Urteil des VG Minden vom 28.06.2006
VG Minden: unterricht, entlassung, widerruf, kritik, vollstreckung, ausbildung, genehmigung, beamtenverhältnis, gespräch, vollstreckbarkeit
Verwaltungsgericht Minden, 4 K 119/05
Datum:
28.06.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 119/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des jeweiligen Vollstreckungsbetrages ab- wenden, wenn der Beklagte
nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die am .................... geborene Klägerin bestand am 12.06.2002 die Erste Staatsprüfung
für das Lehramt für die Primarstufe mit der Gesamtnote "Gut (2,5)".
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Mit Wirkung vom 01.02.2004 wurde die Klägerin unter Berufung in das
Beamtenverhältnis auf Widerruf zur Anwärterin für das Lehramt für die Primarstufe
ernannt und dem Studienseminar für das Lehramt für die Primarstufe E. und der L. -
Schule in E. zugewiesen.
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Nachdem die Klägerin, die zum WS 1999/2000 an der Hochschule für Musik und
Theater I. ein Studium der Musikerziehung aufgenommen hatte, an mehreren Tagen
sowohl in der Ausbildungsschule als auch im Studienseminar gefehlt hatte, entließ die
Bezirksregierung E. die Klägerin nach Anhörung und erfolgter Zustimmung der
Personalvertretung mit Bescheid vom 24.06.2004 zum 31.07.2004 aus dem
Vorbereitungsdienst und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit dieser
Entlassungsverfügung an.
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Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin am 17.01.2005 die vorliegende Klage
erhoben. Die Klägerin beantragt,
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die Entlassungsverfügung des Beklagten vom 24.06.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 15.12.2004 aufzuheben.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Landes Bezug
genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Die Entlassungsverfügung des Beklagten vom 24.06.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 15.12.2004 ist rechtmäßig. Zu Recht hat der Beklagte die
Klägerin gemäß § 35 Abs. 1 LBG zum 31.07.2004 aus dem Beamtenverhältnis auf
Widerruf entlassen. Gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung vom
24.06.2004 bestehen keine Bedenken. Die zuständige Personalvertretung hat der
Entlassung der Klägerin unter dem 15.06.2004 zugestimmt und die Klägerin ist vor der
Entlassung auch gem. § 28 VwVfG angehört worden. Ein etwaiger Fehler im
Anhörungsverfahren - die Klägerin ist nur hinsichtlich ihres unentschuldigten
Fernbleibens vom Dienst angehört worden, während die Entlassungsverfügung auch
auf die mangelnde fachliche Eignung der Klägerin gestützt wird - ist gem. § 45 VwVfG
NRW im Widerspruchsverfahren geheilt worden.
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Auch materiell ist die Entlassungsverfügung nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage für
die Entlassung ist § 35 Abs. 1 Satz 1 LBG. Nach dieser Vorschrift kann der Beamte auf
Widerruf jederzeit entlassen werden. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts reicht es aus, wenn hierfür ein sachlicher Grund gegeben
ist. Dabei genügen bereits berechtigte Zweifel der Entlassungsbehörde, ob der Beamte
die persönliche oder fachliche Eignung für sein Amt besitzt. Des Nachweises eines
konkreten Dienstvergehens bedarf es insoweit nicht.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 09.06.1981 - 2 C 48.79 -, BVerwGE 62, 267, 268.
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§ 35 Abs. 2 Satz 1 LBG schränkt das Ermessen der Entlassungsbehörde zwar für
Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst dahingehend ein, dass im
Vorbereitungsdienst dem Beamten Gelegenheit gegeben werden soll, den
Vorbereitungsdienst abzuleisten und die Prüfung abzulegen. In der Rechtsprechung ist
aber anerkannt, dass die Entlassung aus dem Widerrufsbeamtenverhältnis schon vor
der Teilnahme an der erstrebten Laufbahnprüfung sachgerecht ist, wenn begründete
Zweifel an der persönlichen Eignung für die betreffende Laufbahn bestehen.
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Vgl. OVG NW, Beschluss vom 08.06.2000 - 6 B 571/00 -, n.v., m.w. Hinweisen auf die
Rechtsprechung.
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
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Das beklagte Land ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass der Klägerin
die fachliche Eignung und die charakterliche Eignung für den angestrebten Lehrerberuf
fehlen und die Klägerin demzufolge das Ziel des Vorbereitungsdienstes nicht mehr
erreichen kann. Diese Einschätzung ist im Hinblick auf die in der Entlassungsverfügung
vom 24.06.2004 und im Widerspruchsbescheid vom 15.12.2004 angeführten
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Dienstpflichtverletzungen und erheblichen Leistungsdefizite der Klägerin, die sich wie
ein roter Faden durch ihren gesamten Vorbereitungsdienst ziehen, nachvollziehbar und
sachgerecht.
Insbesondere die fachlichen Leistungen der Klägerin rechtfertigen die von dem
beklagten Land ausgesprochene Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst. Die in den
Verwaltungsvorgängen des Beklagten enthaltenen Stellungnahmen des
Studienseminars, der Schulleiterin und der Ausbildungslehrer an der
Ausbildungsschule der Klägerin machen die Einschätzung des beklagten Landes
plausibel, dass der Leistungsstand der Klägerin für eine erfolgreiche Beendigung des
Vorbereitungsdienstes völlig unzureichend war und auch nicht davon ausgegangen
werden konnte, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern würde. So hat z. B. die
Ausbildungslehrerin H. in ihrer schriftlichen Äußerung vom 29.09.2004 ausgeführt: "..
Frau T. habe ich vor jeder Besprechungsstunde gefragt, ob sie aktuelle Fragen hätte,
Hilfestellungen in Bezug auf ihre Ausbildung benötige, welche Themen ihr wichtig
wären. Es kamen von ihr aus jedoch keinerlei Fragen oder Anregungen. Sie betonte
auch immer wieder, dass sie keinerlei Hilfen brauche, und dass sie keinerlei Probleme
hätte. So wurden fachdidaktische Themen von mir ausgewählt und mit ihr besprochen.
In Bezug auf ihren eigenen Unterricht fasste sie Hinweise und alternative Möglichkeiten
bezüglich des Unterrichtsverlaufes und der Unterrichtsführung als Kritik und
Diskriminierung auf. Sie war nicht in der Lage, konstruktive Kritik anzuerkennen und
umzusetzen. Sie bestand immer wieder darauf, dass ihr Unterrichtsstunden erst einmal
vorgemacht werden sollten, damit sie diese genau so "nachmachen" könne. Dabei
bestand in der Hospitationsphase die Möglichkeit für sie, in allen Fächern und in allen
Klassen Unterricht zu sehen und zu lernen. Es war aber nicht möglich, ihr begreiflich zu
machen, dass man Unterricht heute nicht "nachmachen" kann, dass Eigeninitiative,
eigene Ideen und Einsatzbereitschaft mit eingebracht werden müssen. Immer wieder
wurden ihr Möglichkeiten zur Unterrichtsplanung aufgezeigt, die sie jedoch nicht
umsetzte. Fragen zu ihren Unterrichtsstunden beantwortete sie lediglich mit: "Die
Stunde war gut", oder "Ich kann mich nicht erinnern." In der schriftlichen Stellungnahme
von Frau S. heißt es u.a.: " Frau T. sollte ab dem 1.2.04 von mir im Fach Sprache betreut
werden. Sie vertrat aber von Anfang an die Ansicht, dass dieses Fach nur ihr Drittfach
sei, in dem sie keine Unterrichtsbesuche habe und das sie somit auch nicht regelmäßig
unterrichten müsse. Ich versuchte, ihr deutlich zu machen, dass es im Schulalltag eines
jeden Grundschullehrers Pflicht ist, das Fach Sprache zu unterrichten und zu
beherrschen. Ich bot ihr zudem an, die Zeit in meiner Klasse zum Ausprobieren zu
nutzen, um Praxiserfahrungen zu sammeln. Trotzdem kam es mangels Eigeninitiative
von Frau T. im ganzen Halbjahr nur zu vier eigenständig unterrichteten Einzelstunden,
die von mir größtenteils geplant wurden. Frau T. erhielt jedes Mal eine detaillierte
schriftliche Bewertung mit Alternativvorschlägen für die erteilte Stunde, eine mündliche
Nachbesprechung wünschte sie nicht...Eine eigene Vorbereitungsleistung erbrachte
Frau T. nicht. ...Frau T. genügte aber der passive Einsatz und sie verspürte keinerlei
Wunsch nach selbständigen Unterrichten oder auch nur nach der Umsetzung eigener
Ideen, wozu ich sie aber immer wieder ermunterte. Betrachtet man die Tatsache, dass
sie bereits seit sechs Monaten in der Ausbildung stand und nach den Sommerferien
selbständigen Unterricht hätte übernehmen sollen, so muss man sagen, dass ihr
Engagement, ihre Lehrerpersönlichkeit und ihr fachliches Können nicht dem
Ausbildungsstand entsprachen und eine Veränderung leider nicht zu erkennen war. ...
Frau T. fehlte einfach der Blick für die wesentlichen Dinge des Schulalltages. Passives
Handeln, Unterricht nach Vorschrift und Nachahmen reichen hier nicht aus."
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Frau C. hat in ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 29.09.2004 angegeben: "Die
Zusammenarbeit mit Frau T. gestaltete sich äußerst problematisch, da sie große
Schwierigkeiten hatte, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Eigene Ideen oder
Vorschläge wollte oder konnte sie nicht äußern. Konkrete und sinnvolle Fragen zur
Unterrichtsgestaltung kamen selten oder nie. Anregungen und Hilfestellungen von
meiner Seite hat sie nicht verstanden und konnte sie nicht umsetzen. Tipps zur
Verbesserung ihres Unterrichts fasste sie immer als negative Kritik auf, und sie
rechtfertigte sich immer damit, dass sie das ja erst noch lernen müsste und man ihr das
erst noch vormachen müsse. Kam man zu einem späteren Zeitpunkt auf besprochene
didaktische Hilfen zurück, erinnerte sie sich nicht mehr daran, und tat als ob ihr das
vollkommen neu wäre.... Im Unterrichtsgeschehen zeigte sie sich wie auch im Kontakt
mit den Kolleginnen sehr gehemmt und vollkommen unsicher. Ihr gehemmtes und
unselbständiges Auftreten vor der Klasse führte oft zu für sie nicht mehr kontrollierbaren
Situationen (Unruhe, weinende Kinder, Chaos). Da Frau T. zu keiner Zeit die Kinder im
Blick hatte, registrierte sie auch nicht, wenn die Kinder sich mit sachfremden Dingen
beschäftigten, sich schlugen oder auf andere Art und Weise dem Unterricht entzogen.
Da Absprachen, Anregungen und Hilfen nicht akzeptiert und umgesetzt wurden, konnte
kein kontinuierlicher, selbständiger und den Richtlinien und dem Lehrplan
entsprechender Unterricht geleistet werden."
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Die Bezirksregierung E. ist auch zu Recht von einer charakterlichen Nichteignung der
Klägerin für den angestrebten Lehrerberuf ausgegangen, denn die Klägerin ist mehrfach
unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die
Leiterin der Ausbildungsschule im Februar 2004 der Klägerin gestattet hat, bis zum
20.02.2004 dem Dienst fernzubleiben, denn die Klägerin ist in diesem Zeitraum auch zu
einigen Seminaren nicht erschienen, obgleich sie hierfür unstreitig keine Genehmigung
besaß. Auch in der Folgezeit ist die Klägerin ohne ausreichende Begründung bzw. ohne
Genehmigung dem Dienst ferngeblieben, obwohl der Seminarleiter sie am 09.03., 16.3.
und 17.03.2004 ausdrücklich auf ihre Dienstpflichten hingewiesen hatte. Insoweit wird -
auch um unnötige Wiederholungen zu vermeiden - auf die Ausführungen in den
angefochtenen Bescheiden Bezug genommen. Besonders gravierend und nicht zu
rechtfertigen ist in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin am 30.03.2004 entgegen
einer ausdrücklichen Weisung ihrer Schulleiterin nicht in der Schule erschienen,
sondern nach I. zu einem Gespräch mit ihrer Professorin gefahren ist. Dies zeigt, dass
die Klägerin nicht willens oder nicht in der Lage war, die für alle Beamten geltenden
Regeln zu beachten und einzuhalten. Die Einschätzung des Beklagten, der Klägerin
fehle die für die angestrebte Laufbahn erforderliche charakterliche Eignung, ist vor
diesem Hintergrund für die Kammer nachvollziehbar und nicht zu beanstanden.
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Schließlich hat der Beklagte auch die gemäß §§ 35 Abs. 1 Satz 2, 34 Abs. 3 Satz 1 LBG
einzuhaltende Frist von einem Monat zum Monatsschluss beachtet: in der im Juni 2004
zugestellten Entlassungsverfügung vom 24.06.2004 ist die Entlassung aus dem
Vorbereitungsdienst zum 31.07.2004 ausgesprochen worden.
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Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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