Urteil des VG Minden vom 14.07.2005

VG Minden: wissenschaft und forschung, hochschule, universität, studiengebühr, unechte rückwirkung, berufliche tätigkeit, verfügung, erwerb, staatsangehörigkeit, daten

Verwaltungsgericht Minden, 9 K 50/05
Datum:
14.07.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 50/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, falls nicht der
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist russische Staatsangehörige. Ihr Aufenthalt in Deutschland ist ihr für ein
Studium bewilligt worden.
2
Die Klägerin schloss ihr im Jahr 1998 aufgenommenes und durch zwei
Urlaubssemester unterbrochenes Studium der deutschen Sprache, dessen
Regelstudienzeit zehn Semester betrug, an der staatlichen Universität Q. /Russland am
24. Juni 2004 mit dem Diplom ab. Mit diesem Abschluss hat sie sich in Russland als
Lehrerin für die deutsche Sprache und Literatur sowie als Übersetzerin qualifiziert. Nach
Auskunft des Sekretariats der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der
Bundesrepublik Deutschland kann der von ihr erworbene Abschluss aber nicht als in
Deutschland unmittelbar berufsqualifizierend angesehen werden.
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Im Wintersemester 2004/05 war die Klägerin an der Universität C. im Studiengang
Bachelor mit den Fächern Sozialwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften
eingeschrieben. Die Regelstudienzeit für diesen Studiengang beträgt sechs Semester.
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Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung von Studienkonten und zur Erhebung
von Hochschulgebühren - StKFG NRW - vom 28. Januar 2003 (GV. NRW. S. 36) und
der Verordnung über die Einrichtung und Führung von Studienkonten mit
Regelabbuchung sowie über die Erhebung von Gebühren an den Universitäten,
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Fachhochschulen und Kunsthochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen - RVO-
StKFG - vom 17. September 2003 (GV. NRW. S. 570), geändert durch Erste
Änderungsverordnung vom 09. August 2004 (GV. NRW. S. 428), zog der Beklagte die
Klägerin mit Bescheid vom 20. Oktober 2004 für das Wintersemester 2004/05 zur
Zahlung einer Studiengebühr in Höhe von 650,00 EUR mit der Begründung heran, dass
die Klägerin an der Universität C. für ein gebührenpflichtiges Zweitstudium
immatrikuliert und ihr kein Studienkonto eingerichtet worden sei.
Die Klägerin zahlte die geforderte Studiengebühr und legte gegen den
Gebührenbescheid vom 20. Oktober 2004 am 27. Oktober 2004 Widerspruch ein: Die
Erhebung von Studiengebühren verletze sie in ihrem Grundrecht aus Art. 12 GG und
verstoße gegen das Rückwirkungsverbot. Der Begriff des Zweitstudiums sei unpassend,
weil ihr erster berufsqualifizierender Abschluss in Deutschland nicht anerkannt werde.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 08. Dezember 2004 wies der Beklagte den Widerspruch
der Klägerin zurück: Die Erhebung von Studiengebühren stehe mit Art. 12 GG in
Einklang. Denn das Grundrecht auf Ausbildungsfreiheit gewähre keinen Anspruch auf
kostenlose Ausbildung. Auch hätten Bewerber für ein zweites Studium bereits mit der
Zulassung zum Erststudium Anteil an der Verteilung der Berufschancen gehabt. Ein
Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot liege nicht vor. Das Studienkonten- und -
finanzierungsgesetz NRW enthalte lediglich eine zulässige, unechte Rückwirkung. Auf
Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen, weil sie ihr Studium an der
Universität C. erst im Wintersemester 2004/05 und damit nach Inkrafttreten des
Studienkonten- und - finanzierungsgesetzes NRW aufgenommen habe. Auch enthalte
das Studienkonten- und - finanzierungsgesetz NRW ausreichende Übergangs-,
Ausnahme- und Härtefallregelungen. Bei der Frage, ob es sich um ein Zweitstudium
handele, komme es allein darauf an, ob die Klägerin bereits einen ersten
Hochschulabschluss erworben habe. Ob es sich bei dem ersten Hochschulabschluss
der Klägerin um einen berufsqualifizierenden Abschluss handele, sei nach den
Verhältnissen in ihrem Heimatland zu beurteilen.
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Mit ihrer am 07. Januar 2005 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Zur Begründung führt sie aus: § 5 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG NRW, wonach
Studierende, die bereits vor erstmaliger Einrichtung des Studienkontos einen
berufsqualifizierenden Abschluss an einer Hochschule im Ausland erworben hätten,
kein Studienkonto erhielten, stehe mit Art. 12 EGV nicht in Einklang. Überdies hätte der
Gesetzgeber die Frage, ob ausländischen Studierenden, die über einen nicht im Inland,
sondern nur im Ausland berufsqualifizierenden Abschluss verfügen, ein Studienkonto
eingerichtet werden solle, selbst entscheiden müssen, weil es sich um eine
grundlegende Frage der Wissenschaftspolitik handele. Auch sei mit § 5 Abs. 1 Satz 3
RVO-StKFG NRW, wonach § 5 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG NRW nicht gelte, wenn die
Studierenden mit ihrem ersten und einzigen Abschluss im Sinne des Satzes 1 einen
Studiengang abgeschlossen hätten, der ausschließlich mit Mitteln privater Dritter
finanziert werde, deren Träger nicht die Hochschule sei, eine mit Art. 3 GG nicht
vereinbare Ungleichbehandlung verbunden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb
Studierende, die im Ausland einen im Ausland berufsqualifizierenden Abschluss an
einer aus privaten Mitteln Dritter finanzierte Hochschule erreicht hätten, kostenlos
studieren dürften, während Studierende, die an einer staatlichen Hochschule im
Ausland studiert hätten, kein Studienkonto erhalten sollten.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 20. Oktober 2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 08. Dezember 2004 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
12
Zur Begründung bezieht sich der Beklagte auf die Gründe seines
Widerspruchsbescheides vom 08. Dezember 2004 und führt ergänzend aus: Die
Ausgestaltung des Studienkontenmodells in § 5 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG NRW sei
von der Verordnungsermächtigung im § 13 StKFG NRW umfasst. § 5 Abs. 1 Satz 1
RVO-StKFG NRW passe auch in das Gesamtgefüge. Hätte die Klägerin ihr Studium der
Germanistik an der Universität Q. nicht abgeschlossen und ihr Studium in dem selben
oder einem vergleichbaren Studiengang an der Universität C. fortgesetzt, so wäre ihr bei
Aufnahme des Studiums an der Universität C. ein Studienkonto eingerichtet worden,
und es hätten ihr grundsätzlich die zuvor erbrachten Studienprüfungsleistungen
angerechnet werden können. Hätte die Klägerin an der Universität Q. als ersten
(berufsqualifizierenden) Abschluss einen Bachelorabschluss erworben und hätte sie ihr
Studium an der Universität C. in einem konsekutiven Masterstudiengang fortführen
wollen, so hätte sie dieses Studium im Rahmen der Bestimmungen des § 5 Abs. 2 RVO-
StKFG NRW auch gebührenfrei fortführen können. Auch sei jeder andere Bewerber, der
einen ersten Hochschulabschluss außerhalb von NRW erworben habe und nunmehr in
einem weiteren grundständigen Studiengang an einer nordrhein-westfälischen
Hochschule studieren wolle, nach den Bestimmungen des Studienkonten- und -
finanzierungsgesetzes NRW grundsätzlich gebührenpflichtig. Die in § 5 Abs. 1 Satz 3
RVO-StKFG NRW für die Einrichtung eines Studienkontos bei bereits erworbenem
ersten Abschluss geregelte Frage der Drittmittelfinanzierung eines Studienganges
spiele nur für Studiengänge an staatlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-
Westfalen eine Rolle. Denn § 5 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 RVO-StKFG NRW verweise
auf § 3 Abs. 3 Halbsatz 2 RVO-StKFG NRW, nach dem das Wissenschaftsministerium
die ausschließlich drittmittelfinanzierten Studiengänge feststelle. Studiengänge im
Sinne dieser Vorschrift seien aber nur solche Studiengänge, die an einer staatlichen
Hochschule Nordrhein-Westfalens eingerichtet worden seien. Die Privilegierung
drittmittelfinanzierter Studiengänge sei aus zwei Gründen gerechtfertigt. Beim
drittmittelfinanzierten Studiengang flößen durch die Hingabe von Drittmitteln Gelder in
die Hochschulen, die funktional Studiengebühren ähnelten. Die Vereinnahmung von
Drittmitteln zur Finanzierung eines Studiengangs an einer staatlichen Hochschule sei
von hohem öffentlichen Interesse. Studierende von ausschließlich drittmittelfinanzierten
Studiengängen an staatlichen Hochschulen sollten über die Einrichtung eines
Studienkontos an dem Studienkontenmodel partizipieren können, damit die privaten
Drittmittelgeber auch weiterhin an Formen des public-private-Partnership im
Hochschulbereich interessiert seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen
Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.
14
Entscheidungsgründe:
15
Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 20. Oktober 2004 in der Fassung des
Widerspruchbescheides des Beklagten vom 08. Dezember 2004 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage für die Erhebung der Studiengebühr im angefochtenen Bescheid ist §
9 Abs. 1 Satz 1 StKFG NRW i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG NRW. Danach wird
von eingeschriebenen Studierenden, denen kein Studienguthaben zur Verfügung steht,
für jedes Semester in einem Studiengang eine Studiengebühr in Höhe von 650,00 EUR
erhoben.
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Zu diesem Personenkreis zählt auch die Klägerin. Ihr ist kein Studienkonto einzurichten,
auf dem sich ein etwaiges Studienguthaben befinden könnte, weil sie nicht - wie von § 2
Abs. 2 StKFG NRW vorausgesetzt - in einem Studiengang zum Erwerb eines ersten
berufsqualifizierenden Abschlusses oder in einem Masterstudiengang im Sinne des § 1
Abs. 2 StKFG NRW eingeschrieben ist, sondern den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1
Satz 1 RVO-StKFG NRW entsprechend vor erstmaliger Einrichtung des Studienkontos
einen berufsqualifizierenden Abschluss erworben hat.
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Das von ihr am 24. Juni 2004 im Studiengang Germanistik in Q. /Russland erworbene
Diplom stellt einen ersten berufsqualifizierenden Abschluss im Sinne des
Studienkonten- und -finanzierungsgesetzes NRW dar. Dem steht nicht entgegen, dass
der von der Klägerin erworbene Abschluss in Deutschland nicht als gleichwertig
anerkannt wird. Denn grundsätzlich ist maßgeblich, ob der Abschluss im Heimatland zu
einer der erworbenen Qualifikation entsprechenden Berufsausübung befähigt.
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Eine Auslegung des § 2 Abs. 2 StKFG NRW in diesem Sinne findet in dem Wortlaut der
Rechtsverordnung zum Studienkonten- und -finanzierungsgesetz NRW eine deutliche
Stütze. In § 5 Abs. 1 Satz 2 RVO-StKFG NRW hat der Verordnungsgeber für
Studierende, die im Sommersemester 2004 an einer nordrhein-westfälischen
Hochschule eingeschrieben sind, abweichend von § 5 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG NRW
die Einrichtung eines Studienkontos vorgesehen, falls keiner der von ihnen im Ausland
erworbenen berufsqualifizierenden Abschlüsse als gleichwertig anerkannt wird. Einer
solchen Bedingung bedurfte es aber nur, wenn bei der Beurteilung des Abschlusses als
berufsqualifizierend auf das Heimatland der Studierenden abgestellt wird.
21
Der Rückgriff auf den Wortlaut der Rechtsverordnung zum Studienkonten- und -
finanzierungsgesetz NRW begründet auch keine Zweifel daran, dass der Gesetzgeber
die Frage, ob ausländischen Studierenden, die über ein nicht im Inland, sondern im
Ausland berufsqualifizierenden Studienabschluss verfügen, ein Studienkonto
eingerichtet werden soll, selbst entschieden hat. Für eine dahingehende Entscheidung
des Landesgesetzgebers spricht, dass dieser in § 4 Abs. 1 Satz 2 seines ursprünglichen
Entwurfs zum Studienkonten- und - finanzierungsgesetzes NRW davon ausgegangen
ist, dass ausländische Studierende ohne Einschränkung zweitstudiengebührenpflichtig
sein sollen, wenn sie zuvor einen Abschluss an einer ausländischen Hochschule
erworben haben.
22
Vgl. Landesregierung NRW, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des
Hochschulgebührengesetzes, zur Einführung von Studienkonten und zur Erhebung von
Hochschulgebühren sowie zur Änderung des Hochschul-gesetzes, LT-Drs. 13/3023, S.
8 und 22 f.
23
Auch nach dem Sinn und Zweck des Studienkonten- und -finanzierungsgesetzes NRW
ist unter einem berufsqualifizierenden Abschluss ein solcher zu verstehen, der im
Heimatland entsprechend beruflich qualifiziert. Denn die den Hochschulen gemäß den
§§ 3 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 3 HG NRW vor allem zukommende
Aufgabe, auf die berufliche Tätigkeit vorzubereiten, tritt bei ausländischen Studierenden,
die bereits einen ersten berufsqualifizierenden Studienabschluss im Ausland erworben
haben, regelmäßig zurück, weil sie nach Abschluss eines Erststudiums in ihrem
Heimatland in der Regel eine ihrem Studienabschluss entsprechende beruflichen
Tätigkeit ausüben können. Für diese Studierenden stellt sich das Zweitstudium lediglich
als wünschenswerte und die Berufsperspektiven im Heimatland verbessernde
Zusatzqualifikation dar, das der Gesetzgeber nicht kostenlos zur Verfügung stellen
wollte.
24
Studierende, auf die diese Annahme nicht zutrifft, weil sie - anders als die Klägerin, der
der Aufenthalt in Deutschland nur für die Dauer des Studiums im Fach
Sozialwissenschaften an der Universität C. gestattet ist - zu einem dauerhaften
Aufenthalt in Deutschland berechtigt sind und die sich nicht darauf verweisen lassen
müssen, zur Ausübung einer ihrem ersten Studienabschluss entsprechenden
beruflichen Tätigkeit in ihr Heimatland zurückzukehren, können sich auf die allgemeine
Härtefallklausel in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG stützen.
25
Die Vorschriften über die Erhebung von Studiengebühren sind - soweit eine
Überprüfung geboten ist - verfassungsgemäß.
26
Die grundsätzliche Einführung einer Studiengebühr für das Zweitstudium verletzt nicht
die durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Berufsfreiheit, die allen Deutschen, nicht aber
der Klägerin als russische Staatsangehörige, garantiert, Beruf, Arbeitsplatz und
Ausbildungsstätte frei zu wählen.
27
Vgl. VG Köln, Urteil vom 14. März 2005 - 6 K 1740/04 -, Rechtsdatenbank NRWE.
28
Die grundsätzliche Pflicht zur Entrichtung von Studiengebühren nach Erwerb eines
ersten berufsqualifizierenden Abschlusses tastet das Recht des Einzelnen, ein
Hochschulstudium seiner Wahl zu ergreifen, das aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. dem
Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten
Sozialstaatsprinzip folgt und nicht durch Abschluss eines Erststudiums verbraucht wird,
29
vgl. BVerfG, Beschluss vom 03. November 1982 - 1 BvR 900/78, 851, 1495/80, 833,
1069/78, 343, 1039/79, 163, 294, 1258/80 und 48, 1202/81 -, BVerfGE 62, 117 (146);
BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1977 - 1 BvL 23/75 -, BVerfGE 45, 393 (398); BVerfG,
Urteil vom 08. Juli 1977 - 1 BvF 1/76, 1 BvL 8/75, 1 BvR 239/75, 92, 103-114, 115, 140-
143, 187/76 -, BVerfGE 43, 291 (363),
30
nicht an. Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, die Inanspruchnahme der Hochschule als
öffentliche Einrichtung ebenso wie die Inanspruchnahme anderer öffentlicher
Leistungen und Einrichtungen, die regelmäßig eine Gebührenpflicht auslöst, kostenfrei
zu ermöglichen. Denn das Recht des Einzelnen, ein Hochschulstudium seiner Wahl zu
ergreifen, steht diesem nur unter dem Vorbehalt dessen zu, was er vernünftigerweise
von der Gesellschaft verlangen kann. Insbesondere umfasst es nicht einen Anspruch auf
ein kostenfreies Studium.
31
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 1996 - BVerwG 6 C 1.94 -, BVerwGE 102, 142
(146).
32
Der Gesetzgeber muss nur sicherstellen, dass die konkrete Ausgestaltung der
Studiengebührenerhebung dem Einzelnen ungeachtet seiner sozialen Herkunft und
anderer Umstände, die sich auf seine finanziellen Verhältnisse auswirken können,
ermöglicht, ein an seinen Fähigkeiten ausgerichtetes Hochschulstudium zu absolvieren.
33
Vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70 und 25/71 -, BVerfGE 33, 303 (332
f.); BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2001 - BVerwG 6 C 8.00 -, NVwZ 2002, 206 (207); OVG
NRW, Urteil vom 01. Dezember 2004 - 8 A 3358/04 -, DVBl. 2005, 518 (519); BayVGH,
Urteile vom 28. März 2001 - 7 B 00.1551 - und - 7 B 00.963 -, Juris.
34
Diese Vorgaben sind sowohl vom Gesetz- als auch vom Verordnungsgeber beachtet
worden. Die Erhebung einer Studiengebühr in Höhe von 650,00 EUR stellt keine
unüberwindliche soziale Barriere dar. Zwar wird die Studiengebühr für ein
Zweitstudium, anders als die für ein Erststudium, nicht erst bei Überschreitung der
anderthalbfachen Regelstudienzeit, sondern bereits zu Beginn des Zweitstudiums
erhoben. In Anbetracht der Begrenztheit staatlicher Ressourcen hat derjenige, der ein
Zweitstudium absolvieren möchte, aber weiter gehende Einschränkungen hinzunehmen
als derjenige, der sich mit einem berufsqualifizierenden Studienabschluss begnügt.
Denn derjenige, der bereits einen ersten berufsqualifizierenden Studienabschluss
erlangt hat, hat bereits einmal an der Verteilung der Berufschancen teilgehabt.
35
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 03. November 1982 - 1 BvR 900/78, 851, 1495/80, 833,
1069/78, 343, 1039/79, 163, 294, 1258/80 und 48, 1202/81 -, BVerfGE 62, 117 (146);
BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1977 - 1 BvL 23/75 -, BVerfGE 45, 393 (398); BVerfG,
Urteil vom 08. Juli 1977 - 1 BvF 1/76, 1 BvL 8/75, 1 BvR 239/75, 92, 103-114, 115, 140-
143, 187/76 -, BVerfGE 43, 291 (363); BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2001 - BVerwG 6 C
8/00 -, NVwZ 2002, 206 (208).
36
Hinzu kommt, dass die Rechtsverordnung zum Studienkonten- und -
finanzierungsgesetz NRW Ausnahmetatbestände hinsichtlich der Zweitstudiengebühr
vorsieht. So wird etwa in den Fällen, in denen für die Erlangung des angestrebten
Berufs auf Grund berufsrechtlicher Bestimmungen das Studium zweier Studiengänge
erforderlich ist, bei der Einschreibung in den weiteren Studiengang ein weiteres,
allerdings auf die einfache Regelstudienzeit des weiteren Studiengangs begrenztes
Studienguthaben gewährt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG NRW). Auch sind von der
Entrichtung einer Zweitstudiengebühr u.a. Studierende befreit, die sich ausschließlich in
einem Promotionsstudium befinden oder sich auf die Promotion durch vorbereitende
Studien vorbereiten (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und 6 RVO-StKFG NRW).
37
Schließlich findet für besondere, atypische Fälle die Härtefallregelung des § 14 Abs. 1
RVO-StKFG NRW - zumindest in Gestalt der Generalklausel des Satzes 1 - auf
Studierende im Zweitstudium Anwendung.
38
Vgl. VG Köln, Urteil vom 14. März 2005 - 6 K 1740/04 -, Rechtsdatenbank NRWE.
39
Die Regelungen über die Studiengebührenerhebung in Nordrhein-Westfalen verletzen
Art. 12 Abs. 1 GG auch nicht in seinem abwehrrechtlichen Gehalt. Sie werden den
40
Anforderungen des Regelungsvorbehaltes nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG gerecht.
Die Studiengebühr ist wie eine Regelung der Berufsausübung zu beurteilen. Sie stellt
keine Voraussetzungen für den Zugang zum Studium auf, sondern gestaltet die
Studienbedingungen.
41
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2001 - BVerwG 6 C 8.00 -, NVwZ 2002, 206 (207);
OVG NRW, Urteil vom 01. Dezember 2004 - 8 A 3358/04 -, DVBl. 2005, 518 (519);
BayVGH, Urteile vom 28. März 2001 - 7 B 00.1551 - und - 7 B 00.963 -, Juris; Nds. OVG,
Beschluss vom 13. Januar 2004 - 2 ME 364/03 -, DÖV 2004, 672; VG Göttingen,
Beschluss vom 08. Oktober 2003 - 4 B 176/03 -, S. 3; VG Köln, Urteil vom 14. März 2005
- 6 K 1740/04 -, Rechtsdatenbank NRWE.
42
Dem kann nicht entgegengehalten werden, ein Verstoß gegen die Erfüllung der
Gebührenpflicht könne die Exmatrikulation gemäß § 70 Abs. 3 c) HG NRW nach sich
ziehen und deshalb seien die für Eingriffe in die Freiheit der Berufswahl geltenden
Maßstäbe heranzuziehen.
43
Vgl. diesbezüglich zur allerdings strengeren Rechtslage im Freistaat Bayern: BayVGH,
Urteile vom 28. März 2001 - 7 B 00.1551 - und - 7 B 00.963 -, Juris.
44
Denn von der Auferlegung einer Zahlungspflicht als einer Änderung der
Studienbedingungen ist die Frage zu unterscheiden, mit welchen Mitteln auf die
fehlende Zahlung reagiert wird. Letzteres ist selbstständig verfassungsrechtlich zu
würdigen.
45
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2001 - BVerwG 6 C 8.00 -, NVwZ 2002, 206 (208);
OVG NRW, Urteil vom 01. Dezember 2004 - 8 A 3358/04 -, DVBl. 2005, 518 (519).
46
Als Berufsausübungsregelung ist eine solche Studiengebühr verfassungsrechtlich nicht
zu beanstanden, weil sie von vernünftigen Gründen des Gemeinwohls getragen wird.
47
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2001 - BVerwG 6 C 8.00 -, NVwZ 2002, 206 (207 f.);
Nds. OVG, Beschluss vom 13. Januar 2004 - 2 ME 364/03 -, NVwZ 2004, 755 (756); VG
Düsseldorf, Beschluss vom 14. Mai 2004 - 15 L 1277/04 -, Rechtsdatenbank NRWE; VG
Göttingen, Beschluss vom 08. Oktober 2003 - 4 B 176/03, S. 3 f.; VG Köln, Urteil vom 14.
März 2005 - 6 K 1740/04 -, Rechtsdatenbank NRWE.
48
Der Studiengebühr für das Zweitstudium kommt eine im überwiegenden öffentlichen
Interesse liegende Finanzierungs- und Lenkungsfunktion zu. Ihrer Einführung liegt die
Erwägung zu Grunde, dass eine zeitlich unbegrenzte Inanspruchnahme von
Hochschulleistungen für ausnahmslos jedes Studium und jeden Personenkreis
angesichts der gesamtwirtschaftlichen Situation, der begrenzten
Ausbildungskapazitäten und der finanziellen Belastungen der Hochschulen
finanzpolitisch nicht länger vertretbar ist. Dabei soll die Erhebung der Studiengebühren
für ein Zweitstudium gleichsam ein Beitrag zur gerechten Verteilung der
Studienressourcen sein und den mit der Einschreibung in einem Zweitstudiengang
verbundenen Vorteil der Studierenden abgelten, der in der jederzeitigen und
umfassenden Berechtigung besteht, das Ausbildungsangebot der Hochschule zu
nutzen.
49
Vgl. Landesregierung NRW, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des
Hochschulgebührengesetzes, zur Einführung von Studienkonten und zur Erhebung von
Hochschulgebühren sowie zur Änderung des Hochschulgesetzes, LT-Drs. 13/3023, S.
19 und 22.
50
Zudem dient die Erhebung einer Zweitstudiengebühr dazu, einen Anreiz für stringentere
und ergebnisorientiertere Studienverläufe zu schaffen,
51
vgl. zur entsprechenden Zielsetzung der "Langzeitstudiengebühr": Landesregierung
NRW, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Hochschulgebührengesetzes, zur
Einführung von Studienkonten und zur Erhebung von Hochschulgebühren sowie zur
Änderung des Hochschulgesetzes, LT-Drs. 13/3023, S. 19,
52
insbesondere nicht ernsthaft Studierwillige von vornherein von einem Zweitstudium
abzuhalten.
53
So auch: VG Köln, Urteil vom 14. März 2005 - 6 K 1740/04 -, Rechtsdatenbank NRWE;
VG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Mai 2004 - 15 L 1277/04 -, Rechtsdatenbank NRWE;
zur Zweitstudiengebühr in Bayern: BayVGH, Beschluss vom 02. Dezember 1999 - 7 CS
99.2013 -, BayVBl. 2000, 724; BayVGH, Urteile vom 28. März 2001 - 7 B 00.1551 - und -
7 B 00.963 -, Juris.
54
Zur Erreichung dieser vom Gesetzgeber verfolgten Ziele ist die Erhebung einer
Zweitstudiengebühr ein geeignetes und mit Blick auf die zugleich vorgesehenen
Ausnahme- und Härtefallregelungen auch angemessenes Mittel, das die Studierenden
nicht unverhältnismäßig einschränkt, zumal sie bereits einmal von den Möglichkeiten,
die ihnen eine Hochschulausbildung bietet, Gebrauch gemacht haben und die ihnen
aus dem Erwerb eines ersten berufsqualifizierenden Hochschulabschlusses
erwachsenden Chancen nutzen können.
55
Vgl. zur "Langzeitstudiengebühr": OVG NRW, Urteil vom 01. Dezember 2004 - 8 A
3358/04 -, DVBl. 2005, 518 (519 f.); zur Zweitstudiengebühr: VG Köln, Urteil vom 14.
März 2005 - 6 K 1740/04 -, Rechtsdatenbank NRWE.
56
Weiter ist nicht zu beanstanden, dass § 2 Abs. 2 StKFG NRW, dessen Regelungsgehalt
vom Verordnungsgeber in § 5 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG NRW aufgegriffenen wurde,
die Einführung von Studienkonten ab dem Sommersemester 2004 nur für jene
Studierenden vorsieht, die in einem Studiengang zum Erwerb eines ersten
berufsqualifizierenden Abschlusses oder in einem Masterstudiengang im Sinne des § 1
Abs. 2 StKFG NRW eingeschrieben sind.
57
Hierbei handelt es sich um eine verfassungsgemäße Stichtagsregelung, auch wenn mit
ihr verbunden ist, dass Studierende, die ihren ersten berufsqualifizierenden
Studienabschluss vor dem Sommersemester 2004 erworben haben, wegen fehlender
Einrichtung eines Studienkontos von der in § 8 StKFG NRW vorgesehenen Möglichkeit,
ein etwaiges Restguthaben aus dem Erststudium für ein Zweitstudium einzusetzen,
keinen Gebrauch machen können, hingegen Studierenden, die im oder nach dem
Sommersemester 2004 in einem zu einem ersten berufsqualifizierenden Abschluss
führenden Studiengang an einer staatlichen Hochschule des Landes Nordrhein-
Westfalen eingeschrieben sind bzw. waren, ein auf ihrem Studienkonto nach dem
Erststudium verbliebenes Restguthaben für ein Zweitstudium zur Verfügung steht.
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Dem Gesetzgeber ist es durch Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht verwehrt, zur
Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, obwohl jeder Stichtag
unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt. Allerdings ist zu überprüfen, ob der
Gesetzgeber den ihm zukommenden Gestaltungsraum in sachgerechter Weise genutzt,
ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend
gewürdigt hat und ob sich die gefundene Lösung im Hinblick auf den gegebenen
Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen
lässt oder als willkürlich erscheint.
59
Vgl. BVerfG, Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -, BVerfGE 101, 239 (270);
BVerfG, Urteil vom 07. Juli 1992 - 1 BvL 51/86, 50/87 und 1 BvR 873/90, 761/91 -,
BVerfGE 87, 1 (43); BVerfG, Urteil vom 05. Juli 1989 - 1 BvL 11/87, 1 BvR 1053/87 und
556/88 -, BVerfGE 80, 297 (311); BVerfG, Beschluss vom 06. Dezember 1988 - 1 BvL 5,
6/85 -, BVerfGE 79, 212 (219 f.); BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1986 - 1 BvR 193/86 -,
NVwZ 1988, 50; BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1970 - 1 BvR 51, 587, 759/68 und
693/70 -, BVerfGE 29, 283 (299).
60
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber bei begünstigenden Regelungen
eine weiter gehende Gestaltungsfreiheit hat als bei benachteiligenden Typisierungen.
61
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 04. April 2001 - 2 BvL 7/98 -, BVerfGE 103, 310 (319);
BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 1963 - 1 BvL 30/57, 11/61 -, BVerfGE 17, 1 (24).
62
Die in § 8 StKFG NRW normierte Berechtigung zur Verwendung eines Restguthabens
für ein Zweitstudium stellt eine begünstigende Regelung innerhalb der (Ober-)Gruppe
aller sich in einem Zweitstudium befindenden Studierenden dar. Denn § 2 Abs. 2 StKFG
NRW unterwirft mit der ausschließlichen Einrichtung von Studienkonten für Studierende,
die sich im oder nach dem Sommersemester 2004 in einem Studiengang zum Erwerb
des ersten berufsqualifizierenden Studienabschlusses befinden, grundsätzlich alle
Studierenden in einem Zweitstudiengang der Studiengebührenpflicht.
63
Der Gesetzgeber hat die danach weiten Grenzen des ihm zustehenden
Gestaltungsraums mit der Unterscheidung zwischen der privilegierten Gruppe jener
Studierenden, die im oder nach dem Sommersemester 2004 an einer staatlichen
Hochschule des Landes Nordrhein-Westfalen zur Erlangung eines ersten
berufsqualifizierenden Studienabschlusses eingeschrieben sind bzw. waren und der
nicht privilegierten Gruppe jener Studierenden, die ihren ersten berufsqualifizierenden
Abschluss vor dem Sommersemester 2004 erworben haben, nicht überschritten.
64
Die vom Gesetzgeber vorgenommene zeitliche Differenzierung ist durch den von ihm
mit der Erhebung von Studiengebühren verfolgten Lenkungszweck, die Studierenden zu
einem zügigen und effizienten Studium anzuhalten, gerechtfertigt.
65
Zur Erreichung dieses Ziels leistet § 8 StKFG NRW insofern einen Beitrag als
Studierenden, die sich in einem Studiengang befinden, der zu einem ersten
berufsqualifizierenden Studienabschluss führt, die Möglichkeit der Verwendung eines
Restguthabens für ein etwaiges Zweitstudium in Aussicht gestellt wird.
66
Vgl. zum Lenkungszweck des § 8 StKFG NRW: Protokoll der 31. Sitzung des
Ausschusses für Wissenschaft und Forschung des Landtages Nordrhein-Westfalen vom
67
09. Januar 2003, Ausschussprotokoll 13/755, S. 6.
Dieses Ziel wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass Studierenden auch bei
Einhaltung der Regelstudienzeit wegen der in § 10 Abs. 1 RVO-StKFG NRW normierten
Höhe der Abbuchung von 25 SWS pro Semester und des Verbots der Nutzung eines
verbleibenden Teilguthabens für ein Zweitstudium in der Regel lediglich ein
Restguthaben zur Verfügung steht, das ihnen ein gebührenfreies Zweitstudium im
Umfang von zwei Semestern ermöglicht. Studierende, die nach der Vorstellung des
Gesetzgebers ein Restguthaben in Anspruch nehmen können, werden immerhin von
Studiengebühren in Höhe von insgesamt 1.300,00 EUR freigestellt. Auch können
Studiengänge von zwei Semestern - wie manche Masterstudiengänge - gänzlich
gebührenfrei studiert werden. Zudem steht das Restguthaben für öffentlich-rechtlich
angebotene, weiterbildende Studien gemäß § 10 Abs. 2 RVO-StKFG NRW vollständig
zur Verfügung.
68
Der Gesetzgeber musste bei der Stichtagsregelung auch nicht berücksichtigen, dass
Studierende zum Teil gar nicht oder kaum durch die Möglichkeit, für ein etwaiges
Zweitstudium ein etwaiges Restguthaben in Anspruch nehmen zu können, zu einem
zügigen Erststudium veranlasst werden können. Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass
die Anreizfunktion nur eine zu vernachlässigende Minderheit der Studierenden erreicht.
69
Die Anreizfunktion erreicht zumindest jene Studierenden, die ihr Erststudium an einer
staatlichen Hochschule des Landes Nordrhein-Westfalen ganz oder doch zu einem
überwiegenden Teil im oder nach dem Sommersemester 2004 absolvieren wollen und
ein Zweitstudium bereits in Betracht ziehen. Ihre Zahl wächst mit dem Fortschreiten der
Zeit und dürfte - anders als in der Phase des Übergangs - in Zukunft die Zahl der
Studierenden, denen ein Restguthaben zur Verfügung steht, obwohl sie nicht von der
Anreizfunktion erfasst werden, etwa weil sie nur für kurze Zeit nach dem Wintersemester
2003/2004 an einer staatlichen Hochschule des Landes Nordrhein-Westfalen ihr
Erststudium betrieben haben, überschreiten. Hierbei ist zu auch zu berücksichtigen,
dass Studierende, die sich zur Aufnahme eines Zweitstudiums an einer staatlichen
Hochschule des Landes Nordrhein-Westfalen entschließen, in der Regel ihr Erststudium
bereits an einer staatlichen Hochschule in Nordrhein-Westfalen absolviert haben.
70
Die mit § 8 StKFG NRW verbundene und die Privilegierung begründende
Anreizfunktion geht bei Studierenden, die ihr Studium bereits vor dem Sommersemester
2004 abgeschlossen haben, ins Leere, weil sie ihr Erststudium auf Grund des bereits
erlangten Abschlusses nicht mehr im Sinne des Gesetzgebers gestalten können. Dass
Studierende dieser Gruppe ihr Erststudium auch zügig absolviert haben und daher bei
Einrichtung eines Studienkontos über ein Restguthaben verfügen würden, ist ohne
Belang. Denn der zügige Abschluss des Erststudiums dieser Studierenden findet seinen
Grund nicht in der lenkenden Wirkung des Gesetzes.
71
So schon: VG Köln, Urteil vom 14. März 2005 - 6 K 1740/04 -, Rechtsdatenbank NRWE.
72
Insofern unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von derjenigen, die § 2 Abs. 3
StKFG zu Grunde liegt. Diese Vorschrift findet zwar auch auf Studierende Anwendung,
die einen Studiengangwechsel bis zum Beginn des 3. Hochschulsemesters bereits vor
dem Sommersemester 2004 vorgenommen haben.
73
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 01. Dezember 2004 - 8 A 3797/04 -, NWVBl. 2005, 222.
74
Mit § 2 Abs. 3 StKFG NRW war im Unterschied zu § 8 StKFG NRW aber kein
Lenkungszweck verbunden. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der Einräumung einer
sogenannten Orientierungsphase zu Beginn des Studiums gerade auf die steuernde
Wirkung des Gesetzes verzichtet.
75
So schon: VG Köln, Urteil vom 14. März 2005 - 6 K 1740/04 -, Rechtsdatenbank NRWE.
76
Als weiterer rechtfertigender Grund für die Beschränkung der Möglichkeit der
Verwendung von Restguthaben auf diejenigen Studierenden, die bis zum
Sommersemester 2004 noch keinen ersten berufsqualifizierenden Studienabschluss
erreicht haben, tritt das Argument der Verwaltungspraktikabilität hinzu.
77
Vgl. hierzu: VG Köln, Urteil vom 14. März 2005 - 6 K 1740/04 -, Rechtsdatenbank
NRWE.
78
Zwar obliegt es gemäß § 7 StKFG NRW den Studierenden, die zur Berechnung des
Studienguthabens erforderlichen Daten anzugeben. Diese müssen jedoch bei
Studierenden, deren erster Studienabschluss bereits relativ weit zurückliegt, manuell
erfasst und verarbeitet werden. Denn die zur Berechnung des Studienkontos
erforderlichen Daten wurden nicht oder häufig nur unzureichend erfasst und können
nicht immer ohne weiteres elektronisch bearbeitet werden.
79
Auch wenn der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien nicht ausdrücklich erklärt hat,
die Stichtagsregelung diene dazu, den Hochschulen einen mit der Ermittlung der Daten
und der Berechnung des Studienguthabens trotz der Auskunftspflicht der Studierenden
nach § 7 StKFG NRW verbundenen, nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand zu
ersparen, so ist doch während des Gesetzgebungsverfahrens der mit der Durchführung
des Gesetzes verbundene bürokratische Aufwand vielfach zur Sprache gekommen.
80
Vgl. Protokoll der 80. Sitzung des Plenums des Landtages Nordrhein- Westfalen vom
22. Januar 2003, Plenarprotokoll 13/80, S. 8062, 8066, 8067; Protokoll der 41. Sitzung
des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung des Landtages Nordrhein-Westfalen
vom 27. November 2003, Ausschussprotokoll 13/1035, S. 24 ff.; Protokoll der 27.
Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung des Landtages Nordrhein-
Westfalen vom 04. November 2002, Ausschussprotokoll 13/696, S. 4, 5, 7, 8, 12, 15, 16,
17, 21, 22.
81
Dies lässt den Schluss zu, dass der Gesetzgeber auch mit der Stichtagsregelung den
insbesondere von den Hochschulen vorgetragenen Bedenken hinsichtlich des mit der
Einführung von Studiengebühren verbundenen Verwaltungsmehraufwandes Rechnung
tragen wollte.
82
Weiter liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 GG darin, dass bei einem Abschluss des
Erststudiums nach dem Stichtag nur den Studierenden ein Restguthaben für ein
Zweitstudium zu Gute kommen kann, die ihr Erststudium im oder nach dem
Sommersemester 2004 ganz oder zumindest teilweise an staatlichen Hochschulen des
Landes Nordrhein-Westfalen betrieben haben, anderen Studierende, die an einer
staatlichen Hochschule außerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen, an einer staatlich
anerkannten Hochschule im Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes oder an
einer Hochschule im Ausland erworben haben, dagegen nicht, weil ihnen nach den §§ 3
83
Abs. 1 bzw. 4 Abs. 1 StKFG NRW, 5 Abs. 1 Satz 1 RVO-STKFG NRW kein
Studienkonto einzurichten ist.
Die Ungleichbehandlung ist unter Berücksichtigung der bereits zur Stichtagsregelung
gemachten Ausführungen sachlich gerechtfertigt, weil der mit der Einräumung der
Möglichkeit der Verwendung eines etwaigen Restguthabens verfolgte Zweck,
Studierende zu einem zügigen und ergebnisorientierten Erststudium zu motivieren und
damit die Leistungsfähigkeit der staatlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-
Westfalen zu stärken, bei Studierenden, die ihr Erststudium nicht an staatlichen
Hochschulen Nordrhein-Westfalens absolviert haben, nicht erreicht werden kann. Hinzu
kommt, dass die Berechnung der Studienkonten in den Fällen, in denen das
Erststudium an anderen Hochschulen absolviert wurde, mit einem erheblichen
Verwaltungsmehraufwand verbunden ist, weil die Studienverlaufsdaten manuell erfasst
werden müssen. Zudem wird die Berechnung der Studienkonten bei Studierenden, die
ihr Erststudium in einem anderen Bundesland oder gar - wie die Klägerin - im Ausland
betrieben haben, dadurch erschwert, dass die den Studienverlauf beeinflussenden
Regelungen des jeweiligen Landes zu beachten sind.
84
Der Ausschluss der Studierenden, die bereits vor dem Sommersemester 2004 einen
ersten berufsqualifizierenden Abschluss erworben haben, von der Möglichkeit der
Verwendung eines etwaigen Restguthabens stellt auch keine mit Art. 3 Abs. 1 GG
unvereinbare Ungleichbehandlung gegenüber Studierenden dar, die sich bei gleicher
Semesterzahl noch im Erststudium befinden und mangels Überschreitung der
anderthalbfachen Regelstudienzeit noch nicht gebührenpflichtig sind. Die
Differenzierung zwischen beiden Gruppen ist gerechtfertigt, weil Studierende in einem
Zweitstudium im Gegensatz zu Studierenden in einem Erststudium bereits einen
Studienabschluss erworben haben, der sie zur Berufsausübung qualifiziert und ihnen
die Sicherung einer eigenen Lebensgrundlage ermöglicht.
85
Vgl. VG Köln, Urteil vom 14. März 2005 - 6 K 1740/04 -, Rechtsdatenbank NRWE.
86
Weiter liegt auch keine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung
Studierender in der vom Verordnungsgeber in § 5 Abs. 1 Satz 3 RVO-StKFG NRW
getroffenen Regelung.
87
§ 5 Abs. 1 Satz 3 RVO-StKFG NRW sieht die Einrichtung eines Studienkontos auf
Antrag nur für Studierende vor, die mit ihrem ersten und einzigen Abschluss an einer
staatlichen Hochschule des Landes Nordrhein-Westfalen einen Studiengang
abgeschlossen haben, der ausschließlich mit Mitteln Dritter finanziert wird, deren Träger
nicht die Hochschule ist.
88
Der Verordnungsgeber nimmt zwar in § 5 Abs. 3 Satz 1 RVO-StKFG NRW zur näheren
Bezeichnung des Abschlusses auf § 5 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG NRW Bezug, sodass
danach nicht nur an staatlichen Hochschulen des Landes Nordrhein- Westfalen
erworbene Abschlüsse, sondern alle Abschlüsse erfasst wären, die an einer staatlichen
Hochschule, staatlich anerkannten Hochschule im Geltungsbereich des
Hochschulrahmengesetzes oder an einer Hochschule im Ausland erworben wurden.
Hierbei handelt es sich aber um ein Redaktionsversehen des Verordnungsgebers. Für
eine Beschränkung auf an staatlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen
erworbene Abschlüsse spricht, dass § 5 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 RVO-StKFG NRW auf
§ 3 Abs. 3 Halbsatz 2 RVO-StKFG NRW verweist, wonach das Ministerium für
89
Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen die Studiengänge im
Sinne des Satzes 1 Halbsatz 1 feststellt. Studiengänge im Sinne des Satzes 1 Halbsatz
1 sind aber nur solche des § 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 RVO-STKFG NRW und damit
nur solche an staatlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen.
Eine Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 3 RVO-StKFG NRW im vorgenannten Sinne
berücksichtigt zudem, dass der Verordnungsgeber mit § 5 Abs. 1 Satz 3 RVO-StKFG
NRW eine § 3 Abs. 3 Satz 1 RVO-StKFG NRW entsprechende Regelung schaffen
wollte.
90
Diese vom Verordnungsgeber unter § 5 Abs. 1 Satz 3 RVO-StKFG NRW vorgesehenen
Privilegierung Studierender, die mit ihrem ersten und einzigen Abschluss an einer
staatlichen Hochschule des Landes Nordrhein-Westfalen einen Studiengang
abgeschlossen haben, der ausschließlich mit Mitteln Dritter finanziert wird, deren Träger
nicht die Hochschule ist, gegenüber Studierenden, die in einem drittmittelfinanzierten
Studiengang einer anderen als einer staatlichen Hochschule Nordrhein-Westfalens
ihren ersten und einzigen berufsqualifizierenden Studienabschluss erlangt haben, ist
sachlich gerechtfertigt.
91
Der Verordnungsgeber hat die erste Gruppe von Studierenden privilegiert, um einen
Anreiz für Studierende zu schaffen, ein Studium in einem ausschließlich
drittmittelfinanzierten Studiengang an staatlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-
Westfalen aufzunehmen. Damit sollen private Drittmittelgeber für die im öffentlichen
Interesse liegende weitere Beteiligung an Formen des public-private- Partnership im
Hochschulbereich gewonnen werden.
92
§ 5 Abs. 1 Satz 3 RVO-StKFG NRW trägt zur Verwirklichung dieses Ziels bei, indem
Studierende bei einer Entscheidung für die Aufnahme oder Fortsetzung eines Studiums
in einem ausschließlich drittmittelfinanzierten Studiengang an einer staatlichen
Hochschule in Nordrhein-Westfalen mit der erstmaligen Einrichtung eines
Studienkontos für ihr späteres Zweitstudium die Möglichkeit erhalten, an einer
staatlichen Hochschule des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem darauf zur Verfügung
stehenden Studienguthaben ihr Zweitstudium zumindest teilweise zu finanzieren.
93
Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen Art. 12 EGV vor. Art. 12 EGV, der eine
Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet und auf den sich die
Klägerin mangels Unionsbürgerschaft nicht berufen kann, steht einer Differenzierung
danach, ob der erste berufsqualifizierende Studienabschluss an einer staatlichen
Hochschule innerhalb Nordrhein-Westfalens oder an einer anderen Hochschule erlangt
wurde, nicht entgegen. Denn die Ungleichbehandlung knüpft nicht unmittelbar an die
Staatsangehörigkeit der Studierenden an. Soweit Art. 12 EGV nicht nur die unmittelbare
Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit verbietet, sondern auch Regelungen erfasst, die
Tatbestandsmerkmale enthalten, die von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten nicht
oder nur erheblich seltener als von Angehörigen des jeweiligen Mitgliedstaates erfüllt
werden,
94
vgl. zur mittelbaren Diskriminierung: Huster, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum
Grundgesetz, Loseblatt, Band 1, Berlin, Stand: Mai 2005, Art. 3 Rn. 6,
95
ist die Ungleichbehandlung, wie bereits zu Art. 3 GG dargelegt, sachlich gerechtfertigt.
96
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
97
Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung beruht auf § 124 a Abs. 1 Satz 1
VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.
Die Erhebung von Studiengebühren wirft rechtliche Fragen auf, die für die
Berufungsinstanz entscheidungserheblich sind und im Sinne der Rechtseinheit einer
Klärung bedürfen. Die Frage der Zulässigkeit der Erhebung von Studiengebühren für
ein Zweitstudium, insbesondere auch die Frage, ob die Gewährung eines
Restguthabens allein für Studierende, die im oder nach dem Sommersemester 2004 an
einer staatlichen Hochschule des Landes Nordrhein- Westfalen für ein Erststudium
eingeschrieben sind bzw. waren, mit dem Verfassungsrecht vereinbar und bei der
Beurteilung eines ersten Hochschulabschlusses als berufsqualifizierend auf das
Heimatland des Studierenden abzustellen ist, ist bisher vom Oberverwaltungsgericht für
das Land Nordrhein-Westfalen nicht entschieden worden.
98