Urteil des VG Minden vom 10.12.2003

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Verwaltungsgericht Minden, 4 K 3288/02
Datum:
10.12.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 3288/02
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die Klägerin ist die Ehefrau des am 00.00.0000 verstorbenen Lehrers a.D. H. L. . Unter
dem 20.02.2002 beantragte der Ehemann der Klägerin beim Landesamt für Besoldung
und Versorgung (LBV) die Gewährung einer Beihilfe zu Aufwendungen in Höhe von
3984 EUR, die ihm anlässlich einer bei ihm durchgeführten Galvano-Therapie von dem
Heilpraktiker I. Q. X. in L1. unter dem 15.02.2002 in Rechnung gestellt worden waren.
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Das LBV lehnte mit Bescheid vom 12.03.2002 die Gewährung einer Beihilfe ab mit der
Begründung, bei der Galvano-Therapie handele es sich um eine wissenschaftlich nicht
anerkannte Heilbehandlung. Hiergegen legte der Ehemann der Klägerin unter dem
18.03.2002 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 06.06.2002 an die Klägerin lehnte das
LBV noch einmal die Gewährung einer Beihilfe ab. Nach erfolglosem Vorverfahren hat
die Klägerin am 14.10.2002 die vorliegende Klage erhoben.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06.06.2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 06.09.2002 zu verpflichten, zu der Rechnung des
Privatinstituts für Organo-Bio-Therapie, Naturheilpraxis X. , L1. , vom 15.02.2002 über
3984 EUR Beihilfe zu gewähren.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen,
die ihrem verstorbenen Ehemann anlässlich einer bei ihm durchgeführten Galvano-
Therapie von dem Heilpraktiker I. Q. X. in L1. unter dem 15.02.2002 in Rechnung
gestellt worden sind. Der Bescheid des LBV vom 06.06.2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 06.09.2002 ist insoweit rechtmäßig und verletzt die
Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Beihilfenverordnung (BVO) sind die notwendigen
Aufwendungen im angemessenen Umfange in Krankheitsfällen zur Wiedererlangung
der Gesundheit, zur Besserung und Linderung von Leiden, zur Beseitigung oder zum
Ausgleich angeborener oder erworbener Körperschäden sowie bei dauernder
Pflegebedürftigkeit beihilfefähig. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 BVO umfassen die
beihilfefähigen Aufwendungen die Kosten für die bei ärztlichen oder zahnärztlichen
Verrichtungen verbrauchten und die auf Grund einer schriftlichen ärztlichen oder
zahnärztlichen Verordnung beschafften Arzneimittel, Verbandmittel und dergleichen.
Nicht beihilfefähig sind wissenschaftlich nicht anerkannte Mittel und/bzw.
wissenschaftlich nicht anerkannte Heilbehandlungen (§ 4 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 Buchst. a,
§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und 4 BVO).
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Als wissenschaftlich anerkannt im Sinne der BVO können Heilbehandlungen und
Arzneimittel angesehen werden, wenn sie von der herrschenden oder doch
überwiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft für eine Behandlung der
Krankheit als wirksam und geeignet angesehen werden. Um "anerkannt" zu sein, muss
einer Behandlungsmethode oder Arzneimitteln von dritter Seite attestiert werden, dass
sie zur Heilung einer Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet und
wirksam sind. Die "wissenschaftliche" Anerkennung erfährt eine Methode oder ein
Arzneimittel, wenn Beurteilungen von solchen Personen vorliegen, die an Hochschulen
und anderen Forschungseinrichtungen als Wissenschaftler in der jeweiligen
medizinischen Fachrichtung tätig sind. Die Überzeugung von der Wirksamkeit muss
freilich nicht in jedem Falle in der Fachwelt uneingeschränkt und einhellig geteilt
werden. Das würde der Vielfalt wissenschaftlich begründeter Standpunkte und
Erkenntnisse und der darauf gestützten Behandlungsmethoden nicht gerecht werden.
Das Merkmal der wissenschaftlichen Anerkennung setzt aber doch eine weitgehende
Zustimmung der im Fachbereich tätigen Wissenschaftler voraus. Es ist nicht erfüllt,
wenn eine Einschätzung der Wirksamkeit und Geeignetheit durch die in der jeweiligen
medizinischen Fachrichtung tätigen Wissenschaftler nicht vorliegt oder wenn die
überwiegende Mehrheit der mit der Methode befassten Wissenschaftler die
Erfolgsaussichten als ausgeschlossen oder jedenfalls gering beurteilt.
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Vgl. OVG NW, Beschluss vom 11.3.1996 - 6 A 563/95 -.
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Vorliegend handelt es sich bei der hier in Rede stehenden Galvano-Therapie (oder
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auch ECT-Tumortherapie, Perkutane-Elektro-Tumortherapie ECT) um eine
wissenschaftlich nicht anerkannte Heilbehandlung. Denn eine wissenschaftliche
Zustimmung im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung ist nicht belegt. Eine solche
lässt sich auch nicht den von der Klägerin eingereichten Unterlagen entnehmen. Diese
vermögen schon deshalb nicht die von der Rechtsprechung geforderte weitgehende
Zustimmung in der Wissenschaft zu ersetzen, da es sich dabei lediglich um eine
Informationsschrift des Heilpraktikers I. Q. X. handelt, die jedoch keinerlei Hinweise auf
eine überhaupt ansatzweise bestehende Zustimmung der in diesem Fachbereich
tätigen Wissenschaftler enthält. Rechtlich unerheblich ist in diesem Zusammenhang,
dass verschiedene Beihilfefestsetzungsstellen die Galvano-Therapie als beihilfefähig
anerkannt und entsprechende Beihilfeleistungen gewährt haben. Dies vermag das
beklagte Land bei seiner - zutreffenden - Einschätzung nicht zu binden und ist auch
nach Ansicht der Kammer kein Indiz dafür, dass in der medizinischen Fachwelt
überhaupt ernsthaft über die Wirksamkeit dieser Behandlungsmethode diskutiert wird.
Deshalb und mangels hinreichender Anhaltspunkte für eine mögliche wissenschaftliche
Anerkennung bestand für die Kammer auch keine Veranlassung, ein
Sachverständigengutachten zur Frage der wissenschaftlichen Anerkennung der hier im
Streit stehenden Galvano-Therapie einzuholen.
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Beihilfefähig sind die dem Ehemann der Klägerin entstandenen Aufwendungen für die
bei ihm durchgeführte Galvano-Therapie auch nicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 BVO.
Danach können auch Aufwendungen für wissenschaftlich noch nicht anerkannte
Heilbehandlungen von der obersten Dienstbehörde für beihilfefähig erklärt werden,
wenn wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlungen ohne Erfolg angewendet worden
sind.
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Voraussetzung für eine Beihilfefähigkeit ist danach, dass die wissenschaftlich noch
nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode nach einer medizinischen
Erprobungsphase entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch
wissenschaftlich allgemein anerkannt werden kann. Dass die Methode wissenschaftlich
nicht endgültig verworfen worden ist und eine Anerkennung in Zukunft noch in Betracht
kommen könnte, genügt jedoch nicht, um ausnahmsweise die Beihilfefähigkeit einer
wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Heilbehandlung zu rechtfertigen.
Voraussetzung ist vielmehr, dass nach dem Stand der Wissenschaft die Aussicht, d.h.
die begründete Erwartung, auf wissenschaftliche Anerkennung besteht. Für eine solche
Annahme ist zumindest erforderlich, dass bereits wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle
beschränkte Erkenntnisse vorliegen, die attestieren, dass die Behandlungsmethode zur
Heilung der Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet ist und wirksam
eingesetzt werden kann.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.6.1998 - 2 C 24.97 -, NJW 1998, 3436.
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Auch dafür fehlen jegliche konkreten Anhaltspunkte.
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Die Kosten der nach alledem abzuweisenden Klage trägt die Klägerin gem. § 154 Abs.
1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung
ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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