wäre es hier dem Kläger-. der als Begünstigter von der Gesetzesänderung wusste und
dem auch der angefochtene Verwaltungsakt ordnungsgemäß zugestellt worden war-.
durchaus zumutbar gewesen-. sich innerhalb eines Jahres gegen den
Planfeststellungsbeschluss zu wehren.
57
Aber selbst wenn im vorliegenden Fall die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO nicht
analog anzuwenden wäre-. ist die Klage als unzulässig abzuweisen-. da das Klagerecht
gemäß § 12 b LG NRW durch den Kläger als verwirkt anzusehen ist.
58
Die hier maßgebliche prozessuale Verwirkung bedeutet-. dass ein Recht nicht mehr
ausgeübt werden kann-. wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit
verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten-. die die verspätete
Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.
59
Vgl. BVerwG-. Urteil vom 16.05.1991 - 4 C 4.89 --. NVwZ 1991-. 1182 ff.; OVG NRW-.
Urteil vom 02.03.1999 - 10 A 2343/97 -.
60
Dementsprechend kann auch das Mitwirkungsrecht der Naturschutzverbände und damit
verbunden auch das nunmehr eingeführte Verbandsklagerecht der
Naturschutzverbände verwirkt werden.
61
Vgl. Bay.VGH-. Urteil vom 07.08.2001 - 8 A 01.400004 --. NuR 2002-. 96 ff..
62
Die verfahrensrechtliche Verwirkung setzt voraus-. dass seit der Möglichkeit der
63
Klageerhebung längere Zeit verstrichen ist. Die Möglichkeit der Klageerhebung muss
dem Berechtigten auch bewusst gewesen sein und es müssen weitere Umstände
hinzutreten-. die die verspätete Geltendmachung als einen Verstoß gegen Treu und
Glauben erscheinen lassen. Das ist dann der Fall-. wenn der Verpflichtete infolge eines
bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte-. dass dieser das Recht
nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage)-. der
Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat-. dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde
(Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und
Maßnahmen so eingerichtet hat-. dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des
Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
Vgl.: BVerwG-. Urteil vom 10.08.2000 - 4 A 11.99 --. NVwZ 2001-. 206 ff.; BVerwG-.
Urteil vom 16.05.1991-. a.a.O.; BVerwG-. Urteil vom 15.05.1984 - 3 C 86.82 --. BVerwGE
69-. 227 ff.; Bay.VGH-. Urteil vom 07.08.2001-. a.a.O.; Czybulka in: Sodan/Ziekow-.
a.a.O.-. § 58-. Rdnr. 79.
64
Die tatsächlichen Voraussetzungen für die Verwirkung des Klagerechts liegen hier vor.
65
Mit der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses am 17.12.1998 war dem Kläger
bekannt-. dass der Beklagte das Planfeststellungsverfahren für den Neubau der L 614
abgeschlossen hatte. Als Beteiligter des Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung des
Landschaftsgesetzes und als maßgeblich Betroffener wusste der Kläger auch-. dass er
mit dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung die Verbandsklage erheben konnte.
66
Vgl. "BUND-Informationen aus NRW"-. Mai 2000-. S. 3.
67
Selbst wenn mit dem Vortrag des Klägers davon auszugehen ist-. dass er von der noch
rechtshängigen Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 09.12.1998 erst
durch einen Zeitungsartikel vom 25.08.2001 erfahren hat-. kann ihn das nicht entlasten.
Denn der positiven Kenntnis steht es regelmäßig gleich-. wenn der Berechtigte von der
ihn belastenden Maßnahme zuverlässige Kenntnis hätte haben müssen-. weil sich ihm -
zum einen - deren Vorliegen hätte aufdrängen müssen und es ihm - zum anderen -
möglich und auch zumutbar gewesen sein muss-. sich über die getroffene Maßnahme
letzte Gewissheit zu verschaffen.
68
Vgl. BVerwG-. Urteil vom 10.08.2000-. a.a.O..
69
Gerade weil der Kläger nur in bedeutsamen Verfahren - im Verfahren Garzweiler I/II und
im vorliegenden Verfahren - von seinem Klagerecht Gebrauch machen wollte-. konnte
es ihm ohne weiteres bekannt sein-. dass noch Klagen gegen den
Planfeststellungsbeschluss anhängig waren. Anhand der dem Kläger vorliegenden
Unterlagen - sowohl die Beteiligungsschreiben des Beklagten als auch der zugestellte
Planfeststellungsbeschluss lagen ihm vor - hätte er sich beim Beklagten-. bei den
Beigeladenen oder beim zuständigen Verwaltungsgericht Gewissheit verschaffen
können-. ob noch Klagen anhängig sind.
70
Gleichwohl hat der Kläger die Klage erst nach mehr als einem Jahr erhoben. Nach
Ablauf eines Jahres konnte der Beklagte davon ausgehen-. dass der Kläger eine
Klageerhebung nicht mehr beabsichtigte-. weil er so unter Verhältnissen untätig
geblieben ist-. unter denen jedermann vernünftigerweise etwas zur Wahrung seines
Rechts unternommen hätte.
71
Vgl.: BVerwG-. Urteil vom 10.08.2000-. a.a.O.; so auch die Rechtsprechung zur
Verwirkung der Antragsbefugnis im Baunachbarrecht: BVerwG-. Urteil vom 16.05.1991-.
a.a.O.; BVerwG-. Urteil vom 28.08.1987 - 4 N 3.86 --. BVerwGE 78- . 85 ff.; Hoppenberg-.
Handbuch des öffentlichen Rechts-. Loseblatt-. Stand Mai 2001- . H-. Rdnr. 626.
72
Die Planfeststellungsbehörde und der Vorhabenträger haben sich letztendlich mit ihren
weiteren Maßnahmen darauf eingerichtet-. dass das Vorhaben von dem Kläger
hingenommen werde. Mit einer neu eingehenden Klage eines anerkannten
Naturschutzverbandes-. die mit einem anderen Schwerpunkt als die Klage eines
Anliegers den Planfeststellungsbeschluss wieder gänzlich in Frage stellen würde-.
brauchten sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu rechnen. Die letzten noch verbliebenen
Kläger im Verfahren 9 K 154/99 hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend mit
dem Beklagten geeinigt. Bereits anlässlich eines Erörterungstermins im März 2001 hatte
der Beklagte den Bau einer zunächst nicht vorgesehenen Lärmschutzwand zugesagt
und damit die Voraussetzungen für eine Einigung geschaffen. Bei Klageerhebung des
Klägers standen nur noch marginale Entschädigungsfragen offen-. so dass der Beklagte
und die Beigeladenen davon ausgehen konnten-. dass eine erhebliche Verzögerung
nicht mehr eintreten und sie alsbald mit der Verwirklichung des Vorhabens beginnen
könnten. Vor diesem Hintergrund wird es verständlich-. dass der Beigeladene zu 1. in
Zusammenarbeit mit dem Beigeladenen zu 2. im Jahre 2001 den Grunderwerb und die
Errichtung eines Hochwasserpumpwerks getätigt hat-. wie er in der mündlichen
Verhandlung vorgetragen hat.
73
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit-. dem
Kläger gemäß § 162 Abs. 3 VwGO auch die außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen aufzuerlegen. Denn diese haben Sachanträge gestellt und sich daher
einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
74
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis
beruhen auf den §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11-. 711 ZPO.
75
Rechtsmittelbelehrung:
76
Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem
Verwaltungsgericht Minden (Königswall 8-. 32423 Minden oder Postfach 32 40-. 32389
Minden) beantragt werden-. dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-
Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil
bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe
darzulegen-. aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem
Verwaltungsgericht Minden einzureichen. Der Antrag ist zu stellen durch einen
Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des
Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten.
Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch
Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im
höheren Dienst-. Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit
Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen
kommunalen Spitzenverbandes des Landes-. dem sie als Mitglied zugehören-. vertreten
lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 1 Sätze 4 bis 7 VwGO wird
hingewiesen.
77
P. Schomann K.
78
B e s c h l u s s :
79
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 20.000-.00 EUR festgesetzt.
80
G r ü n d e :
81
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz - GKG -.
Der Kläger nimmt als anerkannter Naturschutzverband Belange des Natur- und
Landschaftsgesetzes wahr. Die sich hieraus für den Kläger ergebende Bedeutung der
Sache schließt es nicht aus-. einen den Auffangwert des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG
übersteigenden Streitwert festzusetzen. Im Hinblick auf die umfangreichen Interessen
des Klägers-. die aus dessen eigener Sicht deswegen besonderes Gewicht hatten-. weil
die Zulassung der Teilortsumgehung L 614 im Streit stand-. erachtet die Kammer einen
Streitwert von 20.000- .00 EUR für angemessen.
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Vgl. BVerwG-. Urteil vom 22.03.1995 - 11 A 1.95 --. BVerwGE 98-. 100 m.w.N.
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