Urteil des VG Minden vom 07.09.2004
VG Minden: klagebegehren, ausgleichsfonds, meinung, anteil, vollstreckung, versicherung, bekanntmachung, vollstreckbarkeit, anforderung, krankheit
Verwaltungsgericht Minden, 6 K 4036/02
Datum:
07.09.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 4036/02
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 50 EUR
abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Der Kläger zahlte für die im 1933 geborene und im 2000 verstorbene
Sozialhilfeempfängerin D. N. , die seit dem 24.1.1995 im Fachkrankenhaus F. der C. in
C zu Lasten des Klägers betreut wurde, wiederum - wie schon früher - wegen
Leistungsbezugs der Hilfeempfängerin nach dem Lastenausgleichsgesetz deren
freiwilligen Krankenversicherungsbeiträge (§ 276 Abs. 3 Satz 1 LAG), die von
Dezember 1997 bis Oktober 1999 monatlich 269,10 DM betrugen. Mit Schreiben vom
24.1.1995 teilte der Kläger der Beklagten als Ausgleichsamt seine (wieder
aufgenommene) Sozialhilfeleistung an die Hilfeempfängerin mit und bat um
Weiterbewilligung des LAG-Anteils an deren freiwilligen
Krankenversicherungsbeiträgen. Mit Schreiben vom 11.10.1995 übersandte der Kläger
der Beklagten eine Aufstellung über Krankenversicherungsbeiträge, die er der
Hilfeempfängerin für die Zeit von Juli 1994 bis Oktober 1995 gezahlt hatte, und bat um
Erstattung anteiliger 25 % (= 699,88 DM) dieser Kosten. Die Beklagte leistete umgehend
die geforderte Erstattung (Auszahlungsanordnung vom 26.10.1995).
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Mit Schreiben vom 29.11.1999, eingegangen am 2.12.1999, forderte der Kläger von der
Beklagten Erstattung entsprechender Kosten für den Zeitraum November 1995 bis
November 1999. Darauf entgegnete die Beklagte mit Schreiben vom 9.12.1999 unter
Berufung auf § 111 SGB X, lediglich die Beiträge ab November 1998 erstatten zu
können - was sie (nach weiterem Schriftwechsel) Ende Mai 2001 auch tat -, weil der
Kläger seine den vorangehenden Zeitraum betreffende Forderung nicht innerhalb von
zwölf Monaten bei ihr geltend gemacht habe. Im Antwortschreiben vom 10.2.2000
behauptete der Kläger, seinen Erstattungsanspruch bereits mit dem Schreiben vom
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24.1.1995 angemeldet zu haben, weshalb nicht § 111 SGB X, sondern § 113 SGB X
einschlägig sei. Unter dem 6.3.2000 verblieb die Beklagte jedoch bei ihrer vorherigen
Auffassung.
Am 18.12.2002 hat der Kläger Klage erhoben. Er meint, § 111 SGB X finde keine
Anwendung, weil der geltend gemachte Erstattungsanspruch Bestandteil eines
geschlossenen Regelungswerks sei. Vielmehr gelte gemäß § 276 Abs. 3 LAG i.V.m. §
113 SGB X eine vierjährige Verjährungsfrist.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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die Beklagten zu verurteilen, ihm anteilige 25 % der Krankenversicherungsbeiträge für
die verstorbene Sozialhilfeempfängerin D. N. für die Zeit vom 1.1. bis zum 31.10.1998 in
Höhe von 672,75 DM = 343,97 EUR zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt insbesondere unter Berufung auf eine ausführliche
Stellungnahme des Präsidenten des Bundesausgleichsamts vom 23.2.2004,
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die Klage abzuweisen.
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Der Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds hat keine Stellungnahme zum
Verfahren abgegeben.
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Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Im Einverständnis aller Beteiligten konnte die Kammer ohne mündliche Verhandlung
entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Leistungsklage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die
passivlegitimierte Beklagte als - insoweit zuständiges - Ausgleichsamt (§ 308 LAG)
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vgl. BVerwG, Urteil vom 25.1.1967 - V C 85.66 -, BVerwGE 26, 63 = FEVS 14, 165 =
ZLA 1967, 156 = Mitt. BAA 1967, 262
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keinen Anspruch auf Erstattung des begehrten Betrages.
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Nach § 276 Abs. 1 Satz 1 LAG erhalten Empfänger von Unterhaltshilfe nach dem LAG
(§§ 263 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1, 267 ff. LAG) als zusätzliche Leistung im Falle der
Krankheit bestimmte Krankenversorgungsleistungen. Gemäß § 276 Abs. 2 Satz 1 LAG
in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.6.1993 kann ein freiwillig
krankenversicherter Empfänger von Unterhaltshilfe beantragen, dass an Stelle der
Krankenversorgung zur Fortsetzung der Versicherung Beiträge und Prämienzuschläge
bis zu 206 DM (so die bis zur am 1.1.2002 wirksam gewordenen Änderung durch das
LAG-EUAnpG vom 9.9.2001 gültig gewesene Gesetzesfassung) monatlich je
versicherte Person erstattet werden. Die Krankenversorgung obliegt nach § 276 Abs. 3
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Satz 1 LAG den Trägern der Sozialhilfe, die auch die Kosten der Krankenversorgung
tragen. Gemäß § 276 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 LAG - auf diese Norm stützt der Kläger sein
Klagebegehren - erstattet der Ausgleichsfonds (§ 5 Abs. 1 LAG) 25 % dieser Kosten. Die
für die Sozialhilfe geltenden Vorschriften über die Zuständigkeit und die
Kostenerstattung zwischen den Trägern der Sozialhilfe finden dabei entsprechende
Anwendung (§ 276 Abs. 3 Satz 3 LAG).
Zu diesen Vorschriften gehören u.a. die §§ 111 ff. SGB X.
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Vgl. zum früheren § 112 BSHG: BVerwG, Urteile vom 14.5.1969 - V C 90.68 -, BVerwGE
32, 96 = FEVS 16, 452 = NDV 1969, 258 = ZLA 1969, 233, und vom 26.8.1970 - V C
30.70 -, FEVS 18, 44 = ZfSH 1971, 20 = ZLA 1970, 229 = Mitt. BAA 1971, 87.
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Regelungen, wie sie - vor allem - in den §§ 111 und 113 SGB X enthalten sind, finden
sich im Lastenausgleichsgesetz selbst nämlich nicht. Vielmehr sind die
Erstattungsregelungen des Lastenausgleichsgesetzes insoweit ergänzungsbedürftig,
wie § 276 Abs. 3 Satz 3 LAG belegt. § 276 LAG und weitere Normen dieses Gesetzes
stellen insoweit entgegen der Meinung des Klägers kein "geschlossenes
Regelungswerk" dar, auf das die allgemein für das Sozialleistungsrecht geltenden
Normen der §§ 111 ff. SGB X keine Anwendung finden könnten. Im Übrigen wird die
Meinung, das Lastenausgleichsgesetz sei im vorliegenden Zusammenhang ein
"geschlossenes Regelungswerk", vom Kläger selbst nicht konsequent vertreten, denn er
hält einerseits zwar § 111 SGB X für unanwendbar, andererseits aber § 113 SGB X für
einschlägig.
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Das Klagebegehren scheitert an § 111 Satz 1 SGB X. Danach ist der
Erstattungsanspruch ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht
spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht
wurde, geltend macht. Geltend gemacht hat der Kläger die konkrete streitbefangene
Erstattungsleistung, also den Anteil von 25 % an den Krankenversicherungsbeiträgen,
die der Hilfeempfängerin für die Zeit vom 1.1. bis zum 31.10.1998 gezahlt worden
waren, erst mit seinem am 2.12.1999 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben vom
29.11.1999. Am 2.12.1999 waren aber bereits mehr als zwölf Monate seit dem Ablauf
des letzten Tages, für den die streitige Leistung erbracht wurde (31.10.1998),
vergangen.
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Mit dem Schreiben vom 24.1.1995 hatte der Kläger diese Erstattungsleistung noch nicht
geltend gemacht. Jenes Schreiben enthielt vielmehr nur die allgemeine Bitte des
Klägers an die Beklagte, weiterhin den LAG-Anteil an den
Krankenversicherungsbeiträgen der Hilfeempfängerin zu bewilligen. Ein
Erstattungsanspruch ist aber nur dann "geltend gemacht" i.S.d. § 111 Satz 1 SGB X,
wenn aus dem Begehren ausreichend deutlich wird, welche Leistung erstattet werden
soll; dazu muss der Erstattungsberechtigte u. a. den Zeitraum, für den er die
Sozialleistung erbracht hat, hinreichend konkret mitteilen.
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Vgl. von Wulffen, SGB X, Komm., 4. Aufl. 2001, § 111 Rdnr. 4, m.w.N.
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Diesen Anforderungen genügte hinsichtlich des streitbefangenen Zeitraums vom 1.1. bis
zum 31.10.1998 noch nicht das Schreiben des Klägers vom 24.1.1995, sondern erst
dessen Schriftsatz vom 29.11.1999.
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Daran, dass die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X bereits abgelaufen war, als der
Kläger sein Erstattungsbegehren geltend machte, ändert die Regelung des § 111 Satz 2
SGB X nichts. Danach beginnt der Lauf der Frist frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem
der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des
erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat.
Es kann dahinstehen, ob § 111 Satz 2 SGB X vom Sinn und Zweck her im vorliegenden
Zusammenhang gar nicht anwendbar sein kann, wie der Präsident des
Bundesausgleichsamts in seiner Stellungnahme vom 23.2.2004 unter Hinweis auf Nr. 3
(Abs. 5) seines Rundschreibens vom 24.9.2002 (Mitt. BAA 2002, 149 [151]) meint. Denn
selbst wenn § 111 Satz 2 SGB X grundsätzlich doch anwendbar sein sollte, hätte der
Kläger bereits lange vor 1999 im Sinne dieser Norm "Kenntnis erlangt" von der
Entscheidung der Beklagten über ihre (grundsätzliche) Leistungspflicht. Die Beklagte
hatte dem Kläger nämlich schon im Oktober 1995 auf dessen Anforderung hin den für
den Zeitraum Juli 1994 bis Oktober 1995 angefallenen Kostenanteil von 25 % an den
Krankenversicherungsbeiträgen für die Hilfeempfängerin erstattet und damit dem Kläger
das (grundsätzliche) Anerkenntnis ihrer Erstattungspflicht unmissverständlich zu
erkennen gegeben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO,
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vgl. zur Anwendbarkeit des § 188 VwGO: BVerwG, Urteil vom 26.8.1970 - V C 30.70 -
(a.E.), a.a.O.,
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die Anordnungen zu ihrer vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 Abs. 1 VwGO
i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
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Die Berufung gegen dieses Urteil ist gemäß § 339 Abs. 1 Satz 1 LAG ausgeschlossen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.1.1967 - V C 61.66 -, BVerwGE 26, 58 = FEVS 14, 161 =
ZLA 1967, 157 = RLA 1967, 207.
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Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat und das Urteil auch nicht von einer Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht (§ 339 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3
LAG i.V.m. §§ 132 Abs. 2, 135 VwGO).
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