Urteil des VG Minden vom 02.04.2009

VG Minden: private krankenversicherung, sachleistung, beihilfe, krankenkasse, bvo, geldleistung, fürsorgepflicht, anteil, vollstreckung, krankheit

Verwaltungsgericht Minden, 4 K 904/08
Datum:
02.04.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 904/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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Der Kläger stand bis zum Eintritt in den Ruhestand als Q. im Dienst des beklagten
Landes. Er leidet an einer N. -E. .
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Mit Schreiben vom 24.06.2007 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung
von Beihilfe unter anderem zu Aufwendungen, die ihm durch den Erwerb eines ärztlich
verordneten Bildschirmlesegerätes entstanden waren; hierzu gab er an, die U.
Krankenkasse, bei der er freiwillig versichert sei, habe im Hinblick auf die
Anschaffungskosten von 2.791,- EUR einen Betrag von 2.193,- EUR gezahlt.
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Durch Bescheid vom 13.08.2007 lehnte der Beklagte die Gewährung von Beihilfe
hinsichtlich des vom Kläger erworbenen Bildschirmlesegerätes mit der Begründung ab,
der Kläger habe insoweit von der U. Krankenkasse eine Geldleistung erhalten, die als
Sachleistung gelte und einen Beihilfeanspruch ausschließe.
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Hiergegen legte der Kläger am 30.08.2007 Widerspruch ein. Er trug vor, es könne sich
bei der Leistung der U. Krankenkasse zu den Beschaffungskosten für das
Bildschirmlesegerät nicht um eine Sachleistung handeln, da auf ihn selbst immerhin
noch ein Restbetrag von 598,- EUR entfalle. Es sei ferner zweifelhaft, ob
Beihilfeansprüche im Falle der Gewährung einer Sachleistung durch eine
Krankenkasse auch bei freiwillig Versicherten ausgeschlossen werden dürften, zumal
dies eine Ungleichbehandlung gegenüber privat versicherten Beamten darstelle.
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Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers vom 30.08.2007 durch
Widerspruchsbescheid vom 05.03.2008 zurück.
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Am 13.03.2008 hat der Kläger Klage erhoben. Er macht über sein bisheriges Vorbringen
hinaus geltend, ihm müsse Bestandsschutz gewährt werden: Die Regelung, dass im
Falle der Gewährung einer Sachleistung durch eine Krankenkasse ein Beihilfeanspruch
nicht bestehe, sei erst im Jahre 1997 eingeführt worden; zu jenem Zeitpunkt sei es
aufgrund seines Alters von 56 Jahren nicht mehr möglich bzw. wirtschaftlich sinnvoll
gewesen, in eine private Krankenversicherung zu wechseln. Im Übrigen sei der
Grundsatz "Sachleistung vor Beihilfe" nicht schablonenhaft anzuwenden. Die Leistung
der U. Krankenkasse sei angesichts der ihm verbleibenden Restkosten von 598,- EUR
faktisch als Zuschuss zu verstehen, so dass die Gewährung einer ergänzenden Beihilfe
geboten sei.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Abänderung seines Bescheides vom 13.08.2007 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2008 zu verpflichten, dem Kläger zu den
Aufwendungen für die Beschaffung eines Bildschirmlesegerätes eine Beihilfe in Höhe
von 598,- EUR zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Beklagte hat es durch seinen Bescheid vom 13.08.2007 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 05.03.2008 zu Recht abgelehnt, dem Kläger zu den im
Mai 2007 entstandenen Aufwendungen für die Beschaffung eines
Bildschirmlesegerätes Beihilfe zu gewähren; denn insoweit steht dem Kläger ein
Anspruch auf Gewährung von Beihilfe nicht zu.
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Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVO in der zum Zeitpunkt des Entstehens der hier betroffenen
Aufwendungen geltenden Fassung sind die notwendigen Aufwendungen in
angemessenem Umfange in Krankheitsfällen zur Wiedererlangung der Gesundheit, zur
Besserung oder Linderung von Leiden, zur Beseitigung oder zum Ausgleich
angeborener oder erworbener Körperschäden sowie bei dauernder Pflegebedürftigkeit
beihilfefähig. Die beihilfefähigen Aufwendungen umfassen nach § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1
BVO u. a. vom Arzt schriftlich verordnete Hilfsmittel. Erhält ein Beihilfeberechtigter oder
eine berücksichtigungsfähige Person Sach- oder Dienstleistungen (ärztliche und
zahnärztliche Versorgung, ambulante und stationäre Krankenhausbehandlung,
Heilmittel usw.), werden gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 BVO keine Beihilfen gewährt. Als
Sach- oder Dienstleistung gelten nach § 3 Abs. 3 Satz 2 BVO auch Geldleistungen unter
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anderem bei Hilfsmitteln.
Diese Grundsätze sind sowohl bei Pflichtversicherten als auch bei freiwillig
Versicherten anwendbar.
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Vgl. Mohr/Sabolewski, Beihilfenrecht, Kommentar, B I § 3 Anm. 8.
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Die aus den Regelungen des § 3 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BVO für Beihilfeberechtigte sich
ergebenden negativen Auswirkungen finden ihre Rechtfertigung in Folgendem:
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Den Beihilfevorschriften liegt die Vorstellung zugrunde, dass dem Beamten auch für
Krankheitsfälle eine angemessene Selbstvorsorge, z. B. durch den freiwilligen
Abschluss einer Krankenversicherung, zugemutet werden kann und dass deshalb die
Beihilfe des Dienstherrn lediglich ergänzend den Teil der unter anderem durch
Krankheit verursachten Aufwendungen - auch nur annähernd - zu decken braucht, den
eine zumutbare Versicherung regelmäßig nicht deckt. Die Beihilfe stellt keine
Alimentierung im eigentlichen Sinne dar, sondern sie soll zur Alimentierung aufgrund
der Fürsorgepflicht lediglich hinzutreten. Demgemäß ist es rechtlich nicht zu
beanstanden, dass Beihilfeleistungen als den durchschnittlichen Verhältnissen
angepasste Leistungen ausgebildet sind, bei denen in Kauf genommen werden muss,
dass nicht in jedem Einzelfalle eine volle Deckung der Aufwendungen erreicht wird. Der
Beihilfeberechtigte hat Härten und Nachteile hinzunehmen, die sich aus der
pauschalierenden und typisierenden Konkretisierung der Fürsorgepflicht durch die
Beihilfevorschriften ergeben.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.06.1979 - 6 C 58.76 - ZBR 1980, 67.
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Bei der gesetzlichen Krankenversicherung handelt es sich um ein System, das
seinerseits der grundsätzlichen umfassenden finanziellen Sicherung der Betroffenen
und ihrer Familien in Krankheitsfällen dient und aus öffentlichen Kassen finanziert wird.
Damit stellt es eine ähnliche Absicherung wie das für Beamte geltende System aus
Alimentation und ergänzender Beihilfe dar und unterscheidet sich grundlegend von der
Absicherung durch eine private Krankenversicherung.
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Dies wird von den Beihilfevorschriften berücksichtigt, indem angenommen wird, dass
bei einer Sachleistung, also der für die gesetzliche Krankenversicherung typischen
Leistungsform, in der Regel von vornherein Aufwendungen beim Beihilfeberechtigten
gar nicht oder nur in begrenztem Umfange entstehen. Der Dienstherr darf sich von der
Gewährung von Beihilfe in Krankheitsfällen dadurch entlasten, dass er die durch eine
gesetzliche Krankenversicherung abgesicherten Beamten auf Sachleistungen aus einer
anderen öffentlichen Kasse verweist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.1988 - 2 C 18.88 - DÖD 1989, 241 (242).
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Nimmt der Beamte anstelle der Sachleistung die für die gesetzliche
Krankenversicherung untypische Geldleistung in Anspruch und beschränkt die
Krankenkasse ihre Leistung auf die Kosten der ansonsten zu erbringenden
Sachleistung, dann gebietet es die Fürsorgepflicht nicht, durch Gewährung einer
Beihilfe ergänzend einzugreifen; denn eine derartige Geldleistung ist sowohl unter
versicherungsrechtlichem als auch unter beihilferechtlichem Blickwinkel als das volle
Äquivalent der Sachleistung einzustufen, die ihrerseits nicht beihilfefähig ist. Das gilt
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auch dann, wenn der Beamte trotz der Geldleistung der Krankenkasse mit einem
nennenswerten Anteil der Aufwendungen, der durchaus 20 v. H. betragen kann, belastet
bleibt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.03.1979 - 6 C 25.76 - ZBR 1979, 340.
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Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf die von ihm vorliegend
begehrten Beihilfeleistungen. Denn er hat von der U. Krankenkasse, in der er freiwillig
versichert ist, bezüglich der Beschaffung eines Bildschirmlesegerätes anstelle einer
Sachleistung eine Geldleistung als Sachleistungssurrogat erhalten, durch das die
entstandenen Aufwendungen bis auf einen restlichen Anteil von etwa 21 v. H.
abgedeckt sind. Damit bedarf er der ergänzenden Gewährung von Beihilfe nicht.
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Die Einlassung des Klägers, ihm sei Bestandsschutz zu gewähren, weil die
Beihilfevorschriften - soweit hier von Belang - zu einem Zeitpunkt zu seinen Ungunsten
verändert worden seien, als ein Wechsel in eine private Krankenversicherung für ihn
nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll gewesen sei, rechtfertigt keine andere Entscheidung.
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Beamte können grundsätzlich nicht darauf vertrauen, dass die für sie maßgeblichen
Beihilfevorschriften im Verlaufe ihres Berufslebens keinerlei Änderungen erfahren.
Allenfalls bei grundlegenden Umgestaltungen des Beihilfensystems, die die vom
Beamten im Rahmen der von ihm erwarteten Eigenvorsorge getroffenen Vorkehrungen
als sinnlos erscheinen lassen bzw. entwerten, könnte der Dienstherr gehalten sein,
durch Übergangsvorschriften oder in anderer Weise unterstützend einzugreifen. Eine
derartige grundlegende Änderung der hier maßgeblichen Beihilfevorschriften ist jedoch
seit der Verbeamtung des Klägers nicht eingetreten.
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Bereits in der zum 01.01.1975 in Kraft getretenen Fassung des § 3 Abs. 3 BVO war
festgelegt, dass im Falle der Gewährung einer Sachleistung durch eine gesetzliche
Krankenversicherung kein Anspruch auf Beihilfe bestand (Satz 1) und dass als
Sachleistung auch eine Geldleistung galt, die anstelle einer Sachleistung gewährt
wurde, wenn sie die entstandenen Aufwendungen - ggf. unter Abzug eines
Mengenrabatts der Krankenkasse und dergleichen - deckte (Satz 2). Durch die 14.
Änderungsverordnung vom 25.06.1997 wurde § 3 Abs. 3 BVO insoweit ergänzt, dass
Beihilfeansprüche auch in solchen Fällen ausgeschlossen wurden, in denen der
Beamte bei seiner Krankenkasse anstelle von Sach- oder Dienstleistungen
Kostenerstattung gewählt hatte oder die Krankenkasse die Kosten bis zur Höhe des
Festbetrages nach dem 5. Buch des Sozialgesetzbuchs übernommen hatte. Im Übrigen
wurde die Regelung des § 3 Abs. 3 BVO im Verlaufe der Zeit im Hinblick auf die
inzwischen in Kraft getretenen verschiedenen Bücher des Sozialgesetzbuchs mehrmals
neu gefasst.
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Die beiden Prinzipien "Sachleistung vor Beihilfe" und "Geldleistung steht einer
Sachleistung gleich, und zwar auch dann, wenn dem Beamten ein nennenswerter
Eigenanteil an den Kosten verbleibt", die bereits in der im Jahre 1975 geltenden
Fassung des § 3 Abs. 3 BVO enthalten waren, blieben allerdings bis zum jetzigen
Zeitpunkt grundsätzlich unangetastet; sie wurden lediglich modifiziert. Damit galten sie
schon zu dem Zeitpunkt, als der Kläger mit Wirkung vom 01.03.1978 zum Q. ernannt
und also beihilfeberechtigt wurde. Bereits deshalb ist für die Gewährung von
Bestandsschutz im vorliegenden Falle kein Raum.
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Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr.
11, 711 ZPO.
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