Urteil des VG Minden vom 30.10.2009

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Verwaltungsgericht Minden, 5 K 765/09
Datum:
30.10.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 765/09
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 09.03.2009 wird aufgehoben, soweit
er einen Kanalanschlussbeitrag von 10.234,83 EUR übersteigt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zwei Neuntel, der
Beklagte sieben Neuntel.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Kanalanschlussbeitrags, den der
Beklagte gegenüber dem Kläger erhoben hat.
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Der Kläger ist Eigentümer der in der Flur 1 der Gemarkung C. im Außenbereich
gelegenen Flurstücke 279 und 280, die zusammen eine Fläche von 9.810 qm aufweisen
und aus dem früheren Flurstück 2 hervorgegangen sind. 893 qm der alten Parzelle
waren als Fläche für Wohnen, 2143 qm als Fläche für Garten und 6.774 qm als Fläche
für Ackerland ausgewiesen. Mit Genehmigung des Beklagten vom 30.08.2007 wurde
das Flurstück 2 geteilt. Die neuen Flurstücke waren indes noch unter einer Nummer im
Grundbuch eingetragen. Erst unter dem 05.02.2009 wurde jedem der durch die Teilung
entstandenen Flurstücke eine eigene Grundbuchnummer erteilt und eingetragen. Auf
der neuen Parzelle 279 - 1362 qm - befindet sich das Wohnhaus des Klägers, das die
Lagebezeichnung C1. Straße 190 trägt. Die Parzelle 280 wird überwiegend
landwirtschaftlich genutzt. Lediglich der sich südlich an das Haus anschließende und an
die C1. Straße angrenzende Teil dient dem Kläger als Hausgarten. Am 08.08.2008
wurde das Haus des Klägers an den in der C1. Straße verlegten Schmutzwasserkanal
angeschlossen.
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Wegen der baulichen Situation im Umfeld des Grundstücks wird zusätzlich auf die
Pläne und Fotos in der Beiakte V Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 09.03.2009 wurde der Kläger für sein "Grundstück: Gemarkung C. ,
Flur 1, Flurstücke 279, 280, Straße: C1. Str. 190" zu einem Kanalanschlussbeitrag in
Höhe von 17.525,39 EUR herangezogen. Dabei setzte der Beklagte insgesamt 2.343,75
Berechnungseinheiten an, die sich aus einer Grundstücksfläche von 1.875 qm und
einem Aufschlag von 25 Prozent für zweigeschossige Bebauung ergaben. Der Beklagte
hatte parallel zur Straßenbegrenzungslinie über die Flurstücke 279 und 280 hinweg im
Abstand der Tiefenbegrenzung von 30 m auch die Gartenfläche mit in die Veranlagung
einbezogen.
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Am 20.03.2009 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, mit der er die
Reduzierung seines Beitrags auf 8.197,20 EUR begehrt. Zur Begründung führt er an,
dass lediglich die Fläche des Flurstücks 279 herangezogen werden könne. Das
Flurstück 280 sei, auch soweit es an die Straße grenze, nicht bebaubar. Der Beklagte
beziehe das Grundstück aber ein, weil er die Auffassung vertrete, er habe in
vorwerfbarer Weise die Teilung herbeigeführt. Er habe aber bereits einen Bauantrag für
ein zweites Gebäude auf dem jetzigen Flurstück 280 gestellt. Dieser Bauantrag sei
zurückgewiesen worden, weil es sich um eine nicht bebauungsfähige Fläche handele.
Er und seine Ehefrau seien 73 bzw. 72 Jahre alt und nicht von guter Gesundheit. Sie
müssten sich auf den Pflegefall vorbereiten und wollten, da das Pflegegeld nicht
ausreiche, das Flurstück 280 dann als Acker- und Weideland veräußern. Dann müsse
nicht das bebaute Grundstück in Anspruch genommen werden. Auch solle das Flurstück
280 als Teilausgleich im Rahmen der Erbauseinandersetzung der beiden Kinder
dienen. Die Veranlagung sei zudem erst am 09.03.2009 erfolgt, als es bereits die beiden
getrennten Grundstücke gegeben habe.
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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 09.03.2009 insoweit aufzuheben, als er einen
Kanalanschlussbeitrag von 8.197,20 EUR übersteigt.
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Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor, dass sowohl das Flurstück 279 und auch das Flurstück 280 unter einer
Nummer im Grundbuch von E. , Blatt 09686, eingetragen seien, so dass es sich um ein
Buchgrundstück handele. Für die Veranlagung aber sei das Buchgrundstück
maßgeblich. Auch die sog. Gelbeintragungen in der Bauakte bezögen sich auf die
Flurstücke 279 und 280 insgesamt. Der Beitrag sei mit dem tatsächlichen Anschluss am
08.08.2008 fällig geworden. Zu diesem Zeitpunkt seien die beiden Flurstücke als ein
Buchgrundstück anzusehen gewesen. Für die Frage der wirtschaftlichen Einheit sei
zunächst das Grundstück heranzuziehen, dass Gegenstand einer Baugenehmigung
gewesen sei. Im Jahre 1960 sei durch Gelbeintrag das gesamte Flurstück 2 Gegenstand
einer Baugenehmigung geworden. Eine Veränderung habe sich auch nicht dadurch
ergeben, dass im Jahre 2000 durch einen Anbau eine weitere Baugenehmigung erteilt
worden sei. Den vorliegenden Akten könne nicht entnommen werden, dass durch einen
veränderten Gelbeintrag hier ein anderes Grundstück zugrunde gelegt worden sei. Nach
der obergerichtlichen Rechtssprechung sei zudem für die Bemessung des
Kanalanschlussbeitrags das Buchgrundstück maßgeblich. Ohne weiteres sei von einem
Buchgrundstück auszugehen und lediglich festzustellen, ob das Buchgrundstück zur
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Bildung einer wirtschaftlichen Einheit verkleinert werden müsse. Das sei dann
anzunehmen, wenn eine beitragsrechtliche Übergröße des Grundstücks vorliege. Hier
handele es sich um ein Grundstück im Außenbereich. Die Grundstücksgröße von 1.875
qm sei keine Übergröße, die eine Verkleinerung des Grundstücks erfordere. Auch sei im
Jahre 1968 eine Kläranlage mit Verrieselungsfläche beantragt und genehmigt worden.
Diese Verrieselungsfläche sei in die Baugenehmigung einbezogen worden. Auch
werde die Ansicht vertreten, dass bei der Frage der Bildung der wirtschaftlichen Einheit
diese nicht kleiner zu bilden sei, als dies im Fall der Bebauung nach der
Baunutzungsverordnung zulässig ist. In kleineren Siedlungsgebieten sehe § 17 der
Baunutzungsverordnung den Faktor 0,2 vor. Es ergebe sich eine Grundfläche gem.
Baugenehmigung von 173,49 qm für das Haupthaus, 54,64 qm für die Doppelgarage
sowie überschlägig berechnet 25 qm für das Gartenhaus und 120 qm für die Zufahrt. Die
Fläche betrage damit also 373,13 qm. Ausgehend von einer Obergrenze für das Maß
der baulichen Nutzung von 0,2 der Grundfläche wäre die derzeit bestehende bauliche
Anlagen allenfalls auf einer Fläche von 1.865,65 qm zulässig. Das entspreche der
zugrunde gelegten Veranlagung.
Der Berichterstatter hat am 21.09.2009 einen Erörterungstermin an Ort und Stelle
durchgeführt. Wegen des Ergebnisses wird auf das Terminsprotokoll verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfahrensakte und die
Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig und zum überwiegenden Teil begründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 09.03.2009 ist, soweit in ihm ein
Kanalanschlussbeitrag, der 10.234,83 EUR übersteigt, festgesetzt wird, rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
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Zwar hat der Beklagte seinen Bescheid zutreffend auf § 8 KAG NRW i.V.m. der
Beitrags- und Entwässerungssatzung der Stadt E. vom 28.11.2003, in Kraft getreten am
01.01.2004, gestützt. Grundsätzlich ist die Heranziehung des Klägers auch nicht zu
beanstanden, denn nach § 12 Abs. 1 der Beitragssatzung unterliegt ein Grundstück
dann, wenn es tatsächlich an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossen wird, der
Beitragspflicht (§ 12 Abs. 2 der Beitragssatzung). Diese Voraussetzung für die
Entstehung der Kanalanschlussbeitragspflicht lag beim veranlagten Grundstück ab dem
08.08.2008 vor.
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Der Kanalanschlussbeitrag ist indes nicht in der vom Beklagten ursprünglich
errechneten Höhe von 17.525,39 EUR entstanden, sondern lediglich mit einem Betrag
von 10.234,83 EUR, wie der Beklagte auf Anordnung des Gerichts mit
Ersatzberechnung vom 22.09.2009 ermittelt hat. Entgegen seiner Auffassung kann das
im Außenbereich gelegene Grundstück nicht mit der gesamten Angrenzungsbreite der
Parzellen 279 und 280 an die C1. Straße in der zugrunde gelegten Tiefe von 30 m
berücksichtigt werden. Vielmehr lässt sich nur das, was im Sinne der obergerichtlichen
Rechtsprechung die wirtschaftliche Grundstückseinheit ausmacht, für die Berechnung
des Kanalanschlussbeitrags ansetzen, im vorliegenden Fall eine nachträglich ermittelte
Fläche von 1095 qm, die mit einem Aufschlag für zweigeschossige Bebauung von 25
Prozent zu einer Berechnungsfläche von 1.368,75 qm führt.
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Grundstück i.S.d. Beitragsrechts nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW ist die wirtschaftliche
Einheit, also jeder demselben Eigentümer gehörende Teil der Grundfläche, der
selbstständig baulich oder gewerblich genutzt werden darf und selbstständig an die
Anlage angeschlossen werden kann. Ausgangspunkt ist in der Regel das
Buchgrundstück, denn in der Mehrzahl der Fälle sind Grundstücke i.S.d. bürgerlichen
Rechts zugleich auch wirtschaftliche Einheiten. Davon ausgehend ist festzustellen, ob
das Buchgrundstück zur Bildung einer wirtschaftlichen Einheit um Flächen vergrößert
oder verkleinert werden muss.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.03.2005 - 15 A 300/05 -.
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Nach Auffassung des Gerichts liegt es hier auf der Hand und bedarf keiner
weitergehenden Erörterung, dass nicht das gesamte Buchgrundstück für die
Veranlagung zu berücksichtigen war, weil der überwiegende Teil landwirtschaftlich
genutzt wird und sich die räumliche Erschließungswirkung des Kanalanschlusses
darauf nicht zu erstrecken vermag. Die Größe dieses Grundstücks von 9.810 qm legt die
Bildung einer kleineren wirtschaftlichen Einheit nahe, weil ein solches Grundstück als
Wohngrundstück ohne weiteres als übergroß anzusehen ist. Auch der Beklagte hat aus
dem Buchgrundstück eine kleinere wirtschaftliche Einheit gebildet.
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Dabei war im Rahmen dieser Entscheidung zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der
Entstehung der Beitragspflicht durch den Anschluss an den Schmutzwasserkanal am
08.08.2008 die beiden Flurstücke 279 und 280 nach der Teilung des vormaligen
Flurstücks 2 zunächst noch unter einer gemeinsamen Nummer im Grundbuch
eingetragen waren und grundbuchrechtlich nach wie vor das für die Beurteilung
maßgebliche Buchgrundstück darstellten. Die Zuteilung einer eigenen Nummer erfolgte
erst am 05.02.2009 und war daher für die Frage, was die wirtschaftliche Einheit
ausmacht, nicht relevant. Bei diesem Befund konnte mithin auch dahingestellt bleiben,
ob die Teilung i.S.d. § 42 AO mißbräuchlich erfolgt ist.
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In Ansehung der obergerichtlichen Rechtsprechung ist im vorliegenden Fall
entscheidender Anhaltspunkt für die Bildung der wirtschaftlichen Einheit der bauliche
Bestand bzw. die verwirklichte Bausubstanz. Das danach zu berücksichtigende bebaute
Grundstück als der Bezugsgegenstand, dem letztlich der wirtschaftliche Vorteil vermittelt
wird, reicht in Würdigung der Ergebnisse des durchgeführten Ortstermins am 21.09.2009
südlich bis zum bereits auf der Parzelle 280 errichteten Gartenhaus. Südlich darüber
hinaus ist nach Auffassung des Gerichts eine relevante Prägung durch die baulichen
Anlagen nicht mehr zu erkennen. Der Größe des Hausgartens allein kommt keine
entscheidende Bedeutung zu. Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des
Obergerichts allein die Bebauung der Fläche und nicht deren gärtnerische Nutzung, die
sogar ohne unmittelbaren Bezug zu einer Bebauung möglich sein dürfte.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.03.2008 - 15 A 2590/07 -.
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Die vom Beklagten demgegenüber vorgenommene Bildung der wirtschaftlichen Einheit
lässt sich nicht auf frühere Baugenehmigungen und dort erkennbare Gelbeintragungen
stützen, weil sie sich im vorliegenden Fall offensichtlich nicht auf ein definiertes
Baugrundstück beziehen, sondern lediglich die Flurstücksgrenzen des
Buchgrundstücks nachzeichnen. Das gilt auch für die nach der neueren Gesetzeslage
maßgebliche gerissene Linie in der Baugenehmigung vom 21.06.2000.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24.10.1995 - 15 A 3695/91 -.
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Auch die vom Beklagten parallel zur C1. Straße in einer Tiefe von 30 m über die
Flurstücke 279 und 280 hinweg gezogene Tiefenbegrenzungslinie ist kein Instrument,
um das Buchgrundstück - seitlich - auf die maßgebliche wirtschaftliche Einheit zu
verkleinern. Mit der Tiefenbegrenzung wird generalisierend lediglich die räumliche
Erschließungswirkung der Entwässerungsanlage auf ein bebautes oder
Baulandcharakter aufweisendes Grundstück begrenzt, d.h. zunächst gilt es
herauszufinden, wie groß das "bebaute Grundstück" ist. Die Tiefenbegrenzung trägt
lediglich der Tatsache Rechnung, dass der wirtschaftliche Vorteil, der durch die
Möglichkeit des Anschlusses an die öffentliche Entwässerungsanlage gewährt wird, bei
übergroßen Grundstücken nicht in jedem Fall entsprechend der Steigerung der
Grundstücksgröße wächst. Der wirtschaftliche Vorteil besteht bei Baulandcharakter
aufweisenden Grundstücken in der Erhöhung des Gebrauchswertes dahin, dass erst
durch die zur Inanspruchnahme gebotenen Entwässerungsanlage eine bauliche
Nutzung möglich wird, bzw. - bei schon bebauten Grundstücken - dass eine nur
provisorische Entwässerung durch eine endgültige und ordnungsgemäße Erschließung
ersetzt wird.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 05.10.2006 - 15 A 2922/04 -.
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Ohne Bedeutung für die Entscheidung des vorliegenden Falles ist die Tatsache, dass
der Kläger sein Regenwasser nach wie vor auf Teilen der Parzelle 280 verrieselt, denn
der Beklagte selbst hatte bereits unter dem 30.08.2007 durch die bestandskräftige
Verfügung der Teilungsgenehmigung bauordnungsrechtlich eine rechtliche
Verknüpfung der beiden Flurstücke, etwa durch Vereinigungsbaulast, nicht für
erforderlich gehalten und damit schon vor der Entstehung der Beitragspflicht den
ursprünglich durch die Baugenehmigung aus dem Jahre 1968 gegebenen rechtlichen
Zusammenhang der Verrieselungsanlage mit dem Wohnhaus aufgehoben. Dem steht
nicht entgegen, dass die grundbuchrechtliche Verselbständigung der Parzellen 279 und
280 erst ab dem 05.02.2009 wirksam wurde, weil die materielle Wirksamkeit der Teilung
nichts mit dem formellen Grundstücksbegriff zu tun hat und bereits mit der Bestandskraft
des Teilungsbescheides vom 30.08.2007 eintrat.
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Auch die vom Beklagten aus der Baunutzungsverordnung gezogenen
Schlussfolgerungen gehen an der Sache vorbei, weil das Grundstück des Klägers im
Außenbereich liegt, für den die angeführten Regelungen keine Geltung entfalten
können. Gebietskarten i.S.d. Verordnung kennt der Außenbereich nicht.
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Die Verteilung der Kosten folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO.
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