Urteil des VG Minden vom 19.01.2009

VG Minden: angemessenheit der kosten, beihilfe, arzneimittel, bvo, vollstreckung, verfassung, aufzählung, vollstreckbarkeit, ausschluss, konkretisierung

Verwaltungsgericht Minden, 4 K 1391/08
Datum:
19.01.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 1391/08
Tenor:
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 11.12.2007 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2008 verpflichtet,
dem Kläger auf seinen Antrag vom 05.12.2007 bezüglich der
Aufwendungen für die Beschaffung der Medikamente "Terzolin Lösung"
und "ACC Akut" Beihilfe zu gewähren und auf den Betrag
Prozesszinsen ab Klageerhebung in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn
nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger steht als L. im Dienst des beklagten Kreises.
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Mit Schreiben vom 05.12.2007 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung
von Beihilfe unter anderem zu Aufwendungen, die ihm am 10.09.2007 bzw. 13.11.2007
durch die Beschaffung der Medikamente "Terzolin Lösung" und "ACC Akut" entstanden
waren.
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Durch Bescheid vom 11.12.2007 lehnte der Beklagte die Gewährung von Beihilfe zu
den genannten Aufwendungen mit der Begründung ab, Aufwendungen für Arzneimittel
zur Anwendung bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten sowie nicht
verschreibungspflichtige Medikamente seien grundsätzlich nicht beihilfefähig; eine
Abweichung von diesem Grundsatz sei vorliegend nicht geboten.
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Hiergegen legte der Kläger am 20.12.2007 Widerspruch ein, den der Beklagte durch
Widerspruchsbescheid vom 20.03.2008 - zugestellt am 01.04.2008 - zurückwies.
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Am 29.04.2008 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor, es sei
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rechtswidrig, die von ihm nunmehr im Rahmen des Klageverfahrens geltend gemachten
Aufwendungen für Medikamente durch beihilferechtliche Vorschriften von der
Beihilfefähigkeit grundsätzlich auszuschließen.
Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 11.12.2007 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 20.03.2008 zu verpflichten, dem Kläger auf seinen Antrag
vom 05.12.2007 bezüglich der Aufwendungen für die Beschaffung der Medikamente
"Terzolin Lösung" und "ACC Akut" Beihilfe zu gewähren und auf den Betrag
Prozesszinsen ab Klageerhebung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 11.12.2007 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 20.03.2008 ist insoweit rechtswidrig, als durch ihn eine
Beihilfe zu den Aufwendungen des Klägers für die Beschaffung der im Tenor
aufgeführten Präparate abgelehnt wurde. Der Kläger hat einen Anspruch auf die mit der
vorliegenden Klage begehrte Beihilfe.
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Gemäß § 88 Satz 1 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen
(Landesbeamtengesetz - LBG) erhalten Beamte sowie weitere im Einzelnen benannte
Personen Beihilfen unter anderem zu den Aufwendungen in Krankheitsfällen, solange
ihnen laufende Bezüge zustehen. Beihilfefähig sind nach § 88 Satz 2 LBG die
notwendigen und angemessenen Aufwendungen unter anderem für den
Beihilfeberechtigten, seinen nicht selbst beihilfeberechtigten Ehegatten und seine
berücksichtigungsfähigen Kinder. Das Nähere regelt gemäß § 88 Satz 4 LBG das
Finanzministerium im Einvernehmen mit dem Innenministerium durch
Rechtsverordnung. Darin kann nach § 88 Satz 5 1. Halbsatz LBG unabhängig von der
Notwendigkeit und Angemessenheit der Kosten die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen
bei zahnärztlichen Leistungen, bei Beschäftigung von Pflegekräften und
Hauspflegekräften, bei Hilfsmitteln, bei Aufenthalten in Krankenhäusern, Sanatorien und
Heimen, bei Heilkuren, bei Behandlungen außerhalb des Wohnortes des
Beihilfeberechtigten sowie in Todesfällen begrenzt werden; daneben kann der
Beihilfeberechtigte über die Eigenvorsorge hinaus gemäß § 88 Satz 5 2. Halbsatz LBG
zu einer vertretbaren Selbstbeteiligung an den Kosten herangezogen werden.
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Die aufgrund der o.a. Ermächtigungsregelung erlassene Verordnung über die
Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfenverordnung
- BVO) in der hier anwendbaren Fassung sieht in § 4 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 vor, dass die
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beihilfefähigen Aufwendungen die Kosten für die von Behandlern bei ihren
Verrichtungen verbrauchten oder nach Art und Umfang schriftlich verordneten
zugelassenen Arzneimittel, Verbandmittel und dergleichen umfassen. Nach § 4 Abs. 1
Nr. 7 Satz 2 BVO sind die Aufwendungen für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die
nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die
Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-
Richtlinien - AMR) von der Verordnung ausgeschlossen sind, sowie Arzneimittel, die
nicht verschreibungspflichtig sind, - von bestimmten Ausnahmefällen abgesehen - nicht
beihilfefähig. Weiterhin kann das Finanzministerium gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 7 Satz 6 BVO
in Anlage 2 der Beihilfenverordnung und ergänzend in den Verwaltungsvorschriften zur
Beihilfenverordnung weitere Arzneimittel unter im Einzelnen aufgeführten
Voraussetzungen von der Beihilfefähigkeit ausschließen.
Im vorliegenden Falle sind sich die Beteiligten darüber einig, dass der Kläger dem
beihilfeberechtigten Personenkreis angehört und die Beihilfefähigkeit von Arzneimitteln
im beihilferechtlichen Sinne
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- vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 14.05.2008 - 1 A 1701/07 -; VG Köln, Urteil vom
23.06.2008 - 19 K 4786/06 -
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zu beurteilen ist. Das Gericht geht ferner davon aus, dass die konkret entstandenen
Aufwendungen im Sinne der §§ 88 Satz 2 LBG, 3 Abs. 1 BVO notwendig und
angemessen waren bzw. sind.
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Ein Beihilfeanspruch des Klägers ist auch nicht aufgrund der einschränkenden
Vorschriften des § 4 Abs. 1 NR. 7 Sätze 2 ff. BVO ausgeschlossen. Denn diesen
Vorschriften fehlt eine gesetzliche Ermächtigung und sie genügen damit nicht den
Anforderungen des Art. 70 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen.
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Insbesondere die Regelung des § 88 Satz 5 1. Halbsatz LBG stellt keine
Ermächtigungsgrundlage für die vorliegend fragliche Beschränkung der Beihilfefähigkeit
dar. In der hierin enthaltenen Aufzählung, die angesichts des Ausnahmecharakters der
Regelung als abschließend anzusehen ist, sind Arzneimittel nicht aufgeführt. Im Übrigen
berechtigt § 88 Satz 5 1. Halbsatz LBG lediglich dazu, die Beihilfe für die im Einzelnen
genannten Arten von Aufwendungen zu begrenzen, nicht aber dazu, sie vollständig
auszuschließen.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.09.2007 - 6 A 1568/07 -, bestätigt vom BVerwG,
Beschluss vom 02.10.2008 - 2 B 143.07 -.
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Die Vorschriften des § 4 Abs. 1 Nr. 7 Sätze 2 ff. BVO finden auch in § 88 Satz 5 2.
Halbsatz LBG keine Stütze. Die letztgenannte Regelung ist allein die Basis für die
Einführung einer Kostendämpfungspauschale, lässt aber keine Leistungsausschlüsse
für einzelne Aufwendungen zu.
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Schließlich stellen die Vorschriften des § 4 Abs. 1 Nr. 7 Sätze 2 ff. BVO auch keine
Konkretisierung des Begriffs "angemessen" im Sinne des § 88 Satz 2 LBG dar: Ein
vollständiger Ausschluss der Beihilfefähigkeit notwendiger Aufwendungen stellt im
Gegensatz zu einer lediglich quantitativen Begrenzung bereits begrifflich keine
Regelung der Angemessenheit dar.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.09.2007 - 6 A 1568/07 -.
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Der Anspruch auf Prozesszinsen folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
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Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO.
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