Urteil des VG Minden vom 15.08.2002

VG Minden: gebühr, eugh, gleichheit im unrecht, satzung, europäisches recht, echte rückwirkung, europäisches gemeinschaftsrecht, schlachthof, kreis, aufwand

Verwaltungsgericht Minden, 9 K 2032/00
Datum:
15.08.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 2032/00
Tenor:
Die angefochtenen Gebührenbescheide des Beklagten und der
Widerspruchsbescheid vom 09.05.2000 werden aufgehoben, soweit in
ihnen Gebühren für die Trichinenuntersuchung festgesetzt sind.
Im Einzelnen werden aufgehoben:
Bescheid vom in Höhe von Betrag DM
1. 23.06.1997 215,00 2. 30.06.1997 230,00 3. 07.07.1997 240,00 4.
14.07.1997 255,00 5. 04.08.1997 220,00 6. 11.08.1997 245,00 7.
18.08.1997 210,00 8. 25.08.1997 235,00 9. 01.09.1997 210,00 10.
08.09.1997 205,00 11. 15.09.1997 240,00 12. 22.09.1997 270,00 13.
29.09.1997 290,00 14. 06.10.1997 250,00 15. 13.10.1997 250,00 16.
20.10.1997 200,00 17. 27.10.1997 250,00 18. 03.11.1997 250,00 19.
10.11.1997 250,00 20. 17.11.1997 280,00 21. 24.11.1997 255,00 22.
01.12.1997 270,00 23. 08.12.1997 288,00 24. 15.12.1997 360,00 25.
19.12.1997 265,00 26. 29.12.1997 175,00 27. 05.01.1998 245,00 28.
12.01.1998 250,00 29. 19.01.1998 270,00 30. 26.01.1998 300,00 31.
02.02.1998 305,00 32. 09.02.1998 276,00 33. 16.02.1998 292,00 34.
23.02.1998 276,00 35. 02.03.1998 256,00 36. 09.03.1998 265,00 37.
16.03.1998 268,00 38. 23.03.1998 260,00 39. 30.03.1998 250,00 40.
06.04.1998 272,00 41. 14.04.1998 250,00 42. 20.04.1998 264,00 43.
27.04.1998 280,00 44. 04.05.1998 250,00 45. 10.05.1998 304,00 46.
18.05.1998 275,00 47. 25.05.1998 280,00 48. 02.06.1998 280,00 49.
08.06.1998 250,00 50. 15.06.1998 260,00 51. 22.06.1998 250,00 52.
29.06.1998 264,00 53. 06.07.1998 265,00 54. 13.07.1998 265,00 55.
20.07.1998 265,00 56. 27.07.1998 250,00 57. 03.08.1998 250,00 58.
10.08.1998 245,00 59. 24.08.1998 260,00 60. 31.08.1998 288,00 61.
07.09.1998 284,00 62. 14.09.1998 260,00 63. 21.09.1998 250,00 64.
28.09.1998 280,00 65. 05.10.1998 272,00 66. 12.10.1998 288,00 67.
19.10.1998 284,00 68. 26.10.1998 284,00 69. 02.11.1998 284,00 70.
09.11.1998 280,00 71. 16.11.1998 295,00 72. 23.11.1998 292,00 73.
30.11.1998 280,00 74. 07.12.1998 260,00 75. 14.12.1998 300,00 76.
21.12.1998 296,00 77. 04.01.1999 304,00 78. 11.01.1999 255,00 79.
18.01.1999 250,00 80. 25.01.1999 290,00 81. 01.02.1999 260,00 82.
08.02.1999 255,00 83. 15.02.1999 255,00 84. 22.02.1999 255,00 85.
01.03.1999 260,00 86. 08.03.1999 295,00 87. 15.03.1999 320,00 88.
22.03.1999 288,00 89. 29.03.1999 250,00 90. 06.04.1999 300,00 91.
12.04.1999 260,00 92. 14.04.1999 250,00 93. 26.04.1999 272,00 94.
03.05.1999 285,00 95. 10.05.1999 250,00 96. 17.05.1999 250,00 97.
25.05.1999 250,00 98. 31.05.1999 284,00 99. 07.06.1999 272,00 100.
14.06.1999 280,00 101. 21.06.1999 220,00 102. 28.06.1999 255,00 103.
05.07.1999 255,00 104. 12.07.1999 270,00 105. 19.07.1999 250,00 106.
26.07.1999 250,00 107. 02.08.1999 250,00 108. 09.08.1999 250,00 109.
16.08.1999 250,00 110. 23.08.1999 250,00 111. 30.08.1999 250,00 112.
06.09.1999 255,00 113. 13.09.1999 250,00 114. 20.09.1999 270,00 115.
27.09.1999 250,00 116. 04.10.1999 320,00 117. 11.10.1999 250,00 118.
18.10.1999 320,00 119. 25.10.1999 250,00 120. 02.11.1999 250,00 121.
08.11.1999 268,00 122. 15.11.1999 290,00 123. 22.11.1999 255,00 124.
29.11.1999 284,00 125. 06.12.1999 280,00 126. 20.12.1999 250,00 127.
27.12.1999 250,00
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen Klägerin und Beklagter je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht zuvor der jeweilige Vollstreckungsgläubiger in derselben
Höhe Sicherheit leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin betreibt eine Fleischerei, in der sie Schweine schlachtet. Der Beklagte zog
die Klägerin für durchgeführte amtliche Schlachttier- und Fleischuntersuchungen
(einschließlich Trichinenuntersuchungen) nach dem Fleischhygienerecht für die Zeit
vom 23.06.1997 - 27.12.1999 durch die im Tenor aufgeführten Gebührenbescheide zu
Gebühren in Höhe von insgesamt 89.183,70 DM heran.
2
Der Gebührenerhebung lag ursprünglich die Satzung des Kreises L. über die Erhebung
von Gebühren für Amtshandlungen nach dem Fleischhygienegesetz vom 20.03.1995 zu
Grunde. Diese Satzung wurde ersetzt durch die Satzung des Kreises L. vom 13.12.1999
über die Erhebung von Gebühren für Amtshandlungen nach den Vorschriften des
Fleischhygienerechts (im Folgenden: GS), die nach § 16 Abs. 1 GS rückwirkend zum
01.01.1991 in Kraft trat. Die Satzung sieht in § 2 Abs. 1 GS unterschiedliche
Untersuchungsgebühren für die Untersuchung in Schlachtbetrieben außerhalb
öffentlicher Schlachthöfe und in öffentlichen Schlachthöfen vor. Im Gebiet des Kreises L.
gab es in der hier fraglichen Zeit nur einen öffentlichen Schlachthof, die Firma P. in L. ,
die ausschließlich Schweine schlachtete.
3
die ausschließlich Schweine schlachtete.
Gegen die Gebührenbescheide erhob die Klägerin jeweils Widerspruch mit der
Begründung, sie habe nur die EG-Pauschalgebühr zu bezahlen.
4
Die Widersprüche wurden durch Widerspruchsbescheid vom 09.05.2000
zurückgewiesen.
5
Am 08.06.2000 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben und zur Begründung
vorgetragen:
6
Eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung von höheren Gebühren
als die EG-Pauschalgebühren bestehe nicht. Hierfür liege weder eine
bundesgesetzliche noch eine landesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage vor. Die hier
anzuwendenden Richtlinien (RL 85/73/EWG in der Fassung der RL 93/118/EG vom
22.12.1993 bis zum 30.06.1997 und RL 96/43/EG vom 26.06.1996 für die Zeit ab
01.07.1997) seien auf Grund der Bestimmung von § 24 Abs. 2 des
Fleischhygienegesetzes - FlHG - vom 18.12.1992 (BGBl. I, 2022) in nationales Recht
transformiert worden, so dass sie sich auf die dort festgelegten EG-Pauschalgebühren
berufen könne. Der Bundesgesetzgeber selbst habe in der Vorschrift des § 24 Abs. 2
Satz 2 FlHG den Bundesländern verbindlich vorgegeben, bei der Erhebung der
Fleischuntersuchungsgebühren die EG-Pauschalgebührensätze anzuwenden. Davon
abgesehen habe der Beklagte keine Möglichkeit, selbstständig von den vorgegebenen
EG-Pauschalgebührensätzen bei der Berechnung der Fleischuntersuchungsgebühren
abzuweichen. Die Berechnung höherer Gebühren auf Grund der eigenen Satzung des
Beklagten könne sich auch nicht auf eine landesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage
stützen. Das Land Nordrhein-Westfalen habe zwar am 16.12.1998 das Fleisch- und
Geflügelfleischhygienekostengesetz (FlGFlHKostG NW) erlassen, jedoch könne die
Abweichung von den EG-Pauschalgebührensätzen gerade nicht auf diese gesetzliche
Grundlage gestützt werden. Das vorgenannte Gesetz erlaube in § 4 Abs. 1
FlGFlHKostG NW für Amtshandlungen grundsätzlich nur die Erhebung der Gebühr in
Höhe der in den in § 3 Abs. 2 FlGFlHKostG NW aufgeführten europäischen Richtlinien
genannten EG-Pauschalgebühren. Die Regelungen in § 4 Abs. 2 FlGFlHKostG NW
erlaubten eine Abweichung von den Gemeinschaftsgebühren der Höhe nach nur, wenn
sie betriebsbezogen erhoben würden, zur Deckung der tatsächlichen Kosten
erforderlich oder ausreichend seien und dies die in § 3 Abs. 2 FlGFlHKostG NW
genannten EG-rechtlichen Regelungen zuließen. Zunächst sei davon auszugehen,
dass auch das FlGFlHKostG NW grundsätzlich die Anwendung der EG-
Pauschalgebührensätze für die Abrechnung der Kosten der Fleischuntersuchung
vorsehe. Eine betriebsbezogene Gebühr nach § 4 Abs. 2 FlGFlHKostG NW erhebe der
Beklagte nicht, da in seinen Satzungsbestimmungen die Voraussetzungen für die
Erhebung von betriebsbezogenen Gebühren nach der Bestimmung von Ziff. 4 a) Kapitel
I des Anhanges A der neu kodifizierten RL 85/73/EWG überhaupt nicht benannt würden.
Die dort aufgeführten Umstände stellten auf Mängel des einzelnen Schlachtbetriebs in
seiner betrieblichen Organisation ab, die bei der Klägerin nicht vorlägen. Das Kriterium
der täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Schlachtzahlen finde sich in der
Richtlinie nicht und scheide als Grundlage für eine Anhebung des EG-
Pauschalgebührensatzes aus. Auch könne ein Abweichen von den EG-
Pauschalgebührensätzen nur durch den Mitgliedsstaat erfolgen. Mitgliedsstaat der
Europäischen Gemeinschaft sei ausschließlich die Bundesrepublik und nicht etwa das
Land Nordrhein-Westfalen. Von den Abweichungsmöglichkeiten habe der Bund jedoch
keinen Gebrauch gemacht. § 24 Abs. 2 Satz 1 FlHG erlaube es den Bundesländern
7
lediglich, die Gebührentatbestände festzulegen. Hinsichtlich der Gebührenhöhe habe
der Bundesgesetzgeber bereits eine abschließende Regelung dahingehend getroffen,
dass diese nach Maßgabe der RL 85/73/EWG und den nachfolgenden
Gemeinschaftsrechtsakten zu bestimmen sei. Zudem müsse auf Grund der
ursprünglichen RL 85/73/EWG vom 29.01.1985 und deren Bestimmung in Art. 2 Abs. 2
eindeutig geschlossen werden, dass bei einer Erhöhung über die EG-
Pauschalgebührensätze die Gesamtkosten des Mitgliedsstaates zu Grunde zu legen
seien und nicht etwa die Kosten eines einzelnen Gliedstaates oder die der
nachgeordneten Gebietskörperschaften die Bemessungsgrundlage dafür abgeben
könnten, ob der Mitgliedsstaat von seinem Recht der Abweichung von den EG-
Pauschalgebührensätzen Gebrauch mache oder nicht. Auch aus einem Schreiben des
Ministeriums für Umwelt- und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des
Landes Nordrhein-Westfalen vom 24.07.2000 ergebe sich, dass selbst das Ministerium
davon ausgehe, dass eine Berechtigung zur flächendeckenden Anhebung der EG-
Pauschalgebühren, die der Beklagte auf Grund seiner Satzung vornehme, nicht möglich
sei. Auch verstoße die Satzung gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 FlGFlHKostG
NW, wonach auf Abweichungen in den Satzungen gesondert hingewiesen werden
müsse. Schließlich sei auf die Entscheidung des EuGH vom 08.03.2001 - C-316/99 -
hinzuweisen, wonach die Bundesrepublik wegen einer Vertragsverletzung verurteilt
worden sei, weil sie gegen ihre Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der RL
96/43/EG verstoßen habe, die Richtlinie rechtzeitig umzusetzen. Wegen der
Vertragsverletzung müsse davon ausgegangen werden, dass alle Gebührenbescheide,
die höhere Gebühren gegenüber den Gebührenpflichtigen als die EG-
Pauschalgebühren festgelegt hätten, mangels ordnungsgemäßer Umsetzung der
Richtlinie in das Recht der Bundesrepublik als gemeinschaftswidrig anzusehen seien,
weil die Abweichungsvoraussetzungen mangels ordnungsgemäßer und vollständiger
Umsetzung der Richtlinie durch den Mitgliedsstaat überhaupt nicht vorlägen. Der Ansatz
höherer Gebühren als die EG-Pauschal-gebühren verstoße daher bereits gegen den
Grundsatz des Anwendungsvorranges des europäischen Gemeinschaftsrechtes.
Derartige Vertragsverstöße könnten auch nicht durch Erlass von Rechts- und
Verwaltungsvorschriften mit rückwirkender Kraft geheilt werden. Sei gegen
europäisches Gemeinschaftsrecht verstoßen worden und sei die Vertragsverletzung
durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs festgestellt, so hätten die
Mitgliedsstaaten oder nachgeordnete Bundesländer keine Möglichkeit, eine Heilung
dieses Vertragsverstoßes mit Rückwirkung für den zurückliegenden Zeitraum des
Vertragsverstoßes zu bewirken. Darüber hinaus habe der EuGH eindeutig entschieden,
dass, soweit Gemeinschaftsrecht rückwirkend in Kraft gesetzt werde, die bis dahin
erworbenen subjektiven Rechte des Bürgers in vollem Umfang gewahrt werden
müssten. Außerdem setze die rückwirkende Inkraftsetzung von Gemeinschaftsrecht
voraus, dass der Gemeinschaftsrechtsakt überhaupt eine Regelung hierzu enthalte, d.h.,
dass er in seiner Textfassung die Möglichkeit der Rückwirkung explizit vorsehe. Auch
nach dem deutschen Verfassungsrecht sei die in der Gebührensatzung und dem
FlGFlHKostG NW geregelte Rückwirkung als "echte" Rückwirkung unzulässig. Darüber
hinaus dürfe nach § 6 Abs. 2 FlGFlHKostG NW die rückwirkende Anwendung des
Gesetzes nicht zu höheren Kostenfestsetzungen führen, als dies nach den bis zum
Inkrafttreten des Gesetzes geltenden kommunalen Satzungen zulässig gewesen sei.
Das OVG NRW habe jedoch in seinen Urteilen vom 15.12.1998 (u.a. 9 A 1290/93)
eindeutig und bindend entschieden, dass vor Inkrafttreten des FlGFlHKostG NW keine
höheren Gebühren hätten erhoben werden dürfen als die EG-Pauschalgebühren. Auf
keinen Fall könne neben der Pauschalgebühr noch eine gesonderte Gebühr für
Trichinenuntersuchungen verlangt werden.
Die Klägerin beantragt,
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die als Anlage in der Klage aufgelisteten Gebührenbescheide des Beklagten und den
Widerspruchsbescheid vom 09.05.2000 aufzuheben, soweit in diesen folgende
Gebühren festgesetzt sind: a) Gebühren für die Trichinenuntersuchung nach § 4 Abs. 1
der Gebührensatzung vom 13.12.1999 in voller Höhe von insgesamt 33.509,00 DM, b)
Gebühren für die Fleischuntersuchung nach § 2 Abs. 1 der Gebührensatzung vom
13.12.1999 in Höhe von insgesamt 37.768,30 DM, soweit sie nämlich die europäischen
Pauschalgebühren übersteigen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt er vor, die nach dem Inkrafttreten des FlGFlHKostG NW erlassene
Satzung vom 13.12.1999 stimme mit den EG-, bundesrechtlichen und landesrechtlichen
Vorschriften überein, die es zuließen, eine kostendeckende Gebühr zu erheben. Er
verweist im Übrigen auf den Widerspruchsbescheid.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
13
Entscheidungsgründe:
14
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig, jedoch nur teilweise begründet. Nur soweit
die Bescheide Gebühren für die Trichinenuntersuchung gem. § 4 Abs. 1 a) GS
festsetzen, sind sie rechtswidrig und aufzuheben. Soweit die Gebührenbescheide
dagegen Gebühren für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung sowie die
Hygieneüberwachung in Schlachtbetrieben im Übrigen gem. § 2 Abs. 1 a) GS enthalten,
sind sie rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz
1 VwGO).
15
Für die Erhebung einer besonderen Gebühr für die Trichinenuntersuchung gibt es keine
wirksame Rechtsgrundlage.
16
In § 4 Abs. 1 GS und entsprechend in § 1 Abs. 2 c) der Verordnung zur Ausführung des
Gesetzes über die Kosten der Fleisch- und Geflügelfleischhygiene vom 06. Mai 1999
(GV NRW 1999, 156), geändert durch VO vom 27.09.1999 (GV NRW 1999, 563), -
FlGFlHKostG-VO NRW - ist zwar die gesonderte Erhebung einer Gebühr für die
Trichinenuntersuchung vorgesehen, jedoch sind die Vorschriften nichtig. Sie verstoßen
gegen § 3 Abs. 2 b) und c) FlGFlHKostG NW sowie § 24 Abs. 2 Satz 2 FlHG, die
bestimmen, dass bei der Gebührenbemessung die europarechtliche Richtlinie
85/73/EWG in der jeweiligen Fassung zu beachten ist. Artikel 2 Abs. 4 der Richtlinie
93/118/EG bzw. Artikel 5 Abs. 4 der Richtlinie 96/43/EG schreiben aber vor, dass die
dort geregelte Gemeinschaftsgebühr an die Stelle jeder anderen Abgabe oder Gebühr
tritt, die von den staatlichen, regionalen oder kommunalen Behörden der
Mitgliedsstaaten für die Untersuchungen und Kontrollen entsprechend den in Bezug
genommenen EG-Vorschriften erhoben wird. Zu den hygienerechtlichen
Fleischuntersuchungen, die durch die Gemeinschaftsgebühr abgegolten werden, gehört
17
aber auch die Trichinenuntersuchung. Das hat der EuGH auf Vorlage des BVerwG in
seinem
Urteil vom 30. Mai 2002 - RS C-284/00 und C-288/00 -
18
verbindlich entschieden. Der EuGH ist damit nicht der entgegenstehenden
Rechtsauffassung des OVG NRW gefolgt,
19
vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.12.1998 - 9 A 2561/97 -,
20
die auch der GS und der FlGFlHKostG-VO NRW zu Grunde lag. Er hat ausgesprochen,
dass jede von einem Mitgliedsstaat beschlossene Erhöhung den Pauschalbetrag der
Gemeinschaftsgebühr selbst betrifft und als dessen Anhebung erfolgt und dass eine
spezifische, über die Gemeinschaftsgebühr hinausgehende Gebühr sämtliche
tatsächlich entstandenen Kosten abdecken muss. Das schließt es aus, die hier
erhobene Trichinengebühr als zulässige Erhöhung der in § 2 GS geregelten Gebühr
anzusehen. Sie ist vielmehr in § 4 GS ausdrücklich als gesonderte Gebühr vorgesehen
(und auch kalkuliert). Das ist jedoch nach dem Urteil des EuGH gerade nicht zulässig.
21
Vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 28. Juni 2002 - 3 BN 5.01 -.
22
Soweit der Beklagte dagegen in den angefochtenen Bescheiden eine Gebühr für die
Schlachttier- und Fleischuntersuchung sowie die Hygieneüberwachung in
Schlachtbetrieben für die von der Klägerin geschlachteten Schweine erhoben hat, findet
diese eine wirksame Rechtsgrundlage in § 2 Abs. 1 a) GS. Hierbei handelt es sich um
die Gemeinschaftsgebühr im Sinne der Richtlinie 85/73/EWG in ihren jeweiligen
Fassungen.
23
Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass die Gebühren entsprechend § 2
a) GS festgesetzt worden sind. Fehler sind auch für das Gericht nicht ersichtlich.
24
Die GS ist auch, soweit sie den hier streitigen Gebührentatbestand und Zeitraum betrifft,
rechtswirksam und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
25
Die Ermächtigung zur Regelung der Fleischhygienegebühren, insbesondere auch
deren Höhe, durch eine Gebührensatzung des Kreises beruht auf dem FlGFlHKostG
NW.
26
Die in § 4 FlGFlHKostG NW geregelte Befugnis, die Gebührenhöhe grundsätzlich auch
abweichend von den EG-Pauschalbeträgen festlegen zu können, verstößt nicht gegen
Bundesrecht.
27
§ 24 Abs. 2 FlHG ist nicht dahingehend auszulegen, dass die Regelungskompetenz der
Länder darauf beschränkt ist, allein die gebührenpflichtigen Tatbestände festzulegen.
Vielmehr ermächtigt die Vorschrift die Länder auch dazu, die Höhe der Gebühren zu
bestimmen und überlässt es dem Landesrecht, unter den gemeinschaftsrechtlichen
Voraussetzungen von den EG-Pauschalgebühren abzuweichen, wenn dies zur
bundesrechtlich vorgeschriebenen Kostendeckung erforderlich ist. Wegen der
Einzelheiten wird auf das
28
Urteil des BVerwG vom 27.04.2000 - 1 C 7.99 -
29
verwiesen, dem die Kammer folgt.
30
Soweit § 1 FlGFlHKostG NW die Kreise und kreisfreien Städte zur Regelung der
Gebühren durch Satzung ermächtigt und damit auch zur Erhebung von Gebühren, die
von den Gemeinschaftsgebühren abweichen, ist dies nicht zu beanstanden.
31
Durch die Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass es grundsätzlich zulässig ist,
kommunalen Behörden die Befugnis zu übertragen, von den Pauschalbeträgen der EG-
Gebühr bis zur Kostendeckung abzuweichen. Hinsichtlich der Höhe der
kostendeckenden Gebühr kann dabei auf die der kommunalen Behörde entstandenen
Kosten abgestellt werden.
32
Vgl. EuGH, Urteil vom 09. September 1999 - C 374/97 -, NVwZ 2000, 182, für die
Richtlinie 93/118/EG, die mit der im vorliegenden Verfahren auch anwendbaren
Richtlinie 96/43/EG insoweit inhaltsgleich ist.
33
Das Land Nordrhein-Westfalen und der Kreis L. waren auch nicht daran gehindert, nach
Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinien von den EG-rechtlich vorgesehenen
Pauschalbeträgen abzuweichen. Darauf hat der Umstand, dass die EG-Richtlinie beim
Inkrafttreten der Vorschriften noch nicht im gesamten Bundesgebiet umgesetzt war, wie
der EuGH in seinem
34
Urteil vom 08.03.2001 - C-316/99 -
35
festgestellt hat, keinen Einfluss.
36
Das europäische Recht überläßt es dem einzelnen Mitgliedsstaat, in welcher Weise er
innerstaatlich die nicht unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechtsakte umsetzt. Die
Umsetzung muss nur eine ordnungsgemäße Durchführung des entsprechenden
Gemeinschaftsrechtsakts ermöglichen.
37
Vgl. EuGH, Urteil vom 09. September 1999, a.a.O.
38
Eine ordnungsgemäße Durchführung der Richtlinien 93/118/EG und 96/43/EG erfordert
es hier nicht, dass die Länder oder kommunalen Körperschaften, denen die Umsetzung
der Richtlinien zulässigerweise übertragen worden ist, mit dem Erlass von
Rechtsvorschriften abwarten, bis im gesamten Bundesgebiet die Richtlinien umgesetzt
sind. Aus der in den Richtlinien vorgesehenen Möglichkeit, abweichend von den
Pauschalbeträgen kostendeckende Gebühren zu erheben, ist zu entnehmen, dass die
Richtlinien keine Gebühren in einheitlicher Höhe für die gesamte Gemeinschaft
einführen, sondern nur Wettbewerbsverzerrungen verhindern sollen, die sich aus der
Anwendung von je nach Mitgliedsstaat unterschiedlichen Regeln für die Finanzierung
der gemeinschaftsrechtlich geregelten Fleischuntersuchungen und Hygienekontrollen
ergeben können.
39
Vgl. EuGH, Urteil vom 09. September 1999, a.a.O.
40
Ist aber die - je nach Kosten - regional unterschiedliche Gebührenfestsetzung
richtlinienkonform, so kann nicht festgestellt werden, dass es dem Inhalt oder dem Sinn
und Zweck der Richtlinie widerspräche, wenn auch in zeitlicher Hinsicht die Umsetzung
41
der Richtlinie regional unterschiedlich erfolgt.
Etwas anderes könnte der Richtlinie nur dann zu entnehmen sein, wenn der Einzelne
nach Ablauf der Umsetzungsfrist bis zur endgültigen Umsetzung der Richtlinie im
Mitgliedstaat das Recht gehabt hätte, sich der Erhebung von höheren Gebühren als den
Pauschalgebühren zu widersetzen. Das ist aber nicht der Fall, wie der EuGH bindend in
seinem
42
Urteil vom 09. September 1999 für die Richtlinie 93/118/EG (und damit auch für die
insoweit inhaltsgleiche Richtlinie 96/43/EG)
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entschieden hat.
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Die den streitigen Gebührenbescheiden zu Grunde liegende Gebührenregelung in § 2
GS widerspricht nicht dem FlGFlHKostG NW.
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Der Kreis L. hat insoweit von der Ermächtigung des § 4 Abs. 2 FlGFlHKostG NW
Gebrauch gemacht und die Gebühren abweichend von den EG-Pauschalgebühren,
nämlich höher, festgesetzt.
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Die formellen Voraussetzungen nach § 4 Abs. 2 Satz 2 FlGFlHKostG NW sind
eingehalten, da im Einleitungssatz des § 2 Abs. 1 GS darauf hingewiesen wird, dass die
EG- Pauschalgebühren die tatsächlichen Kosten in den Schlachtbetrieben nicht deckten
und die folgenden Gebühren unter Beachtung der Erhöhungskriterien der EG-Richtlinie
erhoben würden. Damit ist in ausreichender Weise für die Gebührenpflichtigen zum
Ausdruck gekommen, dass die festgesetzten Gebühren über den EG-Pauschalbeträgen
liegen. Dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 2 Satz 2 FlGFlHKostG NW ist damit Genüge
getan, auch wenn die einzelnen EG-Pauschalgebühren nicht benannt werden.
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Die Gebührenregelung des § 2 GS entspricht auch den materiellen
Abweichungskriterien des § 4 Abs. 2 Satz 1 FlGFlHKostG NW und der dort in Bezug
genommen europäischen Richtlinien.
48
Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 FlGFlHKostG NW können für die Amtshandlungen nach § 2
FlGFlHKostG NW, soweit die in § 3 FlGFlHKostG NW genannten EG-rechtlichen
Bestimmungen dies zulassen, Gebühren mit einer von den EG-rechtlich vorgesehenen
Pauschalbeträgen oder Gemeinschaftsgebühren abweichenden Höhe betriebsbezogen
erhoben werden, wenn dies zur Deckung der tatsächlichen Kosten erforderlich oder
ausreichend ist und dies die in § 3 Abs. 2 FlGFlHKostG NW genannten EG-rechtlichen
Regelungen zulassen.
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Soweit die Vorschrift nur eine "betriebsbezogene" Abweichung zulässt, bedeutet das
zunächst, dass der Satzungsgeber in seinem Gebiet nicht flächendeckend eine
einheitliche höhere Pauschalgebühr festsetzen darf, sondern differenzieren muss, wenn
der Aufwand für die Untersuchung eines Tieres in den einzelnen Betrieben des
Satzungsgebietes unterschiedlich hoch ist und dadurch unterschiedlich hohe Kosten
entstehen. Darüber hinaus liegt es nahe, hierin auch einen Verweis auf die
Anhebungsvoraussetzungen in Nr. 4 a) des Anhangs Kapitel 1 Richtlinie 93/118/EG
bzw. Anhang A Kapitel 1 der Richtlinie 96/43/EG zu sehen, die betriebsbezogene
Voraussetzungen für die Anhebung der Pauschalgebühren regeln, während die Nr. 4 b)
diese Einschränkungen nicht enthält.
50
Nach Nr. 4 a) der - insoweit inhaltsgleichen - Richtlinien können die Mitgliedsstaaten zur
Deckung höherer Kosten die unter Nr. 1 und Nr. 2 a) vorgesehenen Pauschalbeträge für
bestimmte Betriebe anheben.
51
Dabei ist der Begriff "bestimmte Betriebe" nicht dahin zu verstehen, dass die Gebühren
jeweils nur für bestimmte Einzelbetriebe festgesetzt werden dürften. Es können vielmehr
auch Gruppen von Betrieben gleichartiger Struktur zusammengefasst werden.
52
Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 21.03.2002 - Rechtssachen C-284/00 und
C-288/00 - Rdnr. 75; vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts vom 25.06.1992 -
Rechtssache C-156/91 - Rdnr. 30.
53
Als Voraussetzungen für die Anhebung werden dabei Unterschiede in den
Lebenshaltungs- und Lohnkosten der Mitgliedstaaten (Verweis auf Nr. 5 a)) sowie
betriebliche Bedingungen genannt, die Einfluss auf den zeitlichen Umfang der
Untersuchungen pro Tier und damit auch auf die Untersuchungskosten haben. Die
genannten Voraussetzungen haben dabei nur Beispielscharakter ("können ... gelten").
54
Die Regelung in § 2 GS wird hinsichtlich der hier streitigen Gebühr für Schweine über
25 kg diesen Vorgaben gerecht.
55
§ 2 GS unterscheidet bei der Festlegung der Gebühren zwischen "Schlachtbetrieben
außerhalb öffentlicher Schlachthöfe" und "öffentlichen Schlachthöfen".
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Diese Unterscheidung ist zumindest im vorliegenden Fall gerechtfertigt. Sie findet ihre
Rechtfertigung allerdings nicht allein darin, dass der öffentliche Schlachthof gegenüber
den sonstigen gewerblichen Schlachtbetrieben einen besonderen Rechtsstatus innehat,
nämlich den einer öffentlichen Einrichtung im Sinne von § 8 Abs. 1 Gemeindeordnung
NRW, sondern in den unterschiedlichen betrieblichen Gegebenheiten. Im Kreis L. gab
es in dem hier entscheidungserheblichen Zeitraum nur einen einzigen öffentlichen
Schlachthof, nämlich die Firma P. . Dieser öffentliche Schlachthof war, wie - zumindest
in früheren Zeiten - üblich, der weitaus größte Schlachtbetrieb im Satzungsgebiet. So
wurden nach den Unterlagen des Beklagten etwa im Jahre 1998 in dem öffentlichen
Schlachthof 93.718 Tiere (ausschließlich Schweine) geschlachtet, während die übrigen
gewerblichen Schlachtereien zwischen 2 und maximal 14.139 Tieren jährlich
schlachteten. Angesichts der signifikant höheren Schlachtzahlen des öffentlichen
Betriebs und der damit möglichen kontinuierlichen Schlachtung, die ein rationelleres
Einsetzen des Untersuchungspersonals ermöglicht und damit grundsätzlich geringere
Kosten verursacht, liegt es auf der Hand, dass es sinnvoll und gerechtfertigt ist, diesen
Schlachthof getrennt zu kalkulieren und - betriebsbezogen - entsprechende Gebühren
festzusetzen.
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Hinsichtlich der übrigen nicht öffentlichen gewerblichen Schlachtbetriebe differenziert
die Satzung nach den täglichen Schlachtzahlen. Auch das ist eine betriebsbezogene
Regelung und steht in Übereinstimmung mit § 4 Abs. 1 FlGFlHKostG NW und den
europarechtlichen Richtlinien.
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Die Berücksichtigung der täglichen Schlachtzahlen beruht auf der zutreffenden
Erwägung, dass in Betrieben mit höherer täglicher Schlachtleistung der Aufwand des
Untersuchungspersonals pro untersuchtem Tier sinkt. Die jeweilige Staffelung hat der
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Satzungsgeber dabei offensichtlich dem "Tarifvertrag über die Regelung der
Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb
öffentlicher Schlachthöfe" entnommen, der für die hygienerechtliche
Schlachttieruntersuchung eine Stückvergütung vorsieht, die sich bei täglichen
Schlachtungen in einem Betrieb von 36 bis 64 Tieren auf 80 v.H., von 65 bis 119 Tieren
auf 65 v.H. und von 120 und mehr Tieren auf 50 v.H. vermindert. Auch das hält die
Kammer für sachgerecht. Es ist davon auszugehen, dass die dort von den Tarifparteien
vereinbarte Regelung dem jeweiligen Untersuchungsaufwand pro Tier in den
genannten Staffeln entspricht. Dabei wird sich der unterschiedliche zeitliche Aufwand
pro Tier bei unterschiedlicher täglicher Schlachtzahl daraus ergeben, dass -
pauschalierend - bei geringerer Schlachtzahl der Anteil für Wege- und Wartezeiten pro
Tier größer wird, die Schlachtungen sich etwa durch eine geringe Anzahl des
Schlachtpersonals in kleineren Betrieben oder wegen der Durchführung von
Hygienemaßnahmen zwischen den Schlachtungen verzögern oder ähnliche
Verzögerungen eintreten, wie sie gerade als mögliche Voraussetzungen für eine
Anhebung der Pauschalgebühr in Nr. 4 a) der Richtlinie genannt werden. Dabei muss
es sich aus der Sicht des kleineren Betriebes nicht um "Missstände" handeln, da etwa
die Zahl der täglichen Schlachtungen, die Zahl des eingesetzten Personals usw.
optimal den betrieblichen Gegebenheiten entsprechen kann, sich jedoch für den
zeitlichen Aufwand des Untersuchungspersonals als negativ herausstellen kann.
Offensichtliche Fehler in der Gebührenkalkulation sind nicht ersichtlich. Zusätzlich zu
den Stückkosten hat der Satzungsgeber den allgemeinen Verwaltungsaufwand, der auf
den gewerblichen Bereich entfällt, getrennt ermittelt und berücksichtigt. Dass er andere
Kosten als die Löhne und Gehälter einschließlich der Sozialabgaben sowie der
Verwaltungskosten und der Kosten der Fortbildung des Untersuchungspersonals, die er
nach den europarechtlichen Vorschriften berücksichtigen darf, in die Festlegung der
Gebühr eingesetzt hätte, ergibt sich nicht. Von einer Überprüfung der Kalkulation im
Einzelnen sieht die Kammer ab, da die Klägerin Bedenken insoweit nicht vorgetragen
hat und sich im übrigen bei einer möglichen falschen Zuordnung einzelner
Kostenposten nur unerhebliche Verschiebungen innerhalb der Staffeln ergeben
könnten.
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Vgl. zu der Überprüfungspflicht einer Gebührenkalkulation durch das Gericht BVerwG,
Urteil vom 17.04.2002 - 9 CN 1.01 -.
61
Nach den vorgelegten Unterlagen übersteigt das Gebührenaufkommen der
gewerblichen Betriebe auch nicht die tatsächlichen Kosten, sondern liegt darunter. Für
das Jahr 1998 etwa beträgt der Kostendeckungsgrad 96,13 %, der für das Jahr 2000
(Prognose) 99,91 %.
62
Auffällig ist allerdings, dass der Kostendeckungsgrad der Gebühren des öffentlichen
Betriebes deutlich geringer ist (71,08 % für 1998 und 78,03 % Prognose für 2000) als
der der gewerblichen Betriebe. Worauf das beruht und ob es durch besondere
Umstände gerechtfertigt werden kann, mag dahinstehen, denn die Tatsache hat keinen
Einfluss auf die Wirksamkeit der hier im Streit stehenden Gebühr für einen nicht
öffentlichen Betrieb. Wie oben ausgeführt, sind die Gebühren für den öffentlichen
Betrieb einerseits und die gewerblichen Betriebe andererseits zu Recht getrennt
kalkuliert und die Kosten dementsprechend getrennt zugeordnet worden. Sollten die
Gebühren für den öffentlichen Betrieb tatsächlich rechtswidrig zu niedrig festgesetzt sein
- der Satzungsgeber ist nach § 24 Abs. 1 FlHG zur Erhebung einer kostendeckenden
63
Gebühr verpflichtet -, hätte das zur Folge, dass der Satzungsgeber zur Anhebung der
Gebühr verpflichtet wäre. Ein Anspruch der gewerblichen Betriebe darauf, dass ihre
Gebühren ebenfalls rechtswidrig zu niedrig festgesetzt werden, besteht dagegen nicht.
Insoweit kann die Klägerin sich nicht auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG
berufen, denn einen Anspruch auf Gleichheit im Unrecht gibt es nicht.
Die GS ist auch nicht deshalb insgesamt nichtig, weil einzelne Bestimmungen wie die
Festsetzung der Trichinengebühr nach § 4 GS, der Gebühr für die bakteriologische
Fleischuntersuchung oder sonstige Untersuchung nach der Fleischhygieneverordnung
nach § 9 GS,
64
vgl. dazu Urteil des EuGH vom 30.05.2002, a.a.O.,
65
sowie möglicherweise die Wartegebühr nach § 12 GS nichtig sind.
66
Es mag dahinstehen, ob sich das bereits aus § 15 GS ergibt, wonach bei
Rechtsunwirksamkeit einzelner Bestimmungen die Gültigkeit der übrigen
Bestimmungen nicht berührt wird, oder aus der entsprechenden Anwendung des § 139
BGB. Die GS bleibt auch ohne die nichtigen oder möglicherweise nichtigen
Gebührentatbestände eine sinnvolle Regelung. Es ist davon auszugehen, dass der
Satzungsgeber bei Kenntnis der nichtigen Gebührentatbestände die unabhängig von
den nichtigen Gebühren kalkulierte Gebühr nach § 2 GS zwar wahrscheinlich höher,
jedoch im Hinblick auf seine Pflicht zur Gebührenerhebung zumindest in der jetzigen
Höhe erhoben hätte. Eine möglicherweise beabsichtigte rückwirkende Erhöhung der
Gebühr des § 2 GS - sollten dafür die Voraussetzungen vorliegen - wäre von der Frage,
ob Gesamt- oder Teilnichtigkeit anzunehmen ist, nach Auffassung der Kammer nicht
betroffen.
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Die GS ist auch nicht insoweit unwirksam, als sie sich in § 16 Abs. 1 GS Rückwirkung
beilegt und deshalb auch die hier angefochtenen Gebührenbescheide von Juni 1996 bis
Ende 1999 erfasst. Das gilt auch, soweit darin höhere Gebühren als die EG-
Pauschalgebühren festgesetzt werden.
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Ein Verstoss gegen § 6 Abs. 2 FlGFlHKostG NW liegt nicht vor.
69
Nach § 6 Abs. 2 FlGFlHKostG NW darf die rückwirkende Anwendung des Gesetzes auf
Tatbestände nach dem Fleischhygienegesetz nicht zu höheren Kostenfestsetzungen
führen, als dies nach den bis zu dem Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden
kommunalen Satzungen zulässig war. Soweit dabei auf die nach den damaligen
"geltenden" Satzungen zulässigen Gebühren abgestellt wird, ist damit der
Geltungsanspruch des früheren Satzungsrechts gemeint. Dass nicht - wie die Klägerin
meint - die Rechtsgültigkeit der damaligen Satzungen, sondern ihr Geltungsanspruch
gemeint ist, ergibt sich schon daraus, dass die Vorschrift ansonsten überflüssig wäre.
Sinn und Zweck des FlGFlHKostG NW war es, eine einwandfreie rechtliche Grundlage
für die Erhebung von höheren, kostendeckenden Gebühren zu schaffen, die dem
Landesgesetzgeber durch § 24 Abs. 1 FlHG aufgegeben war.
70
Die Rückwirkung sowohl des FlGFlHKostG NW als auch der GS ist auch
verfassungsrechtlich zulässig und verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsgebot (Art. 20
Abs. 3 GG).
71
Die Kammer folgt dem BVerwG, das sich mit der Frage der verfassungsrechtlich
zulässigen Rückwirkung des FlGFlHKostG NW in seinen
72
Beschlüssen vom 27. April 2000 - 1 C 8.99 - und - 1 C 12.99 -
73
bereits befasst und darin ausgeführt hat:
74
"Das Landesrecht hat sich unter den vorliegenden Umständen nach den vom
Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben (BVerfGE 13,261,271; 30,367,385;
94,241,258; 95,64,86; 97,67,78) Rückwirkung beimessen dürfen. Die zuständigen
Normgeber waren befugt, die insbesondere wegen der Verflechtung des nationalen
Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht unklar gewordene Rechtslage einer Bereinigung zu
unterzuziehen. Die betroffenen Betriebe mussten schon auf Grund der
gemeinschaftsrechtlichen und bundesrechtlichen Vorgaben gem. § 24 FlHG mit der
Erhebung von Gebühren für amtliche Fleischuntersuchungen rechnen. Dem Prinzip des
Vertrauensschutzes ist durch Beibehaltung der früheren Gebührensätze Rechnung
getragen worden; ein weitergehendes Vertrauen darauf, für in Anspruch genommene
kostenpflichtige Amtshandlungen deswegen, weil die früheren Rechtsgrundlagen
vorrangigem Recht nicht entsprochen haben mögen, keine Gebühren entrichten zu
müssen, ist nicht schutzwürdig."
75
Das gilt auch insoweit, als die Klägerin damit rechnen musste, zu kostendeckenden
Gebühren und nicht nur zu den EG-Pauschalgebühren herangezogen zu werden. Die
Klägerin musste nach den von ihr zitierten Urteilen des BVerwG und des OVG NRW
vom 15. Dezember 1998 davon ausgehen, dass der Landesgesetzgeber und dem
folgend der Kreis L. als Satzungsgeber versuchen würden, die bisherigen
Gebührenforderungen auf eine rechtswirksame normative Grundlage zu stellen. Ein
Vertrauen darauf, nur nur zu den EG- Pauschalgebühren herangezogen zu werden,
konnte die Klägerin nicht haben, da der Beklagte sie durchgehend zu den
kostendeckenden Gebühren herangezogen hat.
76
Ebenso OVG NRW, Urteil vom 06.12.2000 - 9 A 2228/97 -; BVerwG, Urteil vom
18.10.2001 - 3 C 1.01 -.
77
Die Rückwirkung verstößt auch nicht gegen europäisches Recht.
78
Entgegen der Auffassung der Klägerin war es nicht erforderlich, dass die EG-Richtlinien
eine Rückwirkung regelten, denn sie sind nicht rückwirkend in Kraft getreten.
79
Unschädlich ist, dass im Zeitpunkt des Erlasses der GS und des FlGFlHKostG NW die
Richtlinie 93/118/EG bereits ausser Kraft getreten war. Die Gültigkeit dieser Richtlinie
endete zwar am 30.06.1997. Sie trat jedoch nicht rückwirkend ausser Kraft, sondern ist
während ihrer Geltungsdauer vom 01.01.1994 bis 30.06.1997 weiterhin als gültiges
Recht anzusehen, an das die Satzung und das FlGFlHKostG NW rückwirkend
anknüpfen konnten.
80
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.10.2001 - 3 C 1.01 -.
81
Europarechtlich war es auch nicht unzulässig, die Richtlinie 93/118/EG nach Ablauf
ihrer Umsetzungsfrist rückwirkend umzusetzen. Eine schutzwürdige Vertrauensposition
der Klägerin wurde dadurch nicht berührt. Nach Art. 118 Abs. 4 EWG-Vertrag (= Art. 249
82
Abs. 4 EG-Vertrag Amsterdamer Fassung) sind Entscheidungen für diejenigen
verbindlich, die sie bezeichnen. Die bis 30.06.1997 geltende Richtlinie 93/118/EG
richtet sich ausschließlich an die Mitgliedsstaaten. Sie ist von den Mitgliedsstaaten
innerhalb der in der Richtlinie genannten Frist umzusetzen. Ist das nicht geschehen, so
ist eine rückwirkende Umsetzung jedoch nicht untersagt,
vgl. dazu das von der Klägerin zitierte Urteil des EuGH vom 08.03.1988 - RS 80/87 -
"Dik".
83
Dabei sind allerdings Rechte zu beachten, die dem Einzelnen nach Ablauf der
Umsetzungsfrist entstanden sind. Solche Rechte können nämlich nach der
Rechtsprechung des EuGH dem Einzelnen auch aus einer eigentlich nur an den
Mitgliedsstaat gerichteten Richtlinie entstehen. Voraussetzung ist, dass die Richtlinie
den Mitgliedsstaaten eine unbedingte und hinreichend klare und genaue Verpflichtung
auferlegt. In diesem Fall kann er sich den staatlichen Stellen gegenüber auf die
Regelungen der nicht umgesetzten Richtlinie berufen. Eine solche Ausnahmesituation
hat der EuGH in der Rechtssache "Dik", die eine zur schrittweisen Verwirklichung des
Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen
Sicherheit beinhaltet, angenommen. Anders hat der EuGH jedoch hinsichtlich der im
vorliegenden Fall anzuwendenden Richtlinie 93/118/EG entschieden. Nach dem
84
Urteil des EuGH vom 09. September 1999 - C - 374/97 -
85
kann sich ein Einzelner nach Ablauf der Umsetzungsfrist gerade nicht unter Berufung
auf die Richtlinie der Erhebung von höheren Gebühren als den EG-Pauschalbeträgen
widersetzen, sofern diese Gebühren - wie hier - die tatsächlich entstandenen Kosten
nicht überschreiten.
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Die Klage war daher insoweit abzuweisen.
87
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. mit §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO.
88
Die Berufung ist zuzulassen, da die Auslegung des § 4 Abs. 2 FlGFlHKostG NW,
insbesondere die Frage, welche Voraussetzungen für eine "betriebsbezogene"
Abweichung erfüllt sein müssen, von grundsätzlicher Bedeutung ist.
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