Urteil des VG Minden vom 14.04.2004

VG Minden: mündliche prüfung, hausarbeit, prüfer, zusammensetzung, abnahme, staatsprüfung, prüfungsergebnis, neubewertung, vollstreckung, rag

Verwaltungsgericht Minden, 2 K 658/04
Datum:
14.04.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
2 K 658/04
Tenor:
Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung seines Bescheides vom
16. Juni 2003 und des Widerspruchsbescheides vom 2. Januar 2004
über das Ergebnis der ersten juristischen Staatsprüfung des Klägers
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nach erneuter
Bewertung der Hausarbeit zu entscheiden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger unterzog sich - nach einem erfolglosen Freiversuch - in der Zeit von
November 2002 bis Juni 2003 - wiederum erfolglos - der ersten juristischen
Staatsprüfung. Nach Fertigung der Klausuren und der am 3. Februar erfolgten Abgabe
der Hausarbeit wurde er mit Schreiben vom 4. März 2003 zur der auf den 10. Mai 2003
festgesetzten mündlichen Prüfung geladen. Nachdem der Prüfungsausschuss,
bestehend aus VROLG Dr. S. , VRVG H. und RAG Dr. S1. , die Hausarbeit am 22. April
2003 mit "mangelhaft" (2 P.) bewertet hatte, wurden dem Kläger mit Schreiben vom
selben Tage die Ergebnisse seiner schriftlichen Prüfungsarbeiten und die Namen der -
vorgenannten - Prüfer für die mündliche Prüfung mitgeteilt. Der Kläger blieb der
mündlichen Prüfung aus Krankheitsgründen fern. Mit Schreiben vom 26. Mai 2003 lud
der Beklagte, der die Versäumung des Prüfungstermins als entschuldigt ansah, den
Kläger zu einer auf den 14. Juni 2003 angesetzten mündlichen Prüfung und teilte ihm
die Namen der Mitglieder des nunmehr aus Prof. Dr. H1. , VRVG H. und VROLG M.
bestehenden Prüfungsausschusses für die mündliche Prüfung mit. Nach Durchführung
der Prüfung errechnete der Prüfungsausschuss, der die Hausarbeit des Klägers nicht
erneut bewertet hatte, die Gesamtnote "mangelhaft" (3,34 P.) und erklärte die Prüfung für
nicht bestanden.
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Gegen die ihm mit Bescheid des Beklagten vom 16. Juni 2003 zugestellte
3
Prüfungsentscheidung erhob der Kläger am 22. Juli 2003 Widerspruch, mit dem er die
Bewertung der Hausarbeit angriff. Zu den Einwendungen des Klägers holte der
Beklagte Stellungnahmen der Prüfer Dr. S. , H. und Dr. S1. ein, die übereinstimmend an
der Bewertung festhielten und wies sodann den Widerspruch mit Bescheid vom 2.
Januar 2004 als unbegründet zurück.
Mit der am 17. Februar 2004 erhobenen Klage wiederholt und vertieft der Kläger sein
Vorbringen aus dem Vorverfahren.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 16. Juni 2003 und des
Widerspruchsbescheides vom 2. Januar 2004 zu verpflichten, über das
Prüfungsergebnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu
entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht entscheidet gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung
durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der - entscheidungserhebliche -
Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind zuvor gehört worden (§ 84 Abs. 1 Satz 2
VwGO).
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Die Klage hat Erfolg. Der angefochtene Prüfungsbescheid des Beklagten ist
rechtswidrig. Die noch unter Mitwirkung von VROLG Dr. S. und RAG Dr. S1. zu Stande
gekommene Bewertung der Hausarbeit durfte nach deren Ausscheiden aus dem
Prüfungsausschuss der Prüfungsentscheidung nicht mehr zu Grunde gelegt werden,
vielmehr hätte die Arbeit von dem mit dem Eintritt von Prof. Dr. H1. und VROLG M. neu
gebildeten und in dieser Zusammensetzung (gemeinsam mit VRVG H. ) auch bei der
Abnahme der mündlichen Prüfung tätig gewordenen Prüfungsausschuss neu bewertet
werden müssen. Diese Neubewertung ist nunmehr noch nachzuholen.
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Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 des auf die erste juristische Staatsprüfung des Klägers
anwendbaren Juristenausbildungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom
8. November 1993, GV NRW S. 924, - JAG 93 - ist die Entscheidung über die
Hausarbeit dem Prüfungsausschuss in der Zusammensetzung vorbehalten, wie er auch
über die mündliche Prüfung entscheidet. An der danach für die Bewertung dieser beiden
Prüfungsleistungen geforderten Identität des durch die Abnahme der mündlichen
Prüfung definierten Prüfungsausschusses fehlt es hier, weil Prof. Dr. H1. und VROLG M.
zwar an der Abnahme und Bewertung der mündlichen Prüfung, nicht aber an der
Begutachtung und Bewertung der Hausarbeit mitgewirkt haben.
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Das für Hausarbeit und mündliche Prüfung geltende Prinzip der Prüferidentität
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erschließt sich bereits unmittelbar aus dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 1 JAG 93:
"Alle Entscheidungen über Prüfungsleistungen, insbesondere die Entscheidung über
das Prüfungsergebnis trifft - abgesehen von § 11 - der Prüfungsausschuss."
Mit der Normierung der Zuständigkeit "des" Prüfungsausschusses für "alle"
Leistungsbewertungen - abgesehen von § 11 - hat der Gesetzgeber nicht nur sämtliche
Prüfungsentscheidungen auf einen - personenidentischen - Prüfungsausschuss
konzentriert und damit in ein und dieselbe Hand gelegt, sondern zugleich auch die
weiter gehende Festlegung getroffen, dass dies der Prüfungsausschuss in der in der
mündlichen Prüfung tätigen und damit Änderungen nicht mehr unterliegenden
Zusammensetzung sein sollte. Denn allein die für die Entscheidung über die mündliche
Prüfung und damit zugleich für die abschließende Gesamtentscheidung zuständigen
Prüfer sind bei einem nach der Bewertung der Hausarbeit notwendig gewordenen
Prüferwechsel noch in der Lage, durch erneute (Nach-)Bewertung der Hausarbeit auf
einfache Weise die Prüferidentität wiederherzustellen. Im Übrigen ergibt sich die
Festlegung auf den in der mündlichen Prüfung tätigen Prüfungsausschuss mit seinen
bestimmten Mitgliedern daraus, dass § 12 JAG 93 eine Definition des
Prüfungsausschusses schon aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendig
voraussetzt und deshalb zwangsläufig Bezug nimmt auf die einzige im JAG 93 für die
erste Staatsprüfung vorhandene Definition des Prüfungsausschusses in § 10 Abs. 3
Satz 2, in dem die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses für die mündliche
Prüfung geregelt ist.
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Der vorstehende Befund wird durch die Entstehungsgeschichte der in § 12 Abs. 1 JAG
93 enthaltenen Regelung bestätigt, die ihre heutige Fassung durch das 11.
Änderungsgesetz zum JAG vom 21. September 1993, GV NRW S. 658, - 11. ÄndG -
erhalten hat. Die ursprünglich in § 13 des Juristenausbildungsgesetzes in der Fassung
vom 24. Februar 1966, GV NRW Seite 78, - JAG 66 - enthaltende eindeutige
Bestimmung:
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" Die schriftlichen Arbeiten werden von allen Mitgliedern des Ausschusses, der die
mündliche Prüfung abnimmt, selbstständig begutachtet."
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ist zwar mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Juristenausbildungsgesetzes vom 30.
Mai 1972, GV NRW, S. 178, - 4. ÄndG - entfallen. Ob sich durch das Vierte ÄndG,
dessen § 13 nur noch lautet:
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"Die schriftlichen Prüfungsleistungen werden vor der mündlichen Prüfung bewertet; die
Bewertung ist für das weitere Prüfungsverfahren bindend."
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die bisherige Rechtslage (abgesehen davon, dass eine Prüferregelung für die
schriftlichen Prüfungsleistungen offenbar versehentlich verloren gegangen war)
geändert hatte, kann offen bleiben. Denn die von der Landesregierung mit dem Entwurf
des Vierten ÄndG verfolgte Absicht, durch eine Streichung des Relativsatzes, "der die
mündliche Prüfung abnimmt" (§ 13 JAG 66), einen Prüferwechsel zu ermöglichen,
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vgl. dazu die amtliche Begründung der Landesregierung zum Entwurf eines Vierten
Änderungsgesetzes, LT Drucks 7/1130, Seite 8/9,
21
ist von den Vertretern der Landesregierung in den (für das Vierte und Fünfte
Änderungsgesetz gleichzeitig durchgeführten) Beratungen des Justizausschusses zu
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Gunsten der mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Juristenausbildungsgesetzes
vom 30. Mai 1972, GV NRW Seite 146, - 5. ÄndG - erfolgten Einführung eines
"Fachprüfers" für die Hausarbeit stillschweigend fallen gelassen worden. Nachdem
nämlich der Abgeordnete Dr. L. in der 27. Sitzung des Justizausschusses vom 2. März
1972 darauf hingewiesen hatte, dass die von der Landesregierung zur Lockerung der
Prüferidentität beabsichtigte Regelung im Vierten ÄndG mit der Einführung des
"Fachprüfers" durch das Fünfte ÄndG sofort wieder aufgehoben werde, gab der Vertreter
der Landesregierung, Präsident des LJPA I. , allein noch der mit dem Fünften ÄndG
vorgesehenen Einführung des "Fachprüfers" den Vorzug, in dem er ausführte, der
Entwurf des Fünften ÄndG "sehe hinsichtlich der Hausarbeit vor, dass an Stelle eines
Mitglieds des Ausschusses für die Abnahme der mündlichen Prüfung ein Mitglied nur für
die Bewertung der Hausarbeit hinzutrete, ...".
Vgl. Ausschussprotokoll 7/657, 27./A8, Seiten 2 und 3, Landtag NRW,
Gesetzesdokumentation zum Vierten ÄndG JAG.
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Diese Stellungnahme des Vertreters der Landesregierung verdeutlicht, dass die von der
Landesregierung verfolgte Einführung der Fachprüferregelung selbstverständlich nur
dann einen Sinn machte und nur dann überhaupt erforderlich war, wenn es im Übrigen
bei dem noch im JAG 66 ausdrücklich hervorgehobenen strikten Prinzip der
Prüferidentität verblieb. Auf dieser Grundlage und vor diesem gesetzestechnischen
Hintergrund wurden sodann die weiteren Ausschussberatungen fortgeführt und
schließlich in der 31. Sitzung des Justizausschusses auf Anregung des damaligen
Ministerialrats Dr. Q. , dem auch aufgefallen war, dass im Vierten ÄndG eine
Prüferregelung für die Hausarbeit gänzlich fehlte, die letztlich in das Fünfte ÄndG
aufgenommene Fassung des § 12 beschlossen.
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Vgl. Ausschussprotokoll 7/750, 31./A8, Seite 33, Landtag NRW Gesetzesdokumentation
zum Fünften ÄndG JAG.
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Durch das Fünfte ÄndG erhielt § 12 folgenden Wortlaut:
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"(1) Alle Entscheidungen über Prüfungsleistungen, insbesondere die Entscheidung über
das Prüfungsergebnis, trifft - abgesehen von § 11 - der Prüfungsausschuss. ... (2) Zur
Vorbereitung der Entscheidung des Prüfungsausschusses wird die häusliche Arbeit von
allen Mitgliedern des Prüfungsausschusses selbstständig begutachtet. Für diese
Begutachtung kann bei der Bildung des Prüfungsausschusses an Stelle eines seiner
Mitglieder ein anderes Mitglied des Prüfungsamtes zum Prüfer bestimmt werden. Für die
Bewertung der häuslichen Arbeit gilt dieser Prüfer als Mitglied des
Prüfungsausschusses. Das Mitglied des Prüfungsausschusses, an dessen Stelle er tritt,
kann insoweit an der Beratung ohne Stimmrecht teilnehmen."
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Mit der vorgenannten Prüferregelung aber war der Grundsatz der Prüferidentität, sofern
er denn für die Dauer der Geltung des § 13 des Vierten ÄndG jemals entfallen gewesen
sein sollte, wieder in Kraft. Die Allzuständigkeit des die mündliche Prüfung
abnehmenden Prüfungsausschusses mit seinen bestimmten Mitgliedern wurde nur für
die Bewertung der Klausuren sowie bei Berufung eines "Fachprüfers" für die Hausarbeit
durchbrochen.
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Das danach jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Fünften ÄndG am 1. Januar 1973
(wieder) bestehende Prinzip der Prüferidentität hat in der Folgezeit keinerlei gesetzliche
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Änderung erfahren. Zwar ist mit dem Elften ÄndG die Fachprüferregelung wegen Fortfall
des Bedarfs
vgl. dazu die amtliche Begründung der Landesregierung zum Entwurf eines Elften
Änderungsgesetzes, LT Drucks. 11/5202, Seite 50,
30
ersatzlos gestrichen worden. Die hier maßgebliche Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 1
blieb jedoch nicht nur in ihrem bisherigen Wortlaut, sondern auch in ihrem bisherigen
Inhalt unangetastet.
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Das aus § 12 Abs. 1 Satz 1 JAG 93 folgende Prinzip der Prüferidentität wird auch nicht
etwa durch die Systematik und den Inhalt der übrigen Regelungen des Gesetzes in
Frage gestellt. Zwar regelt § 13 JAG 93, dass die schriftlichen Prüfungsleistungen vor
der mündlichen Prüfung bewertet werden und dass die Bewertung für das weitere
Prüfungsverfahren bindend ist. Die Bindungsregelung steht einer nachträglichen
Neubewertung der Hausarbeit aber nicht entgegen, wenn - wie im vorliegenden Fall -
der Prüfungsausschuss nach einer bereits erfolgten Bewertung der Hausarbeit
vollständig ersetzt oder durch neu eintretende Mitglieder in seiner Zusammensetzung
geändert wird. Denn die Bindungswirkung des § 13 greift (selbstverständlich) nur in den
Fällen, in denen die Bewertung durch die letztlich auch in der mündlichen Prüfung
tätigen Prüfer erfolgt ist; nur diese Prüfer sind zu einer (prüfungs-)verfahrensrechtlich
ordnungsgemäßen Bewertung "aus einer Hand" in der Lage, während die frühere
Bewertung mit der Änderung der Prüferbank ohne weiteres hinfällig geworden ist.
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Die Kammer sieht sich in ihrer durch den Wortlaut der Vorschrift vorgegebenen
Auslegung des § 12 Abs. 1 Satz 1 JAG 93 im Übrigen auch durch die einschlägige
Kommentarliteratur bestätigt. Denn, wenn bei
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Rehborn/Schulz/Tettinger, Juristenausbildung in Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage 1994,
Anmerkung 3 zu § 12 JAG
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ausgeführt ist: "Hiervon unberührt bleibt die Möglichkeit, bei Vorliegen eines wichtigen
Grundes (z.B. krankheitsbedingte Verhinderung) an Stelle eines Mitglieds des
Prüfungsausschusses einen anderen Prüfer zu bestellen.", dann setzt die Darstellung
der - zur Vermeidung von Manipulationen durch den Vorsitzenden des Prüfungsamtes
allerdings nur aus zwingenden Gründen für zulässig gehaltenen - Ausnahme das
Prinzip der Prüferidentität zwingend voraus. Die Prüferidentität ihrerseits ist jedoch nur
dann gewahrt, wenn die bei Abnahme der mündlichen Prüfung tätigen Prüfer sämtlich
auch die Hausarbeit bewertet haben.
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Da nach alledem die Hausarbeit des Klägers noch nicht von dem dafür zuständigen
Prüfungsausschuss in der Zusammensetzung mit Prof. Dr. H1. , VRVG H. und VROLG
M. erneut bewertet worden ist, mithin eine den inhaltlichen Einwänden des Klägers
zugängliche abschließende Bewertung noch nicht vorliegt, kommt es auf die gegen die
frühere - hinfällig gewordene - Bewertung erhobenen Einwände des Klägers nicht an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Anordnungen zu ihrer
vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11,
711 Satz 1 ZPO.
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