Urteil des VG Minden vom 09.12.2008

VG Minden: kamerun, bundesamt für migration, abschiebung, republik, staat, stadt, gefahr, asyl, leib, familie

Verwaltungsgericht Minden, 10 K 1468/08.A
Datum:
09.12.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 1468/08.A
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Klage
zurückgenommen hat. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass
in Bezug auf Kamerun ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7
Aufenthaltsgesetz vorliegt. Ziffer 3. des Bescheides des Bundesamtes
für Migration und Flüchtlinge vom 18. März 2008 wird aufgehoben,
soweit darin festgestellt wird, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60
Abs. 7 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegt; Ziffer 4. des Bescheides wird
aufgehoben, soweit der Klägerin die Abschiebung nach Kamerun
angedroht wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des
Verfahrens werden zu 5/6 der Klägerin und zu 1/6 der Beklagten
auferlegt; Gerichtskosten werden nicht erhoben. Das Urteil ist
hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen
Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages
abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die Klägerin ist Staatsangehörige Kameruns und reiste nach eigenen Angaben am 28.
Oktober 2007 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 20.
November 2007 stellte sie einen Asylantrag, den sie im Rahmen einer Anhörung vor
dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (künftig: Bundesamt) näher begründete.
Hierbei gab sie im wesentlichen an: In ihrer Heimat habe sie vor einigen Jahren
Erbstreitigkeiten mit Verwandten ihres verstorbenen Ehemannes gehabt. Diese hätten
ihr Wohnhaus beansprucht. Zudem habe es vor kurzem eine Absprache zwischen den
Ortsvorstehern des Dorfes, in dem sie - die Klägerin - gelebt habe, und des
Nachbarortes gegeben, wonach (vorübergehend) bestimmte Ackerflächen an den
Nachbarort abgetreten werden sollten. Auf einer dieser Flächen habe ihr Wohnhaus
gestanden, das der Vorsteher des Nachbarortes mit seinen Leuten niedergebrannt
habe, woraufhin sie ein Viehhändler, den sie gekannt habe, bei sich aufgenommen und
ihr schließlich zur Ausreise nach Deutschland verholfen habe. Als Gegenleistung hierfür
habe sie ihm zehn Rinder überlassen.
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Mit Bescheid vom 18. März 2008, zugestellt am 25. März 2008, lehnte das Bundesamt
den Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Asylberechtigte ab. Zugleich stellte es
fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht
vorlägen und auch keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG
gegeben seien. Ferner drohte es ihr die Abschiebung nach Kamerun an.
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Daraufhin hat die Klägerin am 08. April 2008 Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe
erhoben, das sich durch Beschluss vom 05. Mai 2008 - A 8 K 1023/08 - für örtlich
unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Minden verwiesen
hat.
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Am 05. Dezember 2008 hat die Klägerin die Klage zurückgenommen, soweit sie mit
dieser auch die Anerkennung als Asylberechtigte sowie die Feststellung der
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erstrebt hat. Unter Vorlage von ärztlichen
Bescheinigungen beantragt sie nunmehr sinngemäß,
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festzustellen, dass für sie Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG
vorliegen, und den Bescheid des Bundesamtes vom 18. März 2008 aufzuheben, soweit
dieser entgegensteht.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Beschluss vom 21. Mai 2008 hat die Kammer das Verfahren gemäß § 76 Abs. 1
Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur
Entscheidung übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und
die bei der Bürgermeisterin der Stadt H. über die Klägerin geführte Ausländerakte
(jeweils ein Heft) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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A. Das Gericht war nicht gehindert, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 09.
Dezember 2007 über die Klage zu entscheiden, obwohl die Beteiligten nicht zur
mündlichen Verhandlung erschienen sind. Denn sie wurden unter Hinweis auf die
Möglichkeit, dass das Gericht beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn
verhandeln und entscheiden kann, geladen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung -
VwGO -).
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B. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3
Satz 1 VwGO einzustellen.
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C. Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
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Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass für sie ein Abschiebungshindernis nach §
60 Abs. 7 AufenthG in Bezug auf Kamerun festgestellt wird. Der Bescheid des
Bundesamtes vom 18. März 2008 ist mithin rechtswidrig und verletzt die Klägerin in
ihren Rechten, soweit ihr ein solcher Abschiebungsschutz versagt und die Abschiebung
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nach Kamerun angedroht wird. Im Übrigen, d. h. soweit die Klägerin auch
Abschiebungsschutz nach Maßgabe des § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG begehrt, ist die
Klage dagegen unbegründet.
I. Im Falle der Klägerin ist ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7
AufenthG gegeben. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines
Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer
eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren in
diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer
angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen nach § 60 a AufenthG
berücksichtigt (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
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Die Klägerin wäre bei einer Rückkehr nach Kamerun einer konkreten Gefahr für Leib
und Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgesetzt.
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Dies ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass die Lebenssituation alleinstehender
Frauen in den westafrikanischen Ländern - einschließlich der Republik Kamerun -
problematisch ist. Zwar ist es für diesen Personenkreis durchaus schwierig, sich eine
berufliche und wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Dies gilt in Kamerun insbesondere
für ländliche Gebiete, in denen vielfach noch Konfliktlösungsmechanismen - vor allem in
Form von Rechtsprechung durch traditionelle Herrscher - existieren, die auf Stammes-
und Gewohnheitsrecht beruhen und Frauen stark benachteiligen. Etwas besser stellen
sich die beruflichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten für Frauen jedoch in den
größeren Städten des Landes dar. Es erscheint mithin keineswegs ausgeschlossen,
dass eine alleinstehende Frau dort ihren Lebensunterhalt ggf. auch ohne Unterstützung
ihrer Familie oder ihrer ethnischen Gruppe sichern kann.
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Vgl. dazu den Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun vom 19. Dezember 2007 (Stand:
Oktober 2007) sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 31. Oktober
2003 - 1 K 2129/01.A - (zu den sich ähnlich darstellenden Verhältnissen in Nigeria).
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Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass die Klägerin aufgrund der im vorliegenden
Einzelfall gegebenen besonderen Umstände nicht in der Lage sein wird, die in Kamerun
prinzipiell auch für alleinstehende Frauen gegebenen Möglichkeiten zum Aufbau einer
wirtschaftlichen Existenzgrundlage zu nutzen. Die Klägerin wird aufgrund ihres - gerade
auch unter Berücksichtigung der in Kamerun herrschenden Lebenserwartung von
lediglich 45,7 Jahren - fortgeschrittenen Alters von 66 Jahren und ihres schlechten
Gesundheitszustandes ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft sicherstellen
können und deshalb mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit innerhalb kürzester
Zeit schwerste körperliche Schäden erleiden. Die Klägerin leidet nach den im
Klageverfahren vorgelegten ärztlichen Berichten an einer Herzerkrankung,
verschiedenen Augenerkrankungen, die bereits zu einer fast vollständigen Erblindung
des linken Auges geführt haben, Funktionsstörungen im rechten Unterschenkel, die das
Gehen deutlich erschweren, und Beschwerden im Bereich der Handgelenke. Wegen
der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen,
insbesondere die Berichte des Dr. W. (H. ) vom 13. August 2008 und der
Kardiologischen Praxis H. vom 26. Juni 2008, Bezug genommen. Es ist zudem nicht
erkennbar, dass die Klägerin in Kamerun noch über tragfähige verwandtschaftliche
Beziehungen verfügt. Auch hat sie in Kamerun eigenen durchaus glaubhaften
Bekundungen zufolge in der Landwirtschaft gearbeitet und wird diese Tätigkeit
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angesichts ihres Gesundheitszustandes und ihres fortgeschrittenen Alters wohl nicht
mehr in der Weise ausüben können, dass hierdurch der eigene Lebensunterhalt
sichergestellt werden könnte. Ferner wird die Klägerin, die offenbar aus einer ländlichen
Region im Bezirk C. (Nordwest-Provinz Kameruns) stammt, kaum in der Lage sein, noch
einen anderen Beruf zu ergreifen, zumal sie hierzu wahrscheinlich zunächst in eine
größere Stadt ziehen und dort Fuß fassen müsste. Vor dem Hintergrund dieser
deutlichen Erschwerungen wird es der Klägerin in Kamerun in einem äußerst
schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Umfeld, in dem alleinstehende Frauen
ohnehin nur unter Schwierigkeiten selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können,
weder möglich sein, eine (neue) wirtschaftliche Existenz aufzubauen, noch wird sie dort
die auch weiterhin notwendigen ärztlichen Behandlungen erlangen können, deren
Kosten in Kamerun grundsätzlich nicht durch soziale Sicherungssysteme getragen
werden, sondern in der Regel von dem Betroffenen bzw. seiner Familie aufgebracht
werden müssen.
Vgl. wiederum den Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun vom 19. Dezember 2007.
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II. Hat die Klägerin danach aufgrund der besonderen Umstände des hier gegebenen
Einzelfalls einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60
Abs. 7 AufenthG, so ist der dem entgegenstehende Ausspruch unter Ziffer 3. des
Bescheides vom 18. März 2008 ebenso aufzuheben wie die Abschiebungsandrohung
unter Ziffer 4., soweit der Klägerin darin gerade die Abschiebung nach Kamerun
angedroht wird (vgl. § 59 Abs. 3 AufenthG).
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III. Dafür, dass ihr darüber hinaus auch Abschiebungsschutz nach Maßgabe des § 60
Abs. 2 bis 6 AufenthG zuzuerkennen wäre, ist dagegen nichts ersichtlich, so dass die
Klage im Übrigen abzuweisen war.
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D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO.
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Vgl. zu der in Fällen der vorliegenden Art zu bildenden Kostenquote etwa den
Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 02. September 1997 - 9 C 40/96 -,
BVerwGE 105, 187 = NVwZ 1999, 311.
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Der Hinweis auf die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b AsylVfG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO
i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
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