Urteil des VG Minden vom 13.11.2008

VG Minden: wiedererteilung, vollziehung, entziehung, abklärung, vorrang, abschaffung, zustellung, zivilprozessordnung, vollstreckbarkeit, vorrat

Verwaltungsgericht Minden, 12 K 2460/07
Datum:
13.11.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 K 2460/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird
nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages
abzuwenden, falls nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Tatbestand:
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Mit Ordnungsverfügung vom 11. September 1997 entzog der Oberkreisdirektor des
Landkreises P. der Klägerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung deren
Fahrerlaubnis der Klasse 3. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die
Bezirksregierung Weser-Ems mit Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1998 als
unbegründet zurück.
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Am 17. Mai 2006 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Wiedererteilung einer
Fahrerlaubnis der Klassen B und BE. Da sie sich zunächst weigerte, ein vom Beklagten
für erforderlich gehaltenes Gutachten eines Amtsarztes vorzulegen, lehnte der Beklagte
den Wiedererteilungsantrag mit Bescheid vom 31. Juli 2006 ab. Im Laufe des
Widerspruchsverfahrens legte die Klägerin sodann ein positives amtsärztliches
Gutachten vor. Dies veranlasste den Beklagten, der Klägerin mit Schreiben vom 30.
August 2006 mitzuteilen, seine vormals erhobenen Bedenken gegen ihre
Kraftfahreignung seien durch das positive Gutachten ausgeräumt worden. Vor
Wiedererteilung der begehrten Fahrerlaubnis müsse die Klägerin jedoch noch die
theoretische und praktische Fahrprüfung ablegen.
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Da es hierzu in der Folgezeit nicht kam, lehnte der Beklagte den Wiedererteilungsantrag
der Klägerin mit Bescheid vom 9. Juli 2007 nunmehr deshalb (erneut) ab, weil diese die
erforderliche Befähigungsprüfung nicht abgelegt habe. In Ergänzung hierzu teilte der
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Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 10. September 2007 mit, der (erste)
Ablehnungsbescheid vom 31. Juli 2006 werde aufgehoben, der hiergegen erhobene
Widerspruch habe sich erledigt.
Am 7./9. August 2007 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid des
Beklagten vom 9. Juli 2007. Diesen wies die Bezirksregierung E. mit
Widerspruchsbescheid vom 2. November 2007 als unbegründet zurück.
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Die Klägerin hat am 30. November 2007 Klage erhoben, zu deren Begründung sie
vorträgt: Die Ordnungsverfügung des Oberkreisdirektors des Landkreises P. vom 11.
September 1997 sei fehlerhaft gewesen. Insbesondere sei sie zuvor nicht angehört
worden. Der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems sei ihr nicht
zugestellt worden. Auch sei sie befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, da sie nach
Entziehung ihrer Fahrerlaubnis weiterhin Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr
geführt habe.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 9. Juli 2007 und des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E. vom 2. November 2007 zu
verpflichten, ihr - der Klägerin - die Fahrerlaubnis der Klassen B und BE erneut zu
erteilen.
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Der Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im
Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen
Verwaltungsvorgangs des Beklagten (1 Heft) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Es kann dahinstehen, ob sie zulässig ist.
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Dies wäre sie mangels Rechtsschutzbedürfnisses dann nicht, wenn der Klägerin - ihrem
Vorbringen entsprechend - der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems
vom 19. Februar 1998 niemals zugestellt worden wäre. Dann erwiese sich nämlich die
Frage, ob der Klägerin ihre vormalige Fahrerlaubnis der Klasse 3 zu Recht und
bestandskräftig entzogen worden ist, weiterhin als offen. Die Klägerin wäre deshalb
gehalten, ihre Rechte durch eine (Untätigkeits-)Klage gegen die Entziehungsverfügung
des Oberkreisdirektors des Landkreises P. vom 11. September 1997 zu verfolgen. In
diesem Fall wäre es ihr aus Rechtsgründen verwehrt, parallel hierzu und
gewissermaßen auf Vorrat die Erteilung einer weiteren Fahrerlaubnis anzustreben (vgl.
auch § 8 der Fahrerlaubnisverordnung - FeV -).
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Auf die vorstehenden Gesichtspunkte kommt es streitentscheidend deshalb nicht an,
weil sich die Klage jedenfalls als unbegründet erweist
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- gegen den logischen Vorrang prozessualer Fragen auch Sendler, DVBl. 1982, 923,
929 -.
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Der Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin
(deshalb) nicht in ihren Rechten, weil diese keinen Anspruch auf Wiedererteilung einer
Fahrerlaubnis der Klassen B und BE hat (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
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In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob das Vorbringen der Klägerin in der
mündlichen Verhandlung, sie habe auch nach der sofort vollziehbaren Entziehung ihrer
Fahrerlaubnis weiterhin Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr geführt, unter
dem Gesichtspunkt des Fahrens ohne Fahrerlaubnis erneut so durchgreifenden
Bedenken gegen ihre Kraftfahreignung ausgelöst hat, dass nunmehr zur Abklärung
dieser Bedenken die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens
erforderlich ist.
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Die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis scheitert jedenfalls daran, dass die Klägerin
sich weigert, eine theoretische und praktische Fahrerlaubnisprüfung abzulegen. Hierauf
kann gemäß § 20 Abs. 2 FeV nicht verzichtet werden. Es trifft zwar zu, dass die
genannte Vorschrift in der ab dem 30. Oktober 2008 geltenden Fassung, die für das
vorliegenden Verfahren zugrunde zu legen ist, die vormalige strikte Zwei-Jahres-Frist
nicht mehr enthält, weil der bis zum 29. Oktober 2008 geltende Satz 2 des § 20 Abs. 2
FeV ersatzlos gestrichen worden ist. Es bleibt aber nach § 20 Abs. 2 FeV dabei, dass
auf eine Fahrerlaubnisprüfung nur dann verzichtet werden kann, wenn keine Tatsachen
vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach den §§ 16 Abs. 1
und 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt. Aus
Anlass dieses Falles bedarf es keiner Entscheidung, ab wann unter zeitlichen
Gesichtspunkten die fraglichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr als gegeben
angesehen werden können. Insoweit mag - wegen der Abschaffung der Zwei-Jahres-
Frist - eine großzügigere Handhabung angezeigt sein. Vorliegend ist es jedoch so, dass
die Klägerin seit über elf Jahren rechtmäßigerweise kein Kraftfahrzeug im öffentlichen
Straßenverkehr mehr führen durfte. Dies folgt daraus, dass die Ordnungsverfügung des
Oberkreisdirektors des Landkreises P. vom 11. September 1997 unter Anordnung der
sofortigen Vollziehung ergangen ist. Dass die Klägerin diese Ordnungsverfügung nicht
erhalten hat, hat sie selbst nicht vorgetragen und kann nach dem Akteninhalt auch nicht
angenommen werden, weil sie ausdrücklich Widerspruch gegen diese
Ordnungsverfügung eingelegt hat. Dann aber durfte sie nach Zustellung dieser
Ordnungsverfügung kein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr mehr führen. Im
Hinblick auf ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, sie habe dies gleichwohl
getan, ist lediglich klarstellend darauf hinzuweisen, dass es für die Frage der
erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten ausschließlich um die berechtigte Teilnahme
am öffentlichen Straßenverkehr geht, die genannten Voraussetzungen aber
selbstverständlich nicht durch ein Verhalten nachgewiesen werden können, welches
den Tatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis erfüllt.
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Ist aber mithin von einer Zeitspanne von über elf Jahren auszugehen, muss angesichts
der Dichte und Schnelligkeit des heutigen Straßenverkehrs unterstellt werden, dass die
erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr vorhanden sind. Jedenfalls nach
Verstreichen eines solch langen Zeitraums kann die Zulassung zum Straßenverkehr nur
nach Ablegung einer neuen Befähigungsprüfung verantwortet werden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO
i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.
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